Michael May, Arne Schäfer: Theorien für die Soziale Arbeit
Rezensiert von Prof. Stefan Müller-Teusler, 26.01.2023
Michael May, Arne Schäfer: Theorien für die Soziale Arbeit. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2021. 2., überarbeitete Auflage. 200 Seiten. ISBN 978-3-8487-7689-4. 25,00 EUR.
Hinführung
Die Theorie(n) der Sozialen Arbeit bleiben in der Diskussion, was auch mit einer Disziplin zu tun hat, die (sich) gesellschaftlich verortet (wird) und damit auch den gesellschaftlichen Wandlungsprozessen dynamisch folgen muss. Insofern sind Veröffentlichungen, die gesellschaftliche Entwicklungen und Trends aufnehmen und diese in den Kontext der Theorieentwicklungen Sozialer Arbeit integrieren, zu begrüßen.
Autor:innen
Dr. phil. habil. Michael May ist Professor am Fachbereich Sozialwesen der FH Wiesbaden und hat dort die Studiengangsleitung des konsekutiven berufsbegleitenden Master-Studienganges Soziale Arbeit mit den Schwerpunkten „Gemeindepsychiatrie“ oder „Sozialraumentwicklung und -organisation“ (MAPS) inne.
Dr. phil. Arne Schäfer ist Professor für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Sozialpädagogik an der Evangelischen Hochschule Bochum
Anlass des Buches
Dieses Buch liegt nun in der 2. Auflage vor, die insofern überarbeitet wurde, als zwei Beiträge neu eingefügt wurden. Zur 1. Auflage gibt es bereits eine ausführliche Rezension.
Aufbau und Inhalt
Das Buch gliedert sich in insgesamt neun Beiträge, hinzukommen zwei Aufsätze der Herausgeber. Am Anfang geht es um eine Begründung der Bedeutung von Theorien für die Soziale Arbeit, was quasi den Rahmen für die nachfolgenden Beiträge skizziert und auf die Pluralität der Ansätze hinweist. Am Ende gibt es einen Beitrag der Herausgeber zum aktuellen Stand der Diskussion und Perspektiven für die Zukunft der Theorien Sozialer Arbeit, was als Zusammenfassung und Fazit der verschiedenen Beiträge anzusehen ist.
Gegenüber der 1. Auflage sind zwei Beiträge neu, auf die hier näher eingegangen wird, ansonsten finden sich inhaltliche Beschreibungen in der früheren Rezension zu diesem Buch. Den inhaltlichen Rahmen bildet eine Charakterisierung von Anforderungen an eine Theorie Sozialer Arbeit nach Füssenhäuser (S. 10). Dazu gehören der Wissenschaftscharakter, die Frage nach dem Gegenstand als Wissenschaft und Praxis, das Theorie/​Praxis-Verhältnis, die gesellschaftlichen und sozialen Voraussetzungen, die Bestimmung der Adressat:innen, die Institutionen Sozialer Arbeit, die Widersprüche und Paradoxien professionellen Handelns und Werte und ethische Fragen. Ziel des Buches ist es, Studierende dabei zu unterstützen, „Schneisen ins Dickicht der Theorie zu schlagen. Die Beschäftigung mit den unterschiedlichen Theoriepositionen kostet Zeit und ist mitunter auch anstrengend, aber sie ist notwendig und lohnt sich: Theorien geben in der Regel keine direkten Handlungsanweisungen, aber sie vermitteln Orientierung und helfen, die Praxis bewusster zu gestalten. Damit sind sie für professionelles Handeln in der Sozialen Arbeit unverzichtbar“ (S. 17).
Michael May begibt sich mit seinem Beitrag „Auf den Weg zu einer Materialistisch-Dialektischen-Theorie Kritischer Sozialer Arbeit“. Ausgehend von autobiographischen Erfahrungen beschreibt er seinen Zugang zu Marx, Adorno und Bloch. Während in der deutschsprachigen Diskussion anscheinend die materialistische Dialektik nach dem Ende des ehemaligen Ostblocks kaum noch eine Rolle spielt, wird sie als Referenzgröße in der angloamerikanischen Literatur weiterhin angeführt und diskutiert (vgl. S. 159). May weist auf die früheren Theoriediskussionen in der Nachfolge der 68er hin und greift diverse Diskussionsbeiträge aus dieser (Nachfolge-) Zeit auf. Er weist auch darauf hin, dass es seiner Meinung nach zu verkürzten oder dogmatischen Darstellungen bei verschiedenen Rezeptionen gekommen ist. Sein Anliegen ist es, die Verwirklichung menschlichen Gemeinwesens als Gegenstand der Kritischen Sozialen Arbeit in das Bewusstsein zu rufen und als Theoriemoment zu verankern. Das läuft darauf hinaus, „warum und wie Kritische Soziale Arbeit residuale und subalterne, gegenständliche Wesenskräfte adressiert und in welcher Weise dabei die theoretische Dialektik Kritischer Theorie im Dienste des Primates der praktischen Dialektik Sozialer Arbeit steht“ (S. 155).
Maria Bitzan geht von Konflikten als zwar schwieriges, insgesamt aber konstruktives Phänomen von Gesellschaften aus, die notwendig sind, um Gesellschaften weiterzuentwickeln. Dazu gehören insbesondere auch feministische Theorien zur Klärung von Geschlechterverhältnissen „als grundlegendes Konfliktverhältnis der Gesellschaft und erkennen seine Wirkungsweisen auf struktureller und subjektiver Ebene mit dem Ziel – mit dem Ziel, diese zu verändern“ (S. 183). Auch hier gibt es eine biographisch motivierte Intention, sich aus dieser Sichtweise mit dem Thema zu befassen. Weil „in jeder Situation der sozialarbeiterischen Tätigkeiten [es] um eine bestimmte Weise der Problemdeutungen geht, die die Grundkonflikte als Verursachungszusammenhang und als Folie, auf der Konzepte bewältigt werden, mitdenkt…, geht es immer auch darum, auch das Geschlechterverhältnis als einen Grundkonflikt mitzudenken…“ (S. 199).
Diskussion
Das letzte Kapitel ist von den beiden Herausgebern Michael May und Arne Schäfer als Zusammenstellung und Vergleich anzusehen, indem sie die Beiträge unter den Topoi: Gegenstand und Aufgabe der Sozialen Arbeit/​Adressat_innen/​Theorie-Praxis-Verhältnis und der Ausblick: Theorie der Sozialen Arbeit: disziplinär – interdisziplinäre – transdisziplinär diskutieren. Schon einleitend zu diesem Beitrag weisen sie darauf hin, dass es verwirrend erscheinen mag (S. 205). So geht es mir als Rezensent nach diesem Buch auch, denn der aufgezeigte Theorienpluralismus und deren Herleitungen sind eher eine Nebeneinanderstellung verschiedener Fachbeiträge, auch wenn es eine systematische Vorgabe gab, als dass es einen Theoriediskurs fortführen würde. Jeder und jede Leser:in kann sich aussuchen, wo sie oder er sich angesprochen fühlt oder eben auch nicht. Das hängt auch schon mit unterschiedlichen Sprachstilen zusammen, was die Zugänge nicht immer erleichtert. Auch setzen viele der Beiträge ein eigenes profundes Fachwissen (z.B. Philosophie, Soziologie) voraus, um die Argumentationen nachvollziehen zu können.
Das Buch ist als Lehrbuch konzipiert und enthält am Ende eines jeden Beitrages Reflexionsfragen, die für das Verständnis der Texte hilfreich sind und damit auch Hilfestellungen zum Verständnis geben (können). Die verwendete Literatur in den jeweiligen Texten sowie die jeweils angegebene weiterführende Literatur sind ausführlich und umfassend.
Fazit
Auch wenn die Herausgeber als letztes Kapitel eine Art Synopse unternehmen, sind es doch Fragmente, die hier nebeneinandergestellt werden und die bindende Klammer, abgesehen von den vorgegebenen Topoi, ist nicht leicht erkennbar. Da viele der Beiträge ein nicht unerhebliches Vorwissen voraussetzen, eignet sich das Buch auch nicht als Einführungsliteratur, sondern ist in höheren Semestern oder im Masterbereich einzusetzen. Aus dieser Perspektive bietet es sich als Grundlage für eine Lehrveranstaltung über ein Semester an, was den Studierenden die Möglichkeit bietet, sich mit Unterstützung von Lehrenden eigene Positionen zu erarbeiten.
Rezension von
Prof. Stefan Müller-Teusler
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Zitiervorschlag
Stefan Müller-Teusler. Rezension vom 26.01.2023 zu:
Michael May, Arne Schäfer: Theorien für die Soziale Arbeit. Nomos Verlagsgesellschaft
(Baden-Baden) 2021. 2., überarbeitete Auflage.
ISBN 978-3-8487-7689-4.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/27775.php, Datum des Zugriffs 20.09.2024.
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