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Noa Vera Zanolli: Vom guten Umgang mit Differenzen

Rezensiert von Dipl. Päd. Martin Zauner, 12.01.2021

Cover Noa Vera Zanolli: Vom guten Umgang mit Differenzen ISBN 978-3-96117-062-3

Noa Vera Zanolli: Vom guten Umgang mit Differenzen. Mediatives Denken. Wolfgang Metzner Verlag GmbH (Frankfurt am Main) 2020. 96 Seiten. ISBN 978-3-96117-062-3. D: 14,80 EUR, A: 15,30 EUR.

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Thema

Die Autorin Noa Zanolli nennt es das mediative Denken. Mit diesem gelingt es, so ihre Überzeugung, Gordische Knoten zwischen scheinbar unüberbrückbaren Ansichten zu entwirren, und nicht, wie Alexander einst, brachial zu durchschlagen. In dem hier zu rezensierenden Buch geht es ganz zweifelsfrei um ein urmenschliches Thema, für das es in der Geschichte ungezählte Beispiele gab, gibt und sicher geben wird: Konflikte!

Ganz aktuell, während diese Rezension entsteht, verhandeln Partner – nennen wir sie ruhig so – über eine gute Lösung für den sogenannten Brexit. Und offensichtlich leitet sie, weil sie wissen, was im Worst Case auf dem Spiel stehen könnte, bei ihren Verhandlungen ein Geist dieses mediativen Denkens.

Vor wenigen Tagen wurde nun bekannt, dass ein für beide Parteien zufriedenstellendes Ergebnis gefunden ist, gerade noch rechtzeitig. Es scheint also zu klappen, nicht final auf den Tisch zu hauen, sondern Fragen zu stellen, Standpunkte zu erhellen, Perspektiven zu wechseln, verstehen zu wollen, auch wenn es sicher nicht immer leicht ist.

Autorin

Dr. Noa Zanolli kann wohl als eine Grande Dame der Mediation bezeichnet werden. Sie ist Lehrerin, Ethnologin und Mediatorin. Neben verschiedenen Tätigkeiten in Afrika, Asien und natürlich der Schweiz, wo sie lebt, arbeitete sie mehrere Jahre auch in den USA als Mediatorin in einem kommunalen Mediationszentrum in Ames und als Bildungsdirektorin am Iowa Peace Institute in Grinnell. Derzeit ist sie unter anderem Mitglied in der Redaktion der Zeitschrift „perspektive mediation“ (Quelle: verschiedene Seiten des Internets).

Entstehungshintergrund

Für Noa Zanolli ist es ein großes Anliegen, das Mediative Denken zu verbreiten. Dieses sollte, so betont sie, nicht Expertenwissen bleiben, sondern Allgemeinwissen möglichst vieler Menschen werden. Ihr Buch, besser vielleicht: ihr Büchlein, stellt sich zweifelsfrei genau in den Dienst dieser Intention, Vision, Mission.

Aufbau

Das Büchlein stellt in vier Kapiteln 1.) die Grundlagen des Mediativen Denkens vor, erörtert 2.) dessen Bedeutung als wertorientierte Lebenshaltung, beschreibt 3.) dass und wie es grundsätzlich von allen Menschen erlernt und angewendet werden könnte und erzählt 4.) von Situationen, in denen es zur Anwendung gekommen ist beziehungsweise kommen kann.

Inhalt

Die im Folgenden inhaltlich etwas konkreter beschriebenen Kapitel sind jeweils binnengegliedert, was durch die Absätze entsprechend nachgezeichnet wird.

Kapitel 1: Ein „neues“ Denken

Noa Zanolli verweist zunächst auf die Bedeutung einer grundliegenden, neugierigen Offenheit für dieses mediative Denken. Diese sieht sie als Voraussetzung dafür, dass es gelingen kann, Brücken zwischen unüberbrückbaren Standpunkten und Vorstellungen zu bauen. Mediatives Denken (ver)sucht solche Verbindungen. Für die Autorin ist es dabei, so betont sie, universell funktional, das heißt kulturunabhängig und in individuellen, persönlichen Spannungsfeldern ebenso anwendbar, wie in hochkomplexen auf makrosystemischer beziehungsweise sogar globaler Ebene.

In der Folge definiert Noa Zanolli Grundlagen des menschlichen Verstehens, der Neugierde, der Kreativität und der geistigen Beweglichkeit, ohne die mediatives Denken nicht vorstellbar wäre. Zentraler Bezugspunkt sind für sie hier die Erkenntnisse aus der Neurobiologie, die sie spotartig andeutet, aber nicht weiter konkretisiert. Als besonders relevant hebt sie die Fähigkeit des Gehirns heraus, mehrere auch gegensätzliche Ideen gleichzeitig verfolgen, abwägen und bewerten zu können.

Diese Fähigkeit ermöglicht es nun mediativ denkenden Menschen, dass sie sich bewusst und mit Interesse für die Sichtweisen der Anderen öffnen – wie schon gesagt, als Prämisse dafür, dass eingefahrene Bahnen zu Gunsten neuer und integrierenderer Wege verlassen und Brücken gebaut werden können.

An dieser Stelle macht sich die Autorin nun auf die Suche nach Theorien, Modellen, Konzepten und Haltungen, die als verwandte Denkansätze das Prinzip des mediativen Denkens aus unterschiedlichen Perspektiven heraus erschließen lassen. Ohne das jeweils nennenswert zu vertiefen, stellt sie schlüssige Bezüge her zur Dialektik von Hegel, zum dialogischen Prinzip von Buber, zu Frankls Logotherapie und/bzw. Existenzanalyse und zur holistischen Weltsicht von Bateson. Weitere humanistische Orientierungen findet sie in der wertschätzenden Kommunikationshaltung von Rogers und dem Prinzip der dynamischen Balance in Cohns Themenzentrierter Interaktion. Und natürlich werden auch die Modelle von Friedemann Schulz v. Thun, De Bonos Denkhüte und anderes mehr völlig zu Recht erwähnt. Das hier Ausgeführte zeigt sehr schön und konstituierend die Vielschichtigkeit und Komplexität des mediativen Denkens.

Kapitelabschließend wird noch die Bedeutung blockierter beziehungsweise sich gegenseitig blockierender Bedürfnisse für die Dynamik in Konflikten erklärt.

Kapitel 2 Eine wertorientierte Lebenshaltung

Für Noa Zanolli ist das mediative Denken eine Lebenshaltung, die sich unweigerlich im Handeln widerspiegelt. Mediativ Handelnde interagieren mit Toleranz, Verständnis und Wertschätzung und sie bewirken dadurch Reaktionen bei ihren Interaktionspartnern.

Mediatives Denken vermeidet Verhärtungen von Positionen, sondern sucht anstelle nach Gemeinsamkeiten in Erwartungen, Haltungen und Wirklichkeiten. Die Autorin unternimmt in diesem Punkt auch einen kleinen Exkurs zu Glasls Eskalationsmodell, mehr als das ist es aber nicht.

Dass Menschen selbe Situationen sehr unterschiedlich wahrnehmen und bewerten können, ist bekannt. Vor dieser Tatsache verhalten sich mediativ Denkende allparteilich und versuchen, verschiedene Sichtweisen und Wahrheiten gleichzeitig und gleichwertig einzubeziehen. Das ersetzt Konfrontation durch Kooperation. Mediativ denkende Menschen sind davon überzeugt, dass Gegensätze grundsätzlich integrierbar sind.

Gibt es Grenzen, die den Einsatz des mediativen Denkens verbieten, etwa aus moralischen Gründen? Soll man beispielsweise mit Terroristen entsprechend verhandeln und deren Verhalten zu verstehen suchen? Die Autorin stellt sich diese Frage, überlässt die Beantwortung aber bewusst der Leserin und dem Leser, wem auch sonst.

Abschließend benennt das Kapitel noch sechs Fähigkeiten beziehungsweise Werkzeuge, die mediatives Denken, die das Brückenbauen ermöglichen: Ambivalenzfähigkeit, Ausgleichsfähigkeit, Empathiefähigkeit, Kreativität und Vorausschau, die Fähigkeit zum Perspektivwechsel und zu systemischem Denken und die Selbstreflexionsfähigkeit.

Kapitel 3 Mediatives Denken ist lernbar

Noa Zanolli stellt kategorisch fest, dass ungeachtet gegebenenfalls unterschiedlicher Zugänge das mediative Denken von allen erlernt werden kann.

Zentrales Instrument ist das Fragen. Es dient der Ergründung gemeinsamer Interessen bei als unüberbrückbar empfundenen Differenzen. Die Autorin vergleicht den Prozess des Fragens mit einer medizinischen Anamnese. Ziel ist die Entschlüsselung der Konfliktgeschichte, der Konfliktdynamik und der jeweiligen Konflikthaltungen. Fragen können dabei per se schon Veränderungen bewirken, etwa in den Perspektiven.

Der jetzt anschließende Punkt kann bei aller Kürze als konkretes Kernstück des Büchleins definiert werden, das „How to do“. Die Autorin erklärt Eckpunkte inklusive Leitfragen eines sechsphasigen, strukturierenden und rationalisierenden Vorgehens, das grundsätzlich (auch) ohne Unterstützung Dritter durchführbar ist. 

Wie schafft man das, wenn das Gegenüber, also die Konfliktgegnerin oder der Konfliktgegner, nicht mitmachen will? Eine gute Frage, auf die aber keine Antwort geliefert wird – wie auch? Mediatives Denken und Handeln bedarf einer prinzipiellen Offenheit gegenüber Veränderungen.

Kapitel 4 Anwendungsbereiche und Wirkung

In diesem Kapitel erzählt Noa Zanolli beispielshaft von Anwendungen des mediativen Denkens in konkreten Konflikten. Dabei führt sie ihre Leserinnen und Leser sukzessive in immer komplexere Systeme, wobei die grundliegende Strategie aber jeweils analog ist: durch interessiertes und wertschätzendes Fragen widerstreitende Bedürfnisse zu klären und möglichst auszugleichen beziehungsweise zu verbinden.

Die Autorin beginnt mit persönlichen, intraindividuellen Herausforderungen, Zwickmühlen, Dilemmata, die nicht alltäglich und daher von einer gewissen existentiellen Reichweite sind, und bei denen jede Entscheidung gleichzeitig irgendwie richtig und falsch sein könnte.

Im Anschluss erweitert sie die Interaktionskreise auf Familien, Nachbarschaften, Unternehmen und andere Gemeinschaften. Sie berichtet von Beispielen gelungenerTransformationen sehr menschlicher, aber lösungsverhindernder Emotionen in kooperative Haltungen.

Dann wird es erneut größer: Das mediative Denken und Handeln wird zum demokratischen Prinzip im öffentlichen und gesellschaftlichen Raum. Hier dient es dem Ausgleich zwischen individueller Autonomie und dem umgebenden Kontext (Staat/​Gemeinschaft). Eine gelungene Balance sollte, so die Autorin, auch auf dieser Ebene nicht das Produkt von Mehrheiten, größerer Eloquenz oder Macht sein, sondern idealerweise auf Konsens beruhen. Auch hier verdeutlicht Noa Zanolli ihre Gedanken mit Beispielen.

Konsequent folgen anschließend globale Spannungsfelder, von denen einige exemplarisch benannt werden. Ganz explizit sieht die Autorin auch für diese das Potenzial mediativen Denkens und Handelns, und sie weist gleichzeitig auf katastrophale Konsequenzen hin, wenn die Gesprächsbereitschaft endet und Egoismen obsiegen.

Noa Zanolli beschließt ihr Büchlein mit einem eher optimistischen Blick in eine Zukunft, in der mediatives Denken mit all den positiven Konsequenzen gewöhnlich sein wird: sie wähnt die Menschheit auf einem grundsätzlich guten Weg, der allerdings noch Strecke aufweist.

Diskussion

Tja … äh … hm … was ist von diesem Büchlein zu halten? Mit welchen Erwartungen sollte es gelesen werden? Was bringt die Lektüre wem? Ganz ehrlich: der Rezensent weiß es nicht wirklich. Der Nutzen liegt im Auge des Betrachters beziehungsweise der Betrachterin. Eines kann aber schon behauptet werden: es wird Vieles benannt und angesprochen, aber wenig vertieft.

Was hält vor diesem Hintergrund der Rezensent selbst von diesem Büchlein? Ganz einfach: Richtig viel! Er hat es gleich zweimal gelesen. Er selbst hat dabei wenig Neues erfahren. Aber es hat ihm wirklich gut gefallen.

Wieso? Es ist zwar nicht zentral, aber es fängt schon mit dem Büchlein selbst an. Und ja: es ist definitiv ein Büchlein: kleiner als A5 und „nur“ 78 Seiten Text. Haptisch eine Freude: Hardcover! Mit wundervollen, minimalistischen Illustrationen von Esther Fischer-Homberger. Jedes Kapitel beginnt mit Sinnsprüchen mehr oder weniger großer Persönlichkeiten. Das ist gleichermaßen ästhetisch wie liebevoll.

Ist das ein Sachbuch, gar ein wissenschaftliches Werk? Irgendwie zwar schon, aber doch eher nicht. Was ist es also dann vielleicht? Dr. Noa Zanolli möge es im Zweifel verzeihen, wenn der Rezensent hier sein Bild erzählt, das bei ihm einfach so und plötzlich bei der Lektüre entstanden ist. Er sieht die Verfasserin – sie ist Jahrgang 1941 - als weise Frau oder auch als Großmutter in einem Lehnstuhl sitzen und über ihre Sicht einer mediativen Welt sinnieren und erzählen. Sie hat dabei natürlich und ganz offensichtlich einen Plan, eine Strategie, einen roten Faden. Die Gedanken selbst aber scheinen ihr im Augenblick zu kommen, wie zufällig, weil ein Stichwort das nächste ergibt. Das stimmt natürlich nicht, wirkt aber so und ist genau deshalb schön. Sie erzählt für Sachkundigere nicht viel Neues, aber sie erzählt es voller Überzeugung, persönlich und menschlich, sodass man ihr gerne zuhört, auch als Sachkundiger. Die ganze Geschichte gerät zu einem glühenden, nicht aber lauten Plädoyer für das mediative Denken, wie Noa Zanolli es nennt.

Diese weise Frau in ihrem Lehnstuhl ist ganz deutlich und zweifelsfrei eine Expertin! Und sie hat sich kein geringeres Ziel gesteckt, als das mediative Denken möglichst vielen Menschen, also eben nicht im Speziellen den Expertinnen und Experten, bekannt und vertraut zu machen und ihm so zu einer umfassenden Akzeptanz zu verhelfen.

Soweit also zu den Vorstellungen und Eindrücken des Rezensenten, die ihm bei der Lektüre dieses sehr philosophischen und philanthropen Büchleins gekommen sind.

Fazit

„Vom guten Umgang mit Differenzen“ von Noa Zanolli ist definitiv lesenswert. Es erklärt auf überschaubarem Platz und gut nachvollziehbar, was für die Autorin mediatives Denken bedeutet und was es bewirkten kann, bedingt auch, wie es umgesetzt und erlernt werden könnte. Das Büchlein wirkt dabei umfänglich ansprechend und wirklich „liebevoll“, im positiven Sinne des Wortes, … vielleicht ein kleines Geschenk für sich selbst oder andere, zur Lektüre nicht nur, aber auch einmal zwischendurch, auf dass sich das „mediative Denken“ weit verbreite …

Rezension von
Dipl. Päd. Martin Zauner
Dipl.Päd.(univ), Dipl.Sozialpäd.(FH), Mediator (BM), AkadOR an der Fakultät Sozial- und Gesundheitswissenschaften an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg (Lehrgebiete: Gruppenarbeit, Teamführung /-entwicklung, Mediation, Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit, Schulsozialarbeit)
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ISSN 2190-9245