Sabine Kluge, Alexander Kluge: Graswurzelinitiativen in Unternehmen
Rezensiert von Prof. Dr. Harald Christa, 09.02.2021

Sabine Kluge, Alexander Kluge: Graswurzelinitiativen in Unternehmen. Ohne Auftrag – mit Erfolg! : wie Veränderungen aus der Mitte des Unternehmens entstehen – und wie sie erfolgreich sein können. Verlag Franz Vahlen GmbH (München) 2020. 239 Seiten. ISBN 978-3-8006-6370-5. 22,90 EUR.
Thema
Es ist eine nicht mehr ganz neue Fragestellung, nämlich, wie sich Organisationen dem Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft erfolgreich anpassen können. Ausgehend von verschiedenen Stadien der Systemtheorie diskutieren Organisationsforscher seit langer Zeit über treffsicher-allgemeingültige Mittel und Wege, wie sich Unternehmen in einem Mix aus Bestand und Veränderung in turbulenten Umwelten behaupten zu können. Der Stein der Weisen, so viel kann man getrost sagen, wurde noch nicht gefunden.
Entstehungshintergrund
Dies bedeutet jedoch nicht, dass es an zumindest potenziell anschlussfähigen Ansätzen zu einer nachhaltigen Organisationsentwicklung gänzlich mangelt. Sabine und Alexander Kluge widmen sich in ihrem Buch dem Phänomen der Graswurzelinitiativen, welche quasi aus der Mitte der Organisation innovative Wege beschreiten können, um diese nachhaltig zu verändern. Handelt es sich hierbei um eine wertvolle Quelle der erfolgreichen Anpassung an Umweltanforderungen? Oder nur um einen weiteren Marketing-Gag aus der Welt der Unternehmensberatungen? Diese und andere Fragen möchten die Autorin und die Autorin in ihrem Werk beantworten.
Autor und Autorin
Alexander und Sabine Kluge sind Unternehmensberater und wollen Unternehmen bei digitalen und kulturellen Veränderungen unterstützen.
Aufbau und Inhalte
Die Publikation enthält vier Abschnitte.
Im ersten Abschnitt „Die Kraft der Graswurzel“ betonen die Autorin und der Autor, dass Graswurzelinitiativen durchaus als Element der Erneuerung von Organisationen ernstzunehmen sind. Es geht dabei um die Überwindung von tradierten und starren Systemstrukturen, inklusive der hierarchischen Aufbauten und altbekannten Muster von Macht und Weisungsbefugnis. Spannenderweise thematisieren Alexander und Sabine Kluge dabei auch die Problematik, dass Managerinnen und Manager vor dem mehr oder weniger bewussten Dilemma stehen, bei starker Verunsicherung und trotz Wissen um die Notwendigkeit von Veränderungen an Privilegien und erprobten Problemlösungsmechanismen festhalten. Andererseits betonen sie: „Wenn zur Bereitschaft, mit neuen Formen der Zusammenarbeit zu experimentieren, noch die Haltung und der Mut des Einzelnen kommt, dies auch ohne Auftrag und gegen die bestehende Konvention zu tun, kann die Graswurzel im Unternehmen gedeihen.“
Im zweiten Abschnitt „Graswurzelinitiative, Change-Projekt, Culture- Hack: Kann man Unternehmenskultur geplant verändern?“ konkretisieren die Autorin und der Autor ihr Verständnis von Graswurzelinitiative dahingehend, dass sie Gruppen von Mitarbeitenden meinen, welche einerseits als vermeintlich „gewöhnliche“ Mitte der Organisation agieren, andererseits einen innovativen Weg beschreiten möchten, welcher im Zweifel auch mit einem „zivilen Ungehorsam“ gegenüber bestehenden Strukturen, Prozessen und Lösungsmustern verbunden ist. Gleichzeitig ist zu beachten, dass diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein hohes Interesse am Erfolg der Organisation und damit eine durchaus große emotionale Verbundenheit ihr gegenüber aufweisen. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Aussage, dass man das Graswurzel-Modell als selbstorganisierten Change aus der Mitte als vielversprechenden Ansatz des Gegenentwurfs zum „klassisch-hierarchisch verordneten Wandel“ ansehen kann, eine Erfolgsgarantie jedoch nicht damit verbunden sei. Dies ehrt Sabine und Alexander Kluge, da es sich bei den Protagonisten solcher Initiativen zudem um Menschen handele, die in Organisationen „Lösungen für diejenigen Herausforderungen suchen, die sie als relevant ansehen, die von den bestehenden Institutionen aber ignoriert werden.“
Im dritten Abschnitt „Bewegung aus der Mitte – Woher? Wohin? Wozu?“ wird zunächst die Frage nach der Motivation für die Initiatoren und Initiatorinnen von Graswurzelinitiativen gestellt. Dabei thematisieren Alexander und Sabine Kluge auch neuere und nicht durchgehend in der herkömmlichen Diskussion berücksichtigte Theorien des Organisationswandels, wenn sie darauf verweisen, dass Mutationen im organisationalen Geschehen auf der Grundlage von „absichtlich oder zufällig in der Regelorganisationen entstandenen Freiräumen“ geschehen (können), und beziehen sich dann in der Frage der motivationalen Grundlagen einer Graswurzelinitiative auf die „Frustration über die Grenzen der persönlichen Wirksamkeit oder über dysfunktionale Organisationsstrukturen und Regelwerke und persönliche Wertekonflikte.“ Nicht ohne Verweis auf ihre Erfahrung als Unternehmensberater betonen sie unter anderem, dass die Stunde für Graswurzelinitiativen dann schlägt – oder zumindest schlagen kann –, wenn „Beteiligte des vor dem Aus stehenden Veränderungsprojektes, dass gerade Fahrt aufgenommen hat und in die richtige Richtung läuft, ihren eigenen Weg finden um die ganz offenkundig sinnvolle Initiative am Leben zu erhalten.“ In diesem dritten Abschnitt berichten Sabine und Alexander Kluge darüber hinaus von einer ganzen Reihe von Beispielen aus dem Universum der Graswurzelinitiativen. Dies alles erfolgt in erfreulich reflektierter Weise und ohne den in Publikationen von Unternehmensberatern häufig vorzufindenden affirmativen Ton. Sie haben dabei auch einen Blick auf die nicht notwendigerweise komfortable Situation der Protagonisten von Graswurzelinitiativen, wenn sie konstatieren: „Wer parallel zu den oder gar gegen die herrschenden Strukturen agiert, lebt potenziell gefährlich.“
Der vierte Abschnitt „Quo vadis, Graswurzelinitiativen und Unternehmenskultur?“ legt nahe, dass es in solchen Kontexten um ein Mitgestalten ebenso geht wie um Werte- und Sinnfragen einer Unternehmung, jedoch auch um Fragen der Energie und deren Freisetzung im wichtigen Streben nach Veränderung und gegebenenfalls Neubeginn in der Krise. Als Fazit für eine zukunftsfähige Unternehmenskultur kann der Satz gelten: „Wir werden Veränderungen immer weniger top-down treiben können, wir müssen auf das Potenzial der Veränderung aus der Mitte setzen, wenn wir als erfolgreiches Unternehmen in komplexen Zeiten weiterhin eine Rolle spielen wollen“.
Diskussion
Aus unserer Sicht handelt es sich bei diesem auch für Verantwortliche im sozialwirtschaftlichen Sektor durchaus lesenswerten Buch um ein hochspannendes Plädoyer für die Identifikation von Graswurzelinitiativen engagierter und konstruktiver Menschen aus der Mitte der Organisation und die Ermöglichung von Entfaltung in starren Strukturen. Sabine und Alexander Kluge führen auf informative wie einprägsame Weise in eine Welt der Organisationsentwicklung ein, welche mehr zu bieten hat als einen Wandel nach Vorschrift. Der Text kann – ganz nach Luhmann – auch gelesen werden als Hinweis auf die Schatzkammer der „brauchbaren Illegalität“ in Organisationen. Manchmal kann es sich, so der Schluss, durchaus lohnen, auch in sozialwirtschaftlichen Unternehmen gegen den Strich bürsten zu lassen.
Fazit
Change-Management mit Mut: Eine spannende und konstruktive Einführung in die Welt der Graswurzelinitiativen.
Rezension von
Prof. Dr. Harald Christa
Professor für Sozialmanagement an der Evangelischen Hochschule Dresden mit Schwerpunkt Sozio-Marketing, Strategisches Management, Qualitätsmanagement/ fachliches Controlling.
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