Barbara Schönig, Lisa Vollmer (Hrsg.): Wohnungsfragen ohne Ende?!
Rezensiert von Laura Sturzeis, 17.03.2021

Barbara Schönig, Lisa Vollmer (Hrsg.): Wohnungsfragen ohne Ende?! Ressourcen für eine soziale Wohnraumversorgung.
transcript
(Bielefeld) 2020.
236 Seiten.
ISBN 978-3-8376-4508-8.
Reihe: Interdisziplinäre Wohnungsforschung - 1.
Thema
Der Herausgeberinnenband versammelt Beiträge aus unterschiedlichen Disziplinen, die sich mit Wohnungsfragen auseinandersetzen. Die konfliktbehaftete Dichotomie zwischen Wohnen als Ware versus Grundrecht bildet dabei den gemeinsamen Bezugspunkt, an dem sich die soziologischen, raumplanerischen, politikwissenschaftlichen, rechtswissenschaftlichen und geographischen Beiträge orientieren.
Herausgeberinnen
Barbara Schönig ist Professorin für Stadtplanung an der Bauhaus-Universität Weimar. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen die Wechselwirkung von Stadtentwicklung und Wohnungspolitik sowie (sozial-)räumliche Aspekte der Wohnraumversorgung.
Lisa Vollmer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Bauhaus-Universität Weimar. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Wohnungsforschung und soziale Bewegungsforschung.
Aufbau
Das Buch setzt sich inhaltlich mit Wohnungsfragen anhand von vier Themenbereichen auseinander:
- Bodenpolitik,
- Wohnungswirtschaft,
- Rekommunalisierung und
- Jenseits (groß-)städtischen Wachstums.
Insbesondere die Berliner Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit fungieren als Bezugspunkt mehrerer Beiträge.
Inhalt
In ihrem einleitenden Beitrag stecken die beiden Herausgeberinnen den Rahmen des Buches in Form von sechs aufgestellten Thesen ab. Erstens streichen sie die Paradoxie der Wohnungsfrage heraus, die gleichermaßen universal ist als auch partikular in ihrer spezifischen Ausformung. Zweitens gilt es aufgrund der Komplexität des Gegenstands 'Wohnen' eine interdisziplinäre Forschungsperspektive einzunehmen, die regulierende, praxeologische und räumliche Aspekte, sowie deren Wechselwirkung berücksichtigt. Drittens plädieren die Autorinnen für eine integrative Betrachtungsweise, die Wohnen in ihrem gesellschaftlichen, historischen und politischen Kontext betrachtet; sie sprechen insofern von spezifischen Wohnraumregimes (in Anlehnung an die Wohlfahrtsregimes nach Gøsta Esping-Andersen), die sich historisch herausgebildet haben. Daraus folgt, dass es eines breiten interdisziplinären und gesellschaftstheoretischen Forschungsansatzes benötigt, um das Phänomen Wohnraumversorgung angemessen fassen zu können und in der Folge die Wohnungsfragen räumlich differenziert betrachten zu können (These 4 & 5). Zu guter Letzt liegt daher die Aufgabe einer institutionalisierten Wohnungsforschung den Autorinnen zufolge in einer die Strukturen und den Wandel abseits wohnungspolitischer Zyklen im Blick habenden Perspektive.
Der erste programmatische Beitrag im Teil I zu Wohnungsfrage(n) und Bodenpolitik stammt von Florian Rödl und beschäftigt sich mit der zentralen Frage danach, ob es in der Bundesrepublik Deutschland ein soziales Recht auf Wohnen gibt. Denn obwohl viele soziale Bewegungen dieses Recht als gesetzt sehen und ihnen dieses als Kern und Ausgangspunkt ihres gesellschaftspolitischen Wirkens dient, ist die Frage juristisch nur indirekt beantwortbar. Erst die grundgesetzliche Festlegung Deutschlands als Sozialstaat eröffnet staatliche Eingriffs- und Gestaltungsmöglichkeiten, da Wohnen neben Privat- auch als Gemeinwohlinteresse definiert wird. Auch die Frage nach legitimen Enteignungen einerseits, sowie Überführung privaten in öffentliches Eigentum (beispielsweise der Deutsche Wohnen AG, wie im Artikel angeführt, S. 44), bejaht der Autor grundsätzlich – wenngleich die Realisierung das Betreten neuer Pfade in der Wohnungspolitik bedeuten würde.
Ein weiterer interessanter Beitrag dieses Abschnittes befasst sich mit dem Potenzial des Erbbaurechts für die Eindämmung steigender Wohnkosten. Cilia Lichtenberg beleuchtet das Fallbeispiel Amsterdam, wo die 'Erfpacht' als zentrales wohnungspolitisches Instrument eingesetzt wird. „Der Gemeinde Amsterdam gehören 70 Prozent ihres Bodens, den sie überwiegend in Erfpacht vergibt“, schreibt die Autorin (S. 75). Dabei wird den Pächter/inne/n das Grundstück für eine längere Dauer (30-75 Jahre) von kommunalen Wohnungsgenossenschaften überlassen, wobei der Pachtzins laufend an den aktuellen Bodenwert angepasst wird. Daraus resultiert auch, dass kaum ein Unterschied zwischen gekauften und gepachteten Grundstückskosten besteht, die Kommune hingegen stärker von der Verpachtung ihres Bodens profitiert als in Deutschland. Die Autorin kommt zu folgendem Fazit: „das Erbbaurecht [ist] zunächst ein 'blindes Instrument' (…). Es trägt nicht per sé zu mehr bezahlbarem Wohnraum bei, sondern muss gezielt für diesen Zweck eingesetzt werden. Dafür bedarf es eines politischen Willens und 'rechtlichen Geschicks'“. (S. 77 f.)
Anne Kockelkorn widmet sich in ihrem Beitrag, der programmatisch im Teil II zur Rolle der Wohnungswirtschaft angesiedelt ist, den Veränderungen von Architektur und Wohnungsbau durch Privatisierung und Finanzialisierung. Anhand exemplarischer Beispiele illustriert die Autorin, wie trotz eines in der Regel begrenzten finanziellen Spielraums „Wohnungsbau für das Gesellschaftsminimum“, so der Titel des Beitrags, auf unterschiedliche Weisen realisiert wird. So lässt sich anhand des Berliner Beispiels „WiLMa19“ – ein zum Wohnhaus umgebautes ehemaliges Verwaltungsgebäude – die Wirksamkeit ‚kleiner Eingriffe‘ für die Schaffung von Ästhetik trotz geringer Budgets illustrieren. Mit minimalen Eingriffen wurden durch eine „begrenzte Zahl größerer Durchbrüche durch Wände und Decken der Stahlbetonkonstruktion und eine ebenso beschränkte Zahl neuer Einbauten“ 14 verschiedene Grundrisstypen geschaffen, die gemeinschaftliches Wohnen für verschiedene Lebensmodelle ermöglichen (S. 131).
Im dritten Abschnitt des Herausgeberinnenbandes angesiedelt ist ein Beitrag von Inga Jensen, der sich mit Wohnraum als sozialer Infrastruktur auseinandersetzt. Ausgehend vom Berliner Volksbegehren, „das die 'Enteignung', bzw. Sozialisierung der größten Berliner Wohnungsunternehmen fordert“, zeigt die Autorin Ansätze zur (Re-)Kommunalisierung von Wohnraum in Berlin auf (S. 147). In Anlehnung an die Rückführung technischer und netzgebundener Infrastrukturen in kommunales Eigentum nach vorangegangenen Privatisierungen, stellt sich vielfach die Frage, ob dies auch im Bereich des Wohneigentums einen gangbaren Weg darstellt, um die Explosion der Wohnkosten in den vergangenen Jahren Einhalt zu gebieten. Neben dem Ankauf privatisierter großer Wohnbestände, stehen auch das kommunale Vorkaufsrecht, der Neubau und Modellprojekte zur Selbstverwaltung als wohnungspolitische Instrumente der (Re-)Kommunalisierung von Wohnraum zur Verfügung. Jedes einzelne dieser Instrumente ist mit spezifischen Vor- und Nachteilen behaftet, die von den spezifischen Gegebenheiten, als auch übergeordneten Rahmenbedingungen abhängen. Gerade aufgrund der Spezifik des Wohnens zeigt sich aber klar, dass es dieser Vielzahl an Ansätzen bedarf – und deren sogar mehr – um je nach Situation die geeignetste Form zu finden, die Rekommunalisierung voranzutreiben mit dem Ziel „langfristig leistbare Mieten sicherzustellen“ (S. 159).
Dem Beitrag angeschlossen ist ein überaus aufschlussreiches Interview von Inga Jensen mit Florian Schmidt, dem streitbaren Bezirksstadtrat aus Friedrichshain-Kreuzberg in Berlin, der sich als Baustadtrat der (Re-)Kommunalisierung von Wohnraum verschrieben hat. Das Interview bietet einen kompakten, wenngleich inhaltlich sehr dichten Überblick über die wohnpolitischen Entwicklungen eines Berliner Bezirks.
Der letzte Beitrag des Sammelbandes stammt aus der Feder der Herausgeberin Barbara Schönig und ist Teil des vierten und letzten Abschnitts. Der Text widmet sich den Herausforderungen von Kleinstädten in strukturschwachen Regionen anhand des Beispiels Thüringens. „Allein die Tatsache, dass Leerstand an Wohnraum existiert, bedeutet keineswegs, dass über Wohnraumversorgung nicht nachzudenken wäre.“ (S. 208) Gerade in Kleinstädten, die mit Abwanderung der Bevölkerung konfrontiert sind, fehlt oftmals der finanzielle Spielraum für den notwendigen Rückbau der Wohnungsinfrastruktur und die Modernisierung unattraktiver, meist abseitig gelegener Wohngegenden. Kleinen Kommunen fehlt es neben den Finanzen in der Regel auch an nötigem Know-How, den es für die Umgestaltung von Wohnraum bedarf. Gerade hier sollten Kleinstädte, die statt mit Zuzug und Mietpreisexplosion mit Abwanderung zu kämpfen haben, nicht übergangen, sondern gezielt (auch) mit entsprechender Expertise unterstützt werden, um deren spezifische (Wohn-)Qualitäten zu erhalten und zu fördern, meint die Autorin.
Diskussion
Der Herausgeberinnenband widmet sich dem hochgradig aktuellen Thema Wohnen aus verschiedenen Blickwinkeln. Im Zentrum steht dabei immer die Frage nach den konkreten Spannungen, die sich aus dem Widerspruch von Wohnen als Grundbedürfnis und Wohnen als Ware ergeben. Durch die Breite der versammelten Perspektiven gelingt es dem Buch, die Bedeutung herauszuarbeiten, die den spezifischen Kontexten jeweils zukommt. Je nachdem mit welchen historisch-politischen Wohnraumregimes man es zu tun hat und je nachdem welches zivilgesellschaftliche Potenzial im konkreten Fall vorhanden ist, lassen sich mehr oder weniger radikal neue Ansätze verfolgen – oder manches Mal auch bereits existierende Instrumente (re-)aktivieren – um leistbaren Wohnraum für alle zu schaffen bzw. bereitzustellen. Die Herausforderung liegt dabei insbesondere darin, dass die Bedarfe sich pluralisiert haben und es daher eine Vielzahl an Wohnräumen braucht, um den verschiedenen Bedarfen gerecht zu werden. Dass leistbarer Wohnraum auch ästhetischen Kriterien genügen darf, soll, wenn nicht sogar muss und dass Wohnen auch soziale Bedürfnisse befriedigen können muss, zeigen die Beiträge dieses Sammelbandes klar auf. Der weite Bogen, der gespannt wird – von rechtlichen über architektonischen zu wohnungspolitischen Fragen –, zeigt, wie komplex die Frage(n) des Wohnens in der pluralen Gesellschaft ist/sind. Um sich diesen Fragen zu widmen und dabei einen guten Einblick in aktuelle Debatten der Wohnraumforschung in Deutschland aber auch der mietenpolitischen Bewegung (insb. Berlins) zu erhalten, eignet sich dieses Buch hervorragend. Die Leseempfehlung richtet sich sowohl an wissenschaftlich als auch zivilgesellschaftlich interessiertes Publikum.
Fazit
Um sich aktuellen wohnungspolitischen Fragen zu widmen und dabei einen guten Einblick in aktuelle Debatten der Wohnraumforschung in Deutschland aber auch der mietenpolitischen Bewegung (insb. Berlins) zu erhalten, eignet sich dieses Buch hervorragend. Die Leseempfehlung richtet sich sowohl an wissenschaftlich als auch zivilgesellschaftlich interessiertes Publikum.
Rezension von
Laura Sturzeis
Sozioökonomin und Programmkoordinatorin des Masterstudiums Sozioökonomie an der Wirtschaftsuniversität Wien
Es gibt 22 Rezensionen von Laura Sturzeis.