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Martin Sack, Ulrich Sachsse et al.: Schonende Traumatherapie

Rezensiert von Mag.a Barbara Neudecker, 29.07.2021

Cover Martin Sack, Ulrich Sachsse et al.: Schonende Traumatherapie ISBN 978-3-608-40050-2

Martin Sack, Ulrich Sachsse, Barbara Gromes: Schonende Traumatherapie. Ressourcenorientierte Behandlung von Traumafolgestörungen. Schattauer (Stuttgart) 2020. 2. überarbeitete Auflage. 256 Seiten. ISBN 978-3-608-40050-2. D: 40,00 EUR, A: 41,20 EUR.

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Thema

Das Buch fügt einen weiteren Zugang zur Therapie von Traumafolgestörungen zu bereits vorliegenden Darstellungen traumatherapeutischer Verfahren hinzu. Die Autor*innen stellen ein Modell zur ressourcenorientierten Behandlung von Traumafolgestörungen vor, das auch für die Arbeit mit Patient*innen mit komplexen Traumafolgestörungen oder dissoziativen Störungen geeignet ist. Die Behandlung setzt an den Traumafolgesymptomen an und arbeitet mit schonenden konfrontativen Techniken, um eine Reduktion der Symptomatik zu erzielen.

Autor*innen

Martin Sack ist Facharzt für Psychosomatische Medizin und als leitender Oberarzt am Klinikum rechts der Isar in München auf die Behandlung von Traumafolgestörungen spezialisiert. Barbara Gromes ist Kunsttherapeutin, Heilpraktikerin für Psychotherapie und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin mit Zusatzausbildungen in EMDR und Spezieller Psychotraumatherapie. Sie ist in eigener Praxis in München tätig, ihr Schwerpunkt liegt auf der methodenintegrativen Behandlung von Traumafolge- und Dissoziativen Störungen.

Entstehungshintergrund

Bei der Publikation handelt es sich um die überarbeitete zweite Auflage des erstmalig 2010 erschienenen Buches. Gegenüber der Erstauflage wurden Diagnoserichtlinien aktualisiert, die Darstellungen zur Ressourcenaktivierung wurden erweitert und ein Abschnitt zur Behandlung bei Dissoziativen Störungen wurde ergänzt.

Aufbau und Inhalt

Einleitend wird ausgeführt, wie sich das dargestellte Modell von anderen Ansätzen der Traumatherapie unterscheidet, und es wird problematisiert, dass ausschließlich auf Stabilisierung abzielende therapeutische Verfahren ohne Traumakonfrontation nicht ausreichende Wirkung zeigen würden. Die Autor*innen legen Wert darauf, nicht von „Traumatherapie“ zu sprechen, da niemals das Trauma an sich behandelt werden kann, sondern nur die Erinnerungen daran bzw. die damit verknüpfte Symptomatik. Sie plädieren stattdessen für die präzisere Bezeichnung „Behandlung von Traumafolgestörungen“ (S. 119). Der Behandlungsansatz richtet sich auf die Arbeit an den Folgen der Traumatisierung in der Gegenwart. Durch den Fokus auf gegenwärtige Symptome kann die Aktualisierung traumatischer Erinnerungen besser kontrolliert werden, und traumatischer Stress wird leichter steuerbar als bei anderen traumatherapeutischen Methoden. Dadurch eignet sich dieser Behandlungszugang auch besonders für die Arbeit mit weniger stabilen bzw. komplex traumatisierten Klient*innen.

Im zweiten Kapitel wird eine erweiterte Traumadefinition vorgeschlagen, die die schädlichen Auswirkungen traumatischer Kindheitserfahrungen in Folge von schwerer Vernachlässigung oder psychischer Gewalt stärker berücksichtigt. Das „Angstmodell“ und das Modell der gestörten Informationsverarbeitung werden als Entstehungsmodelle für Traumafolgestörungen herangezogen.

Das dritte Kapitel befasst sich in ausführlicher Weise mit der Diagnostik von Traumafolgestörungen. Dabei werden auch unterschiedliche diagnostische Instrumente ausführlich dargestellt.

Im vierten Kapitel wird die Bedeutung von Ressourcenaktivierung für den therapeutischen Prozess hervorgehoben, und vielfältige Methoden der Ressoucenarbeit werden vorgestellt.

Im fünften Kapitel werden spezifische Behandlungsstrategien beschrieben, die sich in fünf Kategorien einteilen lassen:

  • Konfrontation mit Traumaerinnerungen und traumabezogenen Assoziationen
  • Versprachlichen von Erlebtem und Integration in die persönliche Biografie
  • Bearbeiten von Fehleinstellungen und dysfunktionalen Kognitionen
  • Förderung des Selbstmanagements und der inneren Kommunikation
  • Verbesserung des Gegenwartsbezugs

Das 6. Kapitel behandelt schonende konfrontative Techniken der Behandlung. Dabei wird darauf geachtet, den Gegenwartsbezug zu betonen (etwa durch aktives Pendeln zwischen Ressourcen- und Belastungspol), Belastungen gezielt zu dosieren (z.B. durch den Einsatz von Distanzierungstechniken) und Bewältigungsressourcen zu aktivieren. Dem „Nachversorgen“ traumatisierter Persönlichkeitsanteile wird besonderes Augenmerk geschenkt.

Im 7. Kapitel wird die Durchführung der Behandlung ausführlich von der Vorbereitung bis zum Entwickeln einer Zukunftsperspektive dargestellt. Ein eigener Abschnitt widmet sich der Behandlung von Patient*innen mit dissoziativen Störungen, und abschließend wird auf mögliche ungünstige Entwicklungen in der Behandlung eingegangen.

Diskussion

Traumatherapeutisches Arbeiten beschränkt sich längst nicht mehr auf einige wenige Methoden wie EMDR, PITT oder Brainspotting. Zahlreich sind die Modifikationen, Weiter- und Neuentwicklungen in diesem Bereich. Das hier präsentierte Modell der Schonenden Traumatherapie ist kein Behandlungsmanual, sondern stellt Grundannahmen, Behandlungsstrategien und Techniken dar, die je nach Fall individuell variiert und angepasst werden können. Die Frage, wie es gelingen kann, traumatisierte Klient*innen einerseits hinreichend zu stabilisieren und andererseits darüber hinaus die Auswirkungen traumatischer Erfahrungen nachhaltig zu verändern, stellt sich in jeder psychotherapeutischen Behandlung traumatisierter Klient*innen, unabhängig von der praktizierten Methode. Dies gilt auch für die Frage, wie sich Klient*innen ihren Erinnerungen an das traumatische Geschehen annähern können, ohne davon überwältigt zu werden. Daher sind die Ausführungen in diesem Band für Psychotherapeut*innen von Interesse, auch wenn sie nicht explizit traumatherapeutische Verfahren anwenden. Dass sowohl die Darstellung der theoretischen Grundlagen als auch der Behandlungstechniken und -strategien sehr übersichtlich, strukturiert und ausführlich erfolgt, macht zum einen das Behandlungsmodell leicht verständlich, zum anderen erleichtert es Überlegungen, welche Strategien oder Übungen auch in andere (trauma-)therapeutische Zugänge integriert werden könnten. Obwohl auch Konzepte und Begriffe aus psychodynamischen Ansätzen herangezogen werden, dominiert eine verhaltenstherapeutische Sichtweise, die schon an der Grundannahme, in der Behandlung explizit an den Symptomen einer Traumafolgestörung anzusetzen, deutlich wird. Verhaltenstherapeutisch orientierte Psychotherapeut*innen werden daher vermutlich mehr Anknüpfungspunkte an das vorgestellte Modell finden als Therapeut*innen, die einem anderen Persönlichkeits-, Krankheits- oder Behandlungsmodell folgen.

Die Autor*innen betonen, dass für ihre Herangehensweise noch kein empirischer Wirksamkeitsnachweis vorliegt (S. 136). Dennoch wäre es interessant zu wissen, wie groß die „empirische Basis“ ist, auf der dieser Behandlungsansatz gründet. Wünschenswert wäre auch zumindest eine ausführliche Falldarstellung, die den therapeutischen Prozess nachvollziehbar macht. Die zahlreichen kurzen Vignetten im Buch illustrieren zwar, wie einzelne Elemente der Schonenden Traumatherapie angewendet werden, doch die Dramatik und Intensität, die die therapeutische Arbeit mit traumatisierten Personen oft zu einer großen Herausforderung macht, wird in der Darstellung nicht spürbar. Zum Beispiel wird in einer Vignette geschildert, dass während der Bearbeitung einer traumatischen Erinnerung weiteres traumatisches Material auftaucht. Diese gewiss sehr dramatische therapeutische Szene wird allerdings mit Sätzen wie „Frau K. ist sehr belastet und hat das Gefühl, nicht weiterzukommen (…)“ (S. 204) nur sehr vage beschrieben und erweckt den Eindruck, dass traumabezogenes Material mit dieser Methode stets ruhig und gut „contained“ bearbeitet werden kann.

In verschiedenen Abschnitten wird ausgeführt, wie traumatische Erinnerungen z.B. durch Distanzierungsmethoden oder eine Veränderung des Narrativs nachträglich bearbeitet werden. Wünschenswert wären hier deutlichere Ausführungen dazu, wie mit dieser Art der Bearbeitung traumatischer Erinnerungen fachlich umzugehen ist, wenn diese Erinnerungen auch Gegenstand eines Gerichtsverfahrens sind oder sein könnten, da Betroffene in der Praxis immer wieder die Erfahrung machen müssen, dass die Glaubwürdigkeit ihrer Aussagen vor Gericht angezweifelt wird. Klare Ausführungen zu diesem Thema stellen eine Lücke in der Fachliteratur dar und wären sowohl zur Absicherung für Psychotherapeut*innen hilfreich als auch als Argumentationshilfe für Betroffene bei Gericht.

Fazit

Eine umfassende Darstellung eines Zugangs zur traumatherapeutischen Arbeit, die sowohl das praktische Vorgehen als auch zugrundeliegende theoretische Annahmen anschaulich macht und es mit traumatisierten Klient*innen arbeitenden Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten möglich macht, einzelne Aspekte und Techniken in ihren eigenen therapeutischen Handlungsplan zu integrieren.

Rezension von
Mag.a Barbara Neudecker
MA, Psychotherapeutin (IP) und psychoanalytisch-pädagogische Erziehungsberaterin, Leiterin der Fachstelle für Prozessbegleitung für Kinder und Jugendliche in Wien, Lehrbeauftragte an den Universitäten Wien und Innsbruck, eigene Praxis
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Es gibt 19 Rezensionen von Barbara Neudecker.

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Zitiervorschlag
Barbara Neudecker. Rezension vom 29.07.2021 zu: Martin Sack, Ulrich Sachsse, Barbara Gromes: Schonende Traumatherapie. Ressourcenorientierte Behandlung von Traumafolgestörungen. Schattauer (Stuttgart) 2020. 2. überarbeitete Auflage. ISBN 978-3-608-40050-2. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/27330.php, Datum des Zugriffs 13.12.2024.


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