Mirja Schnabel: Umgang mit Demenzkranken
Rezensiert von Gisela Stoll, 01.11.2005

Mirja Schnabel: Umgang mit Demenzkranken. Entwicklung eines Lernfeldes auf Basis empirischer Daten aus der Berufspraxis der Pflege.
Schlütersche Fachmedien GmbH
(Hannover) 2005.
98 Seiten.
ISBN 978-3-89993-139-6.
22,90 EUR.
CH: 39,90 sFr.
Reihe: Pflegebibliothek - Bremer Schriften.
Entstehungshintergrund
Die "Bremer Schriften" verbinden eine Reihe von Publikationen aus den Arbeitsschwerpunkten des Instituts für angewandte Pflegeforschung (iap) an der Universität Bremen. Die Arbeit von Mirja Schnabel bildet eine Ausnahme. Sie wurde als Staatsexamensarbeit im Rahmen des Studiengangs Lehramt Oberstufe/Berufliche Schulen, Fachrichtung Gesundheit an der Universität Hamburg verfasst.
Thema
Die neuen Berufsgesetze in der Pflege fordern Lernfeldkonzepte. Wie viel Aufwand dafür nötig ist, zeigt dieses Buch. Die Autorin will mit diesem Beispiel einer empirischen Berufsfeldanalyse einen Beitrag leisten zur Diskussion um das Lernfeldkonzept. Der von ihr aufgegriffene empirische Ansatz unterscheidet sich von anderen, eher theoretisch orientierten Verfahren dadurch, dass die Autorin aus empirisch entdeckten Handlungssituationen Lernsituationen entwickelt und so ein Lernfeld konstruiert. Sie verfährt dabei konsequent nach dem in den Handreichungen für die Erarbeitung von Rahmenlehrplänen der Kultusministerkonferenz empfohlenen Prinzip der Handlungs- bzw. Tätigkeitsorientierung.
Aufgrund ihrer Berufserfahrung in der Altenpflege wendet sie sich ausdrücklich an die Berufsgruppe der Altenpfleger/innen.
Im Geleitwort zu dem Buch schreibt Frau Professor Dr. Wittneben: "Zusammengefasst betrachtet vermitteln die Handlungssituationen einen aufwühlenden Eindruck von der vor allem sozial und emotional anspruchsvollen Pflege dementiell Erkrankter und einen zugleich nicht minder beunruhigenden Einblick in die Rat- und Hilflosigkeit der unausgebildeten wie auch der ausgebildeten Pflegekräfte gegenüber den verwirrten Männern und Frauen, die in einer anderen Erlebniswelt als sie selbst zu leben scheinen."
Methode
Unter Rückgriff auf den für die Sozialforschung entwickelten qualitativ-heuristischen Forschungsansatz befragte Schnabel in narrativen Interviews fünf Pflegepersonen, die in Heimen mit der Pflege von dementiell Erkrankten betraut sind. Einen Schwerpunkt der Arbeit bilden die besonderen Verhaltensweisen der Dementen, die in den Handlungssituationen im Vordergrund stehen. Einen zweiten Schwerpunkt stellen die pflege- und betreuungsunterstützenden Maßnahmen dar. Als gesondertes Lernfeld werden Krisensituationen behandelt, die ein hohes Konfliktpotential enthalten, z.B. Ekel.
Aufbau des Buches
Über 34 Seiten des Buches befasst sich die Autorin mit dem theoretischen Bezugsrahmen zum Lernfeldkonzept und den Grundlagen der Lernfeldentwicklung. Leider sind diese Kapitel, wie viele wissenschaftliche Arbeiten, nur schwer lesbar. Einfache, ja fast schon selbstverständliche Fakten werden in langen Schachtelsätzen, gespickt mit Zitaten und Querverweisen und einer Fülle von "ehrfurchteinflößenden" Fremdworten beschrieben.
Das bedeutet, auch für eingeweihte und mit dem Thema vertraute Leser, dass sie viele Passagen zweimal lesen, in verständliche Sprache übersetzen und dann noch mit der Praxis verknüpfen müssen, um zu verstehen, worum es eigentlich geht. Im dritten Kapitel beschreibt die Autorin das Demenzsyndrom aus medizinischer Sicht, die Versorgung dementiell Erkrankter und die Bedeutung dieses Krankheitssyndroms für die Altenpflege.
Die folgenden Kapitel befassen sich mit der empirischen Erhebung zu Ermittlung von Handlungssituationen, mit den Ergebnissen der empirischen Untersuchung und mit Schlussfolgerungen und Reflexion.
Einschätzung
Als Leserin des Buches wurde mir einmal mehr der Zwiespalt bewusst, in dem Pflegepädagoginnen heute leben müssen. Auf der einen Seite der hohe theoretische und methodische Anspruch, damit Pflegewissenschaft gleichberechtigt neben Medizin, Psychologie und Soziologie anerkannt wird; dazu der Druck der Gesetzgeber auf die Pflegefachschulen und der Druck der Pflegeversicherung auf die Pflegenden, die nach Modulen pflegen und immer zeitaufwendiger dokumentieren müssen. Im krassen Kontrast dazu steht die pflegerische Praxis mit der großen Zahl ungelernter Pflegekräfte und mit einem Stellenschlüssel, der es fast unmöglich macht, menschenwürdig zu pflegen. Wie, bitteschön, soll in einem solchen Szenario die Brücke aussehen zwischen Wissenschaft und pflegerischem Alltag?
Rezension von
Gisela Stoll
Fachkrankenschwester für Psychiatrie, Validationsanwenderin (VTI)
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