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Christoph Butterwegge: Ungleichheit in der Klassengesellschaft

Rezensiert von Prof. Dr. Frank Überall, 25.11.2020

Cover Christoph Butterwegge: Ungleichheit in der Klassengesellschaft ISBN 978-3-89438-744-0

Christoph Butterwegge: Ungleichheit in der Klassengesellschaft. PapyRossa Verlag (Köln) 2020. 183 Seiten. ISBN 978-3-89438-744-0. D: 9,90 EUR, A: 10,20 EUR.
Reihe: Neue Kleine Bibliothek - 294.

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Thema

Den Aspekten ökonomischer und daraus folgend sozialer wie gesellschaftlicher Ungleichheit spürt der Autor unter verschiedenen Aspekten nach. Neben faktenreichen Erklärungen und Illustrationen gibt er dazu meinungsstarke Einschätzungen ab. Insbesondere richtet er einen Blick auf die Entwicklung von Ungleichheit als Folge der Covid-19-Pandemie.

Autor

Prof. Dr. Christoph Butterwegge lehrte von 1998 bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln und kandidierte 2017 auf Vorschlag von „Die Linke“ für das Amt des Bundespräsidenten. Er gehört dem Gutachtergremium der Bundesregierung für den Sechsten Armuts- und Reichtumsbericht an.

Aufbau

Einer fundierten theoretischen Herleitung folgt eine umfangreiche Darstellung von Ungleichheit in der deutschen Gesellschaft unter verschiedenen Blickwinkeln:

  1. Einleitung
  2. Begriffliche, theoretische und methodische Grundlagen
  3. Ungleichheit als Strukturelement der Klassengesellschaft
  4. Klassengesellschaft im Wandel: Finanzmarktkapitalismus und Sozialstrukturentwicklung
  5. Haupterscheinungsformen der Ungleichheit

Inhalt

Christoph Butterwegge kritisiert die soziale Ungleichheit in Deutschland, die nach seiner Definition „systemisch begründet“ ist. Die dauerhaft problematische Verteilung materieller Ressourcen gehe mit einem Verlust an gesellschaftlichem Status und Repräsentation für die betroffenen Gruppen einher. Mit John Galtung argumentiert Butterwegge, dass die bestehenden Herrschaftsverhältnisse im Kapitalismus als „strukturelle Gewalt“ gesehen werden müssten. Wer von der Ungleichheit profitiere, genieße „in der Regel hohes Ansehen“, während darunter Leidende gesellschaftlich ausgegrenzt würden. Der Autor kritisiert, dass in den „Mainstream-Medien“ zu wenig Systemkritik im Hinblick auf die materielle Ungleichheit geübt werde.

(Große) Vermögen würden inzwischen nicht mehr auf Gütermärkten erworben, sondern durch Gewinne bei Finanz-Transaktionen. Selbst wenn während der Covid-19-Pandemie LKW-Fahrer, Reinigungskräfte, Supermarkt-Kassiererinnen oder Rettungssanitäter als „systemrelevant“ gesehen worden seien, habe das nichts Wesentliches daran geändert, dass Finanzgewinne eher als „Leistung“ anerkannt würden. Armut wirke als eine „Drohkulisse, ein Druckmittel und ein Disziplinierungsinstrument“. Dadurch werde ein „hohes Maß an sozialen Verwerfungen“ erzeugt, außerdem würden reale Investitionen beschränkt.

Ein besonderes Augenmerk richtet Butterwegge auf den „Hyperreichtum“, der seiner Ansicht nach „den sozialen Frieden untergräbt, die parlamentarische Demokratie gefährdet und den gesellschaftlichen Fortschritt blockiert“. Ihm gehe es um eine „grundlegende Veränderung des kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems“. Auch werde durch die „für den Kapitalismus konstitutive Ungleichheit“ eine ökologische Katastrophe geradezu heraufbeschwört. Deshalb müsse „dieses Wirtschafts- und Gesellschaftssystem baldmöglichst überwunden werden“.

Mit Bezug auf die Klassentheorien von Karl Marx und Friedrich Engels erläutert Butterwegge detailreich seine Kritik am Kapitalismus. Er kritisiert, dass es vor der globalen Banken- und Finanzkrise 2007/8 ein „totales Ideologieverdikt“ gegeben habe, „das linkes Denken getroffen hatte“. Der „rheinische Kapitalismus“ mit seinen sozialen Aspekten habe sich, so Butterwegge, längst zu einem „schweinischen Kapitalismus“ gewandelt.

Der Autor kritisiert eine politisch bewusste Stärkung der Finanzmärkte, wodurch sich Reichtum potenziert habe, „während die Armut aufgrund der vorprogrammierten Wirtschaftskrisen in die Mitte der Gesellschaft hinein expandierte“. Beschäftigte im Niedriglohn-Sektor seien mit einem „modernen Subproletariat“ vergleichbar. Schutz vor elementaren Lebensrisiken werde durch eine „Prekarisierung von Arbeitsbedingungen“ für Millionen Menschen kaum noch geboten. Das bisherige Normal-Arbeitsverhältnis befinde sich in Deutschland auf dem Rückzug, Studien zufolge sei die Mittelschicht zerbröckelt und Durchschnittsverdiener rutschten „nach unten“ ab.

Die neoliberale Ökonomisierung von Gesundheits- und Pflegesystem führe dazu, so Butterwegge, dass vor allem Ältere zunehmend armutsgefährdet seien. Die Covid-19-Pandemie habe zu einer Zunahme der öffentlichen Armut geführt, „während der private Reichtum weniger Hochvermögender gestiegen ist“. Von Hilfsprogrammen hätten vor allem Wirtschaft, Unternehmen und Besserverdienende profitiert. In Dänemark und Frankreich sei es öffentlich unterstützten Firmen dagegen zur Auflage gemacht worden, keine Gewinne auszuschütten.

Bildung werde, so Butterwegge, unterdessen „hinsichtlich ihrer Fähigkeiten, Ungleichheit zu begrenzen, maßlos überschätzt“. Viele hoch Qualifizierte seien „Einkommensarme“. Diese wiederum würden aus den Großstädten verdrängt, während der öffentliche Stadtraum zunehmend privatisiert und „dem freien Zugang durch die Bevölkerungsmehrheit entzogen“ werde.

Diskussion

Obwohl das von Christoph Butterwegge vorgelegte Werk ein Debattenbuch mit klarer politischer Stoßrichtung ist, weist es zahlreiche gut begründete Denkansätze und Fakten auf. Man muss nicht alle Schlussfolgerungen des Autors teilen – es geht vor allem darum, auf das objektiv vorhandene Problem sozialer (bzw. sozioökonomischer) Ungleichheit hinzuweisen und nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Ob eine Überwindung des Kapitalismus dafür alternativlos ist, wie Butterwegge suggeriert, dürfte je nach Standpunkt der Lesenden durchaus unterschiedlich wahrgenommen werden. Die geschilderten Entwicklungen und damit verbundenen gesellschaftlichen Herausforderungen lassen sich jedoch nicht leugnen. In diesem Sinne ist das Buch eine anregende Lektüre.

Fazit

Christoph Butterwegge zeigt, wie zunehmende ökonomische, gesellschaftliche und politische Ungleichheit zu einer immer größeren Gefahr für die Gesellschaft wird. Gestützt auf viele Fakten und Denkansätze zeigt Butterwegge Probleme auf und deutet Lösungsmöglichkeiten an. Sein Debattenbuch überzeugt durch stringente Schilderungen und sachkundige Einordnungen.

Rezension von
Prof. Dr. Frank Überall
Medien- und Politikwissenschaftler an der HMKW Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft; www.politikinstitut.de
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Es gibt 24 Rezensionen von Frank Überall.

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ISSN 2190-9245