Claudia Gliemann, Regina Lukk-Toompere: Rotkäppchen, wie geht es dir?
Rezensiert von Prof. Dr. Annemarie Jost, 01.12.2020
Claudia Gliemann, Regina Lukk-Toompere: Rotkäppchen, wie geht es dir? Monterosa Verlag (Karsruhe) 2020. 50 Seiten. ISBN 978-3-942640-12-1. D: 24,00 EUR, A: 24,70 EUR.
Thema und Zielgruppe
Ich rezensiere hier ein Kinderbuch, jedoch insbesondere im Hinblick auf seinen Einsatz durch Fachkräfte im Umgang mit seelisch verletzten Kindern. Das Buch handelt von schweren seelischen Verletzungen und einer gelingenden Stabilisierung und Heilung. Mit anrührenden Bildern und klarer Sprache schildert es Rotkäppchens Weg, sich mit Hilfe des wunderbar fürsorglichen Bären seiner Traumatisierung zu stellen.
Es eignet sich meiner Auffassung nach sehr gut für Fachkräfte wie Sozialarbeiter*innen, Psycholog*innen oder Erzieher*innen in der Jugendhilfe, wenn sie traumatisierte Kinder begleiten und insbesondere die Stabilisierung mitgestalten. Auch Kinder- und Jugend-Psychotherapeut*innen können es im therapeutischen Prozess oder in der (Pflege-)elternarbeit nutzen. Zudem werde ich es auch in der Lehre einsetzen, wenn ich mit Studierenden der Sozialen Arbeit die traumsensible Haltung thematisiere.
Autorinnen
Claudia Gliemann ist Autorin, Literaturübersetzerin, Verlegerin und Songwriterin. Ihr Buch „Papas Seele hat Schnupfen“ erhielt den Publikumspreis der Frankfurter Buchmesse und den DGPPN Antistigma Award.
Regina Lukk-Toompere zählt zu den renommiertesten Kinderbuchillustratorinnen Estlands und erhielt 2019 den wichtigsten Preis Estlands für Illustration, den Edgar Valter Illustrations-Preis.
Inhalt
Der Bär erwacht unter einer Schneedecke aus seinem Winterschlaf. Bereits auf der ersten Seite wird man durch die phantasievollen, zugleich schlichten und emotional anrührenden Bilder in den Bann gezogen. Vor ihm liegt Rotkäppchen im Schnee und erzählt ihm schluchzend, dass der Fuchs – der doch eigentlich ihr Freund war – ihr nach und nach die Haare abgeschnitten hat. Rotkäppchen ist so verletzt, dass sie im kalten Schnee liegen bleibt. Der wunderbar einfühlsame Bär zimmert eine Hütte um Rotkäppchen herum und wartet geduldig ab, bis Rotkäppchen von sich aus durch einen Spalt nach draußen schaut. Ganz langsam fasst Rotkäppchen Vertrauen und beginnt zu erzählen. Auch der Bär erzählt Geschichten. Schließlich traut sich Rotkäppchen, die Gegend zu erkunden und stößt auf das Haus ihrer Großmutter. Sie braucht viel Zeit, sich nach und nach ihren Erinnerungen, die in einem Korb aufbewahrt sind, zu stellen. Der Bär begleitet sie ganz behutsam und mitfühlend, ohne je zu bedrängen, bis sie in vielen Monaten die einzelnen Bilder zusammensetzen kann. Am Ende tauchen andere Märchenfiguren auf, um von ihren Ängsten und Schmerzen zu erzählen.
Auf der letzten Seite wird erläutert, wie Kinder nach und nach lernen können zu vertrauen, auch wenn der Weg aus dem Trauma schwierig und schmerzlich sein kann. Das Buch endet mit der Nummer gegen Kummer 116 111.
Diskussion
Das Buch ist so illustriert, dass die Bilder Wärme und Zuversicht ausstrahlen und zugleich die Phantasie anregen. In der Geschichte wird das eigentliche Trauma nie direkt angesprochen. Es geht um die Stabilisierung und die Geduld, die der Bär aufbringt, damit Rotkäppchen in ihrem eigenen Tempo Erinnerungen zulassen kann. So werden Helfer*innen in der Stabilisierungsphase auf sehr eindrucksvolle Weise unterstützt, seelisch verletzte Kinder zu begleiten. Das Buch ist mitfühlend ohne aufdringlich zu sein, es unterstützt Selbstheilungskräfte und stärkt Vertrauen. Wenn Pädagog*innen und Sozialarbeiter*innen traumapädagogisch arbeiten, können sie meiner Meinung nach dieses Buch sehr gut einsetzen; sie werden in ihrer eigenen Haltung gestärkt und vermitteln in schönen Bildern, dass die Kinder auch nach schweren Verletzungen mit therapeutischer und pädagogischer Unterstützung schwierige Erfahrungen bewältigen können.
Fazit
Dieses – ganz besonders auch durch die phantasievollen Illustrationen – ansprechende Kinderbuch kann traumapädagogisch arbeitende Fachkräfte in ihrer Arbeit mit Kindern unterstützen. Der Bär zeigt auf eindrucksvolle Art und Weise, was die Stabilisierung und behutsame Begleitung eines traumatisierten Menschen ausmacht. Kindern kann das Buch Mut machen, Traumatisierungen zu bewältigen, unter der Voraussetzung, dass sie sich in einer sicheren Umgebung befinden.
Rezension von
Prof. Dr. Annemarie Jost
Professorin für Sozialpsychiatrie an der Fakultät 4 der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg
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Zitiervorschlag
Annemarie Jost. Rezension vom 01.12.2020 zu:
Claudia Gliemann, Regina Lukk-Toompere: Rotkäppchen, wie geht es dir? Monterosa Verlag
(Karsruhe) 2020.
ISBN 978-3-942640-12-1.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/27653.php, Datum des Zugriffs 19.01.2025.
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