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Beatrix Niemeyer, Finn M. Sommer u.a.: Mobil mit schwerem biografischem Gepäck

Rezensiert von Dr. Olga Frik, 29.03.2023

Cover Beatrix Niemeyer, Finn M. Sommer u.a.: Mobil mit schwerem biografischem Gepäck ISBN 978-3-7639-5890-0

Beatrix Niemeyer, Finn M. Sommer, Christine Revsbech Jensen, Sebastian Zick: Mobil mit schwerem biografischem Gepäck. Auslandserfahrungen benachteiligter Jugendlicher in der Berufsvorbereitung. wbv Media GmbH & Co. KG (Bielefeld) 2020. 120 Seiten. ISBN 978-3-7639-5890-0. D: 34,90 EUR, A: 35,90 EUR.

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Thema und Aktualität

Eine Vielzahl von Fragen ergibt sich, wenn man den Übergang von der Schule in den Beruf von benachteiligten Jugendlichen betrachtet. Insbesondere sind das folgende Problemstellungen: Mit welchen Benachteiligungen haben die Jugendlichen zu kämpfen? Welche Auswirkungen haben diese Benachteiligungen auf ihre unmittelbare berufliche Zukunft? Wie kann sich die berufliche Zukunft der benachteiligten Jugendlichen gestalten?

Eine der wichtigen Fragen ist, ob benachteiligte Jugendliche in der Berufsvorbereitung eine Chance auf Auslandsaufenthalte bekommen können, denn für viele junge Menschen in Europa ist ein Auslandsaufenthalt im Bildungsverlauf zur Selbstverständlichkeit geworden.

Benachteiligte Jugendliche in der Berufsvorbereitung haben nur selten die Chance auf Auslandsaufenthalte, weil sie im Übergangssystem kaum vorgesehen sind. Das deutsch-dänische Projekt JUMP ermöglicht Jugendlichen mit „schwerem biografischem Gepäck“ diese Erfahrung. Das Projekt ermöglichte Mobilität für eine Zielgruppe, die ansonsten zu großen Teilen davon ausgeschlossen ist – schließlich ist der Zugang zu Lernmobilität sozial ungleich verteilt.

In diesem Buch kommen sozial benachteiligte Jugendliche aus Deutschland und Dänemark zu Wort, die für kurze oder längere Zeit im Nachbarland gelernt und gearbeitet haben. Sie besuchen eine der dänischen Produktionsschulen beziehungsweise einen der deutschen Bildungsträger1, die im Zeitraum von 2016 bis 2020 gemeinsam das Interreg-Projekt JUMP durchgeführt haben, in dem niedrigschwellige Angebote zur Förderung der Mobilitätsbereitschaft entwickelt und erprobt wurden. Ihre Erlebnisse und Erfahrungen bilden die Grundlage für dieses Buch.

Allgemeine Charakterisierung des Buches

Der Projektband stellt 10 Fallstudien vor, verknüpft mit wissenschaftlichen Einordnungen zur Übergangsförderung und zur Arbeit mit benachteiligten Jugendlichen.

Im Mittelpunkt der Fallstudien stehen die Berichte über Mobilitätserfahrungen, Verunsicherungen und Hoffnungen, die mit einem Auslandspraktikum zusammenhängen. Diese subjektive Perspektive jugendlicher Lebens- und Lernwelten ist in der pädagogischen Fachliteratur bisher wenig präsent. Auf der wissenschaftlichen Ebene werden pädagogische Praxisthemen wie Übergangsförderung benachteiligter Jugendlicher und europäische Förderprogramme sowie theoretische Fragen wie Differenzen zwischen normativen Setzungen und individuellen Möglichkeiten, Reproduktion sozialer Ungleichheit im Bildungssystem und Folgen europäischer Bildungspolitik angesprochen.

Autorinnen und Autoren

Prof.in Dr.in Beatrix Niemeyer (Jg. 1957) ist Professorin für Erwachsenen-bildung an der Europa-Universität Flensburg. Sie forscht zur Gestaltung Europas als Bildungsraum, zum Übergang von Schule in die berufliche Bildung und zu Konzepten der Lernmobilität.

Dr.in Christine Revsbech Jensen (Jg. 1978) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Departement for People and Technology der Universität Roskilde, Dänemark. Sie forscht zu sozialen Wirtschaftsformen, Entrepreneurship und ökonomischer Bildung von Jugendlichen und Erwachsenen.

Prof. Dr. Finn M. Sommer (Jg. 1953) ist Professor am Departement for People and Technology an der Universität Roskilde, Dänemark. Er beschäftigt sich mit Erwachsenenbildung und Arbeitsmarkt sowie lebenslangem Lernen in informellen Kontexten.

Sebastian Zick (Jg. 1987) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Europa-Universität Flensburg. Er forscht zu Imperativen und Narrativen von (Bildungs-)Mobilität und Europäisierungsprozessen in der Erwachsenenbildung.

Aufbau und Inhalte

Die vorliegende Studie greift zentrale Aspekte auf, die für eine qualifizierte Betrachtung der Auslandserfahrungen benachteiligter Jugendlicher in der Berufsvorbereitung von Bedeutung sind. Das Buch gliedert sich nach einer Einleitung in die folgenden sieben Abschnitte:

  1. „Mobilität: Hoffnung und Herausforderung“
  2. „Der Anlass: das JUMP-Projekt“;
  3. „Der Kontext: Sozial benachteiligte Jugendliche am Übergang Schule-Beruf“;
  4. „Die Interviews: Die Perspektive der Jugendlichen zur Sprache bringen“;
  5. „Vom Weggehen und Wiederkommen -die Mobilitätserfahrungen der Jugendlichen im Projekt JUMP“;
  6. „Schlussfolgerungen“;
  7. Literatur

In der Einleitung geben die Autoren und Autorinnen eine Einführung in die Thematik und einen Ausblick auf Inhalte und Aufbau ihrer Arbeit. In diesem Einleitungskapitel wird die Untersuchungsperspektive der Studie erläutert und in die Forschungslandschaft eingeordnet.

Im Kapitel 1 („Mobilität: Hoffnung und Herausforderung“) setzen sich die Autoren und Autorinnen mit den folgenden Fragen auseinander: Was bedeutet Mobilität? Und was bedeutet es, mobil zu sein? Hier gibt es einen Überblick über die Studien zur Teilnahme an Mobilitätsangeboten.

Im Kapitel 2 („Der Anlass: das JUMP-Projekt“) geht es um das Projekt selbst, seine Ziele und diverse Projektaktivitäten. Es wird erläutert, dass das Projekt von vier Bildungsträgern und zwei Universitäten durchgeführt wurde. Übergeordnetes Projektziel war die Förderung der sozialen und beruflichen Integration von jungen Menschen bis zum 25. Lebensjahr, die Schwierigkeiten beim Übergang in Ausbildung, Beruf oder Arbeitsmarkt hatten und daher an einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme der beteiligten Einrichtungen in Deutschland und Dänemark teilnahmen. JUMP wurde im Zeitraum von 2016 bis 2020 durchgeführt und durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), Interreg 5A mitfinanziert. und hinsichtlich des beratungstheoretischen Zugangs dar.

Es wird deutlich gemacht, dass das Interreg-Projekt JUMP die Zusammenarbeit zwischen Akteuren der berufsvorbereitenden Bildung (Produktionsschulen, Bildungsträger, Pädagoginnen und Pädagogen, Jugendliche), Unternehmen, Arbeitsmarktorganisationen und Universitäten in Dänemark und Deutschland fördern sollte.

Was die Projektaktivitäten anbetrifft, wurde eine gestufte Abfolge unterschiedlicher Modelle zur Förderung der Integration von Jugendlichen in den Arbeitsmarkt in der deutsch-dänischen Grenzregion Im Projektverlauf entwickelt und erprobt.

Im Kapitel 3 („Der Kontext: Sozial benachteiligte Jugendliche am Übergang Schule-Beruf“) wird auf die Übergangslandschaft in Dänemark auf die Übergangslandschaft in Deutschland eingegangen. Aufgrund des Vergleiches werden Unterschiede zwischen dem deutschen und dem dänischen Berufsbildungssystem deutlich. Die daraus resultierenden strukturellen Merkmale des jeweiligen Übergangssystems werden darum im Kapitel kurz skizziert.

Im Kapitel 4 („Die Interviews: Die Perspektive der Jugendlichen zur Sprache bringen“) werden die ausgewählten Interviews mit Jugendlichen dargestellt. Während des JUMP-Projekts haben die Autoren und Autorinnen des Projektbandes bei vielen verschiedenen Gelegenheiten mit den Schülerinnen, Schülern und Auszubildenden der am Projekt beteiligten Produktionsschulen gesprochen. Dabei haben sie über 40 Interviews aufgenommen. Manchmal gab es einen Gesprächsleitfaden, oft gab die Situation das Thema vor, bestimmt durch ihr Interesse und zuallererst durch die Bereitschaft der Jugendlichen, ihnen aus ihrem Leben zu erzählen. Die Geschichten, die hier präsentiert werden, sind eine Auswahl. Sie bilden jeweils bestimmte Aspekte ab, die den Autoren und Autorinnen des Projektbandes im Rahmen der Förderung von Mobilität bedeutsam erscheinen. Alle Interviews entstanden im Kontext von Projektaktivitäten.

Im Kapitel 5 („Vom Weggehen und Wiederkommen -die Mobilitätserfahrungen der Jugendlichen im Projekt JUMP“) wird auf die Frage eingegangen, welche Lektionen vermittelt die Lerngeschichten? Ferner stand die Frage nach der Exklusivität von Lernmobilität im Fokus:

  • Wie wird die Aufforderung Auslandserfahrungen als Biografiebaustein zu erwerben, umgesetzt?
  • Auf welche Weise kann ihr unter den je spezifischen Ausgangsbedingungen nachgegangen werden?

Es wird deutlich gemacht, dass die Geschichten von interviewten Jugendlichen Lerngeschichten im doppelten Sinn sind. Sie vermitteln einen Ausschnitt aus deren Lebenswelt und eine Vorstellung davon, wie sie ihre Lernaufenthalte im Nachbarland erfahren. Die gesammelten Geschichten vermitteln einen Einblick in Differenzen von Lebenswelten und Milieus, die Mobilitätsversprechen wie Horizonterweiterung, Grenzüberwindungen oder Bildungsgewinne in ein neues Licht rücken.

In diesem Kapitel werden zentrale Aspekte der einzelnen Lerngeschichten herausgestellt. Dabei orientieren sich die Autoren und Autorinnen am chronologischen Ablauf vom Losgehen, Woanderssein und Wiederkommen. Zuvor werden allerdings die Ausgangsbedingungen thematisiert, die die Lebenswelten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf besondere Weise kennzeichnen und damit die Lebensumstände, in die eine Auslandserfahrung als Lernmobilitätsaktivität je individuell biografisch zu integrieren ist.

Im Kapitel 6 („Schlussfolgerungen“) interpretieren Autoren und Autorinnen die Gesamtergebnisse der empirischen Befunde ihrer Studie. Sie setzen sich mit dem Begriff der gelungenen Mobilität auseinander, erörtern der Begriff Benachteiligung. Es wird auch auf die Frage eingegangen, welche Lektionen den dargestellten Lerngeschichten zu entnehmen sind.

Diskussion

Das Buch eignet sich für MitarbeiterInnen von den mit Bildungs- und Berufsberatung befassten Institutionen, sowie für Studierende und Lehrende der Studiengänge aus den Bereichen empirische Sozialforschung und Migrationsforschung.

Das Erkenntnisinteresse des vorliegenden Projektbandes bezieht sich auf Auslandserfahrungen benachteiligter Jugendlicher in der Berufsvorbereitung.

Der Band thematisiert das Spannungsverhältnis zwischen breiter Mobilitätsförderung sowie dem damit verbundenen Bildungsversprechen und den individuellen Anforderungen an die Jugendlichen, die in prekären sozialen Kontexten aufwachsen. In der Publikation werden empirisches Material und theoretische Einsichten präsentiert, die die pädagogische Reflexion über eine paradoxe Situation ermöglichen-

Die Kombination aus Fallstudien und rahmender Theorie liefert einen wertvollen Beitrag für die systematische Reflexion von Bildungsungleichheit und Anregungen für die Förderung von Bildungsmobilität.

Fazit

Ein gelungenes und sehr zu empfehlendes Buch, in dem sozial benachteiligte Jugendliche aus Deutschland und Dänemark, die für kurze oder längere Zeit im Nachbarland gelernt und gearbeitet haben, zu Wort kommen. Die gesammelten Erkenntnisse machen das Buch zu einer aufschlussreichen und lohnenswerten Lektüre.

Rezension von
Dr. Olga Frik
Finanzuniversität, Omsk, Russische Föderation. Ehemalige Lehrbeauftragte und Gastwissenschaftlerin an der Leibniz-Universität Hannover
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Es gibt 43 Rezensionen von Olga Frik.

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Zitiervorschlag
Olga Frik. Rezension vom 29.03.2023 zu: Beatrix Niemeyer, Finn M. Sommer, Christine Revsbech Jensen, Sebastian Zick: Mobil mit schwerem biografischem Gepäck. Auslandserfahrungen benachteiligter Jugendlicher in der Berufsvorbereitung. wbv Media GmbH & Co. KG (Bielefeld) 2020. ISBN 978-3-7639-5890-0. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/27419.php, Datum des Zugriffs 09.06.2023.


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