Hans-Helmut Decker-Voigt, Dorothea Oberegelsbacher et al.: Lehrbuch Musiktherapie
Rezensiert von Dr. Markus Sommerer, 17.05.2021

Hans-Helmut Decker-Voigt, Dorothea Oberegelsbacher, Tonius Timmermann: Lehrbuch Musiktherapie.
UTB
(Stuttgart) 2020.
3., aktualisierte Auflage.
336 Seiten.
ISBN 978-3-8252-5295-3.
D: 39,99 EUR,
A: 41,20 EUR,
CH: 48,70 sFr.
Reihe: UTB - Band 3068.
Thema
Das Lehrbuch Musiktherapie stellt alle relevanten Themen der Musiktherapie von den Grundlagen über Behandlungstechniken und klinische Anwendungen umfassend dar. Es ist damit das Standardwerk der Musiktherapie im deutschsprachigen Raum und hat hier insofern Pionierarbeit geleistet, als es als Erstes einen Bogen über das gesamte weite Feld der Musiktherapie geschlagen hat.
Autor*Innen
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Helmut Decker-Voigt war von 1990–2010 Direktor des Instituts für Musiktherapie der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Seitdem ist er dort Senior Professor, Inhaber zahlreicher Gast- und Stiftungsprofessuren, Gründungsherausgeber der Zeitschrift „Musik und Gesundsein“ sowie freier Schriftsteller.
Dr. Mag. Dorothea Oberegelsbacher lehrt Musiktherapie und Psychotherapie an der Universität für Musik und darstellende Kunst bzw. der Sigmund Freud Privat-Universität, beide in Wien, und ist niedergelassene Musiktherapeutin und Psychotherapeutin.
Prof. Dr. Tonius Timmermann leitete den Masterstudiengang Musiktherapie an der Universität Augsburg und die berufsbegleitende Musiktherapieausbildung am Freien Musikzentrum München. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen und arbeitet in freier Praxis in München und Wessobrunn (www.timmermann-domain.de).
Entstehungshintergrund
Im deutschsprachigen Raum existiert eine Fülle musiktherapeutischer Manuale und Lehrbücher. Sie alle behandeln spezielle Aspekte in der Tiefe. Was aber hilft das Wissen allein in der Tiefe, ohne dass das Gesamte als solches erkannt und überblickt werden kann? Beseelt von dem Wunsch, „ein Lehrbuch zur Musiktherapie zu schreiben, dass wir gerne in unseren eigenen Jahren als StudentIn gehabt hätten“ (S. 14), haben die Autor*Innen somit ein Werk verfasst, das die bereits vorhandenen losen Enden in sich vereint und zu einem großen Ganzen verwebt, aus dessen Kenntnis der Neuling – sei es nun ein Student der Musiktherapie oder gleichermaßen der interessierte Laie – einen profunden Überblick erlangen und in dem der Erfahrene sein Wissen gründen und verorten kann.
Aufbau
Das Lehrbuch Musiktherapie ist in drei Teile gegliedert:
- Teil I fasst die Grundlagen der Musiktherapie zusammen,
- Teil II beschäftigt sich mit der klinischen Praxis und den zugrundeliegenden Theoriemodellen entlang der menschlichen Lebenszyklen,
- Teil III schließlich vernetzt die im Vorfeld vermittelten Inhalte mit dem Lebensalltag als Musiktherapeut incl. dessen Ausbildung, der Psychotherapie sowie der aktuellen Forschung.
Inhalt
Im ersten Teil „Grundlagen“ formulieren die Autor*Innen eine Definition der Musiktherapie, bevor sie auf Praxisfelder und Indikationen eingehen. Sie stellen den aktuellen Forschungsstand von Musiktherapie, Musikmedizin und Musikpsychologie vor, und wenden sich danach dem Instrumentarium zu. Im Kapitel „Praxeologie“ werden die verschiedenen Formen musiktherapeutischer Interventionen und deren Vorgehensweise beleuchtet. Improvisation, Rezeption und die Rolle des Wortes in der Musiktherapie werden genauso erläutert, wie anthropologische und ethnologische sowie historische Aspekte der Musiktherapie. Ein Überblick über die Musiktherapie der Gegenwart rundet das Bild der Grundlagen ab.
Im zweiten Teil „Mensch und Musik: Lebenszyklen – Klinische Praxis – Theoriemodelle“ werden dem Zyklus des menschlichen Lebens folgend Beispiele aus der klinischen Praxis und zugrundeliegende Theoriemodelle vorgestellt.
In neun Stationen:
- Pränataler Raum
- Perinataler, postnataler und präverbaler Raum (Lebensalter 0–2)
- Kleinkindphase (2-6)
- Späte Kindheit (6-12)
- Pubertät (12-16)
- Adoleszenz (16-28)
- Mittlere Lebensphase (28-60)
- Senium (60-75) und
- Letzter Lebensabschnitt (ab 75)
geben die Autor*Innen spannende Einblicke in die praktische Tätigkeit mit Klient*Innen im jeweiligen Lebensabschnitt und gehen anschließend detailliert auf therapierelevante Themen der jeweiligen Altersgruppe ein incl. störungsspezifischer Besonderheiten, Theorien und Möglichkeiten der Vorgehensweisen und dazu benötigtes musiktherapeutisches Handwerkszeug. Auch hilfreiche Hinweise auf wissenschaftliche Hintergründe und Verweise auf Praxisprojekte von Kolleg*Innen fehlen nicht.
Im dritten Teil „Berufsprofile – Ausblicke – Vernetzungen“ geht D. Oberegelsbacher auf die berufliche Identität der Musiktherapeut*Innen ein. Sie beleuchtet dabei u.a. die Situation in der klinisch praktischen Arbeit, die Besonderheiten des Berufes und den Weg zur eigenen musikalischen Identität und Sprache jedes Therapeuten.
T. Timmermann beschreibt im folgenden Kapitel nicht nur die Wichtigkeit von Forschung, sondern auch Visionen und Forderungen u.a. in Bezug auf Grundlagen- und Anwendungsforschung und zeigt dabei konstruktive Umsetzungsmöglichkeiten auf.
Abschließend gibt H. H. Decker-Voigt einen Ausblick auf die Entwicklungen von Ausbildung und Berufsbild vor dem Hintergrund der Entwicklungen im Rahmen der EU und die Wichtigkeit von Berufsverbänden in einer Welt, die sich immer stärker vernetzt, dadurch eine Vielzahl neuer Wachstumsimpulse generiert und zu einem sprunghaften Anstieg von Kompetenz, aber auch Konkurrenz führt.
Diskussion
Das „Lehrbuch Musiktherapie“ von Decker-Voigt, Oberegelsbacher und Timmermann liefert als eines der wenigen Lehrbücher im deutschsprachigen Raum einen umfassenden Überblick über alle Aspekte der Musiktherapie. Mit großer fachlicher Kompetenz schlagen die Autoren nicht nur einen Bogen über ein schier unermessliches Themenfeld, sie schaffen es auch, zahllose scheinbar lose Enden zu einem stimmigen Ganzen zu verweben. Dabei gehen sie erfreulich undogmatisch vor, indem sie den Anspruch auf Allgemeingültigkeit von Anfang an ablehnen und ganz im Gegenteil den Leser explizit ermutigen, erworbene Lerninhalte, die sich nicht in der Praxis bewähren, zu verwerfen oder anzupassen. Damit stellt sich das Buch klar in den Dienst des Lesenden, statt diesen mit erhobenem Zeigefinger zu belehren.
Fazit
Das „Lehrbuch Musiktherapie“ ist das deutschsprachige Standardwerk für alle Studierenden der Musiktherapie genauso wie für Fach nahe Kolleg*Innen und interessierte Laien. Entlang der menschlichen Entwicklung durch alle Lebensalter stellt es übersichtlich und praxisnah eine Vielzahl (nicht nur) psychischer Störungen und möglicher musiktherapeutischer Interventionen dar. Psychotherapeutische Grundlagen werden genauso beleuchtet wie Musiktheorie, Entwicklungspsychologie, Forschungsmethoden und praktische Aspekte des Berufes. Es umfasst somit das gesamte, weite Spektrum der Musiktherapie und dient damit dem Neuling als Landkarte für den Einstieg ebenso wie dem bereits erfahrenen Praktiker als Fundus und Nachschlagewerk.
Rezension von
Dr. Markus Sommerer
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