Thomas Sablowski, Judith Dellheim et al.: Auf den Schultern von Karl Marx
Rezensiert von Arnold Schmieder, 26.02.2021
Thomas Sablowski, Judith Dellheim, Alex Demirović, Katharina Pühl, Ingo Solty: Auf den Schultern von Karl Marx. Verlag Westfälisches Dampfboot (Münster) 2021. 650 Seiten. ISBN 978-3-89691-259-6. D: 48,00 EUR, A: 49,40 EUR.
Thema
Der Band basiert auf zwei Tagungen anlässlich des 200. Geburtstages von Karl Marx im Jahr 2018, die wesentlich von der Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützt wurden. Wegen der Vielzahl der Beiträge konnten nicht alle aufgenommen werden. Marx habe wechselvolle und sehr unterschiedliche Konjunkturen gehabt, er könne „Mode werden wie in der Protestbewegung seit 1968, er kann rückhaltlos bekämpft werden“ (S. 9). Die Herausgeber*innen schicken vorweg, es gehe „also darum, mit der Illusion zu brechen, in den marxschen Texten sei im Prinzip alles schon enthalten und sie hätten schon auf alles eine Antwort gegeben“ (S. 12), und sie heben hervor, es sei „wichtig, die Theoriebildung von Marx genau zu kennen und kritisch zu beurteilen“ (S. 11). Der Band tritt an, einen weiten, breit gefächerten Überblick zum gegenwärtigen Stand der Marx-Debatte zu geben.
Inhalt
Im Vorwort gehen die Herausgeber*innen kritisch auf die Geschichte der Marx-Rezeption ein und merken an, es gehöre „zum bürgerlichen Blick dazu, den guten Denker Marx vom schlechten Politiker Marx zu trennen.“ „Die Analysen von Marx“, heißt es weiter, „sind allenfalls ein Wissensbaustein geworden, orientieren aber kaum die Fragestellungen“ (S. 13). Im Anschluss werden die Inhalte (fast) aller Beiträge kurz skizziert. Allerdings würde es immer noch „zu vielen Fragen (…) an marxistischen Analysen“ mangeln, gleichwohl hoffen die Herausgeber*innen darauf, dass der Band seinen „Zweck in der politischen Bildung erfüllt und als Werkzeug für die kommende Generation von Marxist*innen bei der Produktion neuen Wissens und der Entwicklung emanzipatorischer Praxis dient“ (S. 17).
Die Beiträge des Bandes sind in drei Abschnitte gegliedert:
1. Marx neu gelesen: Michael Brie will mit seinem Beitrag „Marx’ kommunistischer Dämon. Wie ist ein Verein freier Menschen möglich?“ die „Genesis dieser kommunistischen Antwort rekonstruieren und damit zu ihrer kritischen Aufhebung und Neufassung unter den Bedingungen unserer Zeit beitragen“ (S. 32). Zwar sei Marx in wesentlichen Punkten „bis an sein Lebensende dem Erbe von Rousseau und Hegel verpflichtet“ geblieben, jedoch der „kommunistische Dämon, vor dem er noch ein Jahr zuvor (1842; a.s.) warnte, hatte seine Gesinnung erobert“ (S. 32), nämlich eine „Vision“, dass „(u)nmittelbare Gesellschaftlichkeit der Lebenstätigkeit der Individuen und ihre freie Selbstentfaltung (…) auf kommunistischer Grundlage zusammenfallen können“ (ebd.).
Hermann Klenner kommt in seinem Beitrag „Marx und das Recht: Annäherungen“ nach kritischer und systematischer Entfaltung seines Gegenstandes in Bezug auf den Begriff der Gerechtigkeit, nach Marx der „‚ideologisch verhimmelte Ausdruck der ökonomischen Verhältnisse, bald nach ihrer konservativen, bald nach ihrer revolutionären Seite hin‘“ (zit. S. 45), zu der abschließenden Einschätzung, Marx und Engels hätten, da „(f)ixiert vor allem auf die ihrer Meinung nach bevorstehende proletarische Revolution“, die „reformierenden Potenzen von Gerechtigkeitsforderungen innerhalb der bestehenden Gesellschaftsformation unterbewertet“ (S. 45).
Emanuel Kapfinger untersucht in seinem Beitrag „Marx’ Kritik der Philosophie in den Pariser Manuskripten“ und vertritt dabei die These, dass „kritische Philosophie (…) mit marxistischer Theorie nicht kompatibel“ sei. „Als Philosophie kann sie Emanzipation nur in philosophischen Abstraktionen wie der Autonomie des Selbstbewusstseins oder der Überwindung von Identität denken“ (S. 49). Der Autor setzt sich zur Untermauerung seiner These mit der Marxschen Kritik der Hegelschen Philosophie in den sog. Frühschriften auseinander, um eine „materialistische Dialektik“ (S. 65) zu umreißen, welche er als Methode der Kritik versteht.
Ulrich Ruschig geht in seinem Beitrag „Zum Begriff der Gerechtigkeit bei Marx“ der Frage nach der „Wirklichkeit der Gerechtigkeit in der bürgerlichen Gesellschaft“ nach und stellt zusammen, was Marx als „Kritiker der bürgerlichen Gesellschaft zu ‚Gerechtigkeit‘“ sagt (S. 67). Ausgehend vom „Ursprung des Begriffs in der Antike“ zeigt Ruschig, dass mit Kant der für die bürgerliche Gesellschaft maßgebliche Begriff der Gerechtigkeit formuliert wurde und für Marx diese verwirklichte bürgerliche Gerechtigkeit nicht Ideal, sondern Gegenstand der Kritik war. Dem „Kant’schen Begriff der Gerechtigkeit geht Marx auf den Grund – nämlich den Grund in den Widersprüchen der bürgerlichen Gesellschaft. In diesem Offenlegen des Grundes besteht Marxens Kritik der (bürgerlichen) Gerechtigkeit“ (S. 69). Marx kritisierte insbesondere an Proudhon das Verklären der Gerechtigkeit zu einem Ideal und zeigte, dass aufgrund der Verwirklichung von Gerechtigkeit im Kapitalismus diese in sich widersprüchlich geworden ist. „Das den Tausch dirigierende Wertgesetz bringt die gesellschaftliche Wirklichkeit von Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit auf den Begriff. Wenn Marx und Engels dieses Wertgesetz kritisieren, kritisieren sie mithin die Wirklichkeit von Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit in der bürgerlichen Gesellschaft“ (S. 74). Diese Kritik bezog Marx bereits auf die sozialdemokratische Arbeiterpartei und „plädiert gerade nicht für mehr Gerechtigkeit (…), sondern dafür, der Gerechtigkeit und ihrer Dialektik, der widersprüchlichen Einheit von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, den (ökonomischen) Boden zu entziehen“ (S. 77). Die ökonomische Grundlage ist der „Widerspruch der kapitalistischen Produktionsweise“ (ebd.), auf dessen Grundlage diese Dialektik zu erklären ist. Damit ist Gerechtigkeit heute als „Resultat“ zu begreifen (S. 79). Die philosophischen Ideen haben für Marx „einen Zeitindex ihrer Wahrheit, d.h. ihre Wahrheit steht in einer Konstellation mit dem Stand ihrer Verwirklichung“ (S. 74). Als geschichtsblind entlarvt Ruschig sowohl das Festhalten an ewigen metaphysischen Ideen als auch die positivistische Zertrümmerung dieser Ideen: „So falsch es ist, die Idee der Gerechtigkeit zu einer immerwährenden und feststehenden Entität, nicht affizierbar oder veränderbar durch die Geschichte, zu hypostasieren, so falsch ist es, die Idee der Gerechtigkeit als Unsinn, über welchen man nicht reden könne, sondern schweigen müsse, auszulegen – mittels eines jenseits der Geschichte stattfindenden und in einem a priori und formallogisch bestimmten Raum angesiedelten Geschäftsordnungsverfahrens“ (S. 80). Vielmehr gelte es, an der Aporie festzuhalten, welche die in der bürgerlichen Gesellschaft dialektisch gewordene Gerechtigkeit begreift: „Die Produktion und die Aneignung von Mehrwert sind sowohl gerecht als auch ungerecht. Zugleich ist es falsch zu sagen, die Produktion und die Aneignung von Mehrwert seien weder gerecht noch ungerecht, seien gleichgültig gegen jede moralische Bestimmung, seien Adiaphora“ (S. 81). Und es gelte, durch das Aussprechen der Aporie „‚diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen (zu; a.s.) zwingen, dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!‘“ (ebd.)
Um den „Wirklichkeitsstatus der bürgerlichen Gesellschaft“ geht es im Beitrag von Alex Demirović. Die Objektivität dieser Gesellschaft sei „tief ambivalent“ (S. 83) und Marx habe Schwierigkeiten, „die eigentümliche Wirklichkeit des Kapitalverhältnisses und der von ihm bestimmten Gesamtheit bürgerlicher Verhältnisse theoretisch zu fassen“ (ebd.). Anhand der Diskussion des Ideologie-Begriffs bei Marx und der Kritik der Politik wird dargelegt, dass die „kapitalistische Ökonomie (…) als Traumgeschichte und als illusorische Verallgemeinerung eines partikularen Willens“ zu bestimmen sei, es sich um eine Wirklichkeit handle, die nicht existiere (S. 96). Daher sei Ideologiekritik „zentral für das Verständnis des Kapitalverhältnisses als einer gelebten Praktik von großen Kollektiven“ (S. 105).
Um exakte Analysen der Finanzialisierung des Kapitalismus und seiner Krisen geht es Stefano Breda, wobei er den Begriff des fiktiven Kapitals zu substantiieren antritt und mit Missverständnissen aufräumt, die nach seiner Darlegung (auch) auf Engels zurückgehen und der Begriff auch im Hinblick auf Marx der Präzision bedürfe.
Am Gegenstand der ökologischen Frage setzt sich Kohei Saito in seinem Beitrag „Das intellektuelle Verhältnis von Marx und Engels aus ökologischer Perspektive: Eine Neubewertung“ mit Unterschieden zwischen Marx und Engels hinsichtlich ihrer Einschätzung des Verhältnisses von Natur und kapitalistischer Produktion auseinander. Insbesondere am Begriff des „Stoffwechsels“ zeigt der Autor auf, dass Engels durch Umformulierungen inhaltlich in den dritten Band des Kapital eingriff. „Marx’ Verknüpfung von Wert- und Stoffwechseltheorie im Kapital bietet also eine konzeptionelle Grundlage, um den kapitalistischen Raubbau kritisch zu analysieren“ (S. 129). Im Gegensatz zu Marx habe Engels die Stoffwechseltheorie von Liebig abgelehnt und habe deshalb die Beziehung zwischen Mensch und Natur nicht adäquat aufgefasst. „Da er den Stoffwechsel von Mensch und Natur nicht als Bindeglied zwischen der Kritik der politischen Ökonomie und der Ökologie verstand, hing er weiter dem statischen Motiv der ‚Rache‘ der Natur an. Diese Diskrepanz führte auch zu unterschiedlichen Vorstellungen über die zukünftige sozialistische Gesellschaft“ (S. 132).
Karl Heinz Roth zeichnet Marxens Aufnahmen und Auseinandersetzung mit Aufständen und sozialrevolutionären Bewegungen nach, dass und wie er von einem eurozentristischen Blick auf gleichsam global mehrgleisige gesellschaftliche Entwicklungen kam, was nicht in sein „unilineares Modell der Klassenkämpfe“ hineinpasste (S. 143) und er „allein dem ‚doppelt freien Lohnarbeiter‘ die historische Mission“ anvertraute (S. 150). Revolutionstheoretisch habe er jedoch recht „konkrete Vorstellungen zur sozialistischen Erneuerung Russlands unter Umgehung des Mahlstroms der nachholenden ursprünglichen Akkumulation erarbeitet“ (S. 167). Klar würde aber, „dass die aus der Analyse der revolutionären Umbrüche gewonnenen Einsichten nur zu begrenzten Korrekturen in seiner Kritik der politischen Ökonomie führten und viele Fragen offen ließen“ (S. 142) und eine „Ausblendung komplexer sozialgeschichtlicher Ereignisse“ zu konstatieren sei (S. 171); heute Anlass, „die Kritik der politischen Ökonomie zu revolutionieren und den arbeitenden Klassen auf der Grundlage einer erweiterten Werttheorie einen Platz auf gleicher Augenhöhe zuzuweisen“, was dann zur „egalitären und kommunistischen Umwälzungen der Produktionsverhältnisse“ befähige (S. 173). Der vielschichtigen Zusammensetzung seien „egalitäre Strukturen de(s) revolutionären Diskurses zur Seite“ zu stellen. Der Autor indiziert „Konsequenzen“ aus der „Tatsache“, „dass Marxens wirtschaftstheoretisches Schaffen weit hinter seiner Revolutionstheorie herhinkte“. Daher ist es sein Anliegen, „das aus ihr weitgehend verschwundene revolutionäre Subjekt in die Kritik der politischen Ökonomie zu reintegrieren“ (S. 174).
„Vom Nutzen und Nachteil der historischen Analogie für die Praxis. Bemerkungen über Marx’ späte Studien“ ist der Titel des Beitrags von Emanuela Conversano, der zeigt, dass der „methodische Bezug auf die historische Analogie (…) erst an Bedeutung (gewinnt), wenn man die Beziehung zwischen dem materialistischen Charakter der Analyse und der Rolle der Abstraktion in der wissenschaftlichen Arbeit über die kapitalistische Produktionsweise in den Blick nimmt“ (S. 186).
Differenz im Sinne einer multilinearen Perspektive als Herausforderung für emanzipatorische Politik und politische Bildungsarbeit ist Thema von Lutz Brangsch, wobei er angesichts des „Zusammenfallen(s) von sehr unterschiedlichen Faktoren“ die immer erneute Frage aufwirft, „ob das Instrumentarium der marxschen Kritik der politischen Ökonomie auch heute noch geeignet ist, die Welt zu erkennen und daraus Konsequenzen für politisches Handeln abzuleiten“ (S. 193). Angesichts von „Multilinearität der Wege“, d.h. der Widerstände gegen den Kapitalismus, sei die Frage nach den „Wirkungsmechanismen und Gesetzmäßigkeiten jenseits des ‚Kerns‘ der Kritik der politischen Ökonomie immer wieder neu zu stellen“ und in den „Kern“ der „künftigen Rezeption“ von Marx und Engels zu nehmen (S. 201).
2. Marxismen: Weiterentwicklungen und Kritiken: Für Klassenpolitik ist nach wie vor von Relevanz ist, wie Klassen zu bestimmen sind, was John Lütten nicht nur in Aufnahme älterer klassentheoretischer Diskussionen kritisch nachzeichnet und auch auf rein „‚praxeologische(.)‘ Beiträge“ hinweist, welche „die Bedingungen der praktischen Klassenformierung untersuchen“, und zwar mitsamt „ihren Fraktionierungen“, „wo rein politökonomische Strukturanalysen an ihre Grenzen stoßen“ (S. 221). Dass und wie der Klassenbegriff bei Marx und Engels (u.a.) lediglich beschreibenden schichtungs- und milieutheoretisch angelegten Untersuchungen überlegen ist, er ebenso nicht ökonomistisch zu verkürzen ist, macht der Autor deutlich, wenn er den Nachweis führt, dass Marxens Klassenbegriff mehr ist als ein „empirisch-deskriptives Konzept der sozialstatistischen Analyse – er ist ein gesellschafts-, konflikt- sowie revolutionstheoretischer und politischer Begriff gleichermaßen“ (S. 209).
Helmut Dahmer sieht zunächst eine Affinität zwischen Marxens Verständnis der Prägekraft gesellschaftlicher Verhältnisse und Freuds Kulturtheorie, Erkenntniswege, die parallel weitergeführt werden sollten, kommt auf Aufnahmen in der kritischen Theorie zu sprechen, gibt ausführliche Einblicke in Geschichte und Theoriedifferenzen linker Freudianer, um schließlich auf „Mentalitäten“ zu fokussieren, die in „Persönlichkeitsstrukturen“ verankert seien, „identitätsstiftende Deutungsschemata sozialer Verhältnisse“ als „Scheuklappen“ der „elementaren (Freund-Feind-)Orientierung“ dienend. So gestiftete „soziale Vorurteile“ bedürften durch Aufklärung angeleiteter „Selbst-Aufklärung“, um – mit Freud – aus der Vergangenheit zu lernen und „eine Gesellschaft vorzubereiten, ‚die keinen mehr erdrückt‘“ (S. 251).
„Freud und Adorno zusammendenken – Adornos Analysen zu Affektdynamik in der bürgerlichen Gesellschaft. Affekte im Zentrum sozialwissenschaftlicher Untersuchungen“ ist der Titel des Beitrags von Mariana Schütt, in welchem die Autorin ausgehend von der Feststellung, dass in den Gesellschaftswissenschaften wieder vermehrt auf Affekte als Erklärungshorizont zurückgegriffen wird, Adornos „dialektische(.) Psychologie“ aufnimmt, wobei das „Bestreben, eine an Marx angelehnte Gesellschaftstheorie mit der Psychoanalyse Freuds zu konfrontieren, (…) im Mittelpunkt stehen“ soll (S. 258). Mit der „Dialektik der Aufklärung“ zeigten Adorno und Horkheimer, dass eine „Gegenüberstellung von Kultur und Aggression“, welche noch bei Freud vorgefunden wurde, nicht mehr zu halten war, da die Kultur „auf den Füßen der Ausbeutung“ stehe (S. 261). Die Autorin betont zu Recht, „dass Horkheimer und Adorno (mitnichten; a.s.) als Vorläufer postmoderner Vernunftverachtung stilisiert werden können. Vielmehr geht es ihnen darum, aufzuzeigen, wie Vernunft systematisch in ihr Gegenteil umschlägt“ (S. 259). Gegen Neofreudianer wie Karen Horney und Erich Fromm betonte Adorno die Bedeutung des Triebkonzepts in der Psychoanalyse und „dass es ‚Gewalt ist, was vom Individuum verinnerlicht wird‘“ (S. 264). Auf dieser Grundlage wird Psychoanalyse mit Gesellschaftstheorie verbunden, wobei Adorno hervorhob, dass es „die ‚vielfach mittelbare Drohung körperlicher Gewalt‘“ sei, die die Gesellschaft in erster Linie zusammenhalte (S. 265). Damit ist auch zeitgenössischen modernisierungstheoretischen Ansätzen (wie dem von Martin Dornes) zu widersprechen, welche mit ihrer Annahme einer „‚kommunikativen Verflüssigung‘“ (Dornes zit. S. 267) die „repressive Zurichtung“, die weiterhin nötig ist, um die Subjekte in die kapitalistische Gesellschaft zu integrieren, unterschätze. „Die Kinder werden also teilweise nicht einfach ideologisch – im Sinne der wörtlichen Anrufung – verhärtet, sondern die Härte wird ihnen in den Leib eingebrannt“ (ebd.). Für die Analyse aktueller gesellschaftlicher Phänomene lasse sich mit Adorno die Erkenntnis gewinnen, „dass Affekte wie Hass und Vernichtungswille unter den Bedingungen einer antagonistischen Gesellschaft nicht erst von rechten Akteuren evoziert werden müssen, durch sie aber unheilvoll legitimiert, unendlich verstärkt und ausagiert werden können“ (S. 268).
Michael Zander überschreibt seinen Aufsatz mit einem Engels-Zitat: „‚Die eigentlichen Triebkräfte, die ihn bewegen, bleiben ihm unbekannt.‘ Ideologie als psychologisches Problem“. Der Autor legt mit Marx und Engels den Begriff der Ideologie dar und zeigt auch unter Bezugnahme auf Freud, Fromm, Adorno und die Kritische Psychologie die Bedeutung der Ideologie für eine kritische Theorie der Gesellschaft im Anschluss an Marx auf. Ideologie wird bestimmt als „ein gesellschaftlich nahegelegter Prozess der Täuschung über die eigenen Handlungsmotive oder die Motive anderer und über die gesellschaftlichen Verhältnisse. Ideologie sucht die Ursache für gesellschaftlich-historische Entwicklungen im Denken der Handelnden statt in deren materiellen Interessen angesichts gesellschaftlicher Verhältnisse“ (S. 275). Ideologiekritik komme daher die Aufgabe zu, „Zusammenhänge auf(zu)decken, die von der Ideologie verdeckt werden“ (S. 278), was in erster Linie bedeute, die wahren Ursachen gesellschaftlicher Probleme materialistisch zu bestimmen und damit nicht bloß auf „subjektive Aspekte“ (ebd.) zurückzuführen.
In ihrem Beitrag „Kritische Psychologie als historisch-materialistische Subjektwissenschaft“ erinnert Leonie Knebel an Klaus Holzkamp (und anbei auch an u.a. Aleksej N. Leontjew und Lucien Sève), wobei sie aufzeigt, dass und wie dessen Kritische Psychologie auf Marxschen Hinweisen aufsattelt, der Mensch „‚nur in der Gesellschaft sich vereinzeln kann‘“, er seine eigene Geschichte mache, aber immer unter „‚unmittelbar vorgefundenen‘“ Umständen und Praxis als „‚sinnlich menschliche Tätigkeit‘“ zu begreifen sei, um im Wesentlichen zu analysieren, „wie gesellschaftliche Widersprüche im Kapitalismus psychisch verarbeitet werden“ (S. 289), was wichtig ist, soll der „Auftrag der psychischen Reparatur unter gleichbleibenden Lebensbedingungen überschritten“ werden (S. 292). Die Autorin kommt zu dem Schluss, dass das Holzkampsche Konzept am ehesten in der Pädagogik und der Sozialen Arbeit aufgegriffen wurde.
Eleonora Roldán Mendívil und Bafta Sarbo weisen unter deutlicher Bezugnahme auf Marx einen theoretisch kritisch einzuholenden und politisch dringend gebotenen ‚materialistischen Antirassismus‘ aus und unterziehen einen liberalen und „aktuell(.) hegemonialen Antirassismus“ (S. 303) einer Kritik, wie sie auch vor „essentialistischen Zuschreibungen bzw. Selbstidentifizierungen“ ohne „Klassenperspektive“ warnen (S. 305). Rassismus ist „konkretes Herrschaftsinstrument“ (S. 298), wie bereits Marx zeigte, und „Kolonisierte oder Migrant*innen“ sind als „Überausgebeutete(.)“ ein „Puffer nach unten“, zudem ist Rassismus ein „soziales Verhältnis zwischen Menschen, die auf unterschiedliche Weise in die Produktion miteinbezogen und ausgebeutet werden“ (S. 301 f.). Die Autorinnen machen plausibel, dass „Rassismus Bestandteil kapitalistischer Produktionsweise“ und eine Überwindung „innerhalb des Kapitalismus (…) ausgeschlossen“ ist, gleichwohl „Antirassismus eine notwendige Voraussetzung für einen erfolgreichen Klassenkampf“ ist, insoweit eine „gemeinsame Grundlage für einen Kampf“ zu schaffen ist, in dem „alle Teile der Arbeiterklasse Protagonist*innen ihrer Befreiung sind“ – Herausforderung für einen „revolutionären Marxismus“ (S. 306 f.).
María do Mar Castro Varela und Nikita Dhawan sondieren die Frage nach ‚marxistisch oder postkolonial‘, problematisieren Marxens „eurozentristische(s) Produktionsweisennarrativ“ (S. 321), und stellen „Postkoloniale Theorie als Supplement marxistischer Theorie“ vor allem unter Bezugnahme auf Spivak dar (S. 311), nach der postkoloniale und auch poststrukturalistische Theorien ohne „marxistische Perspektiven (…) nicht denkbar“ sind (S. 319), die sich aber auch „skeptisch hinsichtlich der Möglichkeit eines kompletten Bruchs mit dem Kapitalismus“ zeige (S. 322). Die Autorinnen plädieren, „dass sich die unterschiedlichen Perspektiven gegenseitig hinterfragen, womit einer konstruktiven Transformation Vorschub geleistet werden kann“ (S. 323).
Um eine „Theorie sinnlicher Praktiken“ geht es Ruth Sonderegger, die sie über kunsttheoretische Kritik, „Allgemeinheit und Ahistorizität des Anspruchs der Kunst-Ästhetik“ (S. 325), und unter ebenfalls kritischer Aufnahme und Fortführung von Rancière, den Cultural Studies sowie Guattari konturiert. Vor dem von der Autorin eingespeisten Marx-Zitat, der „‚sorgenvolle, bedürftige Mensch‘“ habe „‚keinen Sinn für das schönste Schauspiel‘“ (zit. S. 329), heißt es, um hier daran zu erinnern, eine Seite vorher bei Marx, „erst durch den gegenständlich entfalteten Reichtum des menschlichen Wesens wird der Reichtum der subjektiven menschlichen Sinnlichkeit (…) teils erst ausgebildet, teils erst erzeugt.“ Inhaltlich elaboriert weist das auf „Ästhetik“, wie sie der Verfasserin aus „marxistischer Perspektive die einzig sinnvolle scheint: eine Episteme sinnlicher Praktiken (…), deren wichtigste Unterscheidung die zwischen dem herrschaftlichen und dem emanzipatorischen Umgang mit der Aufteilung des Sinnlichen ist“ (S. 335), wobei es dann um „Eingriffe in habituell gewordene sinnliche Praktiken der Subjektivierung“ geht mit der Ermöglichung einer „‚Kreativität‘“, die „als eine – Veränderungsenergie produzierende und Veränderungsenergie anziehende – ästhetische Kraft“ zu verstehen ist (S. 336 f.).
3. Mit Marx den gegenwärtigen Kapitalismus analysieren: Frieder Otto Wolf geht es in seinem Artikel „Probleme der konkreten Analyse der konkreten Situation. Ein Re-Orientierungsversuch“ darum, Perspektiven emanzipatorischer Praxis und ein „neues Verständnis von Parteilichkeit“ (S. 355) zu entwickeln, welches nicht als „primäre Unterwerfung unter die konstitutive Doktrin einer Organisation“ aufzufassen sei, „sondern als Ergebnis eines freien Such- und argumentativen Austauschprozesses unter allen, die sich für die Sache der Befreiung engagieren“ (ebd.). Wolf legt Problemfelder im Hinblick auf Praxis dar, die sich auf das Verhältnis von wissenschaftlicher Analyse und konkreter Praxis beziehen, und entwickelt daran anschließend „wichtige Konsequenzen für eine problemadäquate Praktizierung von wissenschaftlichen Untersuchungen“ (S. 349).
Mit Marx und auf dessen Analysen fußend weisen Florian Butollo und Patricia de Paiva Lareiro dezidiert „sowohl die Triebkräfte als auch die Grenzen dieser Transformation“ auf (S. 359), gemeint ist Digitalisierung und die sogenannte Vierte Industrielle Revolution, Industrie 4.0 und dabei Arbeitsorganisation mit Cloud und Crowd. Ihre These, diese neuen Möglichkeiten könnten sich nur in Ansätzen entfalten, „weil sie im makroökonomischen Kontext einer strukturellen Überakkumulation des Kapitals (…) zum Einsatz kommen“ (ebd.), ein „Hemmnis für den digitalen Aufbruch“ (S. 373), weil weiterhin die ermöglichte Produktivitätssteigerung „Überkapazitäten auf Seiten des Angebots gegenüber der stockenden Konsumentennachfrage“ verstärkt (S. 395), wird faktenreich belegt, wobei die AutorInnen auch die Konkurrenz der Kapitalfraktionen thematisieren.
In „‚Kein Kampf für Classenprivilegien und Monopole‘. Zur Kategorie ‚Monopol‘ in der Kritik der politischen Ökonomie und zu ihrer Anwendung in moderner ‚Globalisierungskritik‘“ geht Judith Dellheim der Frage nach, was aus der Auseinandersetzung mit der „Kategorie ‚Monopol‘ für die Kritik von modernen Herrschaftsverhältnissen gelernt werden kann. Die Suche nach Antwort ist von der bohrenden Frage nach den Ursachen für die strukturelle Schwäche der emanzipativ-solidarischen Akteure und einer offensiven Auseinandersetzung mit ihnen begleitet“ (S. 377). Auf Grundlage einer detaillierten Analyse des ‚Monopols‘ in der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie zeigt Dellheim, dass diese Analyse dabei hilft, „die transnationale Arbeitsteilung und die transnationalen Konzerne als Formen der Realisierung des Kapitals der Kapitaloligarchie zu erklären“ (S. 378) und zieht abschließend Schlussfolgerungen. Das kapitalistische Monopol drohe „ganz konkret, das Menschsein, die Gesellschaft und ihre natürlichen Lebensgrundlagen zu zerstören und damit auch jede Möglichkeit einer Gesellschaft der Freien und Gleichen in intakter Natur zu blockieren“ (S. 390). Diese Analyse soll explizit den emanzipatorischen Kräften, die sich zu einem „organischen Akteur“ bilden müssten, dienen: „Offensichtlich ist auch, dass der organische Akteur nicht von selbst entstehen wird; und dass es konkreter, qualifizierter Kritik der gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse bedarf, um ‚Classenprivilegien und Monopole‘ unter der gegenwärtigen und potenziellen emanzipativ-solidarischen Kräften anzugreifen und zu überwinden“ (S. 392).
Nicole Mayer-Ahuja weist am „Streit um Zeit“, am ‚Kampf‘ um Arbeitszeit, die Gültigkeit dessen nach, was Marx im Hinblick auf Analyse und Kämpfe um den „Normalarbeitstag“ schrieb. Entgegen dem Zungenschlag, Marxens Denken sei zu seiner Zeit von Bedeutung gewesen, „für unsere Gegenwart jedoch nicht anschlussfähig“ (S. 395), zeigt sie pointiert, dass auch unter geänderten Bedingungen der Arbeitsorganisation und Formen der Entlohnung der „‚Werwolfs-Heißhunger nach Mehrarbeit‘“ (Marx, zit. S. 399) anhält und sich mit unterschiedlichen Strategien durchsetzt, weshalb mit Marx dafür zu plädieren sei, „neben Arbeitszeitverkürzungen nicht nur Lohnausgleich, sondern auch Personalausgleich zum Gegenstand des Streits um den Arbeitstag zu machen“ (S. 403).
Unter marxistischer Perspektive nimmt Ingrid Artus Veränderungen in der Erwerbsarbeit in den Blick, wobei sie auf die „Zunahme prekärer Lohnarbeit“ und die „wachsende ‚Sorge-Krise‘“ fokussiert (S. 413). Wie in Marxens Pariser Manuskripten entwickelt, sei das Thema entfremdeter Arbeit von ggf. gesteigerter Aktualität, wobei „v.a. der ‚ökonomische Marx‘ (…) von anhaltender Bedeutung und Erklärungskraft“ sei; kein Zweifel bestehe daran, dass sich die „Widersprüche im modernen Kapitalismus“ zuspitzen (S. 412). Die Autorin zeigt „aktuelle Konturen der Lohnarbeit“ und fortwährende „Interessenkonflikte“ nicht nur im Bereich der Lohnarbeit auf, nicht ohne vorherigen Hinweis, dass die „Reichweite“ Marxens „Kritik (…) stets“ weiter ging und „auch heute deutlich weiter (geht): Sie zielt auf die Unmöglichkeit des Kapitalismus als dauerhafte menschenwürdige ökonomische Produktions- und Verkehrsform. Sie liefert alle relevanten Bausteine für eine radikale Kritik der bestehenden Verhältnisse sowie für eine soziale Utopie“ (S. 413). Gleichwohl habe Marx die „gewerkschaftlichen Alltagskämpfe als ‚Schulen des Sozialismus‘ (…): als Quellen politischer Erfahrungen und kollektiver Solidarität keineswegs geringgeschätzt“; insofern sei darüber nachzudenken, wie „Kämpfe im – oder sogar gegen den – Kapitalismus erfolgreich“ geführt werden können, wobei im „Fadenkreuz emanzipatorischer Kämpfe (…) die kapitalistische Produktions- und Verkehrsform an sich“ zu stehen hat, wozu es zugleich einer „Vielfalt emanzipatorischer sozialer Bewegungen – weltweit“ bedürfe, wobei „vermutlich das aktuelle Hauptproblem“ sei, dass „soziale Bewegungen aber immer auch die Aussicht auf Erfolg“ brauchen, „d.h. ein Zustand muss als veränderbar begriffen werden“ (S. 421 f.).
Roland Atzmüller konzentriert sich auf die „Reorganisation und Rekonfiguration der in den wohlfahrtsstaatlichen und sozialpolitischen Apparaten institutionalisierten Aktivitäten zur Reproduktion der Ware Arbeitskraft und ihres Arbeitsvermögens“, was in der sich gegenwärtig durchsetzenden „Reproduktionsweise kapitalistischer Gesellschaftsformationen“ so verlaufe, „dass die Bearbeitung und die Bewältigung ihrer (krisenhaften) Transformation zunehmend auf die Individuen und deren Fähigkeit zur Anpassung und (Selbst-)Veränderung verlagert werden“ (S. 425). Der Autor führt Nachweis, dass und wie Reproduktion durch Veränderung schon bei Marx analysiert und problematisiert wurde. Es geht um „Subjektivierungsweisen“, die „befähigen, die für die kapitalistische Produktionsweise konstitutive gesellschaftliche Unsicherheit zu bewältigen und zu bearbeiten“ (S. 429). Eine beobachtbare „weitreichende Pädagogisierung der Reproduktionsweise“ beruhe „einerseits auf einer spezifischen Konfiguration disziplinierender Maßnahmen und Strategien aktivierender Sozialpolitik, andererseits auf der institutionellen Anrufung und Mobilisierung spezifischer Formen der Selbstregierung und -führung“, was – mit Marx – an die „über die kapitalistischen Produktionsverhältnisse konstituierten Macht- und Herrschaftsverhältnisse“ denken lasse. „Weniger die Ausschaltung und Kontrolle der Subjektivität“, so das Fazit des Autors, „sondern vielmehr die Ausnutzung der Variabilität der Ware Arbeitskraft und ihrer subjektiven Qualitäten erschiene damit als Mechanismus zur Beilegung bestimmter Widersprüche wohlfahrtsstaatlicher Aktivitäten und Sicherung ihrer Funktionalität für die Akkumulation“ (S. 435 f.).
In „Wohnen mit Marx“ zeigen Bernd Belina und Susanne Heeg auf, was mit der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie über die Frage des Wohnens herauszubekommen ist. „Wohnen ist im Kapitalismus in mehrfacher Weise in die Zirkulation des Kapitals eingebunden“ (S. 439). Dabei unterscheiden die AutoreInnen die Bedeutungen von Grundrente, produktivem Kapital sowie zinstragendem und fiktivem Kapital für die Wohnungsfrage im Kapitalismus, wodurch aktuelle Entwicklungen und Probleme auf dem Wohnungsmarkt, auf welche genauer eingegangen wird, „mit Marx gut erklärt werden“ können (S. 446). Abschließend halten die Autoren politische Folgerungen fest. „Generell kann alles, was in Richtung Dekommodifizierung, Demokratisierung und klarer Regulierung des Bodens geht, einen Beitrag zu einer sozialen Bodennutzung leisten“ (S. 452). Vor allem komme es darauf an, „Eingriffe in die Möglichkeit der Finanzialisierung des Wohnens“ voranzutreiben, um „die spekulativen Auswüchse in den Wohnungsmärkten“ anzugehen (ebd.).
Jürger Leibinger fragt in seinem Beitrag „Über sinkende Zinsen, die Euthanasie der Rentiers und das Ende des Kapitalismus“, ob es einen Zusammenhang zwischen sinkenden Zinsen und dem Ende des Kapitalismus gibt. Aktuelle Entwicklungen der Zinshöhe werden analysiert und es wird auf „Marx’ Theorie vom tendenziellen Fall der Zinsrate“ (S. 462) eingegangen. Es könne aber „von einem Ende des Kapitalismus solange nicht die Rede sein, wie sich die Masse der Vermögen, insbesondere der Produktivvermögen bei einer Klasse konzentriert und der Großteil der Bevölkerung von Lohneinkommen leben muss“ (S. 482).
„Brauchen wir eine vierte Welle der marxistischen Imperialismustheorie?“ Ingar Solty geht dem Stellenwert der Imperialismustheorie im Marxismus historisch nach und begründet, warum sie auch als „Königsdisziplin“ (S. 488) verstanden wurde. Ausgehend von der Marxschen Erklärung des Mehrwerts stellt der Autor drei Wellen der Imperialismustheorie vor. Die erste, „Klassische Imperialismustheorie“ (S. 490) kann mit den Namen Luxemburg und Lenin sowie weiterer Autoren verbunden werden. Gemeinsam sei den Autoren der ersten Welle „die Analyse des Imperialismus als Ausdruck der inneren gesellschaftlichen Widersprüche und Krisentendenzen der Kapitalismus“ (S. 490). Als zweite Welle bezeichnet der Autor Theorien, die sich auf die Nord-Süd-Beziehungen konzentrieren und nennt hier insbesondere die Dependenztheorie und in Weiterführung die Weltsystemtheorie. „Die Weltsystemtheorie versucht zu erklären, wie die Ausbeutungsbeziehungen zwischen Erster und Dritter Welt trotz der schrittweisen Überwindung des formellen Kolonialismus als ‚informeller Imperialismus‘ fortbestanden“ (S. 493). Für die dritte Welle der Imperialismustheorie sei vor allem die Arbeit von Nicos Poulantzas zentral gewesen, der „den Staat als die ‚Verdichtung eines Kräfteverhältnisses der Klassen‘“ definiert habe (S. 495). Kennzeichnend für diese dritte Welle sei die Frage gewesen, „welche Konsequenzen die Transnationalisierung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse für die Imperialismusfrage hat“ (S. 495). Im Anschluss an die Diskussion aktueller weltpolitischer Veränderungen in Richtung „Renationalisierung und Deglobalisierung der politischen Ökonomie“ (S. 500), die auch durch die Corona-Pandemie verstärkt würden, und mit Blick auf das „Zukunftsszenario eines unkontrollierten Zerfalls der Globalisierung (…), wo die Logik des Politischen über die Logik des Ökonomischen triumphiert“, stelle sich die Frage, „ob eine kritische Relektüre der Schlüsseltexte der dritten Welle der Imperialismustheorie nicht womöglich den Beginn einer neuen, kritischen, vierten Welle mit sich bringen wird“ (ebd.).
Dass eine europäische Zivilgesellschaft fehlt, darauf verweist Jens Wissel, zudem scheinen die Fragmentierungen Nord und Süd, Ost und West innerhalb der EU ihre zunehmende Heterogenität zu begünstigen. Auf der Folie materialistischer Staatstheorie wird gezeigt, dass „ein neuer politischer Zusammenhang entstanden (ist), der die gesamte Konstellation in Europa, also auch die Mitgliedstatten, weitgehend verändert“, wobei die „Kräfteverhältnisse innerhalb der Bourgeoisie (…) sich zugunsten der Fraktionen (verschieben), die auf den EU-Binnenmarkt und darüber hinaus auf die globalen Märkte zielen“ (S. 509), was die „Form der europäischen Integration“ verändere (S. 511) und zugleich das „europäische Staatsprojekt (…) in einer permanenten Konkurrenz zu den nationalen Staatsprojekten“ stehe (S. 512). Erschwert sei, einen „gemeinsamen Widerstand gegen die Austeritätspolitik und Wettbewerbspolitik zu organisieren“, woran es „anzusetzen“ gelte (S. 517).
Stefan Schmalz behandelt Krisentendenzen in der internationalen Arbeitsteilung und thematisiert dabei den hegemonialen Konflikt zwischen den USA und China, der „im globalen Kapitalismus des 21. Jahrhunderts stärker im Bereich der Hochtechnologie ausgetragen“ wird (S. 521). Fernhandel und Kolonialismus als Ursprung kapitalistischer Entwicklung (nach Sweezy) einerseits und Krise des Feudalismus und Herausbildung neuer Produktionsverhältnisse (nach Dobb) müssten – unter Rückbezug auf Marx - für den heutigen Kapitalismus als „konstitutiv füreinander wahrgenommen“ werden (S. 523). Es könne „von einer Ausbeutung der Ware Arbeitskraft in transnationalen Produktionsnetzwerken gesprochen werden, die sowohl auf Monopolisierung von Märkten als auch auf schonungslose Ausbeutung der Ware Arbeitskraft in der Produktion im globalen Süden aufsetzt“ (S. 525). Inzwischen sei die „zentrale Grundlage des Geschäftsmodells des globalen Kapitalismus“ durch den Konflikt zwischen USA und China „untergraben“ und angesichts eines „ohnehin stagnierenden Welthandels und Investitionsverkehrs“ scheine die „Phase einer reibungslosen Globalisierung und einer immer stärkeren Internationalisierung der Produktion vorerst vorüber zu sein“; absehbar aber sei, „dass die Auseinandersetzungen zwischen den USA und China den Kapitalismus des 21. Jahrhunderts prägen werden“ (S. 529 f.).
Ingo Schmidt geht in „Große Krisen und die Rechte. Erklärungen, Feindbestimmung und Lösungsvorschläge von den 1870er Jahren bis heute“ dem Zusammenhang von ökonomischen Entwicklungen und dem (vermehrten) Erstarken rechter gesellschaftlicher Kräfte nach. Unterschiedliche Reaktionen auf ökonomische und damit gesellschaftliche Krisen von Linken und Rechten und eine doppelte Frontstellung Linker, die in Krisen sowohl gegen das Kapital als auch gegen rechte Bewegungen zu kämpfen haben, sind dabei herausgehobenes Thema. „Die Unterschiede zwischen Liberalismus, linken und rechten Weltbildern könnte größer kaum sein, sollten aber nicht über gemeinsame Bezugspunkte hinwegtäuschen. Dass die Linke den Liberalismus für seine Halbheiten in Sachen Freiheit und Gleichheit kritisiert und insofern dessen radikalisiertes Erbe gegen den Kapitalismus ins Feld führt, dürfte klar sein. Dagegen ist die Rechte strikt antiliberal“ (S. 535). Der Autor geht auf „Ursprünge des heutigen Rechtspopulismus und Neofaschismus“ (S. 540) in der Geschichte des Kapitalismus ein und anschließend auf aktuelle neoliberale, neofaschistische und rechtspopulistische Tendenzen und folgert: „Einen Ausweg könnte allein eine Linke weisen, die dem Kapitalismus entweder eine Modernisierung aufzwingt, zu der die Kräfte des neoliberalen Zentrums, aber auch der neuen Rechten nicht fähig sind, oder nach den gescheiterten Sozialismen des 20. Jahrhunderts doch noch Wege in eine sozialistische Zukunft findet“ (S. 543). Zu diesem Zweck plädiert der Autor für eine „Verbindung von Politiken der Anerkennung und Umverteilung“ (ebd.), um die Bildung der Arbeiterklasse „zu einer vielgestaltigen, aber doch an einem Strang ziehenden Klasse für sich voran(zu)treiben“ (S. 544).
Diskussion
Über das hinaus, was die Herausgeber*innen sich wünschen, nämlich der Band möge „kommenden Generationen von Marxist*innen“ (s.o.) dienen, ist zu wünschen, dass er das mit seinen z.T. recht unterschiedlich argumentierenden Beiträgen bei jetzigen jungen Marxist*innen nun schon leistet. Diese jetzigen jungen Marxist*innen verstehen unter „Produktion neuen Wissens“ (s.o.), mit Hilfe der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie sich verändernde Erscheinungen auf der Oberfläche von Gesellschaft(en) zu erklären. Sie begreifen, dass die Kritik der politischen Ökonomie zwar nicht im engeren Sinne ‚Revolutionstheorie‘ ist, aber eo ipso schon, da diese Kritik die Notwendigkeit der Abschaffung des Kapitalismus ausweist, was für die „Entwicklung emanzipatorischer Praxis“ (s.o.) im Verstehen und Dingfestmachen der Widersprüche des Kapitalismus unabdingbar ist. Die Realität kapitalistischer Ausbeutung von Mensch und Natur ist eben nicht nur „Traumgeschichte“ (Demirović; s.o.) und „Wesen und Wirklichkeit der kapitalistischen Produktionsweise sind“ eben nicht nur „selbst Schein, Mystifikation, Gespenst“ (ders.; S. 105), zumal was das Wesen betrifft, das, wäre es dasselbe wie ‚Schein‘, als Begriff seinen Sinn (und Wahrheitsgehalt) verlöre. Nachlesbar sind im Band eine ganze Reihe jüngerer Autor*innen versammelt, die in Bezug auf die von ihnen behandelten Themen reflektiert auf den „Schultern von Karl Marx“ stehen und nicht zwanghaft weiter sehen wollen. Zu nennen sind bspw. die Behandlung des Begriffs ‚Klasse‘ und Fragen um Klassenpolitik; der Streit um (Arbeits-)Zeit und weitergehenden Forderungen; heutige prekäre Lohnarbeit; Digitalisierung und die sogenannte Vierte Industrielle Revolution; Bedeutung und Entwicklung von Monopolen; Probleme der Imperialismustheorie; Antirassismus; kritische Psychologie und Subjektwissenschaft; das Zusammendenken von Freud und Marx im Hinblick auf die Affektdynamik (was in „Mentalitäten“, so der Fokus eines anderen Beitrages, nicht aufgeht, so bedeutsam die Psychoanalyse als Erkenntnisinstrument auch ist); Ideologie (die nicht als neuralgischer Gegenstand an sich hingestellt wird, sondern durch Bestimmung der wahren Ursachen gesellschaftlicher Problem materialistisch kritisiert wird). In den sich an Marx orientierenden Beiträgen mag die Leser*in motiviert werden, sich den Grundlagentexten selbst zuzuwenden.
Bei anderen Beiträgen kann der Eindruck entstehen, dass an Marx eher ein ‚Schulterwurf‘ angesetzt oder er auszuhebeln versucht wird, was nicht wie im Judo einen Ippon eintragen dürfte, da er weder sauber ausgeführt noch eine erfolgreiche Festhaltetechnik zeigt. Gemeint sind die Einreden im Hinblick auf Marx’ Kritik der politischen Ökonomie mit Hinweisen auf Revision oder Korrektur, der Vorwurf des Eurozentrismus und unzulänglicher revolutionstheoretischer Vorstellungen. Ob im Hinblick auf die Rolle des Finanzkapitals für das Funktionieren der gegenwärtigen kapitalistischen Organisation der Produktion eine Präzisierung Marxscher Begriffe vonnöten sei oder ob eine tüftelnde Untersuchung dessen, wie Engels mit doch bestem Wissen und Gewissen die Marxsche Vorlage für den 3. Band bearbeitete (und so überhaupt erst ein Buch möglich machte), sachlich weiterhelfe, ist nicht einfach nachzuvollziehen, ebenso wenig wie die Skepsis, ob die Kritik der politischen Ökonomie als Instrumentarium geeignet sei für das ‚Erkennen der Welt‘ und im Gefolge dieses Erkennens für das politische Handeln. Die dazu bei Marx zu findenden und nicht zu übersehenden Fingerzeige sind erst einmal ernst zu nehmen (wiewohl sie für etliche der älteren ‚Mode‘-Marxist*innen der „Protestbewegung seit 1968“ [s.o.] ein Ärgernis sein können) und insoweit aufzunehmen, als der/die Leser*in sich veranlasst sieht, sich bei Marx selbst hinsichtlich ihrer Stimmigkeit zu vergewissern.
Was die modischen, auf Beifall vom Mainstream bedachten ‚Problematisierungen‘ von Marx’ Revolutionstheorie und den in Marx’ Theorie hineinprojizierten ‚Eurozentrismus‘ betrifft, geben die Beiträge „Marx und das Recht“ von Klenner und „Zum Begriff der Gerechtigkeit bei Marx“ von Ruschig zum einen ein Beispiel dafür ab, wie marxistisch, d.h. im Rückgriff auf Marxsche Texte argumentiert werden kann, was zum anderen verhindert, dass die von vermeintlich kritisch gegen Marx sich wendenden Diskussionsbeiträge lediglich Verkürzungen produzieren, die dann auch noch Marx als Defizite angelastet werden. (Aufgrund dieses wichtigen Punktes ist es für den Rezensenten unerfindlich, warum in ihrem Vorwort die Herausgeber*innen den Beitrag von Ruschig als einzigen nicht erwähnen, weshalb dieser Beitrag hier ausführlicher referiert wurde.) Klenner vermerkt abschließend, Marx habe „die reformierenden Potenzen von Gerechtigkeitsforderungen innerhalb der bestehenden Gesellschaftsformation unterbewertet“ (s.o.), was aber keineswegs heißt (und Klenner ist keineswegs dahingehend misszuverstehen), dass Marx solche wie auch daran anschließende Forderungen allesamt in toto als Lernprozesse verworfen habe, was doch aus seinen Kritiken erhellt, in denen er die Reichweite möglicher Lernprozesse im Hinblick auf revolutionäre Transformation reflektierte, oftmals nicht ohne scharfe oder bissige politische Töne. Und Ruschig zeigt, wie und warum die Idee der Gerechtigkeit (welche Idee in gerade auch von linker Seite vorgetragenen Forderungen zu neuem Leben zu erwachen scheint) ihr revolutionäres Potenzial verloren hat und dass es darum geht, die Aporie, die aus der Dialektik der Gerechtigkeit folgt, festzuhalten, um so – nach Marx – „‚diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zu zwingen, dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt!‘“ (s.o.) „Mit dem objektiv widersprüchlichen Kapitalismus sind sowohl (…) Gerechtigkeit als auch Ungerechtigkeit (…) objektiv wirklich geworden.“ Die ins Bewusstsein gerückte Aporie provoziere, so Ruschig, in den „Subjekten Scham und ein Vor-sich-selbst-Erschrecken: Was ist aus der Freiheit, aus den Ideen der Vernunft, ja, was ist aus uns geworden?“, fragt der Autor und antwortet: „Die Frage macht Courage!“ (S. 81)
„Courage“ braucht es und dabei als Rüstzeug Marx’ Kritik der politischen Ökonomie, in der Aporien entfaltet sind, zumal der basale Widerspruch von Lohnarbeit und Kapital. Roths Ansinnen ist es, Marx’ Kritik der politischen Ökonomie, wie er behauptet, „zu revolutionieren“. Warum? Weil sie „weit hinter seiner Revolutionstheorie herhinkte“ (s.o.). Allerdings wurde von Marx das Hinterherhinken seiner Kritik der politischen Ökonomie gar nicht bemerkt, denn Marx verstand seine theoretische Arbeit nicht so, zwei seiner ‚Theorien‘ zu vergleichen und dabei die eine verglichen mit der anderen als „hinterher“ zu beurteilen. Roth hingegen betont das von ihm anderthalb Jahrhunderte später festgestellte Hinterherhinken, muss allerdings dafür konstruieren, dass es bei Marx eine zwar durchaus vorhandene, allerdings erst von Nachgeborenen richtig entdeckte „Revolutionstheorie“ gegeben habe und diese obendrein avancierter gewesen sein müsse als die Kritik der politischen Ökonomie. Der Eindruck liegt nahe, dass das Hineinkonstruieren einer avancierten Revolutionstheorie nur als Mittel für Roths Absicht dient, die Kritik der politischen Ökonomie als abgehoben von den (wirklichen) Klassenkämpfen und als nicht geeignet für das von Roth zudem noch konstruierte revolutionäre Subjekt darzustellen. Bei Marx findet sich eine „Revolutionstheorie“ in der von Roth unterstellten Form nicht. Auch das vielzitierte Etappenmodell von der bürgerlichen zur proletarischen Revolution wurde von Marx nicht als ‚der‘ dogmatische Königsweg angesehen. Wohlfeil ist es gegenwärtig, Marx Eurozentrismus vorzuwerfen. Doch was hilft es für das Erkennen, den Terminus „eurozentristisch“ zu verwenden, wenn es darum geht, am Beispiel Englands die Entwicklung des Kapitalismus zu studieren, wo doch dieser Kapitalismus dort seinen Ursprung hatte. Wenn nun Roth meint, das aus der Kritik der politischen Ökonomie „weitgehend verschwundene revolutionäre Subjekt in die Kritik der politischen Ökonomie (…) reintegrieren“ zu müssen (s.o.) und sich damit zum theoretischen Fürsprecher aller weltweiten Widerstandbewegungen und Kämpfe macht, ist das aller Ehren wert und kaum jemand wird da Anerkennung oder Sympathie versagen, nötigt aber nicht, der „vielschichtigen Zusammensetzung der arbeitenden Klassen (…) endlich egalitäre Strukturen der revolutionären Diskurse zur Seite“ zu stellen, weil nur so die „kollektiven Lernprozesse ungefiltert in eine ergebnisoffene Transformationsperspektive eingehen“ (S. 174). Allerdings konzediert er, dass Marx’ „Erkenntnisse“ ihn zu einem „multilinearen, indeterminierten und weltweit verorteten Revolutionskonzept führten“, sie seien immerhin eine „Quelle der Inspiration“ (S. 175). Aus dieser Inspiration quillt aber nicht zwingend, die Transformationsperspektive eben nicht ergebnisoffen zu halten, sondern in allen partikular gegenstandsbezogenen Kämpfen als Perspektive die Abschaffung des Widerspruchs von Lohnarbeit und Kapital einzuspeisen, wozu es keiner „erweiterten Werttheorie“ (s.o.) bedarf. – Das heißt auch, „reformierenden Potenzen“ (Klenner) kritisch im Vorab zu begegnen (wobei Erreichtes nicht kampflos aufzugeben ist) und zugleich zu klären, was wodurch bedingt „aus uns geworden“ ist (Ruschig).
„Uns“, das weist weit über die Metropolen hinaus, über den Kapitalismus in seinem derzeit entwickelten Stadium, was bekanntlich nicht all überall deckungsgleich ist. Es bleibt wichtig, die „Extraktion von Mehrwert im globalen Produktionsprozess (Ausbeutung von Arbeit in Niedriglohnländern sowie Produktivitätsunterschiede) sowie die Zwangsgewalt im globalen Welthandel (Monopole und Kontrolle von Märkten)“ (Schmalz, S. 529) zu beobachten und zu analysieren; gleichermaßen gilt es, das „komplexe kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftssystem“ zu analysieren, „dessen Dynamik in der Aneignung von Mehrarbeit wurzelt, das (zu verschiedenen Zeiten und in unterschiedlichen Weltregionen je spezifische) Auswirkungen auf die konkrete Gestaltung von Erwerbs- wie Reproduktionsarbeit hat und das sich oft in ungleichgewichtigen, aber doch verbundenen Entwicklungen niederschlägt“ (Mayer-Ahuja, S. 396). Das beinhaltet auch einen „materialistischen Antirassismus“ (Mendívil/Sarbo) und marxistische Studien sollten postkoloniale Theorie „mit genaueren Analysen der internationalen Arbeitsteilung vertraut“ machen (do Mar Castro Varela/​Dhawan, S. 323). Sicher „entstehen neue kämpferische Subjektivitäten von Lohnarbeiter*innen, die symbolisch mit traditionellen proletarischen Motiven der Arbeiterbewegung nicht mehr viel zu tun haben – aber gleichwohl handlungsfähig, solidarisch und durchsetzungsstark sind“ (Artus, S. 421). Prospektiv nicht aus dem Auge zu verlieren ist dabei der „organische Akteuer“ (Dellheim). „Mit Marx“, meint Mayer-Ahuja, „könnte man sagen: Es ist an der Zeit, ‚die Köpfe zusammenzurotten‘“, dann aber, um sich darüber zu verständigen, „dem einen Riegel vorzuschieben“ (S. 407), was Ursache aller Probleme ist und für emanzipatorische Praxis zielführend sein sollte – ohne dabei die „Bedeutung des Kampfes um konkrete Verbesserungen innerhalb der gegenwärtigen Gesellschaft und entsprechender Forderungen“ zu unterschätzen – was Marx nicht tat und weshalb er sich selbst nicht als „Marxisten“ bezeichnen wollte (Herausgeber*innen, S. 11, Anm. 4).
Fazit
Weit über die hier nur höchst selektiv genannten Diskussionspunkte hinaus bieten die einzelnen Beiträge Anlass zu Debatten und Selbstreflexion in wie auch immer orientierten linken politischen Gruppierungen, die ebenso überfällig sind wie fruchtbar sein dürften für Ausrichtung von Praxis. Für Studierende der Soziologie, Ökonomie und Politologie, überhaupt der Geisteswissenschaften bis zu Fragen um kunsttheoretische Ästhetik, auch für Psycholog*innen und Sozialarbeiter*innen bietet der Band in etlichen Beiträgen speziellere Anregungen auch für berufliche Praxis insoweit, das eigene Tun einzuordnen und ggf. neu zu justieren.
Rezension von
Arnold Schmieder
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Es gibt 131 Rezensionen von Arnold Schmieder.
Zitiervorschlag
Arnold Schmieder. Rezension vom 26.02.2021 zu:
Thomas Sablowski, Judith Dellheim, Alex Demirović, Katharina Pühl, Ingo Solty: Auf den Schultern von Karl Marx. Verlag Westfälisches Dampfboot
(Münster) 2021.
ISBN 978-3-89691-259-6.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/27611.php, Datum des Zugriffs 13.09.2024.
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