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Michael Krennerich: Freie und faire Wahlen?

Rezensiert von Lukas Kiepe, 22.01.2021

Cover Michael Krennerich: Freie und faire Wahlen? ISBN 978-3-7344-1078-9

Michael Krennerich: Freie und faire Wahlen? Standards, Kurioses, Manipulationen. Wochenschau Verlag (Frankfurt am Main) 2020. 230 Seiten. ISBN 978-3-7344-1078-9. D: 24,90 EUR, A: 25,60 EUR.
Reihe: Politisches Sachbuch.

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Thema

40 points for Belarus. Was beim Eurovision Songcontest (ESC) für deutsche Verhältnisse ein respektables Ergebnis wäre, reicht beim Integritätsindex von Wahlen (S. 33) gerade einmal für den letzten Platz in Europa. Während den meisten Deutschen Belarus vor der gefälschten Präsidentschaftswahl im August 2020 noch als Weißrussland geläufig war, heißt nach 26 Jahren das Staatsoberhaupt weiterhin Aljaksandr Lukaschenka. Wahlen bieten dort nicht die Chance zum Machtwechsel, sondern fungieren als Herrschaftssicherung. Anders in Deutschland, das mit 81 Punkten weltweit den sechsten Platz belegt. Selbstredend stehen 100 Punkte im Integritätsindex für freiste und fairste Wahlen. Mit 24 Punkten trägt Syrien die rote Laterne. Mangels allgemeiner und direkter Mehrparteienwahlen tauchen Länder wie China erst gar nicht im Index auf. Was also sind freie und faire Wahlen? Eine einfache Frage, die insbesondere in Autokratien nicht immer einfach zu beantworten ist, wie Michael Krennerich in „Freie und Faire Wahlen. Standards, Kurioses, Manipulationen.“ zeigt.

Entstehungshintergrund und Autor

Michael Krennerich ist Professor für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Der Politikwissenschaftler forscht seit 30 Jahren zu Wahlen und gibt die Zeitschrift für Menschenrechte (Journal for Human Rights) heraus. Er war und ist als Berater für rund drei Dutzend supra-, inter- und nationale Organisationen im Einsatz. Dazu zählt auch die „Venedig“-Kommission des Europarates. Im Buch erfährt die LeserIn, dass dieses Gremium offiziell „European Commission for Democracy Through Law“ heißt und internationale (Wahl-)Rechtsexperten (auch für Wahlbeobachtungsmissionen) vereint.

Aufbau

Die 287-seitige Monographie besteht aus 17 Kapiteln:

  1. Im ersten Kapitel werden die Funktionen demokratischer und nicht demokratischer Wahlen umrissen.
  2. Das zweite Kapitel geht der Frage nach, was freie und faire Wahlen sind, und stellt den Wahlintegritätsindex sowie die Entwicklung von Wahlbeobachtungsmissionen vor.
  3. Das dritte Kapitel erläutert, wer Wahlen organisiert und wie eindeutige sowie verständliche Wahlgesetze aussehen.
  4. Das zwei Seiten umfassende vierte Kapitel beschreibt anhand völkerrechtlicher Verträge das Wahlrecht als Bürger- und Menschenrecht.
  5. Im Zentrum des fünften Kapitels steht das aktive Wahlrecht, das nicht nur festlegt, mit welcher Staatsbürgerschaft, welchem Wohnsitz und welchem Alter gewählt werden darf, sondern auch, ob eine Wahlpflicht besteht. Zudem wird auf die Registrierung der WählerInnen und den Wahlrechtsausschluss von StraftäterInnen und Menschen mit Behinderung eingegangen.
  6. Analog zum vorherigen Kapitel beschreibt das sechste Kapitel Standards, Kuriositäten und Ausschlüsse vom passiven Wahlrecht.
  7. Das drei Seiten umfassende siebte Kapitel befasst sich mit der Wahlkreiseinteilung, dem Stimmengewicht und deren Manipulationen.
  8. Im achten Kapitel geht es um den Wahlkampf: Wann darf er beginnen? Wie wird die Chancengleichheit und die staatliche Neutralitätspflicht gewährleistet? Was ist negative campaigning? Was hat es mit Cyber-Angriffen und Desinformation auf sich?
  9. Separat vom eigentlichen Wahlkampf wird im neunten Kapitel die Rolle der Medien im Wahlkampf verhandelt.
  10. Die (staatliche) Parteien- und Wahlkampffinanzierung, die Regulierung privater Spenden und die Höhe der Wahlkampfausgaben stehen im Mittelpunkt des zehnten Kapitels.
  11. Das zwei Seiten umfassende elfte Kapitel widmet sich der Demoskopie und den Rahmenbedingungen der Veröffentlichung von Wahlumfragen.
  12. Das zwölfte Kapitel beschäftigt sich mit dem Wahlgang und seinen Tücken, also der Frage, wann gewählt wird, wie sich die WählerInnen identifizieren müssen, wo gewählt wird, wie eine geheime Stimmabgabe sichergestellt und Stimmenkauf verhindert werden kann. Zudem werden unterschiedliche Varianten der Stimmabgabe vorgestellt und die Möglichkeit einer elektronischen Stimmabgabe diskutiert.
  13. Auf den Wahlakt folgt dann im dreizehnten Kapitel die Darstellung der Ermittlung, Bekanntgabe und Anerkennung des Wahlergebnisses samt Stimmenauszählung, Wahlbeschwerden sowie Wahlanfechtungen.
  14. Im vierzehnten Kapitel werden unterschiedliche Wahlsysteme für Präsidentschafts- und Parlamentswahlen sowie die Sitzzuteilung vorgestellt.
  15. Das fünfzehnte Kapitel erläutert die Repräsentation von Frauen bei Wahlen.
  16. Im zwei Seiten umfassenden sechszehnten Kapitel wird die Repräsentation von nationalen Minderheiten behandelt.
  17. Im ebenfalls zwei Seiten umfassenden siebzehnten Kapitel werden Abwahlen thematisiert, bevor die Monographie mit einem Schlusswort endet.

Inhalt

Die immerhin siebzehn Kapitel lassen sich zu fünf Schwerpunkten zusammenfassen:

Der Schwerpunkt der ersten drei Kapitel liegt auf der Unterscheidung von echten Wahldemokratien und Wahlautokratien, die demokratische Prozesse nur imitieren. Ihre Wahlen sind meist nur eine von mehreren staatlichen Legitimationsquellen, dienen der Kooptation von UnterstützerInnengruppen und der Diskreditierung der Opposition (S. 22–27). Funktion demokratischer Wahlen hingegen ist das Erteilen eines Herrschaftsauftrages auf Zeit, zudem dienen sie der Repräsentation von gesellschaftlichen Gruppen und bieten eine Auswahl zwischen programmatischen Alternativen (S. 15–22).

Wahlen sind nur frei und fair, wenn vor dem Wahltag umfassende Informations- und Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, ein allgemeines aktives und passives Wahlrecht gewährt werden und eine allgemeine Registrierung der WählerInnen sowie eine freie Registrierung von Parteien und KandidatInnen stattfindet. Am Wahltag selbst muss die tatsächliche Möglichkeit der Wahlteilnahme und der geheimen Stimmgabe bestehen, sowie ein friedliches Wahlklima ohne unzulässige Einflussnahme bestehen. Nach dem Wahltag müssen „legale und tatsächliche Möglichkeiten der Beschwerden gegen Wahlunregelmäßigkeiten, Manipulationen und Wahlbetrug“ ermöglicht werden (S. 31).

Der organisatorische und rechtliche Rahmen von Wahlen ist wichtig, denn „[w]er auszählt, gewinnt“ (S. 44). International wird zwischen einem governmental model of electoral management, wie es in Deutschland existiert, und einem independent model of electoral management unterschieden. Letzteres meint unabhängige Wahlkommissionen, die für die Wahldurchführung verantwortlich zeichnen, mitunter als vierte verfassungsgemäße Gewalt bestehen und weltweit in 63 Prozent der Staaten existieren. Das governmental model kommt in 21 Prozent der Staaten vor, 14 Prozent setzen auf ein mixed model und 2 Prozent halten ohnehin keine Wahlen ab.

Die Kapitel fünf und sechs zum aktiven und passiven Wahlrecht bilden einen zweiten Schwerpunkt. Zum Kern des aktiven Wahlrechts zählt die Allgemeinheit und Gleichheit. Dieses wurde beispielsweise in Liechtenstein erst 1984 eingeführt, während bereits 1937 auf den Philippinen ausschließlich die Frauen darüber abstimmten, ob sie das Wahlrecht erhalten sollten. Vorreiter war 1893 Neuseeland, wo aber vorerst die Maori vom Wahlrecht ausgeschlossen blieben. Weitgehend unproblematisch sind derzeit Voraussetzungen, wie Staatsbürgerschaft, Wohnsitzauflage und Mindestalter, wenn auch die Festsetzung des Wahlalters „jedoch letztlich willkürlich“ (S. 66) sei. In einigen Ländern sind auch Mitglieder der Streit- und Sicherheitskräfte vom Wahlrecht ausgeschlossen. Während Strafgefangene in Deutschland – mit wenigen Ausnahmen – weiterhin wählen dürfen, fehlt rund 2,5 Prozent der US-AmerikanerInnen aufgrund von Vorstrafen das Wahlrecht. In den USA gibt es wie in vielen angelsächsischen Staaten – mangels Meldewesen – keine obligatorische Registrierung der Wahlberechtigten, wie es in Deutschland üblich ist.

Das passive Wahlrecht hingegen umfasst die Möglichkeit, selbst für ein öffentliches Amt zu kandidieren. Die dafür notwendigen Voraussetzungen sind in der Regel anspruchsvoller als beim aktiven Wahlrecht. Üblich sind u.a. erhöhte Altersgrenzen oder den Besitz der Staatsbürgerschaft ab Geburt. Völlig unüblich hingegen sind Regelungen wie in Kasachstan, wo PräsidentschaftskandidatInnen vorher mindestens fünf Jahre lang im öffentlichen Dienst gearbeitet haben müssen. Als Schutz vor Diktaturen gibt es in einigen Staaten Wiederwahlverbote und als deren Steigerung Nepotismusklauseln, um die Amtsübergabe an Familienmitglieder zu unterbinden. Zum Wahlrecht gehört auch das Parteienrecht, wobei die Parteienkonstitutionalisierung inzwischen die meisten Staaten Europas erfasst hat – mit Ausnahme u.a. der Niederlande, wo Geert Wilders einziges Mitglied seiner Partei sein kann. Deutschland gilt dann auch mit seinem Parteiengesetz von 1967 als „heartland of Party Law“, nicht aber als Erfindernation, die mutmaßlich Venezuela (1964) ist.

Den dritten Schwerpunkt bilden die Kapitel zum Wahlkampf, den Medien im Wahlkampf, der Wahlkampffinanzierung und den Wahlumfragen. Freie und faire Wahlen beginnen mit einem freien und fairen Wahlkampf, wozu auch eine staatliche Neutralitätspflicht zählt, weswegen sich BundeministerInnen auch nicht auf Ministeriumswebseiten negativ über die AfD äußern dürfen. Weniger fair geht es in Uganda zu, wo die amtierende PräsidentIn die einzige Person ist, die ausdrücklich staatliche Mittel für den Wahlkampf nutzen darf. „Statistische Analysen weisen darauf hin, dass election violence die Siegeschancen der Amtsinhaber erhöht – allerdings auch die Wahrscheinlichkeit von Protesten nach den Wahlen“ (S. 129). Negativ auf einen fairen Wahlkampf wirken sich zudem die Behinderung regierungskritischer Medien und eine starke Medienkonzentration, insbesondere in Regierungshand, aus; wie dies auch in einigen Demokratien u.a. in Polen beobachtet werden kann. Oder in Brasilien, wo ein Hasskabinett um Präsident Jair Bolsonaro groß angelegte Drohkampagnen durchführt.

Wahlkampf ist auch immer eine Frage des Geldes, daher gibt es in 63 Staaten der Welt eine öffentliche Parteienfinanzierung, 41 Staaten vergeben öffentliche Zuschüsse, 50 Staaten verzichten auf staatliche Parteien- und Wahlkampffinanzierung. Letzteres kann zu einer massiven ‚Waffenungleichheit‘ zwischen den Parteien führen. Um die Einflussnahme von außen zu verhindern, sind in den meisten Ländern, wie auch in Deutschland, Wahlkampfspenden aus dem Ausland untersagt. Um etwas Transparenz herzustellen, müssen in 106 Staaten die Parteien und in 117 Staaten die Kandidierenden über Ihre Wahlkämpfe Rechenschaft ablegen. Ebenso wie Medien und Geld können auch Umfragen im Wahlkampf eingesetzt werden. Daher müssen in einigen Ländern Meinungsforschungsinstitute bei der Wahlkommission akkreditiert werden oder dürfen 24 bzw. 48 Stunden vor der Wahl keine Umfragen mehr veröffentlichen.

Der vierte Schwerpunkt umfasst die Kapitel zum Wahlgang, zur Ermittlung der Wahlergebnisse und den Wahlsystemen. Es muss nicht immer ein Sonntag sein, an dem gewählt wird. Manchmal dauert die Wahl auch mehrere Tage wie in Indien. Wichtig ist aber, dass regelmäßig Wahlen abgehalten und rechtzeitig ausgerufen werden. Auch wenn bereits 50 Staaten bei der Identifikation der WählerInnen auf biometrische Daten zurückgreifen, ist die Markierung eines Fingers mit unlöschbarer Tinte weiterhin in vielen Ländern das Mittel der Wahl, um mehrfaches Wählen zu vermeiden. In Bürgerkriegsländern wie beispielsweise El Salvador ist bereits wahlgesetzlich geregelt, wie vorzugehen ist, wenn die WählerIn beide Hände verloren hat. Zwischen Stimmenkauf und Wahlsystem besteht ein Zusammenhang: Je größer der Wahlkreis, umso größer der finanzielle Aufwand und desto kleiner sind die Erfolgsaussichten des Stimmenkaufs (S. 168). Weltweit hat sich überwiegend der australian ballot, also ein einheitlicher, amtlich erstellter Stimmzettel durchgesetzt, auf dem entweder vorgeschlagene KandidatInnen angekreuzt oder erst eingetragen werden. Aber nicht überall: Beispielsweise in Frankreich, Schweden und Spanien existiert für jede KandidatIn ein eigener Stimmzettel. In die Urne muss also ein neutraler Umschlag mit dem Stimmzettel der präferierten Person. In Staaten mit hoher Analphabetenrate ist es bewährte Praxis, dass Symbole statt Namen auf den Stimmzetteln stehen. Trotz weltweiter Diskussionen ist die Stimmabgabe im Wahllokal weiterhin der Goldstandard. In einigen Staaten kommen trotz Sicherheitsmängel Wahlmaschinen zum Einsatz. Estland ist das einzige EU-Mitgliedsstaat, das neben der Briefwahl auch eine Wahl per Internet anbietet.

Auf den Wahlgang folgt das Auszählen, das direkt nach der Schließung der Wahllokale dort erfolgen sollte. In besonderen Fällen kann aus Sicherheitsgründen aber auch eine zentrale Auszählung sinnvoll sein. In Island steht nicht die Sicherheit, sondern das Wahlgeheimnis im Vordergrund, wenn die Stimmzettel mehrerer kleiner Wahllokale vor dem Auszählen gemischt werden. Eher ungewöhnlich ist es, dass wie in Spanien die meisten Stimmzettel nach dem Auszählen vernichtet werden müssen. Dies erschwert die Bearbeitung von Wahlbeschwerden und Wahlanfechtungen, für die es in Deutschland keine gesetzlich vorgeschriebene Bearbeitungsfrist gibt, wie WahlbeobachterInnen immer wieder kritisieren.

Obwohl Wahlsystem und Sitzzuteilungsverfahren häufig zum Kleingedruckten von Wahlen gehören, sind damit politisch hochrelevante Fragen verbunden: Ermöglichen Verhältniswahlsysteme mehr Repräsentation? Führen Mehrheitswahlsysteme zu mehr Regierungsstabilität? Das dreizehnte Kapitel erläutert die wesentlichsten Ausformungen von Wahlsystemen und Bewertungskriterien für Parlamentswahlen: Repräsentation, Konzentration, Persönlichkeitswahl, Stärkung der Parteien, Einfachheit, Stärkung der Parteien und Verwaltungsaufwand.

Der letzte Schwerpunkt umfasst die Kapitel zur Repräsentation von Frauen, nationalen Minderheiten und Abwahlen. Dass das autoritär regierte Ruanda mit 61 % Frauenanteil im Parlament weltweit Spitzenreiter ist, ist inzwischen nicht nur ExpertInnen bekannt. Aber Krennerich erläutert auch die Ursache, die nicht nur in einer Frauenquote, sondern auch in reservierten Parlamentssitzen liegt, die nicht durch demokratische Wahlen besetzt werden (S. 232). 2020 war jedes vierte Parlamentsmitglied weiblich. Wie kommen Frauen in Parlamente? Sie müssen erstens Bedingungen vorfinden, die ihnen eine Kandidatur ermöglichen, sie müssen zweitens (von ihren Parteien) für aussichtsreiche Positionen aufgestellt werden und drittens von den WählerInnen gewählt werden. Dabei spielt auch das Wahlsystem eine Rolle, weil Verhältniswahlsysteme die Repräsentation von Frauen fördern (S. 234). Zudem gelten Frauenquoten als fast track für den Parlamentszugang von Frauen. Das in Deutschland bereits zweimal auf Länderebene verfassungsgerichtlich gescheiterte paritätische Wahlrecht gibt es in Europa nur in Belgien (für Parteilisten) und in Frankreich (für die Gesamtzahl der Parteikandidaturen in Wahlkreisen).

Um die Repräsentation nationaler Minderheiten bei Wahlen zu gewährleisten, sind ausdrücklich Ausnahmeregelungen erlaubt. Trotzdem existiert in Deutschland mit seinen vier Minderheiten nur eine Partei einer anerkannten nationalen Minderheit, der Südschleswigsche Wählerverband (SSW), der in Schleswig-Holstein bereits regierte.

Während es weltweit in einigen Staaten die Möglichkeit zur Abwahl von RepräsentantInnen gibt, ist dieser sogenannte recall in Europa eher selten. Umso mehr dürfte es für einige LeserInnen neu sein, dass in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen und Rheinland-Pfalz die Möglichkeit besteht, die Länderparlamente durch Volksentscheid aufzulösen.

Diskussion

Ob Polen, Ungarn, Weißrussland, Hate Speech oder Desinformation – das Buch greift allerhand Beispiele auf, die jede/r aus den Nachrichten kennt. In dieser Hinsicht bietet es eine gelungene, fachliche Vertiefung. Den eingangs gewünschten guten Lesefluss (S. 9) stören dann teilweise die zahlreichen, aus aller Welt kompilierten Beispiele, aber auch die vier eingeschobenen kurzen Kapitel. Die Monographie ist dezidiert nicht als Lehrbuch konzipiert, sondern sie richtet sich an breitere Kreise, weshalb auch auf kleinteilige Quellenverweise verzichtet wurde. Englischkenntnisse sind von Vorteil; der eine oder andere Begriff bzw. das eine oder andere Zitat (S. 75, 125, 130, 136, 163) hätte übersetzt werden können, um niedrigschwelliger zu werden. Das Kapitel 14 „Wahlsysteme und die Übertragung von Stimmen in Mandate“ behandelt eine komplexe Materie, die der Autor verständlich aufbereitet hat und durch die vielen Infokästen didaktisch wertvoll ist.

Fazit

Der Titel hält, was er verspricht: Standards, Kurioses und Manipulationen. Krennerich stellt die Standards demokratischer Wahlen aus Wissenschaft, EU, Europarat, OSZE und anderen Organisationen umfassend dar und erläutert diese anhand vieler Beispiele aus aller Welt. Dabei kommen auch allerhand skurrile Fakten und unnützes Wissen zutage, mit dem die LeserIn später glänzen kann: In Norwegen können die Wahlberechtigten ohne ihre Zustimmung auf den Wahlzettel geschrieben werden und sie dürfen die Wahl nicht ablehnen. In Österreich waren bis 2011 per Verfassung HabsburgerInnen von der Wählbarkeit zum Präsidentenamt ausgeschlossen. 2017 durften IsländerInnen ihre Stimmen bereits abgeben, bevor die KandidatInnenregistrierung beendet war. In das Kuriositätenkabinett gehört auch manche Wahlmanipulation, wie jene bei der „Tipp-Ex-Wahl“ 2019 in Malawi, als die Wahlkommission mittels weißer Korrekturflüssigkeit die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl einfach überschrieb.

Rezension von
Lukas Kiepe
Mitarbeiter Universität Kassel

Es gibt 3 Rezensionen von Lukas Kiepe.

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Zitiervorschlag
Lukas Kiepe. Rezension vom 22.01.2021 zu: Michael Krennerich: Freie und faire Wahlen? Standards, Kurioses, Manipulationen. Wochenschau Verlag (Frankfurt am Main) 2020. ISBN 978-3-7344-1078-9. Reihe: Politisches Sachbuch. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/27394.php, Datum des Zugriffs 03.10.2024.


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