Heike Dieball, Max Karl-Heinz Lehmann et al.: Basiswissen Aufsichtspflicht
Rezensiert von Prof. Dr. Andrea Warnke, 03.02.2021
![Werk bestellen Cover Heike Dieball, Max Karl-Heinz Lehmann et al.: Basiswissen Aufsichtspflicht ISBN 978-3-945081-26-6](/images/rezensionen/cover/27368.jpg)
Heike Dieball, Max Karl-Heinz Lehmann, Ulrike Stücker: Basiswissen Aufsichtspflicht. Haftung und Garantenstellung in der Kinder- und Jugendhilfe : Umgang mit digitalen Medien.
SchöneworthVerlag
(Hannover) 2019.
240 Seiten.
ISBN 978-3-945081-26-6.
21,00 EUR.
Reihe: Theorie und Praxis der Jugendhilfe - 25 (Jahrgang 2019).
Thema
Der Evangelische Erziehungsverband (EREV) hat dieses Buch herausgebracht, das mit der Aussage „Pädagogik hat Vorfahrt“ gut zusammengefasst werden kann. Für die Aufsichtspflicht und Haftung gibt es Gesetze und Regeln. Diese gilt es jedoch sinnvoll auszulegen und anzuwenden, stets mit Bezug auf die Einzelsituation. Das Buch vermittelt juristische Regeln und damit Basiswissen zur Aufsichtspflicht in der Kinder- und Jugendhilfe mit Fokus auf die Arbeit pädagogischer Fachkräfte.
Autorinnen und Autoren
Alle drei Autor*innen sind Jurist*innen. Heike Dieball lehrt und forscht als Professorin an der Hochschule Hannover mit Schwerpunkt Zivil- und Arbeitsrecht. Prof. M. Karl-Heinz Lehmann war jahrzehntelang Hochschullehrer und Strafverteidiger. Er ist Referent für Fortbildungsveranstaltungen; Schwerpunkte u.a. Aufsichtspflicht, Haftung und Garantenstellung. Dr.in Ulrike Stücker ist Lehrbeauftragte an der Hochschule Hannover und Referentin für Fortbildungsveranstaltungen rechtlicher Themen für die Soziale Arbeit.
Entstehungshintergrund
Das Buch ist das 25. Band in der Reihe „Theorie und Praxis der Jugendhilfe“ des EREV. Bereits 2009 erschien die erste Veröffentlichung zum Thema Aufsichtspflicht und Haftung. Dies ist das dritte Band, das sich mit diesem Thema beschäftigt.
Aufbau
Das Buch gliedert sich in die sechs Bereiche
- Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtspflicht und Haftung
- Digitale Aspekte
- Strafrechtliche Aspekte
- Checklisten zur Führung der Aufsichtspflicht
- Aufsichtspflicht, Haftung und Garantenstellung in der Rechtsprechung
- Jugendschutz durch den Staat
Knapp die Hälfte des rund 220-seitigen Buches nimmt dabei der erste Abschnitt „Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtspflicht und Haftung“ ein, der sich in sechs Kapitel gliedert (u.a. Inhalt und Umfang der Aufsichtspflicht; Haftung im Beschäftigungsverhältnis, Schutz durch Versicherung).
Inhalt
Abschnitt A Zivilrechtliche Grundlagen der Aufsichtspflicht und Haftung beginnt mit Kapitel 1 Begründung der Aufsichtspflicht – gesetzliche Vorschriften/​vertragliche Übernahme. Aufsichtsbedürftig sind Minderjährige jeweils abhängig von Alter und Entwicklungsstand und Volljährige jeweils abhängig vom geistigen/körperlichen Zustand. Aufsichtspflichtpflichtig sind Personen kraft gesetzlicher Vorschriften oder durch vertragliche Übernahme. Im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe ist die Übertragung der gesetzlichen Aufsichtspflicht durch Vertrag ein alltäglicher Vorgang. Personensorgeberechtigte übergeben per Betreuungsvertrag diese Pflicht an den Einrichtungsträger, die dort arbeitenden Fachkräfte sind über ihren Arbeitsvertrag in der Pflicht (vgl. S. 10 – 13). Kapitel 2 widmet sich dem Inhalt und Umfang der Aufsichtspflicht und fokussiert dabei das Wechselverhältnis pädagogischer und juristischer Maßstäbe. Die Aufsichtspflicht umfasst eine doppelte Verpflichtung, so die Autor*innen. Zum einen, die zur Aufsicht Anvertrauten vor Schäden jeglicher Art zu bewahren, zum anderen zu verhindern, dass „Dritte“ durch die zu Beaufsichtigenden zu Schaden kommen (vgl. S. 17). Das Kapitel „dient der rechtlichen Vertiefung des fachspezifischen Problembewusstseins bei der Entwicklung und Anwendung pädagogischer Konzepte. Eine Einschränkung oder Reglementierung pädagogischer Erziehungsarbeit ist dabei nicht vorgesehen. Aus gesetzlichen Normierungen lassen sich zwar Rechtsfolgen einer Verletzung der Aufsichtspflicht (…) herauslesen, doch Hinweise, wie die Aufsichtspflicht konkret zu erfüllen ist, bleibt (…) der Rechtsprechung überlassen. Der Auslegungsrahmen orientiert sich dabei auch an Erziehungsleitbildern“ (S. 17f). Die Erziehungsleitbilder sind z.B. „freie Entfaltung der Persönlichkeit“, „wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbstständigem verantwortungsbewusstem Handeln“ und „Jeder junge Mensch hat das Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ (S. 18). Kapitel 3 nimmt das Thema „Haftung im Beschäftigungsverhältnis – Sonderregelungen (samt Exkurs zur ehrenamtlichen Tätigkeit)“ in den Blick. „Die Haftung im Beschäftigungsverhältnis ist bis heute nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt und richtet sich bei allen betrieblichen oder betrieblich veranlassten Tätigkeiten nach vom BAG [Bundesarbeitsgericht] entwickelten Grundsätzen. Aufgrund der sozialen Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmerinnen ist anerkannt, dass sich die allgemeinen Haftungsregelungen nicht ‚eins zu eins‛ auf das Arbeitsverhältnis übertragen lassen“. (S. 32). Das Kapitel beinhaltet auch zwei Exkurse, jenen zur „Anzeige beruflicher Überlast“ sowie jenen zur „Ehrenamtlichen Tätigkeit“. Kapitel 4 trägt die Überschrift „Haftung aus Gesetz – Niemand darf einem anderen einen Schaden zufügen“. Mittels systemischer Darstellung werden die einzelnen Prüfschritte im Kontext „Recht der unerlaubten Handlung“ dargelegt. Kapitel 5 fokussiert die Haftung aus Verkehrssicherungspflicht. Die Bedeutung der Verkehrssicherungspflichten als sog. Sorgfaltspflichten ist in den Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen vielschichtig und nahezu in jedem Lebensbereich zu finden – sie reichen von der KiTa und Schule über Kinderspielplatz und Jugendzeltplatz bis zu Sportstätten, Bäumen im öffentlichen Raum, Straßen/Wegen und Schwimmbädern. Das abschließende Kapitel 6 komplettiert den Abschnitt A mit Informationen zum Schutz durch Versicherung und bezieht sich auf die gesetzliche Unfallversicherung sowie private Haftpflichtversicherungen.
Abschnitt B beschäftigt sich mit der Aufsichtspflicht im Umgang mit der virtuellen Welt. Angesprochene Themen sind Digitale Medien und Jugendschutz, WhatsApp und Co, Zivilrechtliche Haftung von Kindern und Jugendlichen, Haftung der Aufsichtspflichtigen für Handlungen anvertrauter Kinder, Haftung für WLAN und Mindestalter für die Nutzung von Onlinediensten. Der Abschnitt schließt mit einem Kapitel das die BBB-Formel (Belehren, Beobachten, Belangen) auf das Internet bezieht.
Abschnitt C widmet sich den strafrechtlichen Aspekten. Festgestellt wird dabei, dass eine Aufsichtspflichtverletzung keine Straftat ist. „Um die Strafbarkeit aufgrund einer Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht auszulösen, müsste eine gröbliche Pflichtverletzung festgestellt werden.“ (S. 88). Grundsätze der Strafbarkeit werden dargestellt und anhand praktischer Beispiele respektive Rechtsprechungen erläutert. Ausgeführt wird, dass Mitarbeitende des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe die Rolle als Beschützergaranten haben (vgl. S. 95).
Abschnitt D umfasst Checklisten zur Aufsichtspflicht bei der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, so z.B. die Auswahl von aufsichtspflichtigen Mitarbeiter*innen und der Waldausflug mit Kindern.
Abschnitt E komplettiert das Buch durch das Thema „Aufsichtspflicht, Haftung und Garantenstellung in der Rechtsprechung“ und stellt ausgewählte Gerichtsbeschlüsse und ‑urteile im Zivil- und Strafrecht vor.
Der abschließende Abschnitt F stellt den Jugendschutz durch den Staat dar.
Diskussion
Das Buch vermittelt juristische Regeln zur Handhabung der Aufsichtspflicht in der Kinder- und Jugendhilfe. Die Autor*innen möchten den pädagogischen Fachkräften jedoch Mut machen, die Aufsicht (und damit die Aufsichtspflicht) dem Erziehungsziel anzupassen und damit stets die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen zu berücksichtigen. Der Übertrag der gesetzlichen Regelungen auf die Arbeitsfelder pädagogischer Fachkräfte gelingt. Checklisten, Tabellen und Abbildungen sowie praktische Beispiele sorgen für einen gelungenen Übertrag, Verständlichkeit und gute Lesbarkeit. Die komplexen Themen werden gut „heruntergebrochen“ und ausschließlich auf die avisierte Zielgruppe fokussiert.
Fazit
Aufsichtspflicht von Fachkräften in der Kinder- und Jugendhilfe, ergänzt um den Bereich der digitalen Medien ist Thema dieses Buches. Die Ausführungen bieten einen fundierten und umfänglichen Überblick über Thema – gleichzeitig schaffen es die Autor*innen, die Komplexität zu reduzieren und ihre Zielgruppe nie aus den Augen zu verlieren. Das Buch ist praxisbezogen aufgebaut und geschrieben. Es ist pädagogischen Fachkräften der Kinder- und Jugendarbeit ebenso zu empfehlen wie Studierenden und Lehrenden der Sozialen Arbeit.
Rezension von
Prof. Dr. Andrea Warnke
Professorin für Soziale Arbeit, IU Duales Studium, Campus Bremen
Mailformular
Es gibt 29 Rezensionen von Andrea Warnke.
Zitiervorschlag
Andrea Warnke. Rezension vom 03.02.2021 zu:
Heike Dieball, Max Karl-Heinz Lehmann, Ulrike Stücker: Basiswissen Aufsichtspflicht. Haftung und Garantenstellung in der Kinder- und Jugendhilfe : Umgang mit digitalen Medien. SchöneworthVerlag
(Hannover) 2019.
ISBN 978-3-945081-26-6.
Reihe: Theorie und Praxis der Jugendhilfe - 25 (Jahrgang 2019).
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/27368.php, Datum des Zugriffs 18.01.2025.
Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt.
Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns.
Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen
für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.