Werner Fleischer, Benedikt Fleischer et al.: Mitarbeiterführung
Rezensiert von Prof. Dr. Olaf Scupin, 21.04.2021

Werner Fleischer, Benedikt Fleischer, Martin Monninger: Mitarbeiterführung.
Kohlhammer Verlag
(Stuttgart) 2020.
116 Seiten.
ISBN 978-3-17-035765-5.
14,00 EUR.
Reihe: Fleischer, Werner: Wirksam führen - Pflege - Band 1.
Thema
Der vorliegende Band 1 zur „Mitarbeiterführung“ richtet sich an leitende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der professionellen Pflege in Kliniken. Die Autoren beanspruchen einen praxisrelevanten Leitfaden erstellt zu haben, damit die Leitungen der Pflege „im Spannungsfeld der täglichen Anforderungen »die Zügel in der Hand«“ behalten können. Die Autoren erheben ebenfalls den Anspruch, dass die noch entstehende Buchreihe ein Nachschlagewerk für die Praxis darstellen soll und aus der Praxis heraus entstanden ist (7). Das Thema selbst ist hochgradig praxisrelevant. Je nach Studienlage verlassen bis zu 30 % der Pflegenden den Beruf wegen der vermeintlich schlechten Führung und zwar der direkten Führung. Aus diesem Grunde ist eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema der Mitarbeiter_innenführung nur zu begrüßen. Gleichzeitig ist eine hohe Erwartungshaltung an dieses Vorhaben zu knüpfen. Die Verantwortung und Herausforderung für die Führungspersonen besteht ja gerade darin, die unterschiedlichen Interessenslagen zwischen dem Unternehmen, den Mitarbeiter_innen und den Patient-, Klient- und Bewohner_innen in Einklang zu bringen. Die systemimmanente Entwicklung von Dilemmata ist ja gerade durch eine begründete, möglichst wissenschaftsbasierte Entscheidungsfindung, als Kernaufgabe der Führungsperson, zu lösen. Wesentliche Elemente und Instrumente der Führungsaufgaben und -funktionen werden angeschnitten bzw. vorgestellt.
Aufbau und Inhalt
Vor dem Hintergrund einer unterstellten gestiegenen Komplexität in der Arbeitswelt, Stichworte sind hier die Digitalisierung und eine generationsspezifische Klassifikation von Mitarbeiter_innengruppen, werden die Anforderungen an die Führung skizziert (18f), sowie die Prinzipien der Mitarbeiter_innenführung vorgestellt (20-29). Unter den wichtigsten Prinzipien der Führung verstehen die Autoren die Vorbildfunktion hinsichtlich der Haltung und der Pflichterfüllung durch die Führungsperson selbst. Als weitere Aspekte werden die Verteilungsgerechtigkeit und die Fürsorgepflicht vorgestellt (22ff). Relativ neue Begriffe in der Literatur zur Führung werden mit den Gegenständen Respekt, Wertschätzung und Achtsamkeit verbunden.
Einen breiteren Raum nimmt das Kapitel über „Führung und Macht“ ein. Der Abschnitt trägt dazu bei, den häufig subjektiv negativ kanonierten Begriff der Macht zu neutralisieren bzw. als normative Struktur in Gesellschaften zu verstehen. Ein durchaus überraschender Aspekt der Führung wird mit dem Begriff der Loyalität im Band aufgenommen (34ff). Die Autoren sehen einen Zusammenhang zwischen der Illoyalität der Mitarbeiter_innen gegenüber den Führungspersonen und einer mangelnden Wertschätzung von Seiten der Leitungspersonen gegenüber eben den Mitarbeiter_innen. Ein interessanter, leider im Buch nicht belegter Zusammenhang. Ein Merkmal vorhandener Loyalität wäre demnach, dass sich Führungsmitarbeiter_innen bei Fehlern der Mitarbeiter_innen „hinter“ diese stellen und sich nicht mit den Erfolgen Anderer „schmücken“ würden (38).
Ab Kapitel 7 widmen sich die Verfasser des Bandes den Führungsaufgaben (40-47). Nachvollziehbar ist die Perspektive der abnehmenden Fachaufgaben, je höher die Führungsfunktion hierarchisch verortet ist. Dieses Spannungsfeld erfordert in der Tat die beschriebene Feedback-Kultur. Die Reflexion der Führungskompetenzen führt zum Kapitel über die Führungsstile. Hier wird das individuellen Führungsverhalten diskutiert und die Ausrichtung zwischen einer Mitarbeiter_innen- und Ergebnisorientierung erläutert. Diese Perspektive spiegelt sich wider, wenn das Reifegradmodell n. Blanchard und Zigarmi (57ff) herangezogen wird, um das Verhalten der Führungsperson in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen.
Im nachfolgenden Kapitel zum Thema „Führen über das Gespräch“ wird das Instrument der „Mitarbeitergespräche“ kurz vorgestellt. Einen berechtigt breiten Raum nimmt die Auseinandersetzung mit der erstmaligen Übernahme einer Führungsrolle ein. Gerade die Auseinandersetzung zwischen dem Erwartungs- und dem Erfüllungsmanagement in Bezug auf die Mitarbeiter_innenperspektive ist ansonsten ein unterrepräsentiertes Themengebiet (69-78). Dieses Kapitel mündet logisch in den Abschnitt über die Führungspraxis. Ein besonderes Augenmerk legen die Autoren auf die Integration neuer Kolleginnen und Kollegen. Speziell widmen sie sich der Phase der Einarbeitung. Die Auseinandersetzung mit einem eigenschaftstheoretischen Generationsansatz (Generation Y) und den damit verbundenen allzu generalistisch unterstellten Erwartungshaltungen folgt eine Betrachtung im Umgang mit älteren Mitarbeiter_innen. Die spezielle Aufgabe der Führung sehen die Autoren in diesem Zusammenhang im Aufbau einer Willkommenskultur (94ff).
Die Schnittstellenthematik zwischen dem Ärztlichen Dienst und der professionelle Pflege wird ergänzt durch einen personalwirtschaftlichen Teil der Personalwirtschaft – der Personaleinsatzplanung. Vor allem die nur unzureichenden Konzepte des Personalausfallmanagements werden umrissen und entsprechende Konzepte vorgestellt (104-108).
Diskussion
Da wissenschaftliche und individuelle Menschenbilder die Wahrnehmung des Menschen strukturieren und damit im Wesentlichen auch das Handeln, hier der Führungspersonen, beeinflussen, fehlt ein Exkurs zum Menschenbild der Führung. Also die Frage, was verstehen die Autoren unter Führung. Eine einzige Definition bildet ein wesentliches Grundverständnis von Führung nicht ab. Die ausgewählten theoretischen Ansätze und Perspektiven der Autoren werden nicht begründet und sind nicht nachvollziehbar. Wie und auf welcher Grundlage Führungsentscheidungen getroffen werden, wird nicht erläutert. Um die Dilemmata der Führung lösen zu können, bedarf es zum Beispiel der Abstraktion um normative, strategische und operative Ebenen unterscheiden bzw. identifizieren zu können. Zugutehalten muss man den Autoren, dass sie eben inhaltlich und auch in Bezug auf die Zielgruppe keinen wissenschaftlichen Anspruch formuliert haben.
Es kann unterstellt werden, dass die vorgestellten Ansätze und Führungsinstrumente einer empirischen Reflexion geschuldet sind. Diese Herangehensweise ist zulässig, deckt jedoch nicht die Breite des Themas ab. Das vorliegende Büchlein ersetzt somit kein Lehrbuch mit einer zu erwartenden Forschungsbasierung.
Methodisch-didaktisch ist hervorzuheben, dass den meisten Kapiteln eine Zusammenfassung, im Sinne von Lern- und Merksätzen, angefügt ist. Die Kapitelübergänge sind nicht immer nachvollziehbar und logisch.
Fazit
Das Büchlein wendet sich an Praktiker_innen der professionellen Pflege die aktuell mit Führungsaufgaben im mittleren Management betraut sind oder sich auf diese Position vorbereiten. Als alleiniges Werk für Führungspersonen ist das Buch nicht geeignet. Es spricht viele der Führungsrelevanten Themen an, ohne eine ausreichende Tiefe zu erreichen. Als „Stichwortgeber“ um sich mit vertiefender Literatur zu befassen, ist das Werk gut geeignet. Durch die Definition der Zielgruppe kann postuliert werden, dass anscheinend immer noch ein nicht unerheblicher Teil der Führungspersonen in der Pflege über keine qualifizierte Bildung zur Leitung der Pflege verfügt. Auf keinen Fall wäre das Buch geeignet aktiv Veränderungsprozesse in der Pflegepraxis zu etablieren. Die Leser_innen werden nach der Lektüre von Band 1 nicht in der Lage sein, die vorgestellten Konzepte umzusetzen oder beschriebene Führungsinstrumente zu etablieren. Der letztgenannte Hinweis ergibt sich nicht aus dem Anspruch der Autoren, sondern soll die Leser_innen nach der Lektüre nicht verführen komplexe Organisationsentwicklungsmaßnahmen selbstständig und allein umzusetzen.
Rezension von
Prof. Dr. Olaf Scupin
Professur für Pflegemanagement an der Ernst-Abbe-Hochschule (EAH) Jena, Mitglied der Leibniz-Sozietät zu Berlin, Direktor am Institut für Coaching und Organisationsberatung der EAH Jena, Diplom-Pflegewirt (FH), Pflegedirektor, Fachkrankenpfleger für Anästhesie und Intensivpflege, Krankenpfleger, Weiterbildung zur Leitung einer Station oder Abteilung am ÖTV-Institut Duisburg
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