Michael Blume: Verschwörungsmythen - woher sie kommen, was sie anrichten, wie wir ihnen begegnen können
Rezensiert von Daniel Dertenkötter, 12.02.2021

Michael Blume: Verschwörungsmythen - woher sie kommen, was sie anrichten, wie wir ihnen begegnen können. Patmos Verlag (Ostfildern) 2020. 160 Seiten. ISBN 978-3-8436-1286-9. D: 15,00 EUR, A: 15,50 EUR.
Thema und Entstehungshintergrund
In der aktuellen politischen Lage kommen zunehmend sowohl Ängste als auch Kritik an der Corona-Pandemie zur Sprache. Dass diese Sorgen auch auf zahlreichen Demonstrationen zum Ausdruck gebracht werden, gibt einen Eindruck davon, wie sehr dies die Bevölkerung zurzeit bewegt. Doch immer wieder kommen auch Verschwörungsfantasien zur Sprache, welche die Sorgen der Bürger ausdrücken. So ist zum Beispiel die Qanon-Bewegung im Laufe des letzten Jahres immer bekannter geworden. Doch wie genau entstehen solche Verschwörungsmythen? Sind diese eine neuartige Erscheinung? Und wie sollte man sich richtig verhalten, wenn ein Bekannter mit diesen sympathisiert? Genau diese Themen werden in dem Buch von Michael Blume thematisiert und auch auf die Corona Pandemie bezogen.
Autor
Dr. phil. Michael Blume ist Religions- und Politikwissenschaftler. Im März 2018 wurde er von der Landesregierung Baden-Württemberg zum ersten Beauftragten gegen Antisemitismus berufen. Zudem leitete er bis Juni 2020 das Referat „Nichtchristliche Religionen, Werte, Minderheiten und Projekte Nordirak“ im Staatsministerium Baden-Württemberg.
Aufbau
Das Buch umfasst 160 Seiten und ist in drei große Kapitel unterteilt (1. Platons Falle des Dualismus S. 21–72, 2. Vom Mobber zum Mörder die Falle der Schuldumkehr S. 73–122, 3. Freiheit statt Verschwörungsglauben S. 123–146). Jedes Kapitel gliedert sich wiederum in mehrere Unterpunkte und soll dem Leser so eine Bandbreite von Argumentationssträngen liefern. Hierbei sind die Kapitel chronologisch aufgebaut; vom Entstehen, über die Folgen bis hin zur persönlichen Konfrontation mit dem Thema Verschwörungsmythen.
Inhalt
In der Einleitung (S. 7–20) führt der Autor dem Leser vor Augen, dass Verschwörungsmythen nicht nur in Amerika oder Kanada vorkommen, sondern auch in Deutschland verbreitet sind und diese sogar bis hin zum Gruppensuizid einer ganzen Glaubensgemeinschaft führen können, so wie es bei der Sekte „Heavensgate“ im Jahre 1997 in den USA der Fall war. Zudem wird der Begriff „Verschwörungstheorie“, wie er oftmals in der Presse verwendet wird, durch den Begriff des Verschwörungsmythos ersetzt, da eine Theorie wissenschaftlich belegbar sein muss und genau dies bei Verschwörungsfantasien nicht möglich ist (S. 19).
In dem ersten Kapitel (S. 21–72) wird die Entstehung von Verschwörungsmythen erläutert. Dies geschieht zum einen dadurch, dass unser Gehirn sich von Natur aus auf fesselnde Erzählungen von Helden und Göttern inspirieren lässt, als auch dadurch, dass wir das Denken an sich in der Regel mit etwas Positivem verbinden. Dies ist auch der Grund, weshalb gute Geschichten böse Feinde brauchen (S. 24). Sofern nun ein böser Feind handelt, halten wir das zumeist für einen nicht durchdachten Plan, der durch gutes Handeln und Denken durchkreuzt werden kann (S. 21). Ebenso wird das Höhlengleichnis von Platon und Sokrates als ein Ur-Verschwörungsmythos interpretiert. Das Gleichnis thematisiert arme Wesen, welche in einer Höhle gefangen sind, die durch Schattenspiele von Gauklern hinters Licht geführt werden. Diese armen Wesen können sich nur durch ein reiches Wesen aus der Höhle befreien, welches die Gaukler als solche enttarnt und die armen Wesen so bei der Flucht aus der Höhle unterstützt. Genau dieses Zusammenspiel zwischen einem wissenden reichen Wesen und der Angst durch fremde Steuerung stellt eine Grundlage für Verschwörungsmythen dar.
Diese platonische Falle wird im weiteren Verlauf auf die Ideologie des Islamischen Staates übertragen (S. 66). Hierzu wird eine Äußerung eines ehemaligen IS-Milizionärs herangezogen, welcher u.a. behauptete, dass der Westen durch eine jüdische Propaganda gelenkt werde, was wiederum eine Gewaltanwendung rechtfertige (S. 67).
Im zweiten Kapitel (S. 73–122) werden die Auswirkungen von Verschwörungsmythen beschrieben. Hierbei wird zunächst auf die Mitläufer eingegangen, welche einen großen Anteil dieser Bewegung ausmachen. Die Aussage, Mitläufer würden nicht denken, wird hierbei als falsch betrachtet (S. 80). Dies würde daran liegen, dass Personen, die dauerhaft mitlaufen, die Normen der Gruppe annehmen und diese internalisieren. Dabei führt jeder Schritt in Richtung des Verschwörungsglaubens dazu, dass es schwerer fällt sich einzugestehen, einen Fehler begangen zu haben (S. 80–84). Zudem wirkt ein Gruppengefüge auf den Menschen wie eine Droge, diesem Suchtfaktor kann man sich nur schwer entziehen.
Damit dieser Effekt des Mitläufertums eintritt, muss auf die Anhängerschaft dauerhaft eingewirkt werden, sodass diese zunächst nicht gezwungen wird, ihr Denken zu reflektieren. Denn Verschwörungsgläubige zielen primär nicht auf Mitdenker sondern auf Mitläufer ab (S. 105). Welches Medium hierbei benutzt wird, ist völlig unerheblich.
Als Beispiel benennt Blume den Mythos des „Hexensabbats“ (S. 113). Diese Verschwörungsmythe aus der frühen Neuzeit behauptete, dass Juden sich mit Hexen am „Sabbat“ treffen würden, um sodann eine „Hexensalbe“ aus getöteten christlichen Kindern zu fertigen. Durch diese Mythe sind zahlreiche Hexenverbrennungen gerechtfertigt worden.
Im dritten Kapitel (S. 123–146) wird der richtige Umgang mit Angehörigen von Verschwörungsmythen erläutert. Zunächst berichtet der Autor aber, dass die zunehmende Entstehung von Verschwörungsmythen in der heutigen digitalen Welt auch auf das Fehlen von Zeitzeugen der NS-Zeit zurückzuführen sei (S. 129–131). In Bezug auf die Digitalisierung merkt der Autor an, dass mit den Medien, die den Kindern und Jugendlichen zur Verfügung stehen, ein Absturz in eine alternative Realität, die durch Verschwörungsfantasien geprägt sein kann, durchaus wahrscheinlicher wird. Für deren Bewältigung wird das folgende Vier-Stufen-Modell vorgestellt, dies zeigt einen möglichen Umgang mit Verschwörungsgläubigen (S. 134–135):
- gezielt Ängste und Emotionen des Betroffenen hinterfragen
- auf seriöse Medien verweisen, die den Betroffenen in einer ruhigen Minute aufklären können
- Beratungsgespräche mit Hilfe von Sektenausstiegsorganisationen führen
- sich klar vor Augen halten, dass sofern man es mit einer erwachsenen Person zu tun hat, dies deren Entscheidung ist, ob sie an den Mythos glaubt. Man sollte jedoch für ein Gespräch offen sein, sofern sich der Betroffene von dem Verschwörungsglauben distanziert.
Diskussion
Das aktuelle Thema wird durch den Autor klar dargelegt und der Ursprung durch zahlreiche Beispiele erläutert. Das Buch ist sehr leserfreundlich geschrieben, so das es als Informationsquelle gerade auch für SchülerInnen und Studierende geeignet ist. Sowohl das erste, als auch das zweite Kapitel geben einen guten Einblick in die Genese der Verschwörungsmythen. Im dritten Kapitel wird der Umgang mit Verschwörungsgläubigen im Rahmen des Vier-Stufen-Models des Autors dargestellt. Dieses Model ist jedoch recht einfach gehalten und berücksichtigt zunächst nur Personen, welche noch nicht tief im Verschwörungsglauben verfangen sind. Als generelle Schablone dürfte sich das Schema hingegen nicht verwenden lassen.
Fazit
Das Buch eignet sich als Einstiegslektüre zur Thematik „Verschwörungsmythologie“. Aufgrund seiner guten Leseeigenschaft, ist es für den schulischen Bereich besonders geeignet.
Rezension von
Daniel Dertenkötter
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