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Jan Braun: Soziale Arbeit und Kompetenz

Rezensiert von Britta Bornhöft-Graute, 08.07.2021

Cover Jan Braun: Soziale Arbeit und Kompetenz ISBN 978-3-339-11972-8

Jan Braun: Soziale Arbeit und Kompetenz. Kompetenz als Kategorie, Grundlage und Ziel professionellen sozialarbeiterischen Handelns. Verlag Dr. Kovač GmbH (Hamburg) 2020. 436 Seiten. ISBN 978-3-339-11972-8. D: 134,80 EUR, A: 138,60 EUR.
Schriftenreihe Sozialpädagogik in Forschung und Praxis - 41.

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Thema

Der Diskurs um die „für ein professionelles Handeln notwendigen Kompetenzen“ (S. 1) ist, sowohl in der Profession, als auch der wissenschaftlichen Disziplin Sozialer Arbeit ein Dauerthema. Und das nicht nur aktuell, Jan Braun beginnt mit einem Beispiel aus dem alten Ägypten, wo schon 3000–2700 Jahre vor Christus in der Lehre des Kagemi Ratschläge für Lehrer*innen im Umgang mit Schülern zu finden sind (S. 2). Dieser komplexen Diskussion um das Verhältnis von Sozialer Arbeit und Kompetenz widmet sich die Habilitationsschrift. Dabei wird Kompetenz sowohl als Grundlage (Was soll ich können als Sozialarbeier*in?), als auch als Ziel (Was soll ich können als Adressat*in Sozialer Arbeit?) untersucht und anhand einer systematischen Analyse von Schlüsseldokumenten diskutiert, „ob und inwiefern sich die Ansprüche Sozialer Arbeit im Verlauf der vergangenen rund 200 Jahre verändert haben.“

Autor

Jan Braun ist seit 2010 am Institut für Pädagogik der Carl-von-Ossietzky Universität in Oldenburg tätig. Seit 2016 hat er zusätzlich einen Lehrauftrag mit dem Schwerpunkt Theorien Sozialer Arbeit und Pädagogik und Philosophie an der Hochschule Emden/Leer inne. Seine Forschungsschwerpunkte sind neben allgemeiner Pädagogik Theorien und Methoden Sozialer Arbeit, Sozialarbeitswissenschaft, Ethische Grundlagen und Fundierung Sozialer Arbeit, Professionalisierung Sozialer Arbeit, Professionsforschung und professionelles Handeln (in (sozial-)pädagogischen Berufsfeldern) und Qualitative Forschungsmethoden.

Aufbau und Inhalt

Um das komplexe Thema möglichst umfassend und systematisch zu untersuchen, und sich im historischen Wandel veränderliche „Dringlichkeiten, Perspektiven, Aufmerksamkeiten, Ziele“ (S. 7) Sozialer Arbeit der jeweiligen Epochen als solche identifizieren zu können, sucht Braun systematisch nach Aspekten, die historisch bedingt, also in der jeweiligen Zeit ‚modern‘ sind, und solchen, die die Epochen überdauern und somit möglicherweise als universelle ‚Evergreens‘ gelten können.

Die Untersuchung gliedert sich in drei Hauptteile. Untersuchungsteil I (S. 13) befasst sich mit den „theoretischen Vorarbeiten für die inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse der Schlüsseldokumente“ (S. 135) Dazu wird zunächst der Begriff Kompetenz geklärt und mit Hilfe verschiedener (z.T. domänenspezifischer) Kompetenzmodelle eine Analysematrix erstellt. Anschließend wird die Frage gestellt: „Wie und wann (…) der Gegenstand Kompetenz in den Blick der Sozialen Arbeit gerückt“ sei und „welche Perspektive(n) (…) dieser diesbezüglich einnahm bzw. einnimmt“ (S. 55). Dabei wird sowohl ein historischer Blick, als auch ein Blick auf den aktuellen Forschungs- und Diskussionsstand zum Verhältnis von Sozialer Arbeit und Kompetenz geworfen. Hier wird auch Kritik durch Soziale Arbeit und Pädagogik am Begriff der Kompetenz deutlich gemacht: Vor allem drohende Risiken wie eine mögliche ökonomisch orientierte Einschränkung von Kompetenzen oder die Individualisierung von Problemen der Adressat*innen werden in den Blick genommen.

Um eine umfassende, mehrdimensionale Diskussion des Kompetenzbegriffs zu ermöglichen, die über eine neoliberale, fachspezifisch einschränkende Bildungsforschung hinausgeht, wird in Untersuchungsteil II (S. 141) mit der Analyse ausgewählter Schlüsseldokumente fortgefahren. Nachdem zunächst die forschungsmethodischen Grundlagen dargestellt werden, folgt die Analyse der Dokumente. Nach den Kriterien Rezeption und Bedeutung, Inhaltlicher Bezug, Zeitlicher Bezug, Quellenkritik und Sprache und Räumlicher Bezug wählt Braun jeweils zwei Dokumente von sieben einschlägigen Autor*innen aus, die er anhand systematischer Kriterien analysiert. Dabei sollen sowohl die aktuelle Forschungslage, als auch die historische Entwicklung des Kompetenzbegriffes dargestellt werden.

In Untersuchungsteil III (S. 231) werden die Ergebnisse der Untersuchung der Schlüsseldokumente dargestellt. Dabei werden die (Handlungs-) Kompetenz der Adressat*innen als Orientierungsgröße und Ziel Sozialer Arbeit und die Kompetenz als Grundlage professioneller Sozialer Arbeit jeweils in einem eigenen Kapitel behandelt und mit einer vergleichenden Betrachtung und Synthese geschlossen. Abschließend werden die Untersuchungsergebnisse zu beiden Forschungsrichtungen in direktem Bezug aufeinander diskutiert. In Bezug auf die (Handlungs-)Kompetenz der Adressat*innen Sozialer Arbeit hat Braun folgende Aspekte herausgearbeitet:

  • Die zu Untersuchenden Kompetenzen und Kompetenzformen (nach dem Kompetenzmodell von Löwisch, 2000) lassen sich in unterschiedlicher Ausprägung in den Dokumenten nachweisen. Was sich abzeichnet, ist ein „eher als ganzheitlich zu betrachtendes Verständnis der Kompetenzentwicklung“ durch sozialarbeiterische Intervention. Die Fokussierung auf bestimmte Kompetenzen ist fallspezifisch
  • Das Verständnis von Kompetenz findet sich sowohl mit dem Fokus auf Handlungskompetenz, als auch auf Kompetenzerziehung und Kompetenzbildung in den Schlüsseldokumenten. Eine eindeutige Gewichtung kann nicht nachgewiesen werden
  • Als Ziel und Aufgabe Sozialer Arbeit werden sowohl das Eröffnen von Möglichkeitsräumen, als auch die Entwicklung/der Ausbau von Kompetenzen für eine „möglichst autonome, aufgeklärte, emanzipierte und partizipierende Lebensgestaltung“ (S. 292) herausgearbeitet

Die (Handlungs-) Kompetenz der Professionellen untersucht Braun anhand der Kriterien des Qualifikationsrahmens Sozialer Arbeit 6.0 des Fachbereichstags Sozialer Arbeit (QR SozArb 6.0) und des Modells für Professionelle pädagogische Handlungskompetenz nach Nieke (2002/2012) zu folgenden Erkenntnissen:

  • Die nach dem QR SozArb 6.0 benannten notwendigen Kompetenzen für Sozialarbeitende „lassen sich weitgehend (aber nicht gänzlich) innerhalb der (…) Schlüsseldokumente nachweisen.“ (S. 366)
  • Daraus schließt Braun, dass trotz der zunehmenden Professionalisierung und Verwissenschaftlichung „der Kern der beruflichen Tätigkeit von Sozialarbeiter*innen unberührt geblieben“ sei (S. 366)
  • Das geforderte Fachwissen habe sich im Verlauf der Zeit weiter ausdifferenziert
  • Auch die Bedeutung der Fähigkeit zur Reflexion habe in Richtung Gegenwart zugenommen
  • Die Fähigkeiten zu „Beschreibung/​Analyse und Bewertung“, sowie „Planung/​Konzeption“ und „Organisation, Durchführung und Evaluation“ (S. 366 f.) ließen sich prinzipiell durchgehend nachweisen (wobei die Notwendigkeit der Fähigkeit zur Evaluation erst ab dem 20. Jahrhundert, analog zum Auftreten forschungsmethodischer Vorgehensweisen relevant werde) 
  • Die Befähigung zu „Recherche und Forschung“ werde erst im Verlauf des 20. Jahrhunderts sichtbar
  • Umschreibungen von spezifischer „Persönlichkeit und Haltung“ (S. 367) von Sozialarbeiter*innen würden bereits Ende des 18. Jahrhunderts sichtbar, zunächst an religiösen Leitmotiven orientiert, ab der 2, Hälfte des 20. Jahrhunderts an ethischen Standards
  • Die Untersuchungsergebnisse zu den Kompetenzen professionellen pädagogischen Handelns anhand der Kriterien nach Nieke zeigten sich analog.
  • Die Befähigung zu „Gesellschaftsanalyse“ und „Situationsdiagnose“, sowie das „professionelle Handeln und dessen Phasierung“ (S. 367) ließen sich (mit unterschiedlicher Gewichtung) seit Beginn des 19. Jahrhunderts nachweisen
  • Dem Faktor „Persönlichkeit“ werde „prinzipiell durchgehend ein hoher Stellenwert zugemessen“ (S. 368)
  • Die Kompetenz zur „Diagnose der Handlungssituation“ gewinne erst im 20. Jahrhundert an Bedeutung, zur „Evaluation“ erhält kaum Aufmerksamkeit

Im Rahmen einer Relationiernden Diskussion der Untersuchungsergebnisse (S. 371) stellt Braun „Verbindungen zwischen den primär auf theoretischer Basis erarbeiteten Ergebnissen zum Verhältnis von ‚Sozialer Arbeit und Kompetenz‘ [aus Abschnitt I] und den auf Basis der Analyse der Schlüsseldokumente erlangten Erkenntnissen“ (S. 371) her. Anschließend folgt die Reflexion zum Verhältnis von Sozialer Arbeit und Kompetenz (S. 381). Hier betont Braun, dass – anders als häufig kritisiert – eine Kompetenzorientierung nicht als „Legitimierung von als neoliberal zu verstehenden 'Selbstregulierungspraktiken'“ (Höhne 2007, S. 40, zit. nach Braun 2020, S. 381) diene und Kompetenzdefizite subjektiviere. In allen Schlüsseldokumenten sei auch der Einbezug der „gesellschaftlichen/​sozialen/​strukturellen/​institutionellen Gegebenheiten“ (ebd.) in den Prozess der Förderung zu finden – eine Haltung, die sich in den Schlüsseldokumenten des 21. Jahrhunderts immer deutlicher zeige. Der Gegenstand Kompetenz erscheine also als Bezugsgröße. Was Braun kritisiert, ist die „durchgehend nicht vorhandene theoretische Fundierung“ (S. 382) in Bezug auf den Begriff Kompetenz. Die Soziale Arbeit bediene sich stets bei Importen aus Bezugswissenschaften wie Philosophie oder Pädagogik, was die Gefahr berge, dass die Soziale Arbeit als „Interessen Dritter ausführende Kraft (…) äußerst leicht zu deren Durchsetzung instrumentalisiert werden“ (S. 385) könne. Wichtig sei die Ausformulierung eines „spezifischen Kompetenzverständnisses Sozialer Arbeit“ (S. 386), bei dem neben Wissen und Können vor allem auch die notwendige, professionelle Haltung klarer definiert werde.

Im letzten Teil der Untersuchung kommt Braun zu folgendem Resümee und Ausblick (S. 397):

Kompetenz stelle, wie eingangs vermutet, eine Orientierungsgröße „sowohl in Bezug auf die Diskussion zu den Zielen von Angeboten/​Interventionen Sozialer Arbeit als auch in Bezug auf die Befähigung zum professionellen sozialarbeiterischen Handeln“ (S. 397) dar. Dabei zeige sich ein eher weites Kompetenzverständnis und in der historischen Entwicklung eine zunehmende „Ausdifferenzierung von Fähig- und Fertigkeiten“ (ebd.). Kritisch sieht Braun, dass es den Disziplinen Sozialer Arbeit bisher nicht gelungen sei, einen „eigenständigen, am Gegenstand Sozialer Arbeit orientierten Kompetenzbegriff zu formulieren“ (S. 398). Anknüpfende Forschung sei daher notwendig.

Diskussion

Braun gelingt eine detaillierte, umfassende Untersuchung des Kompetenzbegriffes – allgemein und in Bezug auf die Soziale Arbeit. Dabei bezieht er nicht nur aktuelle, sondern auch historische Positionen mit ein. Das bisherige Fehlen allgemein gültiger Kompetenzkategorien für die Soziale Arbeit erweist sich als Schwierigkeit, welcher Braun durch das Heranziehen verschiedener Kompetenzmodelle begegnet. Die Vielzahl an einbezogenen Komponenten (zwei Blickrichtungen auf den Begriff Kompetenz, verschiedene Kompetenzmodelle und zahlreiche Schlüsseldokumente aus verschiedenen Jahrhunderten) machen einen umfassenden, fundierten, durchaus komplexen und dadurch anspruchsvollen Blick auf den Begriff Kompetenz möglich. Schlussendlich zeigt die Untersuchung, wie wichtig die Entwicklung eindeutiger, allgemein gültiger Kompetenzkategorien für die Disziplinen Sozialer Arbeit wäre. Hier macht Braun die Lücke deutlich und fordert die kritische Auseinandersetzung mit einem professionsspezifischen Kompetenzbegriff als wichtigen, längst überfälligen Schritt zur Emanzipation von den Bezugswissenschaften.

Fazit

Soziale Arbeit und Kompetenz. Kompetenz als Kategorie, Grundlage und Ziel professionellen sozialarbeiterischen Handelns ist eine ambitionierte, umfassende Untersuchung des Begriffs Kompetenz in Hinblick auf Adressat*innen und Professionelle in der Sozialen Arbeit. Jan Braun widmet sich in seiner Habilitationsschrift einem Kernthema Sozialer Arbeit: Die Fragen: Was soll ich können? – als Sozialarbeiter*in und Was soll ich können? – aus der Sicht der Adressat*innen stehen im Fokus. Dazu sollen Kategorien von Kompetenz erarbeitet und in (z.T. historischen) Schlüsseldokumenten Sozialer Arbeit nachgewiesen werden. Im ersten Teil untersucht Braun verschiedene, z.T. domänenspezifische Kompetenzmodelle, im zweiten analysiert er 14 ausgewählte (historische und aktuelle) Schlüsseldokumente Sozialer Arbeit, um dann im dritten Teil die Ergebnisse der Dokumentenanalyse anhand der in Teil 1 herausgearbeiteten Kompetenzkategorien systematisch darzustellen. Braun gelingt eine fundierte Diskussion eines zentralen Begriffs, die die historische Entwicklung, aber auch die gesellschaftspolitisch relevante Frage nach dem Auftrag Sozialer Arbeit mit einbezieht und am Ende vor allem eine Leerstelle offen macht: das Fehlen eindeutiger, allgemein gültiger Kompetenzkategorien, die für die Praxis und vor allem auch die Ausbildung von Sozialarbeiter*innen enorm wichtig wären.

Rezension von
Britta Bornhöft-Graute
Sozialarbeiterin B.A.
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Es gibt 1 Rezension von Britta Bornhöft-Graute.

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ISSN 2190-9245