Christian Lüdke, Kerstin Lüdke: Wenn die Seele brennt
Rezensiert von Dr. Wolfgang Rechtien, 07.05.2021
Christian Lüdke, Kerstin Lüdke: Wenn die Seele brennt. Überraschende Perspektiven im Umgang mit Krisen.
medhochzwei Verlag GmbH
(Heidelberg) 2019.
2., überarbeitete Auflage.
176 Seiten.
ISBN 978-3-86216-476-9.
D: 19,99 EUR,
A: 20,60 EUR.
Fotografie: Liane Metzler.
Thema
Das Buch soll neue und überraschende Perspektiven für den Umgang mit Krisen liefern und dem Leser helfen, den besten Weg aus schwierigen Situationen finden.
Autorin und Autor
Dr. Christian Lüdke ist Hypnotherapeut und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut.
Dr. Kerstin Lüdke ist Kriminaldirektorin im Kriminaltechnischen Institut der Deutschen Hochschule der Polizei, Verkehrsüberwachungs- und Unfallaufnahmetechnologie.
Aufbau und Inhalt
Nach einem Vorwort finden sich 13 Kapitel, ein Literatur- und ein Adressenverzeichnis, Angaben zu den Autoren sowie ein Schlusstext „Die Gedanken sind frei“.
Die dem Buch zugrundeliegende Philosophie lässt sich dem 1. Kapitel entnehmen:
Es „gibt in uns Menschen eine Ressource, die stärker ist als jede Lebenskrise – und zwar die Hoffnung und der Glaube an das eigene Lebensglück und an die eigene Kraft“ (S. 11), der „Glaube, mit jedem noch so schweren und einschneidenden Lebensereignis allein (Hervor. durch Rezensenten) zurechtzukommen“ (S. 14).
Der Merksatz zu Beginn des 2. Kapitels (Überraschend Perspektiven im Umgang mit Krisen) lautet: „Leben ist Täuschung – Vertraue deinem Unbewussten“ (S. 15). Angeblich führen Krisen und Schicksalsschläge dazu, dass wir die Dinge dann wirklich so sehen wie sie sind und nicht was wir glauben zu sehen (S. 15). Allerdings meinen die Autoren dann, dass einerseits die Kraft der Gedanken und der Fantasie wichtiger sind als Wissen, andererseits, dass Wissen wichtiger ist als Intelligenz (S. 20), und in gewissem Widerspruch dazu, dass gerade Intelligenz die Fähigkeit ist, Probleme zu lösen (S. 26).
Im Abschnitt über Entwicklungskrisen (S. 29 ff) zählen die Autoren zehn Entwicklungsstufen auf. Weiter findet sich eine Schilderung der sog. Midlife Crisis (S. 32ff).
„Wenn die Seele brennt“ (Kap. 3), muss – so meinen die Autoren – der Kopf Wasser holen. Gemeint damit ist, dass wir die Möglichkeit haben, gedanklich Einfluss auf Heilverläufe und Verarbeitungsprozesse zu nehmen. Geschehen soll dies durch das Aktivieren des Motivationszentrums, wodurch ein Glückscocktail aus Serotonin, Dopamin und Oxytocin gemischt wird.
Kernaussage des folgenden Kapitels (Jeden Tag in der Zuvielisation [3]) ist, dass zur Wiederherstellung von Gesundheit Kontrolle – sowohl Selbst- als auch Fremdkontrolle – notwendig ist (S. 54): durch die Art und Weise der Gedanken muss dem Gehirn gesagt werden, was es tun soll.
Zwischen Gesundheit und Krankheit heißt das 5. Kapitel. Angst und Depression sind nach Meinung der Autoren Geschwister: zuerst kommt die Angst ins Leben, dann die Depression. Lüdke und Lüdke halten zwei einfache Tipps zur Bewältigung bereit:
- „Wer Angst hat, kann sich innerlich umdrehen und in die Vergangenheit blicken und sich zum Beispiel an die größten Erfolge im Leben zurückerinnern.
- Wer depressiv reagiert, kann seinen Blick innerlich in die Zukunft richten und sich vorstellen, was geschehen müsste, damit das Leben wieder zufrieden und glücklich verläuft“ (S. 59).
Zutreffend beschreiben die Autoren als wichtige Teile eines Traumes Kontrollverlust, Verlust von Handlungsfähigkeit und von Sicherheit. Als Kernsymptome verzeichnen sie Erinnerungsattacken, Vermeidung und Übererregung. Ein Trauma erschüttert die Identität des Menschen.
Kapitel 6 behandelt Psychotherapie – eine Gebrauchsanweisung.
Psychotherapie – so die Autoren – ist eine Schwächen-Stärken-Analyse des Patienten: „Schwächen schwächen und Stärken stärken“.
Nach Meinung der Autoren bestehen die Methoden der Psychotherapie meist in der Aufdeckung unbewusster Konflikte oder in der gesprächsweisen Konfliktlösung und, dass derzeit nur psychoanalytische, tiefenpsychologisch fundierte Therapie sowie Verhaltenstherapie als Kassenleistung anerkannt sind (S. 82). Psychotherapeuten seien i.d.R. Diplompsychologen mit zusätzlicher Ausbildung als Arzt oder Psychiater (S. 83). Im Weiteren werden Begriffe wie Hypnose, Psychotraumatherapeut, Neurologe, Fachklinik usw. kurz behandelt.
Folgt man den Aussagen der Autoren, ist jeder Mensch in der Lage, mit jedem noch so belastenden Erlebnis allein zurechtzukommen (Kap. 7 „Gedanken als Heilmittel – die Kraft der inneren Bilder“, S. 91). Dennoch: wir brauchen stabile Menschen und deren Wertschätzung für unsere Heilverläufe. Bildgebende Verfahren sollen nachweisen, dass der Glaube Berge versetzen kann
Im 8. Kapitel (Vive la trance – Entspannung hilft heilen) gibt es über gut 13 Seiten eine (nach Angaben der Autoren der Deutschen Gesellschaft für Hypnose entnommene) Anleitung zur Selbsthypnose „Durch den Garten der Gesundheit zum See der Heilung“. Angaben zur Wirkweise und zu möglichen Nebenwirkungen von Selbsthypnose gibt es nicht.
Einige einfache Hinweise über Erste Hilfe bei akuten Krisenphänomenen gibt es in Kapitel 9: Stabilisierung, Aufklärung, Trösten, Bieten von Sicherheit usw. Körpereigene Opiate sollen Denken, Fühlen und Handeln entkoppeln (S. 124),
Kapitel 10 (Tera-Pi – die Präventive Onlinetherapie) verweist kurz auf den Nutzen, den diese Angebote haben, v.a. wenn sie als Ergänzung einer personalen Therapie in Praxis oder Klinik genutzt werden. Verwiesen wird auf ein Angebot der Fa. Terapon, deren Geschäftsführer der Autor Christian Lüdke ist.
Im Kapitel 11 (Hilfe für Kinder und Angehörige) wird darauf hingewiesen, dass Angehörige traumatisierter Personen ebenfalls unter erheblichen Belastungen leiden können und Unterstützung, u.U. auch professionelle Hilfe benötigen. Insbesondere wird auf hochbelastete Kinder Bezug genommen.
Die beiden letzten Kapitel behandeln Vergeben und Verzeihen und Genießen Sie Ihr Leben.
Diskussion
Ohne dies in irgendeiner Weise – etwa durch Literaturhinweise [1]- zu belegen, werden im Abschnitt über Entwicklungskrisen (Kap. 1) zehn Entwicklungsstufen aufgezählt. Ebenfalls ohne einschlägige Literatur [2] zu nennen, wird in Kap. 1 die sog. Midlife Crisis (S. 32ff) geschildert. Zur Wiederherstellung von Gesundheit ist – so steht es im 4. Kapitel – Kontrolle notwendig, und zwar dadurch, dass die Gedanken dem Gehirn sagen, was es tun soll.Wie Gedanken außerhalb des Gehirns existieren können, bleibt allerdings offen. Im Übrigen: Sieht man von dem einleitenden Satz ab, dass der Tag voll von traumatischen und belastenden Nachrichten ist, ist ein Zusammenhang der Inhalte des 4. Kapitels mit der Kapitelbezeichnung nur schwer zu erkennen.
Kapitel 6: Sicher geht es in der Psychotherapie auch um Stärken und Schwächen, aber ein wichtiger Aspekt moderner Psychotherapie ist auch die Analyse des sozialen Umfeldes, welches Probleme hervorrufen, aufrechterhalten oder mindern kann. Das wird hier nicht deutlich.
Auf S. 82 steht, dass derzeit nur psychoanalytische, tiefenpsychologisch fundierte Therapie sowie Verhaltenstherapie als Kassenleistung anerkannt sind. Das ist nicht aktuell: seit dem 1.7.2020 ist die Systemische Therapie als Richtlinienmethode anerkannt und in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherungen aufgenommen.
Unzutreffend ist die Aussage, dass die Methoden der Psychotherapie meist in der Aufdeckung unbewusster Konflikte oder in der gesprächsweisen Konfliktlösung bestehen [4]. Ebenfalls unzutreffend ist die über die Ausbildung von Psychotherapeuten. Nach dem Psychotherapeutengesetz sowie der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Psychologische PsychotherapeutInnen als Rechtsgrundlagen gilt als Zulassungsvoraussetzung für die Ausbildung zu Psychotherapeuten ein Diplom in Psychologie (mit Prüfungsfach Klinische Psychologie), oder ein Masterabschluss in Psychologie oder einen gleichwertigen Abschluss in einem anderen Staat. Die Zusatzausbildung ist an einem staatlich zugelassenen Ausbildungsinstitut zu absolvieren bzw. seit dem 01.09.2020 durch Absolvieren eines entsprechenden Masterstudienganges mit abschließender staatlichen Prüfung und anschließender Erteilung der Approbation als Psychotherapeut. Dementsprechend ist auch der Abschnitt über Diplompsychologen nicht aktuell.
Zu Kap. 7: Menschen -so die Autoren zu Beginn dieses Kapitels – sollen in der Lage sein, mit allen Belastenden Erlebnissen allein zurechtzukommen. Dem widerspricht die Aussage wenige Zeilen später, dass wir stabile Menschen und deren Wertschätzung für unsere Heilverläufe brauchen.
Die Aussage, dass bildgebende Verfahren den Satz nachweisen, dass der Glaube Berge versetzen kann (S. 91), ist Unsinn. Tatsächlich liefern sie Bilddaten von Organen und Strukturen des Patienten und werden vorrangig zur Diagnose krankheitsbedingter Veränderungen eingesetzt.
Dass Entspannung heilen hilft (Kap. 8), ist bekannt und nicht überraschend. Erwartet hätte ich zumindest Hinweise, Beschreibungen und Grundprinzipien gängiger Entspannungsverfahren wie etwa das von Jacobsen; diese gibt es in diesem Buch nicht.
Was es konkret bedeuten soll, dass körpereigene Opiate Denken, Fühlen und Handeln entkoppeln (S. 124), bleibt unklar [5]
Wieso in diesem Zusammenhang der Leser aufgefordert wird, den Tiger in sich zu wecken, ist nicht ganz einsichtig. Immerhin gibt es Gelegenheit für ein Bild, das Christian Lüdke zeigt, wie er einen Tiger streichelt (S. 127).
In welcher Weise das Thema Vergeben und Verzeihen (Kap. 12) zum Thema des Buches gehört, wird nicht ganz deutlich. Ähnliches gilt auch für die Inhalte des folgenden und abschließenden Kapitels („Genießen Sie Ihr Leben“).
Fazit
Das Buch bietet nur wenige belastbare Aussagen – oft gehen sie nicht über das Niveau von Alltagswissen hinaus, zum Teil sind sie einfach unzutreffend. Im Text gibt es – mit einer Ausnahme im Kapitel 8 – keine Literaturhinweise, obwohl sich am Schluss des Buches ein Literaturverzeichnis findet.Dem zu Beginn formuliertem Anspruch, überraschende Perspektiven und Hilfe für den Weg aus schwierigen Situationen zu bieten, werden Lüdke und Lüdke nicht gerecht.
Literatur
[1] Auf die von Erikson (z.B. in Identität und Lebenszyklus. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1966) beschriebenen Entwicklungskrisen -insgesamt 8 – gehen sie nicht ein.
[2] z.B. Levinson, D. J. (1977). The mid-life transition: A period in adult psychosocial development. Journal for the Study of Interpersonal Processes, 40, pp. 99–112; oder populärwissenschaftlicher Sheehy, Gail: In der Mitte des Lebens. Die Bewältigung vorhersehbarer Krisen. Fischer-TB.-Vlg., Ffm, 1988
[3] Das ist kein Druckfehler.
[4] Vgl. z.B. die Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie
[5] Unter Opiaten versteht man die natürlich vorkommenden organischen Verbindungen des Opiums. Häufig wird den sogenannten Opioiden die gleiche Bedeutung zugeschrieben – jedoch handelt es sich bei Opioiden um Stoffe, die sowohl natürliche und körpereigene Opioide (zum Beispiel Endorphine) umfassen. Hauptwirkung von Opioiden ist die Minderung von Schmerzen.
Rezension von
Dr. Wolfgang Rechtien
Bis 2009 Vorstandsmitglied
und Geschäftsführer des Kurt Lewin Institutes für Psychologie der
FernUniversität sowie Ausbildungsleiter für Psychologische
Psychotherapie.
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Zitiervorschlag
Wolfgang Rechtien. Rezension vom 07.05.2021 zu:
Christian Lüdke, Kerstin Lüdke: Wenn die Seele brennt. Überraschende Perspektiven im Umgang mit Krisen. medhochzwei Verlag GmbH
(Heidelberg) 2019. 2., überarbeitete Auflage.
ISBN 978-3-86216-476-9.
Fotografie: Liane Metzler.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/27635.php, Datum des Zugriffs 13.12.2024.
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