Johann Ch. Student, Albert Mühlum u.a.: Soziale Arbeit in Hospiz und Palliative Care
Rezensiert von Prof. Dr. Christa Paulini, 03.03.2021

Johann Ch. Student, Albert Mühlum, Ute Student: Soziale Arbeit in Hospiz und Palliative Care.
Ernst Reinhardt Verlag
(München) 2020.
4. aktual. Auflage.
176 Seiten.
ISBN 978-3-8252-5484-1.
D: 26,00 EUR,
A: 26,80 EUR,
CH: 33,40 sFr.
Reihe: Soziale Arbeit im Gesundheitswesen.
Thema
Soziale Arbeit in Hospiz und Palliative Care ist ein sehr wichtiges aber bisher wenig bekanntes Arbeitsgebiet der Sozialen Arbeit und beschäftigt sich mit der Lebenssituation von sterbenden und trauernden Menschen und wie Soziale Arbeit diese unterstützen kann. Die Arbeit in Hospizen und auf Palliativstationen macht eine Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit notwendig und verweist auf die fehlende Beschäftigung mit Tod und Sterben in unserer Gesellschaft. Das Buch bietet einen sehr guten Einblick in die Arbeit in Hospizen und Palliativstationen, es informiert über strukturbezogenen Merkmale hospizlicher Sozialarbeit, verdeutlicht die Ziele der Hospizbewegung in Abgrenzung zur Sterbehilfe und informiert über rechtliche und politische Aspekte im Rahmen der Hospizbewegung. Es zeigt, dass Hospizbewegungen entstanden sind um das Sterben für alle Beteiligten durch eine ganzheitliche Begleitung, Ermutigung und Versorgung in verschiedenen Settings (ambulant und/oder stationär) erträglicher bzw. lebenswerter zu gestalten. Dies beinhaltet die Hilfe für Helfende (Ehrenamtliche/​Hauptamtliche) ebenso wie die Aufklärung der Öffentlichkeit. Das Buch ist letztendlich ein Plädoyer für Soziale Arbeit sich mit ihrer Fachlichkeit in diesem Bereich einzubringen.
Autoren und Entstehungshintergrund
Alle drei Autor*innen sind aktiv in der Hospizarbeit tätig und mit der Thematik von Palliative Care sehr gut vertraut:
- Herr Prof. Dr. med. Dr. h. c. Johann-Christoph Student, Deutsches Institut für Palliative Care, Bad Krozingen, ist Psychiater, Palliativmediziner und Psychotherapeut. Er lehrte an unterschiedlichen Hochschulen (Fachhochschule in Hannover und in Freiburg) Sozialmedizin, Psychiatrie und Thanatologie (Wissenschaft vom Tod, dem Sterben und der Bestattung). Von 1997 bis 2006 war er Gesamtleiter des Hospizes Stuttgart. Er ist Schüler von Elisabeth Kübler-Ross, die als Pionierin der Sterbeforschung gilt.
- Herr Prof. Dr. phil. Albert Mühlum vom HospizVerein Bergstraße, Bensheim, ist Diplom-Sozialwissenschaftler und war Professor für Sozialpolitik, Sozialethik und Sozialarbeitswissenschaft an der Fachhochschule Heidelberg bis 2005. Er ist Lehrbeauftragte an der Universität Heidelberg, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit DGS und u.a. Sprecher der Sektion Klinische Sozialarbeit.
- Frau Prof. Dr. med. Ute Student, ist im Deutschen Institut für Palliative Care, Bad Krozingen, verankert. Es ist eine Informations-, Beratungs- und Forschungsplattform für Fachleute und Laien, die die Situation sterbender und trauernder Menschen verbessern wollen. Veröffentlichungen von ihr, die dort aufgeführt sind, sind u.a.: Student, U., Student, J.-C.: Über den hilfreichen Umgang mit Eltern sterbender Kinder auf der Intensivstation. Kinderkrankenschwester 8 (1989) 6, Seite 172 ff. sowie Student, U., Student, J.-C.: Wider alle Natur: Der Tod im Kreißsaal. Deutsche Hebammen-Zeitschrift 42 (1990) 3, S. 78 ff. Sie arbeitet als Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin und in ihrer Praxisankündigung wird auf Naturheilverfahren und Homöopathie verwiesen.
Aufbau und Inhalt
Das Buch unterteilt sich in zehn Kapitel. Im ersten Kapitel stellen die Autor*innen das Selbstverständnis und die professionsbezogene Verortung Sozialer Arbeit – nicht nur in der Hospizarbeit – näher dar. Allgemein kann Soziale Arbeit mit ihrer generalistischen Ausrichtung eine Querschnittsaufgabe übernehmen und Menschen bei der Problembewältigung im Alltag unterstützen. Egal ob es sich um individuelle Beeinträchtigungen, situative Anforderungen oder strukturelle Benachteiligungen handelt. In der Hospizarbeit bedeutet dies für die Soziale Arbeit u.a. „Unterstützung bei der Auseinandersetzung mit Krankheit, Sterben und Tod sowie die Integration dieser Prozesse in die Behandlungsplanung“ (S. 20). Soziale Arbeit stützt sich dabei auf Theorien über Grundbedürfnisse (Ilse von Arlt), gelingenderen Alltag (Hans Thiersch), ökosozial denken und handeln (Wolf Rainer Wendt) sowie gerecht tauschen (Silvia Staub-Bernasconi).
Im zweiten Kapitel folgt die Darstellung der strukturbezogenen Merkmale hospizlicher Sozialarbeit. Orientierungspunkte sind die Wünsche der Sterbenden, die beispielsweise schmerzfrei, Zuhause und nicht alleine sterben möchten.
Im dritten Kapitel gehen die Autor*innen näher auf die Zielgruppen – der sterbende Mensch, die Angehörigen, die beteiligten Berufsgruppen sowie die freiwilligen Helfer*innen – ein und stellen ihre Situation näher dar. Daran schließt sich die Darstellung rechtlicher und politischer Aspekte u.a. auch die Abgrenzung zwischen Sterbebegleitung, Sterbehilfe und Euthanasie im vierten Kapitel an. Informiert wird aber auch über wichtige Punkte wie Patientenverfügung, Vorausverfügung etc. Im fünften Kapitel werden die Versorgungsstrukturen und Organisationsformen (ambulant/stationär) sowie die Arbeit der Kinderhospize vorgestellt. Im sechsten Kapitel wird der Umgang mit Verlusterfahrungen ebenso thematisiert wie die theoretischen Ansätze und Arbeitsformen in der hospizlichen Sozialen Arbeit, die u.a. Empowerment, Unterstützungsmanagement, Organisationsentwicklung und den Erwerb von Handlungskompetenzen umfassen. Anschließend diskutieren die Autor*innen ethische Aspekte in der Ausformung von Alltagsethik, Berufsethik sowie Hospizethik d.h. der Lehre vom gelingenden Sterben. Die Geschichte der Hospizbewegung wird im neunten Kapitel genauer dargestellt und die Verbindung zwischen Hospizgeschichte und Sozialer Arbeit nochmals herausgearbeitet. Anspruch und Wirklichkeit der Sozialen Arbeit in diesem Handlungsfeld werden thematisiert. „Wichtige Forderungen aus der Sicht der Hospizbewegung sind z.B. eine verlässliche Finanzierung, flächendeckende Versorgung und eine gesellschaftliche Anerkennung.“ (S. 156) Das zehnte Kapitel beschäftigt sich mit Hospiz- und Palliative Care am Scheideweg, denn derzeit – so die Autor*innen – besteht die Gefahr, dass die Dynamik von Institutionalisierung, Verberuflichung und sozialrechtlicher Normierung die konstituierenden Elemente der Hospizbewegung wie „Ehrenamt, soziale Einbettung und Alltagsorientierung“ verdrängen. Hospiz- und Palliativ Care stehen damit vor einer Richtungsentscheidung.
Zielgruppen
Das Buch kann für die unterschiedlichsten Fachkräfte, die in der Hospizarbeit tätig sind oder tätig werden wollen sowohl fördernd als auch herausfordernd sein. Dies bezieht sich sowohl auf Sozialarbeiter*innen/​Sozialpädagog*innen als auch auf Pflegekräfte (Krankenschwestern, Krankenpfleger) sowie Ärzt*innen, die in Hospizen oder auf Palliativstationen arbeiten bzw. arbeiten wollen. Es schließt aber auch die Gruppe der ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen sowie die Gruppe der Angehörigen mit ein. Die Auseinandersetzung mit Sterben, Tod und Trauer kann das eigene Leben verändern und bereichern; der Weg dabei ist jedoch nicht einfach. Das Möglichkeit das Thema Sterben, Trauer und Tod verstärkt zum Thema des eigenen Berufes im Rahmen der Sozialen Arbeit zu machen ist eine Herausforderung. Es bedeutet sterbenden und trauernden Menschen nahe zu sein, sie zu begleiten und sie zu unterstützen. Außerdem eröffnet dies die Möglichkeit verstärkt in der Öffentlichkeitsarbeit für die Wichtigkeit eines gelingenderen Umgangs mit Leid, Tod und Schmerz einzutreten.
Diskussion
Die Auseinandersetzung mit der Thematik Sterben, Trauer und Tod setzt in unserer Gesellschaft Ängste frei, Ängste vor dem eigenen Tod, aber auch Ängste vor dem Tod naher Angehörige. Nicht umsonst wird von den Autor*innen u.a. Mascha Kaleko mit dem Ausspruch zitiert: „Bedenkt: den eigenen Tod, den stirbt man nur, doch mit den Tod der anderen muss man leben.“ Die Darstellung der Möglichkeiten Sozialer Arbeit in Hospiz und Palliative Care stellt einen wichtigen Beitrag zur Enttabuisierung von Tod und Sterben in unserer Gesellschaft dar. Diese Enttabuisierung kann dazu beitragen, die Sprachlosigkeit von Angehörigen untereinander zu beenden und über Wut, Trauer, Abschied und Verzweiflung angesichts der Endlichkeit des Lebens miteinander sprechen zu können.
Fazit
Es handelt sich um ein Buch, dass nicht nur für Berufsgruppen wie Sozialarbeiter*innen, Sozialpädagog*innen, Pflegekräfte (Krankenschwestern, Krankenpfleger) sowie Ärzt*innen, die im Bereich der ambulanten oder stationären Hospizarbeit sowie in Palliativbereich tätig sind, geeignet ist. Es ist generell ein Buch, dass alle Studierenden der Sozialen Arbeit lesen sollten, da es Ihnen Mut, Zuversicht und Stolz auf den eigenen Beruf vermitteln kann. Sie lernen mehr über die Bandbreite möglicher Kompetenzen und sie lernen weitere Handlungsfelder der Sozialen Arbeit kennen. Dieses Buch kann zur Enttabuisierung von Sterben, Trauer und Tod in unserer Gesellschaft beitragen. Und es kann dazu beitragen, dass der Tod mehr zum Leben dazugehört.
Rezension von
Prof. Dr. Christa Paulini
HAWK Hildesheim/Holzminden/Göttingen, Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit
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Es gibt 14 Rezensionen von Christa Paulini.
Zitiervorschlag
Christa Paulini. Rezension vom 03.03.2021 zu:
Johann Ch. Student, Albert Mühlum, Ute Student: Soziale Arbeit in Hospiz und Palliative Care. Ernst Reinhardt Verlag
(München) 2020. 4. aktual. Auflage.
ISBN 978-3-8252-5484-1.
Reihe: Soziale Arbeit im Gesundheitswesen.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/27600.php, Datum des Zugriffs 09.06.2023.
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