Jens Flassbeck, Judith Barth: Die langen Schatten der Sucht
Rezensiert von Anja Schoop, 23.11.2020

Jens Flassbeck, Judith Barth: Die langen Schatten der Sucht. Behandlung komplexer Traumafolgen bei erwachsenen Kindern aus Suchtfamilien.
Klett-Cotta Verlag
(Stuttgart) 2020.
288 Seiten.
ISBN 978-3-608-89264-2.
D: 30,00 EUR,
A: 30,80 EUR.
Reihe: Leben lernen - 316.
Thema und Zielgruppe
Kinder, die in einer Suchtfamilie aufwachsen, werden zu erwachsenen Kindern, die geprägt sind, von allen Facetten und Dynamiken, die eine Suchterkrankung eines oder gar beider Elternteile mit sich bringen kann. Dem Leser wird diese ganz eigene Welt, in der Kinder aus Suchtfamilien aufwachsen, durch detailliere Beschreibungen nähergebracht. Nicht allen Kindern aus Suchtfamilien gelingt es, gesund zu bleiben. Die Autoren möchten in ihrem Buch insbesondere die Kinder in den Blick nehmen, die durch ihre Erlebnisse eine Traumafolgestörung entwickelt haben, die sich bis ins Erwachsenenleben fortgesetzt hat. Es richtet sich gezielt an Fachleute, die mit erwachsenen Kindern, oder anderen Angehörigen von Suchtkranken insbesondere therapeutisch, oder beratend arbeiten. Wer sich bislang noch nicht an dies Thema herangetraut hat, soll ermutigt werden, diesen Menschen ein offenes Ohr zu schenken und ihnen ein Angebot zu machen, einen individuellen Weg vom Schatten ins Licht zu finden.
Aufbau
In diesem Buch geht es zunächst darum, den LesernInnen Einblicke in die sehr komplexe Welt suchtbelasteter Familien zu geben mit all ihren facettenreichen Problematiken und Dynamiken. Es wird sehr deutlich, dass Sucht nicht nur den suchtbelasteten oder abhängigen KonsumentenIn betrifft, sondern auch die anderen Familienmitglieder, ihr weiteres Umfeld bis hin zum Helfersystem. Sie alle können zu Mitbetroffenen werden. Flassbeck und Barth legen ein besonderes Augenmerk auf die Kinder. Es gelingt ihnen durch sehr detaillierte Beschreibungen der Belastungen und Traumata, die Kinder, die in einer Suchtfamilie aufwachsen, ausgesetzt sind, die LeserInnen in die ganz eigene Welt einer Suchtfamilie mitzunehmen. Es werden beispielsweise Stressoren in Suchtfamilien, emotionale Vernachlässigung, soziale Beeinträchtigungen oder Übergriffigkeiten detailliert erklärt. Der anschließende Theorieteil soll verständlich machen, wie sich aufgrund dieser Erlebnisse Traumafolgestörungen entwickeln können, die bis ins Erwachsenenalter hinein das Leben massiv beeinflussen können. Hier sind unerfüllte Grundbedürfnisse verletzte Schemata und Ressourcen Thema. Darauf folgt eine fundierte Erklärung der unterschiedlichen Traumafolgestörungen. Im letzten und größten Teil geht es um die ausführliche Beschreibung von konkreten Behandlungsmethoden. Durch den strukturierten Aufbau gibt es einen Roten Faden, der gut durch die Komplexität des Themas führt.
Inhalt
Das Buch „Die langen Schatten der Sucht“ befasst sich mit der Lebenswelt von Kindern, die in Suchtfamilien aufwachsen und wie die multiplen Belastungen das eigene Leben bis in Erwachsenenalter prägen können. Anhand von Fallbeispielen aus ihrer täglichen Arbeit stellen die Autoren die Bandbreite der psychischen Störungen vor, bis hin zur Entwicklung einer Traumafolgestörung. Ein besonders großes Augenmerk liegt auf der ausführlichen Darstellung von verschiedensten Behandlungsmethoden, die insbesondere traumatisierte erwachsene Kinder aus Suchtfamilien unterstützen sollen, einen Weg aus ihrer Sprachlosigkeit über die Vergangenheit zu finden und sie darin bestärken, sich selbst zu erlauben, wieder reden, vertrauen und fühlen zu dürfen und ihre eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen. Für suchtkranke Menschen gibt es spezielle Unterstützung im Rahmen zahlreicher suchttherapeutischer Angebote, die sich in erster Linie laut Flassbeck und Barth mit Thema Abhängigkeit beschäftigen und weitere, der Sucht zu Grunde liegende Probleme eher weniger berücksichtigen. Die Autoren möchten eine Lanze dafür brechen, dass Psychotherapie und Suchttherapie sehr voneinander profitieren können und ein Gewinn für alle PatientenInnen sein kann, wenn eine bedarfsgerechte methodenübergreifende Behandlung stattfindet. Dieses Buch ist vordergründig psychotherapeutisch und bindet abhängigkeitsspezifische Modelle und Methoden mit ein. Die dargestellten Behandlungsmöglichkeiten kommen überwiegend aus der Verhaltenstherapie, können individuell und flexibel eingesetzt werden und orientieren sich am Behandlungsprozess.
Diskussion
Das Buch ist für Fachleute geschrieben, die professionell mit Erwachsenen Kindern aus Suchtfamilien arbeiten und ihr Repertoire an Beratungs-/Behandlungsmöglichkeiten ggf. auffrischen und/oder erweitern möchten. Dazu werden vielfältige Methoden dargestellt und die Beispiele aus der alltäglichen Praxis sind sehr anschaulich und hilfreich, um diese in die eigene Arbeit zu übertragen. Es geht darum, für jeden KlientenIn/PatientenIn die passende Methode auszuwählen, um sie aus den Schatten der Vergangenheit ins Licht zu führen. An der ein oder anderen Stelle wird auf weiterführende Modelle/Methoden verwiesen und es wird ein Stück weit vorausgesetzt, diese zu kennen, oder sich an anderer Stelle darüber zu informieren. Die Autoren möchten auch diejenigen Profis ermutigen, sich an das Thema Sucht in der Familie und die besondere Problematik von traumatisierten erwachsenen Kindern aus Suchtfamilien heran zu wagen, die sich bislang vielleicht noch etwas schwer damit getan haben.
Fazit
Flassbeck und Barth ist es gelungen, die Problematiken und Dynamiken in suchtbelasteten Familien sachlich und dennoch ergreifend auf den Punkt zu bringen. Es ist spürbar, dass es für die Autoren eine Herzensangelegenheit ist, dies oft tabuisierte und schwere Thema der vergessenen Kinder aus dem Schatten ins Licht zu holen. Sie möchten TherapeutenInnen und BeraterInnen, ermutigen, ggf. noch verschlossene Türen für Angehörige aus Suchtfamilien zu öffnen. Sie geben den betroffenen (erwachsenen) Kindern durch ihr Buch eine Stimme und brechen das Schweigen über das oftmals still ertragene Leid. Sie geben Hoffnung auf die Möglichkeiten, einen individuellen Weg aus den langen Schatten der Sucht ins Licht zu finden.
Rezension von
Anja Schoop
Diplom Sozialpädagogin, Systemische Beraterin beim Diakonischen Werk Herford, Fachstelle Sucht
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Es gibt 1 Rezension von Anja Schoop.
Zitiervorschlag
Anja Schoop. Rezension vom 23.11.2020 zu:
Jens Flassbeck, Judith Barth: Die langen Schatten der Sucht. Behandlung komplexer Traumafolgen bei erwachsenen Kindern aus Suchtfamilien. Klett-Cotta Verlag
(Stuttgart) 2020.
ISBN 978-3-608-89264-2.
Reihe: Leben lernen - 316.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/27325.php, Datum des Zugriffs 04.10.2023.
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