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Hannelore Lier-Schehl: Seelische Gesundheit für Familien von Anfang an

Rezensiert von Prof. Dr. Ariane Schorn, 12.05.2023

Cover Hannelore Lier-Schehl: Seelische Gesundheit für Familien von Anfang an ISBN 978-3-8379-2764-1

Hannelore Lier-Schehl: Seelische Gesundheit für Familien von Anfang an. Psychosoziale Präventionsarbeit der Frühen Hilfen bei peripartalen Erkrankungen. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG (Gießen) 2020. 500 Seiten. ISBN 978-3-8379-2764-1. D: 49,90 EUR, A: 51,30 EUR.
Reihe: Therapie & Beratung.

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Thema

Auch, wenn es bereits vor gut hundert Jahren die Beobachtung gab, dass Kinder psychisch erkrankter Eltern ihrerseits ein erhöhtes Risiko für eine psychische Erkrankung aufweisen, dauerte es noch lange, bis sich intensiver und wissenschaftlich mit der Frage befasst wurde, was die psychische Erkrankung eines Elternteils für deren Kinder bedeutet und welche spezifischen Belastungen und Entwicklungsrisiken hiermit verbunden sind. Heute können wir auf empirisch gesicherte Wissensbestände zurückgreifen, die klar aufzeigen, dass Kinder psychisch kranker Eltern häufig umfassend und tiefgreifend von der Erkrankung ihrer Eltern betroffen sind und ein deutlich erhöhtes Entwicklungs- und Gefährdungsrisiko haben. Säuglinge und Kleinkinder bilden dabei aufgrund ihrer besonderen Vulnerabilität eine besondere Risikogruppe. Besagtes Wissen um die mitunter schwerwiegenden Folgen für die weitere Entwicklung eines Kindes als auch das Wissen darum, dass von ca. drei bis vier Millionen betroffener Kinder und Jugendlicher ausgegangen werden kann, zeigt die hohe Relevanz des Themas auf. Gleichwohl sind die Versorgung und Unterstützung betroffener Familien und Kinder nicht hinreichend gesichert. So gestaltet sich der Aufbau gelingender Kooperationsbeziehungen zwischen den Hilfesystemen (der Kinder- und Jugendhilfe und dem Gesundheitswesen) nach wie vor schwierig, konstatiert wird weiterhin ein Mangel an Beratungs-, Unterstützungs- und Behandlungsangeboten – insbesondere auch im Hinblick auf eine familienorientierte Versorgung. 

Autor

Prof. Dr. Hannelore Lier-Schehl ist Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin. Sie ist als Professorin für Psychologie am Fachbereich Soziale Arbeit der Ev. Hochschule Bochum tätig. Zwischen 2003 und 2013 arbeitete sie als psychotherapeutische Leiterin der Mother-Child-Unit der LWL-Klinik Herten für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin.

Entstehungshintergrund

Die Idee zu dem vorliegenden Buch entwickelte sich laut der Autorin bereits zum Zeitpunkt ihrer klinischen Tätigkeit in der Erwachsenenpsychiatrie auf der Mutter-Kind-Station für postpartale Erkrankungen.

Aufbau und Inhalt

Das vorliegende Buch umfasst 557 Seiten im Taschenbuchformat. Es gliedert sich in fünf Kapitel, denen eine Einleitung vorausgestellt sowie ein Fazit nachgestellt sind.

Kapitel 2 – überschrieben mit „Psychische Erkrankungen im System Familie“ – setzt sich zunächst mit psychischen Erkrankungen von Müttern im peripartalen Zeitraum auseinander. Daran anknüpfend werden die zentralen psychischen Erkrankungen, so wie sie der ICD 10 fasst, skizziert. Nach der Nennung der Erkrankung wird jeweils kurz auf Aspekte wie Symptome und Diagnostik, Häufigkeit/​Epidemiologie, Ursachen/Ätiologie, Verlauf und Behandlung eingegangen. Thema des Kapitels sind auch mögliche postpartale Erkrankungen des Vaters, wobei der postpartalen Depression eine besondere Beachtung geschenkt wird.

Im 3. Kapitel „Risikobelastungen von Kindern mit einem psychisch erkrankten Elternteil und ihre Schutzfaktoren“ wird zunächst die Relevanz des Themas anhand epidemiologischer Daten verdeutlicht. Dargelegt werden anschließend – in Anlehnung an das Stress-Vulnerabilitätsmodell – allgemeine Risikofaktoren einer gesunden Entwicklung. Da eine elterliche psychische Erkrankung einen großen Einfluss auf die kindliche Entwicklung nimmt und mit einem hohen Entwicklungs- bzw. Erkrankungsrisiko einhergeht, wird nachfolgend auf das spezifische Entwicklungs- bzw. Erkrankungsrisiko von betroffenen Kindern eingegangen.

Skizziert werden hier die mit einem Störungsbild verbundenen Kardinalsymptome bzw. die sich aus diesen ergebenden möglichen Einschränkungen der elterlichen Be- und Erziehungskompetenz und den damit in Zusammenhang stehenden Folgen für die kindliche Entwicklung. Da der Bindungsentwicklung eine besondere Bedeutung zukommt, ist diesem Thema ein eigenständiges Unterkapitel gewidmet. Beleuchtet werden hier insbesondere Problematiken der Interaktionsgestaltung, die mit verschiedenen Störungsbildern korrespondieren, und den damit einhergehenden Folgen für das Kind. Das Kapitel schließt mit einer Darlegung von Unterstützungsangeboten für betroffene Kinder, wobei die Bedarfe von Säuglingen und Kleinkindern sowie der Gruppe der drei- bis sechsjährigen Kinder noch einmal besonders herausgearbeitet werden.

Kapitel 4 – überschrieben mit: „Präventionsangebote für psychisch belastete Familien mit ihren Kleinst- und Kleinkindern“ – stellt ausgehend von der Notwendigkeit frühzeitiger Unterstützung für Familien mit einem psychisch erkrankten Elternteil Ziele, Aufgaben und Akteure der Frühen Hilfen vor.  

Die psychiatrische Versorgung in der Bundesrepublik war lange Zeit auf die Heilung/​Linderung der individuellen Erkrankung einer Patientin/​eines Patienten hin ausgerichtet. Kapitel 5 „Familienorientierte Erwachsenenpsychiatrie. Ein innovatives Modell“ thematisiert die von der Autorin wahrgenommene zunehmende Öffnung hin zu einer familienorientierten Behandlung, die eben Angehörige einer Erkrankten/​eines Erkrankten einbezieht. Ausgeführt wird, warum eine gut verankerte Angehörigenarbeit sinnvoll ist und was die in diesem Zusammenhang stehenden zentralen Aufgaben sind.

Eine besondere Herausforderung stellt hierbei die Einbindung von Kindern als Angehörige in der Erwachsenenpsychiatrie dar. Im letzten Unterkapitel werden Standards der Eltern-Kind-Behandlung in der Psychiatrie ausgeführt und anschließend das Modell einer Mutter-Kind Station der LWL Klinik Herten vorgestellt.

Passgenaue und nachhaltige Unterstützung belasteter Familien erfordern eine gut funktionierende Vernetzung und Kooperation von Professionellen des Gesundheitswesens sowie der Kinder- und Jugendhilfe. Es braucht verbindliche Strukturen der Zusammenarbeit relevanter Leistungsträger und Institutionen. Solcherart Netzwerke aufzubauen erfordert Steuerung. Kapitel 6 („Qualitätssicherung in den Frühen Hilfen“) diskutiert Grundlagen gelingender Netzwerkarbeit, die besondere Rolle und Aufgaben der Netzwerkkoordinierenden sowie Hürden in der interdisziplinären Zusammenarbeit. Abschließend wird ein spezifisches Screeningverfahren bzw. ein in der Klinik Herten entwickelter Fragebogen zur Einschätzung der Beziehungsqualität zwischen Mutter und Kind (SF-MKI) vorgestellt.

Diskussion

Hannelore Lier-Schehl legt mit dem Buch „Seelische Gesundheit für Familien von Anfang an“ ein relevantes, komplexes und ausgesprochen umfangreiches Werk vor. Die Autorin hat als Zielgruppe vor allem MitarbeiterInnen im Gesundheitswesen, insbesondere der Erwachsenenpsychiatrie, MitarbeiterInnen der Kinder- und Jugendhilfe wie auch der Frühen Hilfen im Blick.

Ein Buchumfang von 557 Seiten spricht möglicherweise nicht jeden an. Das Buch ist jedoch so aufgebaut, dass auch einzelne Kapitel und Unterkapitel unabhängig und mit Gewinn voneinander gelesen werden können. Es kann also auch im Sinne eines Nachschlagewerks selektiv genutzt werden, um je nach Bedarf spezifischen Fragestellungen nachzugehen.

„Seelische Gesundheit für Familien von Anfang an“ spannt einen weiten Bogen und greift eine Vielzahl relevanter Aspekte einer komplexen Thematik auf. Wenn ich mir über das Dargelegte hinaus etwas hätte wünschen können, so wäre es ein weiteres Kapitel gewesen, das ergänzend Mutter- bzw. Eltern-Kind-Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe mit in den Blick nimmt. Ein insgesamt empfehlenswertes Buch zu einem wichtigen Thema.

Fazit

Das vorliegende Buch setzt sich mit psychischen Erkrankungen von Eltern im peripartalen Zeitraum auseinander, wobei im Mittelpunkt die möglichen Folgen für die kindliche Entwicklung sowie mögliche Präventions- und Unterstützungsangebote für in dieser Perspektive belastete Familien mit ihren Kleinst- und Kleinkindern steht. Ein insgesamt empfehlenswertes Buch zu einem wichtigen Thema.

Rezension von
Prof. Dr. Ariane Schorn
Fachhochschule Kiel, Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit
Entwicklungspsychologie, Qualitative Sozialforschung, Psychosoziale Beratung, Supervision
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Es gibt 20 Rezensionen von Ariane Schorn.

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Zitiervorschlag
Ariane Schorn. Rezension vom 12.05.2023 zu: Hannelore Lier-Schehl: Seelische Gesundheit für Familien von Anfang an. Psychosoziale Präventionsarbeit der Frühen Hilfen bei peripartalen Erkrankungen. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG (Gießen) 2020. ISBN 978-3-8379-2764-1. Reihe: Therapie & Beratung. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/27406.php, Datum des Zugriffs 11.06.2023.


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