Anne Goossensen, Jos Somsen et al.: Schmelzende Steine
Rezensiert von Prof. Dr. habil. Gisela Thiele, 22.01.2021
Anne Goossensen, Jos Somsen, Marian van der Veen: Schmelzende Steine. Rituale am Lebensende. der hospiz verlag Caro & Cie. oHG (Esslingen) 2020. 88 Seiten. ISBN 978-3-946527-35-0. D: 19,99 EUR, A: 20,50 EUR.
Thema
Wir können den Sterbenden begleiten – durch unsere Nähe, durch Gespräche, durch gemeinsame Momente der Ruhe. Das kann ein erstaunlich bereichernder gemeinsamer Weg sein, mit beglückender Nähe. Rituale können am Ende des Lebens helfen, den Schmerz und die Trauer erträglicher zu machen. Bisher standen christliche Rituale im Vordergrund. Doch die Bedeutung der Kirchen ist gesunken und damit einhergehend auch christliche Rituale am Lebensende. Neue Formen der rituellen Begleitung sind entstanden. Anne Goossensen hat sich mit diesen neuen Formen von Ritualen beschäftigt.
Warum brauchen wir Rituale am Ende des Lebens und wie entstehen diese? Anhand von vielen Beispielen, Erläuterungen und Erklärungen können Begleiter so sinnvoll mit Betroffenen zu eigenen Ritualen finden. Checklisten in Form von relevanten Fragen können helfen, in der Praxis das Thema anzugehen.
Autoren
Anne Goossensen ist Professorin für informelle Pflege und Pflegeethik an der Universität für Humanistik in Utrecht. Marian van der Veen ist Ritualbegleiterin bei Het Moment und der Akademie Integrale Human- und Geisteswissenschaften (SPSO) und Jos Somsen ist Psychologin und Sängerin.
Aufbau und Inhalt
Das Buch ist neben einem Vorwort und einer Einleitung in fünf Kapitel mit Unterkapiteln in unterschiedlicher Länge gegliedert.
Im „Vorwort“ werden Rituale und deren Erleben am Lebensende erkundet. Es gehe um das bewusste Erleben von Symbolen am Lebensende.
In der „Einleitung“ wird zunächst betont, dass die Bedeutung der traditionellen Religionen abgenommen habe, dennoch bliebe die Suche der Menschen nach Sinn und Bedeutung im Angesicht des Todes.
Ein erster Teil nennt sich „Rituale im Überblick“. Rituale seien die Gesamtheit von Handlungen, die für die Betroffenen eine spezielle Bedeutung hätten. Das Buch sei vor allem für ehrenamtliche Mitarbeiter, die in der Palliativpflege arbeiten, gedacht. Der Trauernde versuche, sein Gleichgewicht zwischen Verlust und Wiederherstellung zu finden. Sie definieren die Beziehung neu, das Re-integrieren von Verstorbenen in die Lebensgeschichte eines Menschen. In den folgenden Ausführungen kommen Fallvignetten zu Wort, die über hilfreiche Rituale am Lebensende erlebt wurden.
Der nächste Abschnitt berichtet über „Erfahrungen mit Ritualen“. Aus Erzählungen von Betroffenen stellen die Autoren Themen von Zerbrochenheit, Verbindung und neues Gleichgewicht zusammen. Wichtig sei, dass die Betroffenen nach den Ritualen zu einer inneren Ruhe finden, denn es würden sehr sensible Themen angesprochen.
Mit „Symbolik“ ist der folgende Abschnitt überschrieben. Symbole würden uns auf verschiedene Weise der Welt um uns eine Bedeutung geben. Düfte scheinen beispielsweise als Symbol ein starker Träger von Erinnerungen zu sein. Bei symbolischen Handlungen ginge es darum, etwas Alltägliches, Normales zu etwas Besonderem zu machen. Lebensende-Rituale können für universelle Kategorien wie Lebenskraft, Blühen oder Vergänglichkeit stehen. So könne eine symbolische Handlung etwas in Gang bringen, was auch physisch erfahren werden könne.
Dem „Tod Bedeutung geben“ ist der Titel des vorletzten Teils. Das Akzeptieren der eigenen Sterblichkeit ist meist mit viel Angst verbunden. Studien weisen darauf hin, dass drei Wege möglich wären, um mit der Todesangst umzugehen: Vermeidung, Lebenseinstellung und Halt in sich selbst finden können. Wenn Menschen in der Verleugnung oder Vermeidung nicht mehr genug Schutz finden, suchen sie Halt in einer Lebenseinstellung oder Philosophie. Im biosozialen Sinn leben Menschen in jenen Menschen, die zurückbleiben, weiter. Beispielsweise durch genetisches Material, das an Kinder und Enkelkinder weitergegeben wird. Menschen können auch erfahren, dass sie im kreativen oder künstlerischen Sinne weiter fortbestehen, sie haben durch ihr Werk dem Menschen in ihrem Umfeld etwas gegeben, in dem sie weiterleben. Somit haben sie über Grenzen des Todes hinaus eine Wirkung auf andere. Auch natürliche Unsterblichkeit, eine Verbindung mit der Natur, worin sich die Zyklen von Leben und Tod widerspiegeln, ist möglich. Das Bewusstsein, dass man für Menschen, die uns nachfolgen, eine Bedeutung hat, gibt uns außerordentlichen Halt.
Der letzte Teil setzt sich mit der Problematik „Symbolsprache erkennen und Rituale initiieren“ auseinander. Die Möglichkeit am Lebensende ein Ritual erfahren zu können, ist vielen nicht bekannt.
Fazit
Das Büchlein gibt Mut, ein Ritual am Lebensende zu platzieren. Ein professioneller Ritualbegleiter wird sich danach richten, was zu einer bestimmten Situation passt und er wird verhindern, dass die Betroffenen überfordert werden. Es ist eines, was anregt, worüber man unweigerlich nachdenken muss, denn es lässt einen nicht mehr los. Es ist wirklich sehr zu empfehlen, gerade weil es emotional etwas in uns bewegt. Besonders hervorzuheben ist das stilvolle Design, das die Gedanken vom nahenden Lebensende gut integrieren vermag.
Rezension von
Prof. Dr. habil. Gisela Thiele
Hochschule Zittau/Görlitz (FH)
Berufungsgebiete Soziologie, Empirische
Sozialforschung und Gerontologie
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Zitiervorschlag
Gisela Thiele. Rezension vom 22.01.2021 zu:
Anne Goossensen, Jos Somsen, Marian van der Veen: Schmelzende Steine. Rituale am Lebensende. der hospiz verlag Caro & Cie. oHG
(Esslingen) 2020.
ISBN 978-3-946527-35-0.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/27766.php, Datum des Zugriffs 13.10.2024.
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