Roland Rosenow: Kooperation von Quartiersarbeit und Einzelfallhilfen
Rezensiert von Florian Acker, 10.05.2021

Roland Rosenow: Kooperation von Quartiersarbeit und Einzelfallhilfen. Möglichkeiten und Verpflichtungen von Eingliederungshilfe und Kinder- und Jugendhilfe. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2021. 174 Seiten. ISBN 978-3-7841-3291-4. 25,00 EUR.
Thema
„Welche Möglichkeiten haben Kommunen und weitere in der Quartiersentwicklung engagierte Akteure, um Gemeinwesenarbeit – insbesondere in benachteiligten Nachbarschaften – strukturell zu verankern?“ Diese Frage stand im Mittelpunkt der explorativen Studie „Gemeinwesenarbeit in der sozialen Stadt. Entwicklungspotenziale zwischen Daseinsvorsorge, Städtebauförderung und Sozialer Arbeit“, welche vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) in Auftrag gegeben wurde. Der Abschlussbericht dieser Studie liegt mittlerweile vor und kann unter folgendem Link abgerufen werden: https://www.sozialrecht-rosenow.de/files/alle/Wissenschaftliche_Arbeiten/​GWA_in_der_sozialen_Stadt_Endbericht.pdf
Ein Bestandteil dieser Studie war auch ein Rechtsgutachten zur Fragestellung, wie die einzelfallbezogenen Leistungen der Eingliederungshilfe und der Kinder- und Jugendhilfe zu einer quartiersbezogenen sozialen Infrastruktur beitragen können. Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um eben jenes Rechtsgutachten, das von Roland Rosenow erstellt und nun veröffentlicht wurde.
Autor
Roland Rosenow ist Referent für das Recht der Kinder- und Jugendhilfe bei der Diakonie Deutschland. Nach dem Studium der Kulturpädagogik in Hildesheim war er acht Jahre lang als freiberuflicher Betreuer tätig, was zu einer intensiven Befassung mit dem Betreuungsrecht und mit sozialrechtlichen Themen führte. Von 2005 bis 2015 bearbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter einer Rechtsanwaltskanzlei vor allem sozialrechtliche Mandate. Er unterrichtet seit 20 Jahren Sozialrecht in unterschiedlichen Kontexten, u.a. als Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim und der Evangelischen Hochschule Freiburg und für die Deutsche Anwalt-Akademie. Schwerpunkte seines wissenschaftlichen Interesses sind das Recht der Eingliederungshilfe und das Recht der wirtschaftlichen Grundsicherung.
Entstehungshintergrund
Ausgangpunkt für das vorliegende Buch war ein Vortrag, den der Autor im Mai 2017 im Rahmen des Projekts „Kirche findet Stadt“ hielt. Gegenstand war die Frage, ob die einzelfallbezogen finanzierten Leistungen der Eingliederungshilfe und Kinder- und Jugendhilfe etwas zur Finanzierung quartierbezogener sozialer Infrastruktur beitragen können. Als Antwort schien zunächst nur ein schmuckloses Nein in Betracht zu kommen. Doch bei genauerer Betrachtung erwies die Sache sich als komplizierter. Ein Jahr später erhielt das Team um Petra Potz den Zuschlag für die Studie „Gemeinwesenarbeit in der sozialen Stadt – Entwicklungspotenziale zwischen Daseinsvorsorge, Städtebauförderung und Sozialer Arbeit“. Dies gab dem Autor die Möglichkeit, die Fragen, die im Projekt „Kirche findet Stadt“ aufgeworfen worden waren, ausführlicher zu behandeln. (Rosenow 2021, S. 172)
Auf der Homepage des Autors finden sich weitere lesenswerte Links zur o.a. Studie: https://www.sozialrecht-rosenow.de/gemeinwesenarbeit-einzelfallbezogene-finanzierung-sozialer-leistungen.html
Aufbau
Neben einer Einführung gliedert sich das Buch in fünf Kapitel:
- Einführung: Unter dem Titel „Sozialer Zusammenhalt – Strukturelle Verankerung von Gemeinwesen- und Quartiersarbeit“ stellt Dr. Petra Potz die Studie vor, in deren Rahmen das Rechtsgutachten erstellt wurde.
- Das Buch beginnt mit einer zusammenfassenden Darstellung der Ergebnisse, die im weiteren Verlauf explizit dargestellt werden.
- Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit dem Untersuchungsgegenstand und dem Untersuchungsgang.
- Das dritte Kapitel trägt den Titel „Finanzierungsformen der Eingliederungshilfe und der Kinder- und Jugendhilfe und die damit verbundene untergesetzliche Ausgestaltung der Leistungen durch Verträge“. Neben den Finanzierungsformen geht der Autor hier auch auf das sozialleistungsrechtliche Dreiecksverhältnis und auf die Finanzierungsform durch Zuwendungen ein.
- Das vierte Kapitel hat die „Verbindliche Kooperation von einzelfallbezogenen Leistungen mit quartiersbezogener sozialer Infrastruktur“ zum Inhalt. Im ersten Schritt werden dabei die „Interessen der Eingliederungshilfe, der Kinder- und Jugendhilfe und der Träger quartiersbezogener sozialer Infrastruktur“ dargestellt. Daran anknüpfend werden dann die Grenzen, aber auch die möglichen Kooperationsformen zwischen Leistungserbringern der Eingliederungshilfe, der Kinder- und Jugendhilfe und quartiersbezogener sozialer Infrastruktur aufgezeigt.
- Das Buch endet mit einem Fazit und einem Ausblick.
Inhalt
Welchen Beitrag können einzelfallbezogen finanzierte Leistungen der Eingliederungshilfe und der Kinder- und Jugendhilfe zu einer quartiersbezogenen sozialen Infrastruktur leisten? Dies ist die Fragestellung, der sich Roland Rosenow im vorliegenden Rechtsgutachten widmet. Zunächst zu den Begriffsbestimmungen:
Mit einzelfallbezogener Finanzierung ist die Finanzierung im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis gemeint – also der Vertragsbeziehung zwischen dem Leistungsträger, dem Leistungsempfänger und dem Leistungserbringer im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe wie auch in der Eingliederungshilfe.
Der Begriff der quartiersbezogenen sozialen Infrastruktur meint „(…) soziale Angebote und Leistungen, die sich grundsätzlich an alle Bewohnerinnen und Bewohner eines Quartiers richten. Das schließt auch Regelsysteme wie Kindergärten und Schulen ein.“ (Rosenow 2021, S. 38) Der Begriff der quartiersbezogenen sozialen Infrastruktur umfasst somit mehr als das Quartiersmanagement oder andere Leistungen, die durch Förderprogramme der Städtebauförderung finanziert werden. (ebd.)
Bevor Rosenow sich gezielt mit der Ausgangsfragestellung auseinandersetzt, beschreibt er zunächst den aktuellen Rechtsstand der Eingliederungshilfe und der Kinder- und Jugendhilfe und stellt die Finanzierungsformen beider Leistungssysteme anschaulich dar. Hierbei widmet er sich insbesondere dem sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis und der hervorgehobenen Bedeutung von Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen für die Praxis der Eingliederungshilfe sowie der Kinder- und Jugendhilfe. Darüber hinaus wird die Finanzierung durch Zuwendungen thematisiert und dargestellt.
Das vorletzte Kapitel des Rechtsgutachtens trägt den Titel: „Verbindliche Kooperation von einzelfallbezogenen Leistungen mit quartiersbezogener sozialer Infrastruktur“. Auf Grundlage der dargestellten Finanzierungsformen werden die unterschiedlichen Möglichkeiten, wie die einzelfallbezogenen Leistungen der Eingliederungshilfe und der Kinder- und Jugendhilfe die Leistungen der quartiersbezogenen sozialen Infrastruktur verbindlich unterstützen können, ausführlich thematisiert.
Das Buch endet mit einem Fazit, in dem insbesondere die Bedeutung der Leistungsvereinbarung erneut hervorgehoben wird. Darüber hinaus wird ein Ausblick gegeben und es werden Fragestellungen aufgeworfen, die es aus rechtswissenschaftlicher Sicht zukünftig zu beantworten gilt.
Diskussion
Mit „Kooperation von Quartiersarbeit und Einzelfallhilfen“ liefert Roland Rosenow ein lesenswertes Buch, welches hilfreiche Anregungen als auch Impulse für die aktuelle Praxis bereithält. Das fängt schon mit der vertieften Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Finanzierungsformen des sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses oder aber der Leistungs- und Vergütungsvereinbarung an. Insbesondere die Ausführungen zur Leistungsvereinbarung sind hier besonders hervorzuheben, denn es ist Rosenow zuzustimmen, wenn er in diesem Zusammenhang feststellt:
„Nach der gesetzlichen Konzeption ist die Leistungsvereinbarung das Instrument, das die Leistung mit normativer Wirkung konkretisiert und fixiert. Das gilt für die Eingliederungshilfe genauso wie für die Kinder- und Jugendhilfe (…) Die Leistungsvereinbarung zwischen Leistungsträger und Leistungserbringer wird in der Praxis nicht unbedingt als der rechtliche Ort identifiziert, an dem beide Seiten ihre fachliche Expertise einbringen, fachliche Standards fixieren und verbindlich eine Leistung beschreiben, die sie den leistungsberechtigten Personen im Ergebnis gemeinsam schulden (…).“ (Rosenow 2021, S. 158–159)
Im Mittelpunkt des Buchs steht die Frage, welchen Beitrag einzelfallbezogen finanzierte Leistungen der Eingliederungshilfe und der Kinder- und Jugendhilfe zu einer quartiersbezogenen sozialen Infrastruktur leisten können. Diese zunächst verschachtelt anmutende Fragestellung ist insbesondere vor dem Hintergrund der Reform des Bundesteilhabegesetzes von aktueller Relevanz für die Eingliederungshilfe. Denn mit der Reform wurde der Begriff des Sozialraums bzw. der Sozialraumorientierung im SGB IX ausdrücklich normiert (vgl. § 76 Abs. 1 Satz 2 SGB IX, § 94 Abs. 3 SGB IX etc.).
Im SGB VIII finden sich keine vergleichbaren Vorschriften, doch Rosenow weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Sozialraumorientierung im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe ein anerkanntes Konzept ist und daher bei der Leistungserbringung entsprechende Berücksichtigung findet (vgl. Rosenow 2021, S. 20).
Zur Notwendigkeit einer Kooperation von Leistungserbringern der Eingliederungshilfe oder der Kinder- und Jugendhilfe mit Leistungserbringern der quartiersbezogenen sozialen Infrastruktur führt Rosenow aus:
„Sozialraumorientierung wird hier verstanden als 'Kontextualisierung des Falles im Feld': Das Rechtsgutachten geht davon aus, dass Kontextualisierung in diesem Sinne unterschiedliche Formen der Kooperation mit Angeboten quartiersbezogener sozialer Infrastruktur erfordert, weil Leistungserbringer, die ausschließlich oder überwiegend in den Feldern der Eingliederungshilfe bzw. der Kinder- und Jugendhilfe agieren, den Anspruch der Kontextualisierung im Feld aus strukturellen Gründen alleine nicht oder nur ungenügend erfüllen können.“ (ebd.)
Hiermit bezieht sich Rosenow auf die gängige Praxis, dass z.B. Leistungserbringer der Kinder- und Jugendhilfe oder der Eingliederungshilfe selbst sozialraumorientierte Angebote schaffen, hier aber oftmals kaum Expertise haben. Genau hier sieht er den Ansatzpunkt, dass die unterschiedlichen Leistungserbringer eine verbindliche Kooperation miteinander eingehen, denn:
„Strukturell und verbindlich verankerte Kooperation zwischen quartierbezogen und einzelfallbezogen tätigen Akteuren kann die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Sonderwelten für Menschen mit spezifischen Benachteiligungslagen überwunden werden, um soziale (Re-)Integration und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.“ (Rosenow 2021, S. 23)
In der Folge beschäftigt sich Rosenow mit den unterschiedlichen Möglichkeiten, wie diese verbindlich verankerte Kooperation zwischen den Akteuren (rechtssicher) gestaltet werden könnte. Und genau hierin liegt dann auch der Mehrwert für den Leser: Rosenow schreibt klar und ist bestechend in seiner Argumentation. Neben rechtswissenschaftlichen Aspekten schlägt er auch immer wieder die Brücke zur Praxis und trägt so zu einem besseren Verständnis bei. Durch dieses Rechtsgutachten bekommen Praktiker jede Menge Anregungen und Argumente, wie man z.B. den neuen Anforderungen durch das BTHG begegnen kann.
Das Buch eignet sich m.M.n. besonders für Mitarbeiter der Eingliederungshilfe, der Kinder- und Jugendhilfe und für Mitarbeiter, die bei den entsprechenden Leistungsträgern arbeiten. Darüber hinaus ist das Buch insbesondere für Studenten der Sozialen Arbeit geeignet, da die relevanten Finanzierungsformen ausführlich und praxisnah beschrieben werden und die untersuchte Fragestellung im hohen Maße relevant für die Handlungsfelder der Eingliederungshilfe und der Kinder- und Jugendhilfe sind.
Fazit
Das Buch „Kooperation von Quartiersarbeit und Einzelfallhilfen – Möglichkeiten und Verpflichtungen von Eingliederungshilfe und Kinder- und Jugendhilfe“ ist lesenswert, da es hilfreiche Anregungen und Impulse für die aktuelle Praxis gibt. Im Mittelpunkt des Buches steht die Frage, welchen Beitrag einzelfallbezogen finanzierte Leistungen der Eingliederungshilfe und der Kinder- und Jugendhilfe zu einer quartiersbezogenen sozialen Infrastruktur leisten können. Roland Rosenow überzeugt mit bestechender Argumentation, einem strukturierten und gut lesbaren Schreibstil.
Das Buch ist insbesondere für Mitarbeiter der Eingliederungshilfe, der Kinder- und Jugendhilfe als auch für Mitarbeiter bei den entsprechenden Leistungsträgern geeignet. Darüber hinaus eignet sich das Buch auch für Studentinnen und Studenten der Sozialen Arbeit, da die relevanten Finanzierungsformen ausführlich und praxisnah beschrieben werden und der Untersuchungsgegenstand im hohen Maße praxisrelevant ist.
Rezension von
Florian Acker
Staatlich anerkannter Sozialarbeiter/Sozialpädagoge (B.A.)
Systemischer Therapeut und Berater (SG)
Langjährige Tätigkeit in der Eingliederungshilfe
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