Harald Dörig: Handbuch Migrations- und Integrationsrecht
Rezensiert von Dr. iur. Marcus Kreutz, 10.01.2022

Harald Dörig: Handbuch Migrations- und Integrationsrecht. Verlag C.H. Beck (München) 2020. 2. Auflage. 1017 Seiten. ISBN 978-3-406-74752-6. 169,00 EUR.
Migration als Megatrend
Der Klimawandel, die Digitalisierung, der demographische Wandel – all diese Veränderungen, von denen wir alle bereits seit Jahren hören und deren massive Auswirkungen wir und noch viel mehr die nachfolgenden Generationen erleben werden, sind uns alle nur zu bekannt. Kein Tag vergeht, an dem wir nicht immer neue und meist sehr beunruhigende Nachrichten zu diesen Themen vorgesetzt bekommen. Die Corona-Pandemie, die mit dem Grassieren der Omikron-Variante in eine neue Phase eingetreten ist, hat diese Megatrends nur scheinbar in den Hintergrund rücken lassen. Doch der demographische Wandel, von dem vor allem die überalterten Industriegesellschaften vehement betroffen sein wird, weist in einem gewissen Sinne bereits auf die Migration als weiteres Megathema hin. Denn so, wie die Migration des Menschen in die Lebensräume wilder Tiere zu der Gefahr des Artensprungs gefährlicher Viren ganz entscheiden beiträgt, so droht die mangelnde Bereitschaft von Gesellschaften zur Aufnahme migrierender Menschen dazu, dass alternde Gesellschaften wegen der Abnahme der produktiven Alterskohorten weniger innovativ sind mit der Folge, dass solche Gesellschaften weniger Wohlstand generieren und auf Dauer ärmer werden. Daher ist es Gebot der Stunde, sich als Jurist mit dem Migrations- und Integrationsrecht zu beschäftigen. Aus diesen Grund soll das angezeigte Werk, welches nach nur zwei Jahren eine Neuauflage erfahren hat, vorgestellt werden.
Herausgebende und Autoren
Das Buch ist ein Kompendium, welches den – gelungenen – Versuch unternimmt, das Rechtsgebiet umfassend in all seinen Facetten zu erfassen und darzustellen.
Der Herausgeber des Handbuchs Migrations- und Integrationsrecht ist Professor Dr. Harald Dörig, seines Zeichens Richter am Bundesverwaltungsgericht und Honorarprofessor an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Bei den weiteren Autoren handelt es sich um die folgenden Personen:
Dr. Uwe-Dietmar Berlit, Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht, Leipzig und Honorarprofessor an der Universität Leipzig,
Ulrich Drews, Richter am Thüringer Oberlandesgericht, Jena,
Dr. Martin Fleuß, Richter am Bundesverwaltungsgericht, Leipzig, und Lehrbeauftragter an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Klaus Faßbender, Stab der Bundesbeauftragten für den Datenschutz, Bonn,
Dr. Rolf Gutmann, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Migrationsrecht und Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Stuttgart, und Honorarprofessor und Ehrendoktor der Yeditepe-Universität Istanbul,
Dr. Stephan Hocks, Rechtsanwalt, Frankfurt am Main, und Lehrbeauftragter an der „Refugee Law Clinic“ an der Justus-Liebig-Universität Gießen,
Dr. Michael Hoppe, Vizepräsident des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg, Mannheim,
Dr. Constantin Hruschka, Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik, München,
Katrin Lehmann, Vorsitzende Richterin am Hessischen Verwaltungsgerichtshof, Kassel,
Dr. Michael Maier-Borst, Stab der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Berlin,
Dr. Reinhard Marx, Rechtsanwalt, Frankfurt am Main,
Gabriele Mastmann, Rechtanwältin, Frankfurt am Main,
Dr. Jessica Niehaus, Richterin am Verwaltungsgericht Frankfurt am Main,
Killian O’Brien, DAAD Fachlektor, Trinity College Dublin, Irland; ehem. European Asylum Support Office, Malta (bis 2017),
Bettina Offer, LL.M., Rechtsanwältin, Frankfurt am Main,
Kai-Christian Samel, Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Berlin,
Dr. Jan Markus Schulte, Rechtsanwalt, Kiel,
Dr. Ariane Wiedmann, MJur (Oxon), Richterin am Verwaltungsgericht München.
Aufbau
Das Buch ist in insgesamt elf Kapitel gegliedert, die wiederum insgesamt 30 Unterkapitel beinhalten. Bei den acht Kapiteln handelt es sich um die Folgenden:
- Kapitel: Staatsangehörigkeitsrecht
- Kapitel: Aufenthaltsrecht
- Kapitel: Aufenthaltsbeendigung
- Kapitel: Vollstreckung der Ausreisepflicht
- Kapitel: Freizügigkeit in der Europäischen Union
- Kapitel: Arbeitsmigration
- Kapitel: Asyl- und Asylverfahrensrecht
- Kapitel: Spätaussiedler
- Kapitel: Integrationsrecht
- Kapitel: Migrationsrechtliche Bezüge des Strafrechts
- Kapitel: Datenschutzrecht
Ein ausführliches Sachverzeichnis schließt das Werk ab.
Der Adressatenkreis des Werkes ist denkbar weit. Er umfasst Rechtsanwälte, Richter, Mitarbeiter von Behörden und Organisationen sowie Hochschulangehörige.
Diskussion
Wegen des Umfangs des Handbuchs können hier lediglich schlaglichtartig einige Passagen des Werkes einer Bewertung unterzogen werden.
Mastmann/Offer widmen sich in Kapitel 5 (§ 5 Rn. 175) u.a. der selbstständigen Tätigkeit von nach Deutschland migrierenden Freiberuflern. Bei ihren Ausführungen stellen sie die wesentlichen Inhalte des § 21 Abs. 5 AufenthG vor, der eine Privilegierung von Freiberuflern bei der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vorsieht. Freiberufler ist danach derjenige, der insbesondere einen der in § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG genannten Katalogberufe ausübt. Allerdings wäre es schön gewesen, wenn die beiden Autoren auf die nach der privilegierten Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung folgenden Schwierigkeiten bei den genannten Freiberuflern zusätzlich eingegangen wären. So müssen z.B. Rechtsanwälte aus dem EU-Ausland, die zu den typischen Freiberuflern zählen, die weiteren Voraussetzungen des Gesetzes über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland (EuRAG) erfüllen. Da überdies bereits seit einiger Zeit im Berufsrecht der Rechtsanwälte auch die Rechtsformen der GmbH und der AG begegnen, hätte es nahegelegen, die Frage der Innehabung einer Organstellung bei einer solchen Rechtsform durch einen ausländischen Rechtsanwalt auch in § 15 zu behandeln, zumal Mastmann/Offer auch diesen Teil des Werkes zu verantworten haben. Doch leider behandeln sie diese spannende Thematik an der entsprechenden Stelle nicht (§ 15 Rn. 43 und 44 ff.).
Hoppe beschäftigt sich in § 7 Rn. 75 ff. ausführlich mit dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 1 AufenthG. Besonders lesenswerte sind seine Ausführungen zu der Norm des § 54 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG, der ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse dann statuiert, wenn der Betroffene einen Aufruf zum Hass gegen Teile der Bevölkerung unternimmt. Voraussetzung dafür ist eine erforderliche Einflussnahme auf einen oder mehrere planvoll mit dem Ziel einer Veränderung der Persönlichkeit des anderen. Spannend ist die Frage, ab wann von einer solchen planvollen Einwirkung auf die Persönlichkeit eines anderen Menschen auszugehen ist. Indoktrination dürfte zwar ohne weiteres darunter zu subsumieren sein. Doch wie soll dabei auf die Kausalität geschlossen werden? Denkbar ist ja auch, dass mehrere Personen auf eine andere Person einwirken, deren einzelne Einwirkungshandlungen jedoch separiert betrachtet nicht zum Hervorrufen von Hass ausreicht, ihr unabhängig voneinander wirkendes Zusammenwirken jedoch diesen Hass hervorruft. Diese Frage wird von Hoppe in seinen Ausführungen nicht beantwortet.
Fazit
Das hervorragende Handbuch, welches aus der Feder ausgewiesener Experten aus der Rechtsprechung, der Anwaltschaft und der Verwaltung stammt und somit bereits dadurch ein umfassendes Bild der Materie gewährleistet, ist dogmatisch fundiert und bietet gleichzeitig eine praxisnahe Darstellung nahezu aller in der täglichen Arbeit auftretenden Fragestellungen. Besonders zu empfehlen ist das Werk daher für den Fachanwalt für Migrationsrecht. Aber auch Strafverteidiger, Richter, Mitarbeiter von Behörden und Organisationen sowie Hochschulangehörige werden zweifelsfreie hohen Nutzen aus der Anschaffung des Buches ziehen. Es ist jedem im Bereich des Migrations- und Integrationsrecht Tätigen zum Kauf uneingeschränkt zu empfehlen. Wegen der Dynamik, die die neue Bundesregierung auch auf diesem Rechtsgebiet in der neuen Legislaturperiode entfalten wird, ist sicher davon auszugehen, dass das Buch schon bald eine dritte Auflage erleben wird.
Rezension von
Dr. iur. Marcus Kreutz
LL.M., Rechtsanwalt. Justiziar des Bundesverbandes Arbeiter-Samariter-Bund Deutschland e.V. in Köln
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