Tina Gruber: Therapie-Tools Ressourcenaktivierung
Rezensiert von Dr. phil. Gernot Hahn, 25.05.2021

Tina Gruber: Therapie-Tools Ressourcenaktivierung. Beltz Verlag (Weinheim, Basel) 2020. 229 Seiten. ISBN 978-3-621-28702-9. 39,95 EUR.
Thema
Ressourcenaktivierung gilt in Psychotherapie und Beratung als Mittel der Wahl, wenn es z.B. mit Kreativität oder Perspektivenwechsel darum geht, Anforderungen oder Krisen zu bewältigen und Lösungen für Probleme zu finden. KlientInnen scheinen sich am Beginn von Therapie oder Beratung oft nicht ihrer zur Verfügung stehenden Bewältigungspotenziale bewusst zu sein. Hier setzen Methoden und Techniken der Ressourcenaktivierung an, die es ermöglichen Ressourcen zu erkennen, abzurufen und angemessen einzusetzen. Der Band Ressourcenaktivierung aus der Reihe „Therapie-Tools“ bietet dazu über 90 Arbeitsmaterialien, die in unterschiedlichen Behandlungsabschnitten einer Psychotherapie oder in Beratungsprozessen eingesetzt werden können, der Einsatz ist sowohl für das Einzel- und das Gruppensetting vorgesehen und bietet Materialien für verschiedene Ressourcenbereiche, z.B. Denken, Zielorientierung, Kommunikation oder Körperaspekte.
Autorin
Tina Gruber, Psychologin (MSc kognitive Psychologie und Neurowissenschaften, MAS Systemische Psychotherapie mit kognitiv-behavioralem Schwerpunkt.), Psychologische Psychotherapeutin
(Schweiz) arbeitet in eigener Praxis in Zürich.
Aufbau und Inhalt
Das Therapie-Tool ist neben einem Vorwort und einer Einführung in die Kapitel „Geschichten für den Einstieg“, „Denken als Ressource“, „Ziele als Ressource“, „Das soziale Umfeld als Ressource“, „Kommunikation als Ressource“, „Der Körper als Ressource“ und „Das Selbst als Ressource“ unterteilt, daneben findet sich ein Verzeichnis der Arbeits- und Informationsblätter und das Literaturverzeichnis.
Einführung
Was sind Ressourcen und welche Bedeutung haben sie für Beratung, Therapie und Prävention? Tina Gruber führt knapp in die theoretischen Grundlagen der Ressourcenorientierung ein, verweist dabei auf Klassiker wie Klaus Grawe und das Salutogenesekonzept. Ressourcen definiert sie als „Potenziale eines Menschen und betreffen z.B. Fähigkeiten, Kompetenzen, positive Erinnerungen, Fertigkeiten, Kenntnisse, Geschicke, Einstellungen, Erfahrungen, Talente, Neigungen und Stärken, die oftmals gar nicht bewusst sind“ (11). Für Beratung und Therapie hebt sie die Bedeutung von Gruppen hervor, die als soziale Ressource z.B. durch supportive Faktoren, Selbstoffenbarungsfaktoren, Lernfaktoren und psychologische Arbeitsfaktoren (auch sozialpsychologische Prozesse) gekennzeichnet sind. In der speziellen Form der Ressourcengruppe liegt der Fokus nicht auf Störungsaspekten, sondern transdiagnostisch auf einer umfassenden Stärkung und Ressourcenerschließung, sodass solche Gruppen als zusätzliche Behandlungsebene neben Therapie im engeren Sinn oder stationärer Behandlung eingesetzt werden können.
Daneben führt das Einführungskapitel zum Aufbau und den Nutzungsmöglichkeiten der Therapietools hin, die Struktur der unterschiedlichen Ressourcenebenen (Denken, Ziele, Körper etc.) werden kurz vorgestellt und die Zielsetzung der angebotenen Übungen erläutert (diese sollen „verstören, anregen, neugierig machen, klären, erklären und die Experimentierfreude wecken“ (15).
Die Therapietools arbeiten mit Piktogrammen, deren Bedeutung im Zusammenhang mit Arbeitsblättern und Übungen vorgestellt werden und es finden sich Hinweise zur Anwendung der Tools im Einzelsetting – das Buch ist vorwiegend für die Gruppenarbeit konzipiert. Abschließend gibt Tina Gruber einen Überblick ressourcenorientierter Fragetechniken, etwa Skalierungsfragen, lösungsorientierte Fragen, zirkuläres Fragen oder die in vielen Therapieprozessen eingesetzte aus der systemischen Denkschule stammende Wunderfrage („Wenn das Problem über Nacht plötzlich verschwunden wäre, woran würden Sie es bemerken“?).
Geschichten für den Einstieg
Geschichten und Metaphern erlauben einen oft einfacheren, plastischeren Zugang zu komplexen Thematiken und machen diese verständlicher, greifbarer, erlauben einen Zugang zu Zusammenhängen, Emotionen und neue Sichtweisen. Damit sind sie für die beraterische und therapeutische Arbeit einsetzbar, etwa wenn es um die Einführung von Modellen, Lösungsansätzen, die Vermittlung von Informationen, aber auch Entspannung, Emotionsfokussierung etc. geht. Die im Kapitel enthaltenen Geschichten können im Gruppensetting vorgelesen und als Grundlage für die Ressourcenarbeit genutzt werden, z.B. „Der Tempel der tausend Spiegel“, in der die Wechselwirkung eigener Einstellungen und Befindlichkeiten und dem Umfeld aufgegriffen werden und gut für die Aktivierung der Bereiche Kommunikation als Ressource, oder soziale Ressourcen verwendet werden kann. Didaktisch sind die Geschichten mit Arbeitsblättern zu einzelnen Ressourcenaspekten (z.B. Kommunikation, Mimik, Gestik) oder mit weiterem Diagnostik- und Arbeitsmaterial (z.B. dem Kiesler-Kreis zur Einschätzung des Stimuluscharakters eines Menschen) verknüpft, sodass die Anwendung der Geschichten zur konkreten Ressourcenaktivierung immer mit Ressourcenbereichen und -aspekten verknüpft ist (21ff).
Denken als Ressource
Tina Gruber fasst „Denken“ in einem sehr breiten Verständnis als „im weitesten Sinne mit allem, was unserem Bewusstsein zugänglich ist“ (50) auf. Im Zentrum des „Denken als Ressource“ steht die Aufmerksamkeit, das bewusste Wahrnehmen und Umgehen mit Denkprozessen, entsprechend fokussieren die in diesem Abschnitt enthaltenen Übungen auf Fähigkeiten wie Vorstellungskraft, Kreativität, Umdenken, positive Gedankenbildung, Perspektivenänderung, oder Überwindung von Denkmustern und Neurahmung. Die Art der Übungen und Arbeitsblätter lässt sich gut aus den jeweiligen Titeln/Überschriften erkennen: „Attribution“, „Kopfstand“, „Meinen sicheren Ort finden“, oder „gerichtete Aufmerksamkeit“. Den Übungsabschnitten ist jeweils ein kurzer Sachtext vorangestellt, in dem die verwendeten Begriffe (z.B. Refraiming, Attribution) und Konzepte erklärt werden. Exemplarisch lassen sich die Übungen und Arbeitsblätter (die untereinander auch verknüpft werden) gut an der Übung „Kopfstand“ darstellen. Gegenstand und Ziel dieser Übung ist die Perspektivenveränderung, Kopfstand steht dabei als Metapher, die Technik soll hinführen, ein Problem, einen Sachverhalt, eine Situation bewusst von der anderen Seite her zu betrachten, um neue Lösungsmöglichkeiten zu generieren. Die sechststufige Übung fordert zunächst auf (1.) ein aktuelles Problem als Frage zu formulieren, (2.) die Frage auf den Kopf/ins Gegenteil gekehrt zu formulieren, (3.) alle Antworten zur Kopfstand-Frage zu sammeln, (4.) die Antworten aus Schritt (3.) umzukehren und so Lösungen für die Ausgangsfrage zu bekommen, (5.) das Vorhaben zu konkretisieren und (6.) die Möglichkeit/​Antwort in einer konkreten Handlung umzusetzen.
Ziele als Ressource
Die Bedeutung von Zielen und Zielformulierung für Motivation, Lebensbewältigung und Selbstwirksamkeitserleben sind gut erforscht und beschrieben. Tina Gruber greift einige dieser Befunde im hinführenden kurzen Text auf und verweist auf den Prozesscharakter von Zielformulierungen (Fernziele, Teilziele etc.), für deren Formulierung der Abschnitt insgesamt acht Übungen/​Arbeitsblätter enthält. Dabei gilt die Prämisse der motivational günstiger wirkenden Annäherungsziele (positiv formulierte Zielsetzungen) im Gegensatz zu i.d.R. negativ formulierten Vermeidungszielen, welche psychologisch auch weniger positive Erlebnisse und Kreativität freisetzen. Die Übungen befassen sich mit „Visionen“ (Fernziele), Zielformulierung, dem Abwägen von Vor- und Nachteilen, Entscheidungsfindung, dem Setzen von Prioritäten, Zielkonsequenzen (Konsequenzen einer konkreten Handlung, dem Erkennen von Hürden und dem (oft vergessenen) Bereich des Genießens von Zielen (was hier durch das schöne Kurzgedicht von Christian Morgenstern „Der Duft der Dinge“ illustriert wird: Der Duft der Dinge, ist die Sehnsucht, die sie uns, nach sich erwecken.)
Das soziale Umfeld als Ressource
Soziale Unterstützung als externe Ressourcen sind in ihrer Bedeutung und Wirksamkeit eine wichtige Ressourcenebene. Sie unterstützen den Menschen als soziales Wesen bei seinem Bestreben nach Anerkennung, Zugehörigkeit, Bindung/​Beziehung, Solidarität/Autonomie und haben als instrumentelle Unterstützung oft direkt problemlösende Wirkung. Der Abschnitt zum sozialen Umfeld greift diese Ebene auf und bietet mit sieben Übungen/​Arbeitsblättern Material zu den Themen Familienkonstellation, familiäre Rollen, Verhaltensvorschriften/​Regeltransformation, Kommunikation und Beziehungsgestaltung und Arbeit mit dem Stimulus- bzw. Kommunikationscharakter von Menschen (mit dem Kiesler-Kreis, einem interpersonellen Kreismodell zur Darstellung des Zusammenhangs von Aktion und Reaktion in sozialen Kontakten). Die Übungen zielen auf das Bewusstmachen der Fremdwirkung, die Struktur von Familienkonstellationen und familiären Rollen etc. und die damit verknüpfte Ressourcenlage.
Kommunikation als Ressource
Der Abschnitt zur Kommunikation als Ressource fokussiert auf nonverbale, sprachliche und emotionale Aspekte. Theoretische Grundlagen sind das Kommunikationsmodell von Schulz von Thun, Aspekte der verschiedenen Ebenen der Kommunikation, Übungen und Arbeitsblätter zu Stimme, Gestik, Mimik und Körpersprache, sowie die emotionale Ebene (z.B. „Gefühle in Worte fassen“). Zielsetzung der Übungen ist Kommunikation als Ressource nutzbar machen zu können, etwa indem „der Patient … Sensibilität dafür entwickel[t], dass für eine gelingende Kommunikation sowohl Sender wie auch Empfänger einer Nachricht verantwortlich sind“ (130), oder mit stimmlich passendem Ausdruck eindeutigere Signale senden zu können. Die Themenbereiche zur Kommunikation sind in 15 Übungen bzw. Arbeitsblätter unterteilt, beinhalten Material für Teilnehmende und TherapeutInnen.
Der Körper als Ressource
Die individuell größte biologische Ressource ist unser Körper. „Die Verfassung des Körpers hat einen wesentlichen Einfluss auf innere Vorgänge wie Gefühle, Gedanken, Selbstwertempfinden, Aktivierungsniveau und Handlungsbereitschaft“ (158), der aktuelle „Aggregatszustand“ unmittelbar Auswirkung auf die Bewältigungschancen von Aufgaben und Problemen. Das Erkennen des Zusammenhangs zwischen Körper und Befindlichkeit ist ein zentraler Zugang zur Körperressourcen, zu einem achtsamen Umgang mit unserem Körper und zur Steuerung körperbezogener Vorgänge im Zusammenhang mit Emotionen und Gedanken, zum Selbsterleben und der Selbstregulation. Das Kapitel beinhaltet 18 Übungen und Arbeitsblätter, die auf die gesamte Körperebene fokussieren (Körperkarte, Körperfeedback), einzelne Körperfunktionen (riechen, sehen, hören) hervorheben und Prozesse wie Atmung oder Bewegung thematisieren. Die Zielsetzung liegt hier bei einer Verbesserung des Körperbewusstseins, die Befindlichkeitssteuerung durch Körperhaltung und Bewegung, die Wahrnehmung des Zusammenhangs von Körper und Emotion, oder die bewusste Gestaltung von Abläufen (körperlich, geistig, emotional) durch bewusste Tempogestaltung (etwa durch die Zeitlupenübung).
Das Selbst als Ressource
„Das Selbstkonzept wird beeinflusst durch Erfahrungen, Botschaften, Erziehung, Rollenzuschreibungen etc. Umso wichtiger ist es, seine Charaktereigenschaften, seine Werte und seine Möglichkeiten zu kennen. … Sich selbst gut zu kennen, ist somit elementarer für die psychische Gesundheit, denn es stärkt Selbstvertrauen, Selbstsicherheit, Selbstbewusstsein, Selbstwert und das Gefühl der Selbstwirksamkeit“ (200). Die komplexe Thematik des „Selbst als Ressource“ greift Tina Gruber in acht Übungen auf, etwa zur Frage der Selbst-/​Fremdbestimmung, eine Übung zum Ressourcenpool (zur Darstellung der Ressourcenvielfalt), oder zur Begegnung mit unerwünschten inneren Anteilen und Verbesserung der Selbstakzeptanz.
Zielgruppe
Die Veröffentlichungen der Reihe Therapie-Tools wenden sich an BerufseinsteigerInnen und erfahre PraktikerInnen in Psychotherapie und Beratung.
Diskussion
Die Reihe „Therapie-Tools“ bei BELTZ umfasst mittlerweile über 50 Publikationen. Zielsetzung und Programm der Reihe ist es, in der Praxis bewährte Methoden und Techniken für die beraterische und therapeutische Anwendung zur Verfügung zu stellen. Die einzelnen Tools, auch der vorliegende Band zur Ressourcenorientierung, zeichnet sich dadurch aus, dass die Methodik nicht als „Sammelkasten guter Ideen“ daherkommt, sondern -meist knappe- theoretische Hinführungen zu den einzelnen Bereichen der Ressourcenaktivierung enthalten sind und die einzelnen Themenbereiche differenziert gegliedert und übersichtlich strukturiert sind. Die konzeptionelle Zuordnung der einzelnen Übungen zu weitergefassten therapieplanerischen Überlegungen gelingt so schnell und dabei umfassend.
Der Band bestich durch eine klare, einfache Sprache und einen gut strukturierten Aufbau, sodass die Anwendung gut gelingt und die Materialien von KlientInnen gut verstanden werden können. Den Übungen und Erklärtexten ist die umfangreiche Erfahrung ressourcenorientierten Arbeitens der Autorin anzumerken, das Material hat so einen hohen Praxisbezug und ist eine methodische Schatzquelle. Inhaltlich bietet der Band keine Neuerungen, sondern punktet dadurch aus der Vielzahl ressourcenorientierter Praxis die bewährten und gut umsetzbaren Methoden und Techniken, stets theoriegeleitet zu versammeln, zu erklären und nutzbar zu machen. So findet sich Schulz-von-Thuns Kommunikationstheorie, oder die bewährte 4-Felder-Matrix zur Entscheidungsfindung neben dem „Kopfstand“ oder dem Kiesler-Kreis. Die Printversion beinhaltet einen Download-Code für die PDF-Version des Buches inkl. Aller Arbeitsblätter und Übungsbögen, sodass den LeserInnen kopierfähiges Arbeitsmaterial direkt zur Verfügung steht.
Fazit
Das Therapie-Tool zur Ressourcenaktivierung bietet eine theoretisch fundierte, umfangreiche Sammlung ressourcenaktivierender Methoden und Techniken. Die zentralen Ressourcenebenen, vom Denken, über den Körper, soziale Ressourcen, Zielformulierung und -konzepte und das Selbstkonzept werden in Übungen aufgegriffen und gefördert. Das Arbeitsmaterial besticht durch eine einfache grafische Gestaltung, die es ermöglicht, direkt in der Praxis umgesetzt zu werden. Alle Übungsbereiche werden durch eine kurze theoretische Hinführung erschlossen, zusammen mit den Literaturangaben im Anhang eine fachlich sehr gut gestaltete, differenzierte Sammlung von Arbeitsmaterialien – sehr zu empfehlen!
Rezension von
Dr. phil. Gernot Hahn
Diplom Sozialpädagoge (Univ.), Diplom Sozialtherapeut
Leiter der Forensischen Ambulanz der Klinik für Forensische Psychiatrie Erlangen
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