Christoph Egen: Was ist Behinderung?
Rezensiert von Prof. Dr. Hans Günther Homfeldt, 26.08.2020
Christoph Egen: Was ist Behinderung? Abwertung und Ausgrenzung von Menschen mit Funktionseinschränkungen vom Mittelalter bis zur Postmoderne.
transcript
(Bielefeld) 2020.
270 Seiten.
ISBN 978-3-8376-5333-5.
D: 50,00 EUR,
A: 50,00 EUR,
CH: 61,00 sFr.
Reihe: Medical Humanities - 7.
Thema
In seiner Monographie geht Christoph Egen der Frage nach, was Behinderung meint und wie sich der gesellschaftliche Blick auf Menschen mit Funktionseinschränkungen vom Mittelalter bis zur Postmoderne gewandelt hat. Methodisch gerahmt ist die Arbeit, die Abwertungs- und Ausgrenzungsprozesse untersucht, durch die Prozesssoziologie von Norbert Elias.
Autor
Dr. Christoph Egen, Dipl.-Soz.-Wiss. und Dipl.-Päd., ist als Klinikmanager und wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Klinik für Rehabilitationsmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover tätig. 2017 erhielt er im Rahmen seiner soziologischen Promotion ein Norbert-Elias-Stipendium zur Recherche in unveröffentlichten Werken von Norbert Elias im Deutschen Literaturarchiv in Marbach.
Entstehungshintergrund
Die vorliegende Monographie ist als Dissertation an der Leibniz Universität Hannover, 2020, eingereicht worden. Der Originaltitel der Dissertation ist: Zur Sozio- und Psychogenese von Behinderungsprozessen vom Mittelalter bis zur Postmoderne. Menschen im Spannungsfeld zwischen Normalität und Abweichung.
Aufbau
Die acht Kapitel umfassende Monographie stellt im ersten Kapitel die wichtigsten Modelle von Behinderung vor. Im zweiten Kapitel geht es um die Entwicklung des Begriffs der geistigen und körperlichen Behinderung, um die gesellschaftlichen Implikationen der Begriffsentwicklung und am Ende um die Festlegung des Behinderungsbegriffes. Das dritte Kapitel umreißt die Konzeptualisierung und die methodische Vorgehensweise. Im Zentrum stehen die Kapitel vier, fünf und sieben. Gegenstand sind: Menschen mit Funktionseinschränkungen im Mittelalter bis zum 17. Jahrhundert, Menschen mit Funktionseinschränkungen in der Moderne (18. bis Mitte des 20. Jahrhunderts) und Menschen mit Funktionseinschränkungen in der Postmoderne. Das knapp gehaltene sechste Kapitel skizziert die gesellschaftliche Konstruktion von Normalität und Abweichung. Das achte Kapitel behandelt prozesssoziologische Schlussfolgerungen und persönliche Reflexionen mit einem prospektiven Blick.
Inhalt
In ihrem Vorwort zur Monographie von Christoph Egen hebt Bettina Lindmeier hervor, das vorliegende Buch liefere einen wichtigen Beitrag zu einer historisch bewussten weiterführenden Reflexion des Behinderungsbegriffs und den Umgang mit dem „Phänomen“ der Behinderung aus sozialwissenschaftlicher Perspektive (S. 15). Löst die Monographie dies ein?
Die im ersten Kapitel vorgestellten Modelle von Behinderung definieren diese unterschiedlich. Die Unterschiede arbeitet der Autor anhand des medizinischen Modells, des sozialen Modells, des kulturellen Modells und des WHO-Modells (ICF-Modell) heraus. Da das medizinische Modell Behinderung als direktes Resultat einer körperlichen oder geistigen Schädigung und eine individuelle Schädigung als Ursache für eine entsprechende Fähigkeitsstörung ansieht, entsteht für eine in diesem Sinne als behindert eingestufte Person die Forderung, ihre Behinderung so gut wie möglich individuell zu bewältigen. Behinderung wird dabei unabhängig von Kultur und Gesellschaft definiert. Das Soziale Modell impliziert die Annahme, dass Behinderung das Ergebnis sozialer Organisation ist: Menschen seien nicht behindert, sie würden dazu gemacht und als solche definiert. Behinderung ist in erster Linie die Erfahrung eines sozialen Zustandes. Während gesellschaftliche Hindernisse stark im Fokus von Disability stehen, ist Impairment und damit der Körper kaum im Blick des Sozialen Modells. Die Disability Studies fragen, über das Soziale Modell hinausgehend, danach, wie Normalität gesellschaftlich konstruiert wird. Es geht dem kulturellen Modell nicht nur um den „behinderten Menschen“, sondern vor allem um die Konstruktionsmechanismen von Normalität und Abweichung. Bezogen auf alle drei Modelle stellt Christoph Egen in Bezug auf die Modellentwicklung heraus, sie folge dem Weg von der Defizit- zu einer Diversityorientierung (S. 35).
Seit 1980 klassifiziert die WHO Behinderung gesondert. Mit dem ICF-Modell von 2001 erhebt die WHO den Anspruch, das Medizinische und das Soziale Modell von Behinderung in einem „Biopsychosozialen Modell“ zusammenzuführen.
Überschrieben mit „Der deutsche Behinderungsbegriff“ (S. 42) geht es im zweiten Kapitel eingangs um die juristische Definition von Behinderung, wie sie im SGB IX kodifiziert ist. In Deutschland würden Menschen als behindert gelten, „wenn eine dauerhafte Abweichung von der Norm durch eine individuelle Schädigung die gesellschaftliche Teilhabe einschränkt“ (S. 42). Aufgrund der etymologischen Entwicklung des Begriffs der Behinderung richtet sich der Blick im zweiten Kapitel auf die Entwicklung des Begriffs der körperlichen und der geistigen Behinderung sowie der gesellschaftlichen Implikationen der Begriffsentwicklung und des -verständnisses. Egen umreißt seine Sicht, wie folgt: Eine Behinderung könne als eine situationsspezifische Erfahrung bezeichnet werden, die Menschen mit Funktionseinschränkungen machten, sofern ihnen die gesellschaftliche Teilhabe verweigert werde (S. 58).
Im dritten Kapitel werden Gegenstand, Ziel und methodische Näherung der Untersuchung umrissen. Gegenstand sind Behinderungsprozesse, die sich in der Gesellschaftsstruktur, aber auch den Persönlichkeitsstrukturen finden. Ziel ist die Beschreibung von Behinderungsprozessen, die durch Machtverhältnisse und Definitionsmächte gesteuert werden. Durch Behinderungsprozesse werden Menschen aufgrund ihrer Einschränkungen abgewertet und ausgegrenzt. Diesen Prozess beschreibt und erklärt der Autor vom Mittelalter über die Moderne bis hin zur Spätmoderne. Spannende Fragen sind in diesem Lichte neben anderen: War Normalität, wie wir sie heute verstehen, im Mittelalter umfassender als in späteren Zeiten? Waren Menschen mit Funktionseinschränkungen weniger institutionalisierten Behinderungsprozessen ausgesetzt? Wer lenkt Prozesse in bestimmte Richtungen? Um diese Fragen zu beantworten, bedarf es eines theoretischen Rahmens. Es bietet sich der prozesssoziologische Ansatz von Norbert Elias an, da jener auf langfristige Entwicklungen ausgerichtet ist und sich dabei auf wandelnde gesellschaftliche Machtverhältnisse (Soziogenese) fokussiert und mit der Psychogenese verknüpft.
Anhand vieler gesellschaftsbezogener Einzelfacetten zeigt Egen im vierten Kapitel, dass erworbene Funktionseinschränkungen im Mittelalter tendenziell als „gewöhnliche Begleitumstände des Lebens, als Schicksal angesehen“ (S. 103) wurden. Auf der Suche nach Erklärungen wurde auf Bewertungs- und Deutungshoheit religiöser Instanzen zurückgegriffen. So waren nicht selten Menschen mit erheblichen von der Norm abweichenden Funktionseinschränkungen Beispiele für die Sünden und Verfehlungen der Eltern. Abweichungen wurden in der Regel einer höheren Macht zugeschrieben. Es gab noch keine einheitlich wahrgenommenen Gruppen (etwa „Krüppel“ und „Blinde“). Entsprechend gehörten behinderte Menschen unterschiedlicher Ausprägung zum Alltagsbild des Mittelalters.
In der Moderne trat ein erheblicher Wahrnehmungswandel in Bezug auf den Körper, auf Gesundheit und das Leben im Diesseits gegenüber dem Jenseits ein. Vermutete man im Mittelalter die Ursache von Funktionseinschränkungen größtenteils im Wirken göttlicher und dämonischer Mächte, suchte man in der Moderne nach naturwissenschaftlichen Erklärungen. Dieser Entwicklung widmet sich das fünfte Kapitel. Über Deutungsmacht verfügte nicht mehr zuvörderst die Theologie, sondern die Medizin in Verbindung mit einer nach Objektivität strebenden Naturwissenschaft. Entsprechend entwickelte sich die Körperhygiene zu einer Staatshygiene in Verknüpfung mit einem an bürgerlichen Normen verknüpften Wertekanon. Menschen, die diesem Wertekanon nicht entsprachen, wurden zunehmend speziellen Institutionen und Professionen zugewiesen. Mit der tendenziell einsetzenden Vereinheitlichung des Wertekanons homogenisierten sich Handlungsweisen. Entsprechend wurden Triebartikulationen und Affekte aus dem öffentlichen Leben nach und nach verbannt. Das Körperliche wurde zunehmend mit Tabus belegt. Allmählich wurde von den unteren Schichten der Wertekanon modifiziert übernommen. In der Zeit der Industrialisierung tauchten erstmals Begriffe wie Norm und Normalität auf. Der Wert eines Menschen richtete sich immer stärker an seiner Arbeitsleistung aus. Die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigende Funktionseinschränkungen wurden in wachsendem Maß zu einem persönlichen Mangel, der in der rassenhygienisch begründeten „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ im Nationalsozialismus gipfelte.
In der Moderne haben sich im Zuge der Jahrhunderte biologische Abweichungen von der Norm in sozio-moralische Kategorien verwandelt, die die soziale Distanz zwischen Menschen mit und ohne Funktionseinschränkungen kontinuierlich erweiterten. Generell ist ein Merkmal der Moderne, dass die „Normalität enger gefasst wird, die „Abweichung“ dagegen größer. Und die sich im Segment der Abweichung befindlichen Menschen wurden als die soziale Ordnung destabilisierende Menschen eingestuft.
Dass für Menschen mit Funktionseinschränkungen die gesellschaftlichen Grenzen zwischen Normalität und Abweichung von hoher Bedeutung sind, wird im knapp gehaltenen sechsten Kapitel herausgestellt. Dabei unterscheidet Egen zwischen Protonormalismus und flexiblem Normalismus (S. 168), der sich aktuell z.B. in Inklusionsbestrebungen des Bildungssystems und der Akzeptanz pluraler Lebensformen zeigt.
Das offenbar wie ein Sprungbrett fungierende sechste Kapitel leitet über ins siebte Kapitel, das sich mit Funktionseinschränkungen in der Postmoderne auseinandersetzt. Aufgrund der Freisetzung der Menschen aus traditionellen Bezügen verändert sich nach dem Zweiten Weltkrieg das Zusammenleben der Menschen; aufzeigbar ist dies u.a. an Ehe und Familie, aber auch an der Ambivalenz von Familie und Arbeit. Traditionen und religiöse Sinninstanzen verlieren deutlich an Einfluss. Im Zentrum des Kapitels stehen Reflexionen zur Wahrnehmung von Devianz und körperlicher Differenz.
In der Postmoderne hat der Körper an Bedeutung gewonnen, vor allem in der Annäherung an Schönheitsideale, angepriesen auf sozialen Märkten, um Individualität durch Konsum zu stimulieren. Im Verlauf der zurückliegenden Jahrzehnte hat sich auch der Blick auf Menschen mit Funktionseinschränkungen differenziert, nicht zuletzt durch eine gesteigerte Präsenz in der Öffentlichkeit. Gleichwohl tut sich die Gesellschaft nach wie vor schwer, Menschen mit Funktionseinschränkungen als normale Mitbürger anzuerkennen trotz rechtlicher Gleichstellung. Ihr zuwider laufen Bestrebungen, menschliches Leben durch biomedizinische Eingriffe pränatal zu verhindern. Diesem Thema widmet sich ausführlich der zweite Teil des siebten Kapitels. Egen registriert in der Postmoderne in Bezug auf Behinderungsprozesse einen Wendepunkt. Sie seien nicht mehr allein geprägt durch wissenschaftlich fundierte Behandlungen in Sondereinrichtungen, sondern spielen sich überwiegend vor der Geburt ab: Die gesellschaftliche Anerkennung der Vielfalt habe sich zugunsten einer präventiven Verhinderung von Vielfalt verändert (S. 204). Dahinter verbirgt sich eine postmoderne, marktwirtschaftlich bestimmte Ethik, Menschen nach ihrer wirtschaftlichen Brauchbarkeit einzuschätzen. Folgerichtig stellt der Autor fest (S. 207), dass ab einem bestimmten Punkt das Phänomen Behinderung nicht mehr wissenschaftlich zu durchdringen sei: Wissenschaft könne keine Orientierung darüber bieten, wann ein Leben lebenswert sei und wann nicht und ob es überhaupt lebensunwertes Leben gebe.
Das achte Kapitel liefert prozesssoziologische Schlussfolgerungen und persönliche Reflexionen. Am Ende der Zusammenfassung der Kapitelergebnisse heißt es zur Postmoderne, dass in ihr der Normalitätsbereich wieder breiter geworden sei; gleichwohl würde Normalität durch den Markt reguliert. Optimistisch vermerkt der Autor (S. 220), dass es mit der Differenzierung der Wissenschaften nicht-medizinischen Professionen gelungen sei, das Thema „Behinderung“ für sich zu besetzen und den früheren monoprofessionellen Monolog in einen multiprofessionellen Diskurs zu verwandeln. Dabei hebt Egen insbesondere die häufig harte Frontziehung der Vertreter der Disability Studies gegenüber der medizinischen Profession hervor. Das von den Disability Studies kritisierte Medizinische Modell von Behinderung werde in Deutschland in der heutigen Zeit nirgends so vertreten (S. 232). Vielmehr seien es Ärzte und Therapeuten, die Menschen mit Funktionseinschränkungen häufig erst in die Lage versetzten, ein relativ selbstbestimmtes Leben führen zu können. So wie in medizinischen Berufen die soziale Dimension an Bedeutung gewinne, so sollten auch die Vertreter der Disability Studies den Aspekt der Funktionseinschränkung und die mit ihr einhergehenden gesundheitlichen Probleme einbeziehen.
Egen plädiert am Ende der Studie dafür, den Begriff der Behinderung durch einen anderen Begriff zu ersetzen, da Behinderung eine homogene Gruppe suggeriere. Auf der gesellschaftlichen Ebene sei der Begriff der Benachteiligung am besten geeignet. Konstituierendes Element für eine Theoriebildung sei die Prozesssoziologie, da sie den Individuum-Gesellschaft-Dualismus überwinde (S. 235).
Diskussion
Selten habe ich eine so spannende Dissertation gelesen, die nunmehr als Monographie veröffentlicht worden ist. Zumeist behandeln Dissertationen Themen mit einer sehr spezifischen Fragestellung. Durch sie genügen Dissertationen am ehesten dem Kriterium der Novität. In dieser Monographie ist es umgekehrt. Der Prozesssoziologie von Norbert Elias folgend, werden Entwicklungsvorgänge über lange Zeitspannen in der Dialektik von Sozio- und Psychogenese entfaltet.
Eingangs werden vier Modelle von Behinderung vorgestellt. Sie reichen vom medizinischen, über das soziale, das kulturelle bis hin zum WHO-Modell von Behinderung (ICF-Modell). Eigentümlicherweise ist Letzteres im achten Kapitel relativ wenig sichtbar, während eingehend für eine Multiperspektive von medizinischem und kulturellem Modell plädiert wird.
In der Regel findet sich möglichst in der Einleitung, am besten gleich auf S. 1, die Fragestellung, damit der Leser über das Erkenntnisinteresse des Autors informiert ist. In dieser Monographie werden die Fragestellungen erst S. 68 vorgestellt. Was mich sonst sehr gestört hätte, habe ich hier in keiner Weise als Problem wahrgenommen. Die ersten beiden Kapitel arbeiten in Richtung des dritten Kapitels, in dem es um die Konzeptualisierung und die methodische Vorgehensweise geht.
Die Kapitel vier, fünf und sieben sind ungewöhnlich materialreich. Viele und vor allem vielfältige Literaturbezüge fügen sich zu prozesssoziologischen Darstellungen. Wie verloren wirkt in diesem Zusammenhang allerdings das sehr knapp geratene sechste Kapitel, in dem es um gesellschaftliche Konstruktion von Normalität und Abweichung geht. Gewinnbringend lesen sich die jeweiligen Zusammenführungen und weiterführenden Reflexionen in den Kapiteln vier, fünf und sieben. Insbesondere die weiterführenden Reflexionen bereiten eine Brücke zum jeweils nächsten Kapitel.
Pointiert und ausgewogen sind die prozesssoziologischen Schlussfolgerungen formuliert. Sehr sympathisch ist die Überlegung, ob Behinderung überhaupt noch ein tragfähiges Konzept auf der gesellschaftlichen Ebene ist und nicht besser durch Benachteiligung ersetzt werden sollte. Aus der Perspektive der Sozialen Arbeit meine ich, dass die mit Behinderung verbundenen Lebenslagen und die mit ihnen verknüpften, Gender-, Armuts- und Ethnienkonstrukte geeignetere übergeordnete Kriterien sind, die Risiken gesellschaftlicher Exklusion zu thematisieren.
Egen richtet seinen Blick vorzugsweise auf körperliche und geistige Behinderung. Bedauerlicherweise ist der Blick auf die seelische Beeinträchtigung in den Darstellungen zur Moderne und Postmoderne weitgehend ausgespart. In den auf das Mittelalter bezogenen prozesssoziologischen Darstellungen werden hingegen „psychische Erkrankungen“ noch systematisch einbezogen. Über den disziplinären Tellerrand geschaut, gibt es zur seelischen Gesundheit in Bezug auf den § 35a SGB VIII eine langanhaltende Debatte zu „Großer Lösung“ und im prospektiven Blick auf eine „Inklusive Lösung“.
Schlussendlich habe ich mich gefragt, ob prozesssoziologische Entwicklungsdarstellungen nicht immer auch gleichzeitig persönliche Reflexionen sind (siehe Überschrift des achten Kapitels). Zumindest wählt doch der Autor Quellen aus und schließt andere aus. Wenn auch nicht ausgesprochen, schweigen wir doch dabei nicht von uns selbst. Wahrscheinlich würde Egen dieser Aussage auch zustimmen. Er schreibt (S. 226): Man solle in den Menschenwissenschaften damit umgehen lernen, dass keine klare Trennungslinie zwischen sozialen Prozessen bzw. Phänomenen und dem wissenschaftlichen Beobachter existiere, also zwischen Subjekt und Objekt. Insofern hat mich seine persönliche Reflexion am Ende des Bandes gefreut.
Fazit
Die vorliegende Monographie ist eine grundlegend wichtige Lektüre bereits im sozialwissenschaftlichen Bachelorstudium, vor allem, weil es Behinderungsprozesse über lange Zeiträume vorstellt. Der Band liefert Orientierung und Anregungen zum Abbau versäulten Modelldenkens. Überzeugend sichtbar wird dies im Plädoyer für multiprofessionelle Kooperation zwischen dem kulturellen und dem medizinischen Modell von Behinderung. Erkenntnisbildend ist der Band auch im praktischen Bereich der Gesundheits-, Behinderten- und Kinder- und Jugendhilfe, insbesondere im Hinblick auf Überlegungen zu einer multiprofessionellen besser noch interprofessionellen Kooperation.
Rezension von
Prof. Dr. Hans Günther Homfeldt
Prof. em. an der Universität Trier, Fach Sozialpädagogik/ Sozialarbeit
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Zitiervorschlag
Hans Günther Homfeldt. Rezension vom 26.08.2020 zu:
Christoph Egen: Was ist Behinderung? Abwertung und Ausgrenzung von Menschen mit Funktionseinschränkungen vom Mittelalter bis zur Postmoderne. transcript
(Bielefeld) 2020.
ISBN 978-3-8376-5333-5.
Reihe: Medical Humanities - 7.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/27349.php, Datum des Zugriffs 25.01.2025.
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