Suche nach Titel, AutorIn, RezensentIn, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet Logo

Doreen Cerny, Manfred Oberlechner (Hrsg.): Schule - Gesellschaft - Migration

Rezensiert von Dennis Barasi, 27.01.2021

Cover Doreen Cerny, Manfred Oberlechner (Hrsg.): Schule - Gesellschaft - Migration ISBN 978-3-8474-2160-3

Doreen Cerny, Manfred Oberlechner (Hrsg.): Schule - Gesellschaft - Migration. Beiträge zur diskursiven Aushandlung des schulischen Lern- und Bildungsraums aus theoretischer, empirischer, curricularer und didaktischer Perspektive. Verlag Barbara Budrich GmbH (Opladen, Berlin, Toronto) 2019. 188 Seiten. ISBN 978-3-8474-2160-3. D: 24,90 EUR, A: 25,60 EUR.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.
Inhaltsverzeichnis bei der DNB.

Kaufen beim socialnet Buchversand
Kaufen beim Verlag

Thema

Das von Doreen Cerny und Manfred Oberlechner herausgegebene Werk „Schule – Gesellschaft – Migration“ stellt einen Sammelband dar, der es sich zum Ziel nimmt, die im Titel benannte „Schnittstellenthematik […] diskursiv [zu] bearbeiten“ (S. 7). Hierbei setzt das Buch auf eine Sammlung von Beiträgen, die auf vielfältige Weise unterschiedliche empirische und theoretische Perspektiven auf das Themenfeld „Migration im Professionsfeld Schule unter Berücksichtigung gesellschaftlicher Aspekte“ (S. 12) eröffnen. Diese Betrachtungsweisen werden dadurch angeregt, dass sie auf internationale Erkenntnisse zurückgreifen (z.B. aus Österreich, Deutschland, Frankreich und Italien). Die Diskursivität des Forschungsfeldes spiegelt sich in den diversen Verständnissen von Migration wider, welche sich in den einzelnen interdisziplinären Beiträgen der Autor*innen wiederfinden lassen. Das von Cerny und Oberlechner herausgegebene Werk zeichnet sich zudem dadurch aus, dass die enthaltenen Beiträge nicht nur Schule selbst, sondern auch andere Felder – wie die Lehrer*innenbildung (Karakaşoğlu/Mecheril, Pernot und Oberlechner) oder theoretische Impulse für pädagogische Perspektiven (Schneider-Reisinger und Ben Haddou/Oberlechner) fokussieren.

Aufbau

Der Sammelband umfasst, neben einer von den Herausgeber*innen verfassten Einleitung, elf Beiträge. Um den anspruchsvollen Zielsetzungen der Herausgeber*innen gerecht zu werden, gliedert sich der Band in drei Abschnitte, denen die beinhaltenden Aufsätze zugeordnet werden:

  1. Schule – Gesellschaft – Migration in Europa – bildungshistorische und philosophische Einblicke in das Professionsfeld
  2. Zum Verständnis migrantischer Lebenswelten im Sozialraum Schule – empirische Perspektiven aus dem Professionsfeld
  3. Curriculare und didaktische Implikationen im und für das Professionsfeld ‚Schule‘

Inhalt

Der erste Teil, „Schule – Gesellschaft – Migration in Europa – bildungshistorische und philosophische Einblicke in das Professionsfeld“ (S. 15), wird von Yasemin Karakaşoğlu und Paul Mecheril mit Überlegungen zum „Pädagogische[n] Können in der Migrationsgesellschaft“ eingeleitet. Hierin legen die Autor*innen anschaulich dar, „wie pädagogisch professionelles Handeln der Pluralität migrationsgesellschaftlicher Positionen und (Bildungs-)Biographien Rechnung tragen kann, ohne dabei auf stereotype und stigmatisierende Fest- und Zuschreibungen zurückzugreifen“ (S. 19). Anschließend versucht Robert Schneider-Reisinger, die „antiquierte Denkfigur ‚Fremdheit‘“ (S. 33) für eine diversitätssensible Inklusionspädagogik nutzbar zu machen. Nausikaa Schirillas Beitrag schließt dann an den Überlegungen Karakaşoğlus und Mecherils an, wenn sie die Verwendung eines festschreibenden sowie wesenhaften Kulturbegriffs in der erziehungswissenschaftlichen Forschung kritisiert. Daraus resultierend plädiert sie für pädagogische Zugänge, die „Mitglieder einer Zielgruppe nicht nur als gleich, sondern auch als partiell anders sehen […] können“ (S. 54). Caroline Pernot schließt den Abschnitt mit einer historischen Perspektive auf die Interkulturelle Pädagogik der Aus- und Fortbildung von Lehrer*innen in Frankreich ab.

Der zweite Abschnitt „Zum Verständnis migrantischer Lebenswelten im Sozialraum Schule – empirische Perspektiven aus dem Professionsfeld“ (S. 71) stellt Erkenntnisse verschiedener empirischer Studien dar. So beginnt dieser Teil mit der Vorstellung und Diskussion ausgewählter empirischen Ergebnisse aus einer Studie, in der Lehrer*innen, denen ein sogenannter ‚Migrationshintergrund‘ zugeordnet wird, das Schüler*innensein konstruieren. Dieser von Cerny verfasste Beitrag spiegelt noch einmal die Gegenwärtigkeit des rezensierten Sammelbandes wider, da die diskutierten Daten einer aktuellen Studie entstammen (S. 73). Hieran schließt Barbara Herzog-Punzenberger mit der Feststellung an, dass sich das selektive Schulsystem in Österreich (anders, als es der Titel vielleicht vermuten lässt) nicht bewährt hat. Hierbei stützt sie sich vorwiegend auf Daten der PISA-Tests sowie des TIES-Projekts und zieht die Vergleichsdimensionen Leistung, Chancengleichheit, Bildungsteilnahme und Psychische Belastung heran. Annemarie Augschöll Blasbichler schließt den zweiten Abschnitt dann mit einer „retrospektive[n] Auseinandersetzung mit erlebter Schule von SüdtirolerInnen während des Faschismus sowie Menschen mit Migrationshintergrund heute“ (S. 101) ab.

Im dritten Teil „Curriculare und didaktische Implikationen im und für das Professionsfeld ‚Schule‘“ (S. 117) beginnt Oberlechner mit der Vorstellung einer „(selbst-)reflexiv-inklusiven Migrationspädagogik der neuen LehrerInnenbildung am Hochschulstandort Salzburg“ (S. 138). Hierbei schließt er an Überlegungen der Migrationspädagogik (vgl. z.B. Mecheril et al. 2010 [1]; Mecheril/Oberlechner 2016 [2]) und des pädagogischen Könnens in der Migrationsgesellschaft (vgl. z.B. Karakaşoğlu/Mecheril im rezensierten Band; Doğmuş et al. 2016 [3]) an und verknüpft diese mit den Ideen einer inklusiven Pädagogik zu einem „Kernelement der reformierten LehrerInnebildung in Österreich“ (S. 123). Arzu Çiçek erläutert anschließend in ihrem Beitrag Theorien der Passivität (sowie ihrem Verhältnis zur Aktivität) und schließt hieran ihre Kritik an der Praxis im Rahmen der institutionellen Bildung an, welche laut Autorin ausschließlich einen Fokus auf Aktivität legen würde. So seien laut Çiçek Subjekte in ihrem Handeln immer auch „Medien eines ihnen von anderen her überlieferten Handelns“ (S. 144). Der folgende Aufsatz von Susanne Geiling-Hassnaoui stellt ein didaktisches Konzept zur Sensibilisierung von Schüler*innen für das Thema Flucht dar. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit diesem Thema solle mittels der Romane „Gehen, ging, gegangen“ von Jenny Erpenbeck und Abbas Khiders „Ohrfeige“, die beide „die Situation der Flüchtlinge in ihrer Komplexität und Härte“ (S. 166) zeigen, angeregt werden. Das Buch wird von Kirsten Ben Haddou und Oberlechner mit weiteren an der Migrationspädagogik anschließenden Konzepten abgeschlossen. Die Autor*innen diskutieren die Frage, inwiefern Migration und Flucht als interdisziplinäre Lernfelder mit einbezogen werden können. Hierbei ist hervorzuheben, dass der Text sich nicht nur auf das Feld Schule beschränkt, sondern auch Hochschulen und insbesondere die Lehramtsausbildung sowie ihre Ausrichtung fokussiert.

Der Sammelband greift lediglich vereinzelt auf Abbildungen zurück, welche gezielt statistische Daten veranschaulichen (Herzog-Punzenberger oder Ben Haddou/Oberlechner). Das Buch wird von einer Kurzvitae mit einigen Überblicksinformationen zu den Autor*innen beendet.

Diskussion

Laut Einleitung ist der Sammelband an „wissenschaftlich orientierte Personen aus der pädagogischen Praxis, LehrerInnen, bildungspolitische AkteurInnen sowie an KollegInnen aus der Bildungswissenschaft und an sie angrenzenden Disziplinen adressiert“ (S. 12). Die Themenvielfalt, die auch innerhalb der jeweiligen drei Teile gegeben ist, die Fokussierung zahlreicher Forschungsfelder in und um Schule sowie die internationalen Perspektiven rechtfertigen die durchaus breit gestreute Adressierung von Leser*innen. Allerdings ist hier einschränkend zu sagen, dass sich die zuvor angesprochene „internationale Perspektive“ zumeist auf Europa beschränkt, was der von Karakaşoğlu und Mecheril geforderten „globalen Perspektive“ (S. 18) nicht vollends gerecht wird. Beiträge wie von Herzog-Punzenberger, die zwar ebenfalls einen Fokus auf Österreich legt, jedoch einen internationalen Vergleich vollzieht, der über Europa hinausgeht, stellen eher die Ausnahme dar. Die dargelegten, empirischen Perspektiven von Cerny und Herzog-Punzenberger werden von den Autor*innen so aufbereitet, dass sie leicht zugänglich sind. Schneider-Reisingers Beitrag setzt hingegen eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Konstrukt ‚Fremdheit‘ und dessen Fallstricken voraus, um seine Idee, ‚Fremdheit‘ gewinnbringend für eine diversitätssensible Inklusionspädagogik zu nutzen, erschließen zu können. Auch Çiçeks Beitrag setzt ein Vorwissen bezüglich (institutioneller) Bildung und deren Fokus auf Aktivität voraus, damit die Notwendigkeit auch Theorien der Passivität zu inkludieren deutlich wird.

Die in der Einleitung benannte diskursive Ausrichtung des Bandes spiegelt sich auch deutlich in den verschiedenen Beiträgen der Autor*innen wider. So lässt sich in einigen Aufsätzen ein „roter Faden“ finden (etwa bei Karakaşoğlu/Mecheril, Schirilla, Oberlechner und Ben Haddou/Oberlechner), der die Impulse der verschiedenen Beiträge hinsichtlich einer theoretischen Ausrichtung miteinander verknüpft. Andererseits tun sich auch unterschiedliche Perspektiven und damit einhergehende Kritiken auf. So schreibt beispielweise Çiçek: „‚MigrantInnen‘, ‚EinwanderInnen‘ und dergleichen sind hingegen sprachliche Figuren einer Andersheit […]“ (S. 152). Dies gilt auch für den von Cerny sowie von Augschöll Blasbichler verwendeten Begriff ‚Migrationshintergrund‘, der ebenfalls eine „Andersheit“ suggeriert, wobei Cerny diesen Begriff zwar verwendet, aber mit einem Zitat von Rotter/Schlickum (2013, S. 59) einräumt, dass „- im misslungenen Fall – ‚die soziale Kategorie [Migrationshintergrund] als relevantes Merkmal gesetzt [wird] und die Lehrkräfte mit der entsprechenden biographischen Erfahrung als Merkmalsträger[Innen] markiert [werden]‘“ [4](S. 74).

Fazit

Trotz genannter Kritikpunkte geben Cerny und Oberlechner einen Sammelband heraus, der sowohl innovative, theoretische Impulse als auch aktuelle empirische Perspektiven enthält. Lautete das Ziel, einen interdisziplinären Sammelband zu entwickeln, der „diskursive Aushandlungen des Schulischen Lern- und Bildungsraums“ vertiefend reflektiert, ist dies den Herausgeber*innen durchaus eindrucksvoll gelungen. Gerade die in der Diskussion aufgezeigten Widersprüche und die Interdisziplinarität der einzelnen Beiträge tragen dazu bei, die Diskursivität des Forschungsfeldes widerzuspiegeln. Somit bietet der Sammelband zahlreiche Impulse, welche sich auf Schulen und die Lehrer*innenbildung beziehen. Die Bezugnahme auf Forschung und Lehre liefert zahlreiche Anregungen, von denen sowohl – auch erfahrene – Forschende als auch Lehrende in den Erziehungs- und Bildungswissenschaften profitieren können.


[1] Mecheril, Paul/Castro Varela, María do Mar/Dirim, İnci/Kalpaka, Annita/​Melter, Claus (2010): Migrationspädagogik. Weinheim/​Basel: Beltz.

[2] Mecheril, Paul/Oberlechner, Manfred (2016): Migration bildet. Anforderungen an pädagogisches Handeln. In: Kronberger, Silvia/Kühberger, Christoph/​Oberlechner, Manfred (Hrsg.): Diversitätskategorien in der Lehramtsausbildung: Ein Handbuch. Innsbruck/Wien/Bozen: Studienverlag, S. 153–166.

[3] Doğmuş, Aysun/​Karakaşoğlu, Yasemin/​Mecheril, Paul (2016): Pädagogisches Können in der Migrationsgesellschaft. Wiesbaden: Springer VS.

[4] Rotter, Caroline/​Schlickum, Christine (2013): Lehrkräfte mit Migrationshintergrund als Forschungsgegenstand: Fortschreibung einer Differenzmarkierung? In: Bräu,Karin/​Georgi, Viola B./Karakaşoğlu, Yasemin/​Rotter, Caroline (Hrsg.): Lehrerinnen und Lehrer mit Migrationshintergrund. Zur Relevanz eines Merkmals in Theorie, Empirie und Praxis. München: Waxmann, S. 59–69.

Rezension von
Dennis Barasi
M.Ed., Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lektor im Arbeitsbereich Interkulturelle Bildung an der Universität Bremen
Mailformular

Es gibt 1 Rezension von Dennis Barasi.

Zitiervorschlag anzeigen Besprochenes Werk kaufen

Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht

Sponsoren

Wir danken unseren Sponsoren. Sie ermöglichen dieses umfassende Angebot.

Über die socialnet Rezensionen
Hinweise für Rezensent:innen | Verlage | Autor:innen | Leser:innen sowie zur Verlinkung

Bitte lesen Sie die Hinweise, bevor Sie Kontakt zur Redaktion aufnehmen.
rezensionen@socialnet.de

ISSN 2190-9245