Britt Schilling, Reinhild Dettmer-Finke et al.: Strafraum
Rezensiert von Prof. Dr. Helmut Kury, 19.10.2020
Britt Schilling, Reinhild Dettmer-Finke, Thomas Hauser, Britt Schilling: Strafraum. Absitzen in Freiburg. Verlag Herder GmbH (Freiburg, Basel, Wien) 2020. 112 Seiten. ISBN 978-3-451-38822-4. D: 15,00 EUR, A: 15,50 EUR, CH: 21,90 sFr.
Thema
Die Freiheitsstrafe ist in Deutschland die schwerste Sanktion, welche die Gerichte gegen Straftäter verhängen können. Eine Inhaftierung ist ein schwerer Eingriff in das Leben eines Menschen, auch seiner Angehörigen. Über die Praxis der Freiheitsstrafe, ihre Auswirkungen und vor allem auch kriminalpräventive Effizienz, ist in der Öffentlichkeit recht wenig bekannt. Umfragen zeigen einheitlich, dass vor allem nach schweren Straftaten, über die breit in den Medien berichtet wird, die Punitivität in der Öffentlichkeit steigt, sich mehr für härtere Sanktionen aussprechen, in der Annahme, dass dadurch Kriminalität reduziert werden könne. Kriminologische Forschungsergebnisse zeigen jedoch international, vor allem auch aus den USA, dass straffälliges Verhalten in komplexe Verhaltensmuster eingebunden ist und etwa Strafverschärfungen kaum einen kriminalpräventiven Effekt haben. Je mehr die Bürger über Kriminalität, deren Hintergründe und die Sanktionen der Täter mit den Nebeneffekten aufgeklärt werden, umso mehr reduzieren sich deren punitive Einstellungen.
Hier setzt der von Dettmer-Finke, Hauser und Schilling anlässlich des 900-Jahr-Jubiläums der Stadt Freiburg (Freiburg 2020) herausgegebene Sammelband, der auf dem Foto- und Informationsprojekt „Strafraum – Absitzen in Freiburg“ beruht, an. Der Band mit 112 Seiten, von denen ca. die Hälfte mit Fotos aus der Justizvollzugsanstalt (JVA) Freiburg bebildert ist und der damit auch einen „Einblick“ in das Leben hinter Mauern zu geben versucht, will die Anstalt „als einen verdrängten Teil der Stadt für die Stadtbevölkerung ‚sichtbar‘ machen und eine Auseinandersetzung mit Strafvollzug, Resozialisierung und Wegen zurück in die Gesellschaft anregen“ (S. 4).
Aufbau und Inhalt
Der Band enthält 23 meist kurze Kapitel, in denen einerseits Fotos aus der Haft dargestellt werden und andererseits unterschiedliche Autoren von „drinnen“ und „draußen“ stichwortartig Stellung zu einzelnen Fragen und Problemen der Freiheitsstrafe und einer Inhaftierung in der JVA Freiburg beziehen. Zunächst berichtet die Journalistin Friderike Zimmermann kurz über ein Interview mit den zwei Herausgeberinnen des Bandes (S. 4 f.: „Sichtbar machen“). Nur wenige in der Bevölkerung wollten etwas mit Strafvollzug zu tun haben, „er ist eben da“ (S. 4). Als die Anstalt vor ca. 150 Jahren gebaut wurde, lag sie außerhalb der Stadtmauern, inzwischen ist sie mitten in der Stadt. Es gehe in dem Projekt darum, „den Raum JVA bzw. seine Regeln in Frage zu stellen“. Kann „diese Institution, die zu wenig Personal hat“ Resozialisierung, wie im Gesetz vorgeschrieben, überhaupt leisten? Generell stelle sich die Frage, „ob man Menschen überhaupt einsperren sollte“ (S. 4). Es gebe Straftäter, „vor denen man die Bevölkerung schützen muss. Aber das sind wenige. Auf der anderen Seite gibt es viele, die im Knast überhaupt erst kriminalisiert werden, deren Lebensstrukturen zerstört werden, sodass sie sich in der Arbeitswelt und in der Gesellschaft nie wieder zurechtfinden“ (S. 4). Sich in der Struktur einer Vollzugsanstalt „zu sozialisieren ist unmöglich“. Die Gesellschaft interessiere sich nicht für die Problematik, was man nicht sehe, interessiere auch nicht. Während in den 1970er Jahren der Diskurs um die Freiheitsstrafe noch liberaler gewesen sei, es noch mehr um Resozialisierung gegangen sei, habe sich derzeit ein „bestrafendes Denken“ etabliert. Das Gefängnis sei eine „Tabuzone, mit der man nichts zu tun haben will“. Mit dem Band wolle man einen „blinden Fleck mitten in der Stadt sichtbar machen“. Einen Tag der offenen Tür wolle man nicht abhalten, das habe etwas „Zoomäßiges“. Erreichen wolle man mit dem Projekt „dass man anfängt darüber nachzudenken, wie man mit Menschen, die sich fehlverhalten haben umgeht“, das Ziel sei letztlich ein „Anti-Stigma-Projekt“, um Vorurteile abzubauen. Auf kritische Nachfragen vermuten die Gesprächspartner, dass es sich bei den photographisch dargestellten Zellen um die „schöneren“ handelt.
Der Jurist Martin Hochhuth schreibt über den „Sinn des Strafens“ (S. 28 f.). Strafe müsse, „so wie die Welt ist und wie die Leute sind, leider sein“, warum das so sei, darüber herrsche bis heute Streit. Er setzt sich mit der Theorie zur Strafe bei Hegel auseinander, die „so abstrakt und durchgeistigt sie auch ist, … zur Wahrnehmung des Durchschnittsmenschen“ passe (S. 28). Seit altgriechischen Zeiten würden Straftheorien bis heute in zwei Gruppen eingeteilt. „In solche, die nur auf die Untat schauen, die begangen wurde, und in solche, die nur auf die Wirkungen schauen, die die Strafe für den Täter, für das Opfer oder für die Gesellschaft haben soll“. Der Sinn der Strafe sei schon in altgriechischen Zeiten vor allem in der Abschreckung weiterer Täter gesehen worden, allerdings auch in deren Besserung. „… die Haft selbst, die Zufügung des Übels bessert niemanden“, bestenfalls könne der Täter dadurch „aufgerüttelt“ werden. Die Strafe schrecke auch andere ab, ebenfalls straffällig zu werden. „Ohne die massiven Strafen, die den legitimen Kernbereich des Strafrechts ummauern, finge nach und nach auch die auf den ersten Blick so selbstverständliche Moral an zu bröckeln“ (S. 29). Der Staat müsse strafen, „weil es leider Straftaten gibt; er muss so milde wie möglich strafen und so hart wie nötig“.
Dietrich Oberwittler setzt sich in seinem Beitrag mit dem Thema „Gefühlte (Un-)Sicherheit“ auseinander (S. 30 f.). Die Diskussion um die öffentliche Sicherheit halte „einige Paradoxien bereit, wenn man das Verhältnis von ‚objektiven‘ Gefahren durch Kriminalität und die subjektiven Wahrnehmungen von (Un-)Sicherheit betrachtet“ (S. 30). So sei etwa langfristig betrachtet die Kriminalität deutlich rückläufig, in der öffentlichen Wahrnehmung dagegen werde „Gewalt und Kriminalität stets ‚immer schlimmer‘“. Das Thema Kriminalität eigne sich „sehr gut dazu…, allgemeine Besorgnisse über die Entwicklung und Zukunft der Gesellschaft auszudrücken“. Bei Verbrechensfurcht spiele vor allem auch die Mediendarstellung von Kriminalität eine wesentliche Rolle. Unsicherheit werde auch vom sozialen Status der Betroffenen, etwa der Wohngegend, beeinflusst, wie sich etwa auch an Umfragen in Freiburg zeigen lasse. Unsicherheitsgefühle würden vor allem auch durch das „Unbekannte“, etwa hinsichtlich Immigranten, beeinflusst. Die Kontrolle von „Hot Spots“ durch die Polizei verspreche am ehesten einen Erfolg in der Bekämpfung von Unsicherheit.
Thomas Hauser beschäftigt sich in seinem Beitrag (S. 34 f.: „Angstmuskeltraining“) mit dem Thema Kriminalfilme. Der Krimi sei „inzwischen zur potentiellen Vollzeitbeschäftigung für Fans geworden. Kein Tag, an dem im Fernsehen nicht Mörder massenhaft ihr Unwesen treiben und Polizisten oder Detektive ihnen das Handwerk legen“. Kriminalromane seien inzwischen auch in der Buchbranche das größte Genre. Einige Autoren würden auf eine abstumpfende Wirkung der intensiven Darstellung von Gewalt hinweisen, was auf die Verantwortung der Medien verweise. Teilweise werde die Krimiflut mit einer wachsenden Verrohung der Gesellschaft in Verbindung gebracht. Christian Rath diskutiert die Rolle von Immigranten in Zusammenhang mit sozialer Auffälligkeit (S. 36 f.: „Herkunftsfragen“). Teile des Publikums interessiere im Hinblick auf Kriminalität „nur noch die Staatsangehörigkeit der Verdächtigen“. Immer häufiger rücke die Herkunft des Tatverdächtigen in den Vordergrund, ob er etwa einen Migrationshintergrund habe, Flüchtling sei. Diskutiert wird, wie die Medien mit einer Information hierüber und damit der Gefahr einer möglichen Stigmatisierung umgehen sollten. Auch der Deutsche Pressekodex beschäftige sich mit der Problematik. Die Zugehörigkeit des Täters zu einer bestimmten Gruppe solle nur genannt werden, wenn ein „begründetes öffentliches Interesse“ bestehe, was letztlich nur wenig weiterhelfe. „Wenn Medien denken, dass sie Vorurteile vermeiden können, indem sie korrekte Informationen verweigern, ist dies doppelt kontraproduktiv“ (S. 36). Die Sorge, dass Flüchtlinge besonders kriminell würden, sei etwa bei Sexual- und Gewaltdelikten berechtigt: im Verhältnis zu ihrem Bevölkerungsanteil seien sie in der Kriminalstatistik deutlich überrepräsentiert. In einer Einwanderungsgesellschaft sei „die Diskussion über ‚Ausländerkriminalität‘ immer von öffentlichem Interesse“, deshalb werde sie auch von den Medien überproportional aufgegriffen (S. 37). Eine offene Diskussion um Herkunft und Integrationsprobleme sei wichtig, um anstehende Probleme auch angehen zu können.
Anita Firner berichtet über einen Dialog zwischen Schüler*innen und Strafgefangenen im Rahmen eines Projektes einer Schule in Lörrach mit Strafgefangenen der JVA Freiburg (S. 38 f.: „Vom Freisein“). Beide Gruppen diskutierten u.a. die Frage der eigenen Einschätzung von Freiheit und Unfreiheit und lernten so sich und die jeweiligen Einstellungen des anderen kennen. So habe eine Schülerin betont, sie habe in den Kontakten „Menschen kennengelernt und keine Monster. Menschen, die sich zum Beispiel genauso gerne mit anderen unterhalten und die sich interessierten … Jetzt denk ich anders darüber, wenn ich höre, dass sich jemand in Gefangenschaft befindet“ (S. 39). Die Ergebnisse aus einem Text-Bild-Tagebuchprojekt der Fotografin Britt Schilling stellen plastisch Einzelaspekte des Lebens hinter Gittern dar (S. 41–47). Die inhaftierten Teilnehmer sollten über ein Jahr hinweg jeden Tag zur gleichen Zeit aufschreiben, was sie beschäftigt, die Fotografin machte zur selben Zeit ein Bild zu Aspekten der Anstalt. Das umfangreiche gesammelte Material soll einen „gesellschaftlichen Diskurs über Fragen des Justizvollzugs“ anfachen (S. 41). Auszüge aus den Aufzeichnungen der Inhaftierten, die vor allem auch das Leben hinter Mauern in Einzelaspekten plastisch beschreiben, werden neben Fotos dargestellt.
Barbara Sieferle setzt sich in ihrem Beitrag mit der Frage auseinander, „was Haftentlassene bei ihrer Rückkehr in die Freiheit erwartet“ (S. 48 f.: „Zwischen Euphorie und Angst“). Haftentlassung gehe für die Betroffenen vielfach mit „großer Unsicherheit und Verunsicherung“ einher, etwa was das Finden einer Arbeitsstelle oder einer Wohnung betrifft (S. 48). Die Welt draußen, nach der sich Inhaftierte jahrelang gesehnt hatten, ist ihnen oft nach jahrelanger Haft auch fremd geworden. „Egal ob bei der Suche nach einer Partnerin, bei der Jobsuche oder der Wohnungssuche – aus der Haft entlassene Männer sind mit dem Stigma des gefährlichen Kriminellen, des verurteilten Straftäters, des Ex-Gefängnisinsassen belegt. Die eigentliche Strafe, so die haftentlassenen Männer, fange erst nach dem Gefängnis an: mit gesellschaftlicher Stigmatisierung, mit ihnen gegenüber vorgebrachten Vorurteilen, mit Diskriminierung und sozialem Ausschluss“ (S. 49). Trotz positiver Beispiele gehören „stereotype und stigmatisierende Fremdwahrnehmungen … zur Lebensrealität der Mehrheit haftentlassener Männer“ (S. 49).
Peter Asprion berichtet anhand von Einzelfällen aus dem Alltag der Bewährungshilfe hinsichtlich seiner Bemühungen um die Integration von Straftätern (S. 50–53: „Gelbe Karte“). Auf die Bewährungshilfe kämen im Rahmen einer Integration der Täter in die Gesellschaft zahlreiche und komplexe Aufgaben zu. Deutlich wird die Wichtigkeit einer flexiblen Einstellung der Fachleute, die Bereitschaft, auf vorgegebene Bedingungen einzugehen und einer kommunikativen Kompetenz im Umgang mit vielfach schwer gestörten Straftätern. Hilfe ist vor allem dann möglich, wenn der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung gelingt – und das hängt vor allem von der fachlichen Kompetenz des/der Bewährungshelfers*in ab. „In der Regel haben Bewährungshelfer*innen es mit benachteiligten Menschen zu tun, die aus vielerlei mehr oder weniger nachvollziehbaren Gründen mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind“ (S. 53). Thomas Meyer-Falk, ein Sicherungsverwahrter, schreibt über „Verwüstete Leben“ (S. 54 f.). Wer nach Verbüßung einer Haftstrafe in die Sicherungsverwahrung komme, hänge vor allem vom Ergebnis der Kriminalprognose ab. In der JVA Freiburg sind die Sicherungsverwahrten des Bundeslandes Baden-Württemberg untergebracht. Heute werde „im Stillen vollstreckt, hinter dicken Gefängnismauern und ohne viel öffentliche Beteiligung oder Anteilnahme. Die erlischt, sobald der Strafprozess abgeschlossen, das Urteil verkündet ist“ (S. 54). Gefängnisse würden in der „steinernen, zu Beton erstarrten Bauweise symbolisch das Erstarrt-Sein der Insassen wie auch der Beschäftigten zum Ausdruck“ bringen (S. 55). Gefängnisse seien keine Orte, an denen die Inhaftierten lernen würden, „sich dem Leben zuzuwenden“. Auf die vielfach gegebene Verzweiflung der Insassen in der Sicherungsverwahrung werde „nicht oder repressiv reagiert“. Ein erheblicher Teil der Untergebrachten erhalte zur Beruhigung Psychopharmaka.
Es gebe immer mehr Menschen, die im Gefängnis sterben, da immer mehr ältere Menschen inhaftiert werden. In deutschen Gefängnissen würden jährlich mehr als 100 Gefangene eines natürlichen Todes sterben, 60 weitere durch Suizid, hinzu kämen einige Unfalltote (S. 57). Es sei davon auszugehen, dass die Zahl älterer Inhaftierter steigen werde. Renate Kirchhoff diskutiert die „Justizvollzugsanstalt als Arbeitsplatz“ (S. 58 f.). Wer in einer JVA arbeite stehe „nur dann im Blickfeld der Öffentlichkeit, wenn er oder sie Fehler macht“ (S. 58). Über in der JVA Tätige gebe es kaum Forschung. Es wurden 10 Personen befragt, die in der JVA Freiburg arbeiten. Die größte Berufsgruppe in der JVA sind Aufsichtsbedienstete und in der Verwaltung und Werkbetrieben Angestellte. „Sicherheit und Ordnung“ habe beim allgemeinen Vollzugsdienst „absolute Priorität“. Die große Fallbelastung der Aufsichtsbediensteten befördere eine „eher standardisierte und restriktive Kommunikation, die dann auch das Selbst- und Fremdbild prägt“. Gegenwärtig würden in der JVA Freiburg 25 Bedienstete fehlen, was zu einer erheblichen Überstundenbelastung führe. Das Strafvollzugsgeschehen werde vor allem durch eine mediale Öffentlichkeit wahrgenommen, „die auf Negativzeilen fokussiert sei“. Justizvollzugsbeamte sollten nach offizieller Stellenbeschreibung vor allem Gesprächspartner, Vorbilder und Bezugspersonen für die Inhaftierten sein. Personalmangel sei heute das zentrale Thema, „wenn es um die Qualität der geleisteten Arbeit in der JVA und um die Arbeitszufriedenheit geht“ (S. 59). Ein Problem für die Bediensteten sei auch, dass aktuell Gefangene aus 65 Nationen in der JVA Freiburg inhaftiert seien. Trotz der Belastung werde von den Bediensteten ihre eigene Tätigkeit weitgehend positiv bewertet.
Michael Philippi, der evangelische Gefängnisseelsorger, und Thomas Hauser berichten kurz über die „Geschichte der JVA“, die bisher nicht systematisch aufgearbeitet worden sei (S. 62 f.). 1878 sei die Anstalt eröffnet worden. Einzelne Phasen der langen Geschichte, vor allem auch die Situation in der Nazi-Zeit, werden kurz dargestellt. Die Situation im Strafvollzug habe sich im Rahmen von Weiterentwicklungen des Strafrechts auch immer wieder verändert. 1977 wurde auf Druck des Bundesverfassungsgerichts das Strafvollzugsgesetz verabschiedet mit dem die „weitgehend rechtlose Stellung von Gefangenen in Deutschland beendet“ wurde (S. 63). Hier wurde insbesondere auch die Resozialisierung als Ziel der Freiheitsstrafe festgehalten, auch das grundsätzliche Recht auf eine Einzelzelle. 2004 wurde in der Freiburger JVA ein Freigängerhaus mit 33 Plätzen eröffnet. 2006 ist mit der Föderalismusreform der Strafvollzug Ländersache geworden, was zu einer deutlich unterschiedlichen Entwicklung in den einzelnen Bundesländern geführt hat. Anfang 2010 tritt das Strafvollzugsrecht für Baden-Württemberg in Kraft, „seitdem ist der Vollzug mehr den politischen und finanziellen Vorgaben der Landesregierung untergeordnet“ (S. 63). 2020 hätten die Folgen von Notstandsverordnungen aufgrund der Corona-Pandemie auch die JVA hart getroffen, was zu einer starken Einschränkung der Arbeits-, Besuchs- und Freizeitrechte geführt habe. Thomas Hauser und Peter Steinkamp berichten in ihrem Beitrag über die „JVA Freiburg als Wehrmachtsgefängnis in der Zeit des Nationalsozialismus“ (S. 64 f.). Ab 1940 sei die JVA größtenteils für Wehrmachtshäftlinge genutzt worden, das Klima in der Anstalt sei rau gewesen, vor allem auch aufgrund von Gewalt unter den Gefangenen selbst. Aus Berichten lasse sich schließen, dass von 1940 bis 1944 auch 44 Exekutionen stattgefunden hätten. Am 28. 11. 1944 seien große Teile der Stadt Freiburg bei einem Luftangriff zerstört worden, was auch zu einem Ende des Wehrmachtsgefängnisses geführt habe, das ebenfalls beschädigt worden sei.
Michael Philippi, Martine Meng und Andreas Rothböck machen in ihrem Beitrag Angaben über die einzelnen Bereiche in der heutigen JVA, die eines der großen Gefängnisse in Baden-Württemberg ist. Die Anstalt ist bei ca. 350 Mitarbeiter*innen meist mit über 700 männlichen Häftlingen, die eine längere Strafe verbüßen, belegt. Die Vollzugsanstalt verfügt über rund 500 Arbeits- und Ausbildungsplätze für Gefangene. „Eine sinnvolle Beschäftigung der Gefangenen ist für eine erfolgreiche Resozialisierung von zentraler Bedeutung“ (S. 66). Das Bildungszentrum der JVA sei die größte deutsche Bildungseinrichtung im Strafvollzug. Die Inhaftierten könnten etwa auch das Abitur machen und an der Fernuniversität Hagen in bestimmten Fachgebieten studieren. Die Erfolgsquote der Kursteilnehmer liege aufgrund der intensiven individuellen Betreuung bei nahezu 100 Prozent. Der psychologische und Sozialdienst unterstütze vor allem auch bei Kontakten zu den Familien und bereite Inhaftierte auf die Entlassung vor. Hierbei spiele auch die Gefängnisseelsorge eine wesentliche Rolle. Thomas Rösch, der von 1989 bis 2013 Anstaltsleiter war, nimmt in einem Interview über seine „Erfahrungen mit Gewalt, Drogen und Überforderungen der Beschäftigten im Gefängnis“ Stellung (S. 68 f.). Die Thematik Gewalt unter Gefangenen werde in den Medien oft verzerrt dargestellt, überbetont. Es gebe, wie in allen größeren Gefängnissen, auch Drogenprobleme, man könne „eine Anstalt nicht drogenfrei halten“ (S. 68). Freiburg habe als eine der ersten Anstalten Substitutionsprogramme durch Methadon für Schwerstabhängige eingeführt. Mit einem Rauschgiftspürhund habe man versucht, den Drogenschmuggel in die Anstalt besser in den Griff zu bekommen. Auch Mitarbeiter*innen hätten teilweise Drogen in die Anstalt geschmuggelt, „das gibt es hin und wieder“ (S. 69). Ein Problem stellten auch die teilweise hohen Überstunden der Bediensteten dar. Besonders wichtig sei die berufliche Förderung und schulische Bildung der Gefangenen als „aussichtsreichste Form der Resozialisierung“ (S. 69). Michael Philippi, der Gefängnisseelsorger, weist darauf hin, dass nach biblischen Berichten gerade auch „Gottes Lieblinge“, wie Kain, Moses, Jakob, David oder Elia, „Gottes Starensemble“, Mörder Totschläger, Betrüger oder Einbrecher waren. Kein Mensch sei „nur“ böse, es gehe immer wieder um die „Suche und die Zusage eines Neubeginns“ (S. 70).
Für Strafhäftlinge bestehe Arbeitspflicht, der Stundenlohn liege in der JVA Freiburg zwischen 1,43 und 2,36 Euro. „Diese Bezahlung weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn wird damit begründet, dass Verpflegung, Unterbringung und medizinische Versorgung kostenlos sind und die Haftunterbringung hohe Kosten verursacht“ (S. 75). In die Gesetzliche Rentenversicherung würden keine Beiträge geleistet. „Ein Gesetz, das die Altersversorgung regeln sollte, wurde bis heute nicht verabschiedet. Jedes Jahr in Haft ist somit ein weiterer Schritt in die Altersarmut“ (S. 75). Für einen Teil des Einkommens könne der Inhaftierte etwa in der Haft einkaufen, „Preise in Haft sind in der Regel deutlich höher als draußen“ (S. 75). Die Haftkosten für Gefangene würden je nach Bundesland pro Tag zwischen 105 bis 140 Euro pro Inhaftiertem liegen.
Wulf Rüskamp berichtet in seinem Beitrag unter dem plastischen Titel „Steingewordene Riesenirrtümer“ über die Gefängnisarchitektur, in welcher sich „nicht nur das Strafbedürfnis des Staates, sondern auch der Umgang der Gesellschaft mit Kriminalität“ widerspiegle (S. 83–85). Das aus den USA übernommene „Pennsylvanische System“ mit fünf Flügeln, die im Zentrum zusammenlaufen und von hier aus einsichtbar seien, solle vor allem eine gute Überwachung der Gefangenen ermöglichen. Auch die Freiburger Anstalt, mittlerweile mitten in der Stadt gelegen, diene in ihrer Architektur der Einschüchterung. „Hinter der hohen Mauer mit ihren heute aus Beton gefertigten Zinnen etabliert sich eine andere Gesellschaft, in der zwischen Häftlingen und Justizpersonal eine klare Hierarchie herrscht“ (S. 83 f.). Bereits vor Jahrzehnten sei, etwa von Wolfgang Mittermaier in seiner „Gefängniskunde“, betont worden, dass ein resozialisierender Strafvollzug „weitgehend Abkehr von den alten festungsartigen engen Bauten“ erfordere (S. 84 f.). Michael Kilchling stellt sich in seinem Beitrag die Frage: „Wo bleibt das Opfer?“ (S. 90–92). „Bei der juristischen Aufarbeitung von Verbrechen erhalten die Interessen der Opfer ein immer größeres Gewicht, wenn sich denn genügend Personal findet“ (S. 90). Der Autor betont, dass seit Beginn der 1980er Jahre der „Schutz und die Unterstützung für Opfer von Straftaten kontinuierlich ausgebaut“ worden seien. Lange sei in diesem Reformprozess allerdings der Strafvollzug unberücksichtigt geblieben. Das Auskunftsrecht für Opfer etwa sei erst ab 2013 erweitert worden, auch der Strafvollzug müsse Opferinteressen berücksichtigen. Opfer hätten vielfach konstruktive Vorstellungen dazu, wie auf eine Straftat reagiert werden sollte, den meisten sei bewusst, dass sie selbst von einer Haftstrafe für den Täter wenig profitieren würden. Der Wunsch nach möglichst harten Strafen finde sich weniger bei den Opfern, vielmehr in der „Gesamtbevölkerung und insbesondere Bürgerinnen und Bürgern, die überhaupt noch nie persönlich mit Kriminalität in Berührung gekommen sind“ (S. 91). Offizielle Statistiken über die Zahl der Opfer gebe es nicht. Insbesondere die Opfer schwerer Straftaten fühlten sich bis heute vielfach alleingelassen. Der formale Strafprozess sei gerade für schwer betroffene Opfer oft unbefriedigend. Die Konzepte der einzelnen Landesgesetze würden sich deutlich voneinander unterscheiden. Während etwa andere Bundesländer für den Strafvollzug eine spezielle Ansprechperson für Opfer vorsehen würden, sei das für Baden-Württemberg nicht der Fall. Die praktische Umsetzung von gesetzlichen Vorgaben zu einer stärkeren Einbeziehung der Opfer in den Resozialisierungsprozess der Gefangenen stehe noch am Anfang. Die Entwicklung von Opferempathie bei den Tätern könne gerade auch durch ein Zusammentreffen mit diesen gefördert werden (S. 92). Täter-Opfer-Ausgleichsprogramme könnten hier wesentlich weiterhelfen, könnten bei Opfern schwerer Straftaten zu einer Bewältigung von Traumatisierungen beitragen. Leider versäumt es der Autor auf eine meist vergessene Opfergruppe einzugehen, die gerade auch für eine Resozialisierung der Inhaftierten wichtig ist: die Angehörigen, Frauen und Kinder.
Franz Schmider geht in seinem Beitrag auf die Entwicklung eines schwindenden Respekts in der Bevölkerung vor dem Rechtsstaat ein, auf „Angriffe auf seine Repräsentanten“ (S. 94 f.). Diskutiert wird kurz der Prozess der Internalisierung von Regeln, die Entwicklung von Scham. Der Autor betont, „wo homogene Milieus zerbröseln, Institutionen von der Kirche über Parteien oder Gewerkschaften ihre Bindewirkung verlieren, Familienstrukturen sich auflösen und Nachbarschaftsbeziehungen unverbindlich werden, ist die Schamentwicklung gestört“ (S. 95). Dadurch dass Gesellschaften „vielfältiger, offener, freier“ werden, würden auch „die Anforderungen an den Einzelnen und seine Selbstkontrolle wachsen. In gespaltenen Gesellschaften wächst die Neigung zu Akten der Selbstermächtigung“. Die einzelnen Selbstermächtigungen würden in ihrer Summe „die Regelhaftigkeit der Gesellschaft in Frage (stellen), die Werteordnung erodiert. In Zeiten der großen Umbrüche, seien es die Digitalisierung, die Globalisierung, die weltweite Wanderung von Fachkräften wie auch von Flüchtlingen, stehen Regeln verstärkt zur Disposition“. Im letzten Beitrag des Bandes wird ein Gespräch von Reinhild Dettmer-Finke und Thomas Hauser mit Thomas Galli zur insgesamt fragwürdigen Rolle des Strafvollzugs hinsichtlich einer Resozialisierung der Inhaftierten in wesentlichen Punkten wiedergegeben (S. 96–100) das unter dem Stichwort steht, der Strafvollzug arbeite „mit hehren Zielen. Die aber werden alle verfehlt“. Galli, der früher selbst Anstaltsleiter war, betont, er sei inzwischen „fest davon überzeugt, dass dieses System mehr Schaden anrichtet, als es irgendjemandem nützt“ (S. 96). Durch mehr Aufklärung der Öffentlichkeit lasse sich die vielfach punitive Diskussion in eine andere Richtung lenken. Freiheitsstrafen, auch lebenslängliche, seien in manchen Fällen durchaus erforderlich. In Haft erfolge systematisch keine Re- sondern eine Desozialisierung. Vor dem Hintergrund einer meist schlechten Sozialisation würden Strafgefangene in Haft in der Regel Teil einer dort herrschenden Subkultur. Vielfach hätten Strafgefangene schon vor ihrer Inhaftierung etwa Drogenprobleme, die in Haft verschärft würden. Es zeige sich, „dass die Kriminalisierung von Drogen für die Gesellschaft letztlich nichts bringt“ (S. 98). Gemeinnützige Arbeit statt Haft schaffe die Möglichkeit einer Schadenswiedergutmachung und sei weniger schädlich. Mit Gefängnisstrafen werde auch „keine echte Reue“ beim Täter gefördert. Eine Entlassung aus dem Vollzug sollte mehr durch einen offenen Vollzug vorbereitet werden. Langfristig könne es kostengünstigere Lösungen als den Strafvollzug geben. „Auch unter Kostenaspekten wäre eine grundlegende Reform des Strafvollzugs sinnvoll“ (S. 100). Vor schweren Straftätern müsse die Gesellschaft geschützt werden, „aber man könnte sie noch viel mehr schützen, wenn man genauer hinschauen würde, wie es so weit kommen konnte und was man hätte machen können, um das zu verhindern“ (S. 100).
Zielgruppen
Der Band gibt einen kritischen, auch für Nicht-Fachleute leicht verständlichen Einblick in die Realität des Freiheitsentzugs am Beispiel der JVA Freiburg, spricht dabei grundsätzliche Fragen dieser Kriminalstrafe an. „Absitzen in Freiburg“ informiert somit nicht nur über die Situation des Strafvollzugs in dieser Stadt, bei aller Unterschiedlichkeit der Strafvollzugspraxis in den verschiedenen Bundesländern gelten die wesentlichen Ergebnisse der einzelnen Analysen der Autor*innen für die Bundesrepublik generell, ja insgesamt für die Freiheitsstrafe. Zentrale Fragen, wie Sinn von Freiheitsstrafen, dessen konkrete Praxis, Hintergrund von Straffälligkeit bzw. die Wirksamkeit von Inhaftierungen hinsichtlich einer Verbesserung der Inneren Sicherheit, werden kurz und verständlich angesprochen. Das umfangreiche Bildmaterial gestattet mit einem Blick hinter die Mauern einen etwaigen Eindruck vom Leben hinter Gittern. Der nicht über den „Strafraum“ informierte Bürger, damit der weitaus größte Teil der Bevölkerung, bekommt einen ersten Eindruck von Gefängnissen, was sich auch auf die Einstellung zu Freiheitsstrafen, einen rationaleren Umgang mit der Sanktion, auswirken dürfte. Vor diesem Hintergrund war es eine fruchtbare Idee der Herausgeber, zum Freiburger Stadtjubiläum auch auf diesen Teil der Stadt mit einer großen Vollzugsanstalt in ihrer Mitte, auf einen in der Regel „vergessenen Teil der Bevölkerung“, hinzuweisen und zu informieren.
Diskussion
Der Band ist ein sehr verdienstvoller Schritt hin zu einem Versuch, die breite Öffentlichkeit mehr über die Freiheitsstrafe aufzuklären, er ist insgesamt gut gelungen. Der Band sollte auch nicht zu umfangreich sein, um gelesen zu werden. Trotzdem gibt es einige Aspekte, zu denen man sich für ein breiteres Verständnis der Problematik Straffälligkeit ausführlichere Informationen gewünscht hätte. Hierzu gehören etwa die Angehörigen, Frauen und Kinder, von Inhaftierten. Etwa 95 Prozent der Inhaftierten sind Männer, der Großteil hiervon hat eine eigene Familie, vielfach mit Kindern, die durch die Haft des Vaters bzw. Partners mitbestraft werden. Empirische Untersuchungen belegen international, dass die Wahrscheinlichkeit einer Straffälligkeit bei Kindern Inhaftierter erhöht ist. Mütter antworten auf die Fragen kleiner Kinder vielfach, warum der Vater hier sei und nicht nach Hause komme hilflos, er arbeite hier und weil es so viel Arbeit gebe, könne er selbst an den Wochenenden nicht nach Hause kommen. Die Frage, wie lange die Kinder das glauben und wie es ihnen geht, wenn sie die Wahrheit erfahren, ist kaum untersucht [1]. Familien kommen durch den Wegfall des „Ernährers“ vielfach in finanzielle Schwierigkeiten, werden stigmatisiert und damit oft auch isoliert [2]. Diese Kollateralschäden werden bei der Diskussion um die Freiheitsstrafe vielfach vernachlässigt.
Interessant wäre auch eine intensivere Auseinandersetzung mit der Frage gewesen, warum die Politik die von wissenschaftlicher Seite überzeugend vorgelegten Forschungsergebnisse zur eingeschränkten bzw. Nicht-Wirkung von Freiheitsstrafen nicht umsetzt. Das Beispiel der liberalen Drogenpolitik in Portugal zeigt etwa deutlich bessere Alternativen als das Vorgehen in Deutschland auf: Drogenabhängige benötigen weniger Strafe, mehr Behandlung [3]. Bei der Freiheitsstrafe handelt es sich um die teuerste Sanktion, Alternativen sind wesentlich billiger. Ein Tag Freiheitsstrafe kostet den Steuerzahler pro Insasse in Deutschland rund 130 Euro, das sind bei ca. 750 Insassen in der Freiburger Vollzugsanstalt täglich ca. 97.500 Euro, jährlich belaufen sich die Kosten somit auf ca. 35.587.500 Euro, allein für die Freiburger JVA. Wissenschaftler belegen in ihren Untersuchungen deutlich, dass die Zahl der Inhaftierten erheblich reduziert werden könnte, ohne die Innere Sicherheit zu gefährden, was andere Länder, wie etwa Norwegen oder Portugal belegen. Alternativen, wie Täter-Opfer-Ausgleich und Mediation zeigen vielfach bessere oder vergleichbare Ergebnisse als eine Freiheitsstrafe, sind gleichzeitig billiger. Da die Öffentlichkeit hierüber wenig informiert ist, wird auch wenig Druck hinsichtlich einer effizienteren Kriminalpolitik auf die Politik ausgeübt – oder braucht die breite Bevölkerung die Straftäter, die „Bösen“, für ihr eigenes Selbstverständnis? Politiker richten sich nach dem Wählerwillen der Mehrheit, schließlich wollen sie (wieder)gewählt werden. Veränderungen sind somit letztlich vor allem über eine Aufklärung der Öffentlichkeit zu erreichen.
Auf wesentliche Probleme der Freiheitsstrafe, wie etwa eine gute Entlassungsvorbereitung und Nachbetreuung wird in dem Band kurz hingewiesen. Da es sich hierbei um zentrale Aspekte einer wirksamen Eingliederung der Straffälligen in die Gesellschaft handelt, wäre eine ausführlichere Diskussion sicherlich sinnvoll, vor allem, weil hier auch die breite Bevölkerung oft direkt betroffen ist. Auch das Thema Ehrenamtliche Mitarbeiter im Strafvollzug hätte Hinweise auf Möglichkeiten einer Weiterentwicklung einer wirksamen Integration der Betroffenen geben können. Wie betont wird, spielen die Vollzugsbeamten eine zentrale Rolle hinsichtlich des Lebens in Haft. Vielfach sind diese überlastet, die Fallzahl ist sehr hoch, auch hier könnte letztlich Geld gespart werden, wenn mehr Beamte zu einer Reduzierung der Haftzahlen, einer Verkürzung der Haftzeiten, beitragen können. Was die Arbeit der Gefangenen in Haftanstalten betrifft wird zurecht auf die ausgesprochen geringe Bezahlung, die mit 1,43 bis 2,36 Euro pro Stunden angegeben wird, hingewiesen. Besonders kritisch ist, dass nicht in die Rentenversicherung einbezahlt wird, was, insbesondere bei langen Freiheitsstrafen, zu einer Altersarmut beiträgt, worauf hingewiesen wird. Diese kontraproduktiven Regelungen zeigen, dass von politischer Seite der Thematik kaum Aufmerksamkeit gewidmet wird. Bei den zahlreichen informativen Fotos zum Leben hinter Gittern taucht die Frage auf, ob nicht vorwiegend „schöne“ Zellen gezeigt werden, somit die Realität hinter Gittern letztlich „beschönigt“ wird, eine Frage, die in dem Band selbst angesprochen wird (S. 5). Wenn hinsichtlich mehr Aufklärung der Öffentlichkeit durch einen „Tag der offenen Tür“ argumentiert wird, dass man für die Inhaftierten keine „zoomäßige“ Situation schaffen wolle, ist das nur ein, für die Anstalt aufgrund weniger Aufwand, praktischer Aspekt. Gerade Maßnahmen der Öffnung der Anstalt für die Bevölkerung könnten andererseits diese mehr über die Vollzugspraxis informieren und für das Thema interessieren.
Fazit
Der Band spielt hinsichtlich einer Aufklärung der breiten Öffentlichkeit über die Realität der Freiheitsstrafe eine wesentliche Rolle. Er ist leicht verständlich geschrieben, wesentliche Aspekte des Themas werden angesprochen, zurecht vielfach kritisch. Auch Inhaftierte kommen selbst zu Wort. Wesentliche Nachteile der Strafe, auch deren Notwendigkeit bei einem Teil schwerer Straftäter, werden angesprochen, auf Alternativen wird hingewiesen. Resozialisierung bedeutet, sich auf den Gefangenen einzulassen, das benötigt Zeit, die etwa Vollzugsbedienstete aufgrund einer erheblichen Fallbelastung in der Regel nicht haben. Hinzu kommt, dass formal vorgeschriebene Entscheidungsroutinen konstruktiven Änderungen oft entgegenstehen und deren Umsetzung behindern. Letztlich werden weitergehende Änderungen wohl vor allem über eine qualifizierte Aufklärung der Öffentlichkeit zu erreichen sein, deren Punitivität sich durch mehr Information reduzieren wird. Dazu kann der Band beitragen. Wer an einer Weiterentwicklung der Diskussion um Kriminalstrafen, einem konstruktiven Umgang mit Kriminalität und sozialer Abweichung, einer kritischen Auseinandersetzung zu Reaktionsformen hierauf und deren Hintergründe, interessiert ist, enthält durch die Lektüre des Bandes eine Fülle von Anregungen.
Das Gesamturteil ist vor diesem Hintergrund: Empfehlenswert.
[1] Vgl. etwa: Cocon e.V. Freiburg (2020). Jahresbericht 2018/2019. Freiburger Verein für systemische Therapie von straffällig gewordenen Menschen, deren Angehörigen sowie Menschen in schwierigen Lebenssituationen. Freiburg.
[2] Vgl. zu dieser Problematik ausführlich: Kury, H., Kuhlmann, A. (2020). Zu den Auswirkungen der Inhaftierung Straffälliger auf Familienangehörige. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform, im Druck.
[3] Vgl. Kury, H., Quintas, J. (2010). Zur Wirkung von Sanktionen bei Drogenabhängigen – Argumente für eine rationale Drogenpolitik. Polizei & Wissenschaft 1, 31–56. Kury, H., Quintas, J. (2010). Sanktionen oder Hilfe? Einstellungen zu Drogentätern – Ergebnisse aus Portugal. Kriminalistik 64, 403–409. Kury, H., Kuhlmann, A., Qzintas, J. (2019). On the Preventive Effect of Sanctions for Drug Crime: The United States, Germany and Portugal. Archiwum Kryminologii, Polska Adademia Nauk, Instytut Nauk Prawnych 41, 261–295.
Rezension von
Prof. Dr. Helmut Kury
Universität Freiburg, Max Planck-Institut für ausländisches
und internationales Strafrecht (pens.)
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Zitiervorschlag
Helmut Kury. Rezension vom 19.10.2020 zu:
Britt Schilling, Reinhild Dettmer-Finke, Thomas Hauser, Britt Schilling: Strafraum. Absitzen in Freiburg. Verlag Herder GmbH
(Freiburg, Basel, Wien) 2020.
ISBN 978-3-451-38822-4.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/27507.php, Datum des Zugriffs 25.01.2025.
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