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Werner Schönig: Sozialraum­orientierung

Rezensiert von Prof. Dr. rer.soc. Ulrich Deinet, 14.01.2021

Cover Werner Schönig: Sozialraum­orientierung ISBN 978-3-7344-0910-3

Werner Schönig: Sozialraumorientierung. Grundlagen und Handlungsansätze. Wochenschau Verlag (Frankfurt am Main) 2020. 3., vollständig überarbeitete Auflage. 294 Seiten. ISBN 978-3-7344-0910-3. D: 29,90 EUR, A: 30,80 EUR.
Reihe: Politik und Bildung - Band 87.

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Thema, Hintergründe, Autor

Anders als zurzeit der ersten Auflage dieses Buches im Jahre 2008 wird auch nach Einschätzung des Autors die Sozialraumorientierung in der Diskussionslandschaft heute nicht mehr so kontrovers behandelt; aus seiner Sicht erscheint sie heute als anerkanntes Konzept der Sozialen Arbeit. Werner Schönig versteht die vollständig überarbeitete Neuauflage seines Werkes als „zusammenfassendes Lehrbuch“ (S. 10) mit dem Anspruch, „den Stand der Diskussion aus einem Guss darzustellen“ (ebd.). Der Autor ist Professor an der Katholischen Fachhochschule Nordrhein-Westfalen, Abteilung Köln mit den Schwerpunkten Soziale Dienste, Armut und Sozialraum sowie Sozialökonomie

Aufbau und Inhalt

Das Buch ist nach der Einleitung in drei große Kapitel unterteilt; am Ende jeden Kapitels werden Wiederholungsfragen zu dem bearbeiteten Thema gestellt und Literaturempfehlungen gegeben.

Nach einer kurzen Einleitung geht es im zweiten Kapitel um das Thema „Sozialraumorientierung als Konzept Sozialer Arbeit“. Mit dieser Überschrift verstärkt der Autor im Vergleich zur ersten Ausgabe die Bedeutung der Sozialraumorientierung als eigenständigem Konzept der Sozialen Arbeit, das auf einem „zweistufigen Raumbegriff“ (S. 15) aufbaut. Raumbegriffe der Sozialverwaltung im administrativen Sinn und die Perspektive auf den Raum aus der „Perspektive der jeweiligen Zielgruppe“ und deren „Handlungen und Sinnzuschreibungen“ (ebd.) sind für Schönig keine Gegensätze sondern zwei Seiten einer Medaille. Seine Pointierung einer „Sozialraumorientierung als Bewohnerorientierung“ (S. 18) zeigt den starken sozialarbeiterischen und gemeinwesenorientierten Blick des Autors.

Das dritte Kapitel „Raumanalyse“ bildet die Grundlage für Schönigs Sozialraumorientierung, um „mehr über die den Raum prägende Gesellschaft zu erfahren und auf den 'Grund der sozialen Wirklichkeit' zu blicken“ (S. 25). Hier werden die Grundlagen der modernen Raumforschung entwickelt zunächst über Raumstrukturen, d.h. Städtetypen und Typologien in einer erstaunlichen Breite und Tiefe der präsentierten Forschungen. Stadtstrukturen werden beispielhaft diskutiert und dabei die Frage beantwortet, was eine Stadt überhaupt ist. Wie in einer Ausstellung geht der Leser durch das Archiv des Autors, das riesig erscheint von der orientalischen Stadt zu Leitbildern des Städtebaus (S. 47) mit Modellstädten usw. Tiefer dringt der Leser noch ein in die Untersuchungen der Sozialökologie zum Thema Segregation und den berühmten Chicagoer Studien u.a. von Burges u.a. mit anschließenden Wiederholungsfragen.

Das Thema Segregation wird nun zum zentralen Moment für die folgenden Ausführungen: „Ausgewählte Trends städtischer Sozialräume“ (S. 66), die Klassifizierung von Armutsgebieten und sozialen Brennpunkten (S. 71) „Polarisierung, strukturelle Heterogenität und periphere Dependenz“ (S. 79) und aktuelle die Bildungssegregation (S. 84) werden unter Einbeziehung diverser Studien und Quellen diskutiert.

Der letzte ausführliche Teil dieses Kapitels beschäftigt sich mit Methoden der empirischen Raumanalyse (S, 105 ff.). Entsprechend der Prioritätensetzung des Autors in Bezug auf Stadtentwicklung werden zunächst quantitative Methoden wie Kartierungen von Stadtteilen beschrieben und danach qualitative Methoden wie Expertenbefragung oder die Methoden der Aktionsforschung also Beobachtungen, Mental Maps usw.

Das Kapitel vier über Handlungsfelder ist ein Schwerpunkt des Buches. Dieses wurde im Vergleich zur ersten Ausgabe auch noch deutlich erweitert. Dabei wird als Erstes die Gemeinwesenarbeit und Stadtteilarbeit sowohl geschichtlich als auch die aktuellen Entwicklungen skizziert. Hier zeigt sich wieder die Stärke des Autors, der auf wenigen Seiten die Geschichte der Gemeinwesenarbeit ausbreiten, ihre wichtigsten Protagonisten zur Sprache und ihre verschiedenen Ansätze darstellen kann. Besonders gelungen hier der Vergleich zwischen Sozialraumorientierung und Gemeinwesenarbeit auf S 147. Allerdings versinkt Schönig manchmal auch in der Fülle seines Materials wenn er etwa die Methode der aktivierenden Bewohnerbefragung in allen Details nachzeichnet.

Im nächsten Handlungsfeld geht es um „lokales bürgerschaftliches Engagement sozial Benachteiligter“ und die mangelnde gesellschaftlicher Anerkennung solcher Aktivitäten. Schönig zeigt am Beispiel von Stadtteilprojekten aus Problemgebieten, unter welchen Bedingungen die Bewohner dort in der Lage sind, sich zu engagieren und welche Felder dabei typisch für den jeweiligen Sozialstatus sind. Vor diesem Hintergrund kritisiert er auch die Gemeinwesenarbeit, die zum großen Teil blind ist für das Engagement Benachteiligter („Effektivitätsfalle“).

Im neu aufgenommenen Handlungsfeld „Arbeit mit ausgewählten Zielgruppen“ (S. 180 ff.) beschäftigt sich der Autor zunächst mit der Jugendarbeit im Sozialraum. In einem kurzen hitorischen Rückblick wird die Entwicklung der offenen Jugendarbeit als Arbeit mit männlichen Jugendlichen aus unteren sozialen Schichten in Großstädten beschrieben. Sozialräumliche Veränderungen in Städten – etwa die Verdrängung Jugendlicher aus öffentlichen Räumen – führen zu Anforderungen an Einrichtungen der Offenen Jugendarbeit, die zwischen der Raumaneignung der Jugendlichen und einer notwendigen Öffnung in den Sozialraum balancieren müssen. Schönig skizziert auch kurz Methoden einer Lebensweltanalyse (z.B. Begehungen) mit Jugendlichen, um diese stärker im Sozialraum zu integrieren auch durch aufsuchende Arbeitsformen.

Migranten im Sozialraum sind für Schönig eine besonders herausgehobene Zielgruppe (S. 188 ff.). Mit Rückgriff auf die Chicagoer Schule und weitere Studien der Migrationsforschung erklärt der Autor – etwas zu ausschweifend an dieser Stelle des Buches – das Migrationsgeschehen in Städten anhand diverser Beispiele aus der Stadtentwicklung. (Ethnische) Segregation wird als zentrales Thema der Stadt und damit auch der Sozialen Arbeit verstanden und erklärt. Die Themen einer interkulturellen Arbeit sind vor allem rund um die Anforderung einer gelungenen Integration zu sehen.

Die letzte ausgewählte Zielgruppe sind in diesem Kapitel „Senioren im Sozialraum“ (S. 206 ff.). Hier geht es relativ schnell um Ansätze einer unterstützenden Sozialen Arbeit, die sich auch in eine seniorengerechte Stadtentwicklung einmischen soll. Seniorenvertretungen sollen als Partner der Sozialen Arbeit auf Augenhöhe einbezogen werden.

Das vierte Handlungsfeld „Vernetzung vor Ort – Wunsch und Wirklichkeit“ (121 ff.) geht kritisch mit den in der Sozialen Arbeit fast zu Worthülsen verkommen Begriffen „Kooperation“ und „Vernetzung“ um. Deshalb werden mit Rückgriff auf die Netzwerkforschung unterschiedliche Netzwerke beschrieben bezogen auf den Einzelfall und mit Blick auf Institutionen.

Das fünfte Handlungsfeld der „kommunalen Sozialpolitik“ setzt sich mit sozialplanerischen und sozialpolitischen Aspekten einer Sozialraumorientierung auseinander, beginnend mit dem Thema „Sozialraumbudgetierung“ in der Jugendhilfe. „Kommunale Sozialarbeitspolitik“ ist für Schönig der Begriff für ein kommunales Politikfeld, in die sich die Soziale Arbeit selbst einbringen muss, wenn sie nicht zum „Bloßen Instrument und Handlanger“ (S. 239) der Kommunalpolitik werden will, ein schwieriges Unterfangen angesichts „der Heterogenität der Strukturen und Prozesse“ (S. 249).

Das letzte Kapitel „Arbeit im öffentlichen Raum“ mit seinen Ausführungen zum Unterschied öffentlicher und privater Räume eröffnet wieder ein anderes (interessantes Thema), das aber nach den irgendwie abschließenden Ausführungen zur Sozialpolitik im Buch an der falschen Stelle angeordnet ist. Die beschriebenen Entwicklungen der Privatisierung öffentlicher Räume und die daraus resultierende Probleme der Sozialen Arbeit am Beispiel der Streetwork hätten an einer früheren Stelle im Buch besser gepasst.

Diskussion

Das Lehrbuch bietet – nunmehr in der dritten, vollständig überarbeiteten Auflage – einen umfassenden Überblick über die Grundlagen und wichtigsten Handlungsansätze der Sozialraumorientierung. Dazu werden ihre Theorien, Methoden und konträren Positionen auf dem heutigen Stand der Diskussion dargestellt. Mit der Neuauflage hat sich der Autor nicht nur viel Arbeit gemacht und durch die Hereinnahme neuer Themen und weiterer Handlungsfelder ist das Buch wesentlich breiter geworden: Wer beruflich, im Rahmen seines Studiums oder der ehrenamtlichen Arbeit mit der Sozialraumorientierung befasst ist, findet in dem Band vielfältige Aspekte, die jeweils theoretisch eingeordnet und in ihrer praktischen Bedeutung erläutert werden. An manchen Stellen ist der Autor aber auch in der Fülle seines Materials versunken und Lesende werden auf keinen Fall unterfordert.

Fazit

Das Buch von Werner Schönig „Sozialraumorientierung Grundlagen und Handlungsansätze“ ist sowohl eine Einführung ins Thema Sozialraumorientierung als auch ein Arbeitsbuch, das weit über die Soziale Arbeit hinaus geht. Der Grundlagenteil befasst sich intensiv mit diversen Aspekten der Stadtentwicklung besonders in den Themen Migration und Segregation. Die Handlungsansätze erstrecken sich auf die Breite der gesamten Sozialen Arbeit, der Jugendhilfe bis hin zur Sozialpolitik. Ein gelungenes Studienbuch für SozialarbeiterInnen, GemeinwesenarbeiterInnen, JugendarbeiterInnen, MitarbeiterInnen in Sozial- und Jugendämtern und für Studierende.

Rezension von
Prof. Dr. rer.soc. Ulrich Deinet
Dipl.-Pädagoge, bis 2021 Professur für Didaktik/Methodik der Sozialpädagogik an der Hochschule Düsseldorf, Co-Leiter der Forschungsstelle für sozialraumorientierte Praxisforschung und –Entwicklung FSPE; Mitherausgeber des Online-Journals sozialraum.de. Freiberuflicher Kindheits- und Jugendforscher, Seminarleiter, Berater und Referent, Themen: Kooperation von Jugendhilfe und Schule, Schulsozialarbeit, Ganztagsbildung, Offene Kinder- und Jugendarbeit, Sozialraumorientierung, Konzept- und Qualitätsentwicklung.
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Es gibt 13 Rezensionen von Ulrich Deinet.

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Zitiervorschlag
Ulrich Deinet. Rezension vom 14.01.2021 zu: Werner Schönig: Sozialraumorientierung. Grundlagen und Handlungsansätze. Wochenschau Verlag (Frankfurt am Main) 2020. 3., vollständig überarbeitete Auflage. ISBN 978-3-7344-0910-3. Reihe: Politik und Bildung - Band 87. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/27479.php, Datum des Zugriffs 23.01.2025.


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