Alexander Korittko: Posttraumatische Belastung bei Kindern und Jugendlichen
Rezensiert von Prof. i.R. Dr. Peter Bünder, 07.05.2021

Alexander Korittko: Posttraumatische Belastung bei Kindern und Jugendlichen - Erkennen, verstehen, lösen. Carl-Auer Verlag GmbH (Heidelberg) 2021. ISBN 978-3-8497-0382-0.
Thema
Dieses kleine Buch bietet sowohl einen Ein- und Überblick in die Thematik von Trauma und Posttraumatischer Belastung bei Kindern und Jugendlichen, als auch wertvolle Hinweise für einen angemessenen Umgang mit dieser Problematik durch Eltern und andere soziale Bezugspersonen.
Autor
Alexander Korittko, Dipl.-Sozialarbeiter sowie Systemischer Lehrtherapeut und Lehrsupervisor, hat einige Jahrzehnte in einer kommunalen Jugend-, Familien- und Erziehungsberatungsstelle gearbeitet. Er ist Mitbegründer des Zentrums für Psychotraumatologie und Traumatherapie Niedersachsen.
Aufbau und Inhalt
Das vorliegende Buch gliedert sich nach einem Vorwort in drei Kapitel:
- Posttraumatische Belastung erkennen
- Posttraumatische Belastung verstehen
- Posttraumatische Belastung lösen.
Ein kurzer Anhang zu möglichen Symptomen bei Traumatisierungen von Kindern und Jugendlichen nach Altersgruppen gestaffelt runden das Buch ab.
Im ersten Kapitel gibt Korittko einen kurzen historischen Überblick über Entstehung und Bedeutungsverschiebung des Begriffs Trauma, um auf dieser Grundlage auf die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) als verzögerte oder verlängerte Reaktion eines erlebten Traumas, d.h. einer extremen Bedrohung katastrophalen Ausmaßes, zu fokussieren.
Im zweiten Kapitel wird – auch mit Rückgriff auf Praxisbeispiele – anschaulich herausgearbeitet, welches Wissen hilfreich ist, um betroffene Kinder und Jugendliche besser in ihrem Verhalten verstehen zu können.
Das umfangreichere dritte Kapitel verschafft einen Überblick, wie betroffene Kinder und Jugendliche von Erwachsenen hilfreich unterstützt werden können, die schlimmen Erfahrungen über Zeit und Dauer bewältigen zu können, sodass im eigenen Leben wieder mehr Freude und Zufriedenheit erlebt werden kann.
Im Anhang werden kurz und knapp mögliche Symptome bei Traumatisierungen von Kindern und Jugendlichen vorgestellt, gestaffelt nach Babys und Kleinkindern (bis 3 Jahre), Vorschulkindern (3 bis 6 Jahre), Schulkindern (6 bis 12 Jahre) und Jugendlichen.
Diskussion
Dieses Buch stellt nicht nur verständlich vor, welche Reaktionen betroffene Kinder und Jugendliche nach einer Traumatisierung häufig zeigen, sondern verbreitert den Fokus dahingehend, dass die bekannten Hauptsymptome öfters gar nicht in Reinform zu erleben sind, sondern dass stattdessen stellvertretend anhaltende depressive Störungen, Angststörungen, Zwangsstörungen und Störungen des Sozialverhaltens beobachtet werden können. Dabei weist Korittko ausdrücklich darauf hin, dass man Diagnosen nicht überbewerten sollte, damit im Alltag ein prozesshaftes Verstehen ermöglicht werden kann. Er führt aus, dass Traumata zum einen durch einmalige und unbeabsichtigte Ereignisse wie Naturkatastrophen oder schwere Unfälle ausgelöst werden können, zum anderen aber viel öfters von Menschen verursacht werden durch andauernde bzw. sich wiederholende Ereignisse wie körperliche Misshandlung, Vernachlässigung und sexuelle Gewalt. Mit Verweis auf die allgemeine Erfahrung, dass die allermeisten Eltern nur das Beste für ihre Kinder wollen und ihnen eine gute Entwicklung am Herzen liegt, stellt Korittko dennoch heraus, dass es leider auch Eltern gibt, die – in der Regel aufgrund eigener andauernder großen Belastungen, extrem ungünstiger sozialer Umstände und ggf. eigener früherer Traumatisierungen – ihren eigenen Kindern keine unbeschwerte und glückliche Kindheit ermöglichen können. Wenn diese Kinder sich entgegen aller Erwartungen dennoch positiv entwickeln und einen guten Lebensweg einschlagen können, spricht die Fachwelt von Resilienz, die an dieser Stelle ebenfalls kurz erläutert wird. Ebenso werden – jeweils sehr komprimiert, aber dennoch verständlich – die Aspekte Trauma und Trauer, Bindungstraumata und ihre Folgen bei den betroffenen Kindern und Jugendlichen angesprochen.
In der Folge wird dargestellt, welche Dimensionen ein sog. Monotrauma und ein sequentielles Trauma aufweisen und vertieft, welche Einschränkungen ein frühes Bindungstrauma für die altersgerechte Entwicklung eines Kindes beinhalten kann. Die durch Traumata verursachten Bindungsstörungen erschweren es dem betroffenen Kind, sich angemessen auf Kontakte und Austausch mit anderen einstellen zu können. In der gebotenen Kürze wird anschließend mit Bezug zu Praxisbeispielen herausgearbeitet, welche Problematiken Kinder erleben können, deren Eltern selbst als Kinder, Jugendliche oder junge Erwachsene traumatisiert wurden. Obwohl diese Kinder nicht unbedingt selbst traumatisiert werden, vermissen sie doch häufig eine positive, unterstützende Präsenz ihrer Eltern.
Korittko stellt weiter anschaulich heraus, dass es nach einer Traumatisierung eines Kindes oder Jugendlichen darauf ankommt, möglichst bald eine Wiederherstellung der äußeren Sicherheit zu initiieren und dauerhaft zu gewährleisten, um mit fürsorglicher Unterstützung die verletzte Psyche wieder stabilisieren zu können. Er betont, dass das garantierte Ende von Gewalt, Erniedrigung und Vernachlässigung absolute Voraussetzung für das Wiederherstellen von äußerer Sicherheit ist. Ist eine Traumatisierung innerhalb der eigenen Familie geschehen, sollte unbedingt zum Wohl des Kindes kritisch geprüft werden, ob nicht eine zumindest vorübergehende Fremdplatzierung notwendig ist, damit diesem Kind als Schutzmaßnahme eine nicht-ausbeuterische Beziehungen und Sicherheit ermöglicht werden kann und in dieser Zeit mit den Eltern ohne Zeitdruck beraterisch an der Entwicklung ihrer Haltung zum Kind und ihren erzieherischen Kompetenzen gearbeitet werden könnte. Der Autor stellt dann detailliert vor, was traumatisierte Kinder benötigen, um wieder oder erstmalig die für eine positive Entwicklung notwendige innere Sicherheit erfahren zu können. Auf der Basis der jüngeren Trauma-orientierten Pädagogik stellt er heraus, welche große Bedeutung sichere und verlässliche Bezugspersonen haben, was es bedeutet, einen „sicheren Platz“ zu haben (S. 60) und was diesen Kindern eine wiederkehrende, verlässliche Tagesstruktur ermöglicht. Praxisnah können Eltern und andere wichtige Bezugspersonen erfahren, wie sensibel mit einer ggf. notwendigen größeren körperlichen Distanz umgegangen werden kann, wie (notwendige) Leistungsanforderungen gut dosiert werden und die Gefahren einer Re-Traumatisierung vermieden werden können.
Abgeschlossen wird das Buch inhaltlich mit einigen Ausführungen zur Trauma-Therapie und Trauma-Beratung. Informiert wird verständlich, was in einer Traumatherapie geschehen kann, welche bewährten Techniken, z.B. EMDR, zur Anwendung kommen können. Ausdrücklich werden Eltern angeregt, bei Fragen oder Unsicherheiten zuerst eine öffentliche Erziehungsberatungsstelle in Anspruch zu nehmen, da hier – anders als in Praxen der Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie – die Wartezeit für einen Termin i.d.R. deutlich kürzer ausfällt. Kurz wird auch noch auf die positiven Erfahrungen mit Tiergestützter Therapie verwiesen (S. 80), da häufig der direkte Kontakt zu einem friedlichen Tier für ein betroffenes Kind stress-reduzierend wirken kann. Am Ende stellt Korittko kurz die Grundzüge einer Trauma-Exposition dar, konkret die Methode der Trauma-Erzählgeschichte. Beispielhaft wird dazu eine Geschichte vorgestellt (S. 83) und im Anschluss daran fünf Kinderbücher zum Thema angeboten.
Fazit
Das vorliegende Buch ist sehr engagiert und verständlich geschrieben. Es lädt Lesende, die sich der Thematik annähern wollen ein, sich auf eine freundliche, leicht verständliche Weise mit diesem komplexen Thema zu beschäftigen, und auf diesem Weg viel hinzuzulernen. Durch das Studium dieses kleinen Sachbuchs wird die Posttraumatische Belastungsstörung gedanklich fassbarer. Die vielen Praxisverweise und Praxisbeispiele bzw. fachlichen Hinweise helfen dabei, gedanklich gut folgen zu können und Ideen für die Umsetzung in den praktischen Alltag zu bekommen.
Auch wenn es als „Elternbuch“ verfasst wurde, können durchaus sowohl interessierte Studierende als auch Fachkräfte im Jugend-, Sozial- und Gesundheitswesen von diesem Buch sehr profitieren. Die Lektüre lohnt sich auf jeden Fall.
Rezension von
Prof. i.R. Dr. Peter Bünder
Vormals Hochschule - University of Applied Sciences - Düsseldorf, Lehrgebiet Erziehungswissenschaft am Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften
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