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Christian Fuchs: Marx heute

Rezensiert von Prof. Dr. Thomas Elkeles, 04.02.2021

Cover Christian Fuchs: Marx heute ISBN 978-3-8252-5517-6

Christian Fuchs: Marx heute. Eine Einführung in die kritische Theorie der Kommunikation, Kultur, digitalen Medien und des Internets. UTB (Stuttgart) 2020. 274 Seiten. ISBN 978-3-8252-5517-6. D: 24,90 EUR, A: 25,60 EUR, CH: 32,50 sFr.
Reihe: UTB - UTB-Band Nr. 5517. Kommunikationswissenschaften, Kulturwissenschaften.

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Thema

Mit dem Buch soll eine Einführung gegeben werden, wie die Ideen von Karl Marx in der Medien-, Kommunikations- und Kulturwissenschaft verwendet werden können, um ein „kritisches Verständnis des digitalen und kommunikativen Kapitalismus“ zu ermöglichen.

Autor

Dr. techn. Christian Fuchs, Dipl.-Ing. (Technische Universität Wien), war zunächst in Österreich und Schweden in Forschung und Lehre auf den Feldern Informatik/Media und Kommunikation tätig. Seit 2013 ist er Professor für Social Media (Medien- und Kommunikationswissenschaft) an der Universität Westminster, Communication and Media Research Institut. Als seine Arbeitsgebiete bezeichnet er u.a. Technology Assessment, Informationsgesellschaft sowie soziologische und philosophische Aspekte von Informatik und Computerwissenschaft.

Entstehungshintergrund

Der Autor ist in den vergangenen Jahren mit einer Reihe von Beiträgen und Monographien zu medien- und kommunikationswissenschaftlichen Themen hervorgetreten, darunter auch (socialnet Rezensionen: Christian Fuchs: Kommunikation und Kapitalismus | socialnet.de) zwecks Fruchtbarmachung der Marx‘schen Begriffe für eine „kritische Theorie“ der Kommunikations- und Medienwissenschaft.

Aufbau und Inhalt

Neben einer kurzen Einleitung ist das Buch in 10 Kapiteln organisiert, in denen die „wichtigsten Konzepte“ von Karl Marx, nämlich 15 „Schlüsselkonzepte“ vorgestellt werden. Diese sind in der Auswahl und Zusammenstellung des Autors: Die Dialektik, der Materialismus (das Basis-Überbau-Problem), Warenform, Kapital, Kapitalismus, Arbeit und Mehrwert, die Arbeiterklasse, die Entfremdung, die Kommunikationsmittel und der General Intellect, Ideologie, Sozialismus und Kommunismus sowie Klassenkämpfe. Hierzu hat der Autor Original-Zitate gesammelt und diskutiert diese jeweils am Ende der Kapitel recht kurz in ihrer Bedeutung für Kommunikation, Kultur und Medien. Er versteht dies als „Baukasten für eine kritische Theorie der Kommunikation, der Kultur, digitaler Technologien, des Internets und der Medien“ (S. 7 f.).

Der Autor empfiehlt „für die Arbeit in Universitäts- und Schulklassen, Seminaren und Lesekreisen“, die Teilnehmer/innen sollten zunächst ein Kapitel lesen und diskutieren, als zweiten Schritt die jeweils empfohlene zusätzliche Literatur lesen und als dritten Schritt dies zunächst in Kleingruppen und danach im Plenum diskutieren (S. 8).

Den Inhalt der einzelnen Kapitel wiederzugeben, ist kaum leistbar und aus Sicht des Rezensenten auch verzichtbar. Gegen die Zitatsammlung als solche sind keine Einwände zu erheben, abgesehen davon, dass es immer riskant ist, ein so komplexes Werk wie das von Karl Marx, das sich ohnehin heutigen disziplinären Grenzen entzieht, nach Art eines Kompendiums darzustellen zu versuchen. Andere Marxlektüre-Anleitungen erwähnt der Autor nicht und er kommt auch mit relativ wenigen zusätzlichen Literaturquellen – sei es zu Marx oder sei es zu ‚originär‘ kommunikations- und kulturwissenschaftlichen Ansätzen aus, auf die er dann stets recht kurz eingeht, da er sich wohl berufen fühlt, das Marx‘sche Denken selber darzustellen.

Technikoptimismus (z.B. ‚das Internet wird die Demokratie erneuern‘, S. 18) und Technikpessimismus (z.B. ‚das Fernsehen macht dumm‘, S. 18) werden als die zwei Varianten des technologischen Determinismus beschrieben, welcher davon ausgehe, die Technologie sei die einzige Ursache oder die Hauptursache bestimmter gesellschaftlicher Veränderungen. Dabei werde verkannt, dass die Technologie selbst kein Akteur ist. Wenngleich der Technikdeterminismus eine auch in Teilen der Medientheorie recht gängige Vorstellung ist, ist er in der Technik- und Arbeitssoziologie längst widerlegt, da man gezeigt hat, dass erst die Art und Weise der Anwendung von Technologie die Arbeitsorganisation bzw. die soziale Wirklichkeit im Ganzen strukturiert. Um dies darzulegen oder dafür zu sensibilisieren, hätte man nicht unbedingt Karl Marx gebraucht, wie es der Autor macht, indem er diese Einsicht als Ergebnis der Dialektik darstellt. Eine Konsequenz daraus ist für ihn, man solle dialektische Aussagen über Technologie treffen. Ein Beispiel dafür soll seiner Meinung nach die Aussage sein: „Das Internet ist in den Klassenwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit eingebettet. Das Kapital nutzt es als Mittel, um neue Formen der Ausbeutung zu etablieren. Das Internet kann aber auch auf sozialistische Weisen gestaltet und genutzt werden, sodass es das kooperative Eigentum an Ressourcen und den Produktionsmitteln vorantreibt“ (S. 19). Solche vulgärmarxistischen Zuspitzungen finden sich an etlichen Stellen des Bandes.

Marx heranzuziehen ist lohnenswert bei der Frage, ob es zutreffend ist, dass seiner Theorie selber ein Technikdeterminismus innewohne, wie Karl Marx fälschlicherweise häufig nachgesagt wird. Auch dies ist allerdings anderweitig bereits widerlegt, denn sein Begriff der Produktivkräfte ist nicht auf die technischen Produktionsmittel reduziert, sondern weit umfassender. Marx habe „die Rolle von Sprache, Kommunikation und Kommunikationsmitteln in Gesellschaft und im Kapitalismus berücksichtigt“ (S. 174). Fuchs zieht hierzu das sog. Maschinenfragment aus den Grundrissen und später im Kapital sowie den ‚General Intellect‘ (bzw. hier einmal Sekundärliteratur, nämlich „Empire“ von Michael Hardt und Antonio Negri) heran, womit Marx „die Entstehung des Informationskapitalismus vorweg“ genommen habe. „Marx antizipierte das Internet“ (S. 174), schlussfolgert daraus Fuchs in seinem Kompendium.

Unter der Zwischenüberschrift „Kultureller/Digitaler Kapitalismus“, welcher „jener Teil und Aspekt der kapitalistischen Gesellschaft und der kapitalistischen Wirtschaft (sei), der um die Produktion von Kulturwaren und kulturellen Produkten organisiert“ sei (S. 74), bringt der Autor als Beleg hierfür Daten über Umsätze, Profite und Kapitalbestände der 2000 größten transnationalen Konzerne der Welt, unter denen Finanzen/Versicherungen/Immobilien mit 75 % den größten Anteil aufwiesen (S. 74 f.). Verschiedene Kapitalakkumulationsmodelle in der Digitalindustrie versucht er tabellarisch in einer Typologie darzustellen (S. 57 ff.), ebenso Kulturwaren (S. 50 ff.) und Typen digitaler Arbeit (S. 90 ff.).

Diskussion

Die kapitalistische Verfasstheit der Internetindustrie aufzuzeigen, ist nichts wirklich Neues und hierbei käme man auch ohne Marx-Kompendium aus, wenngleich der Rezensent zustimmt, dass die Marx‘sche Analyse auch im Kapitalismus des 20. und 21. Jahrhunderts gewinnbringend ist. Eher ist die Frage, ob alle diese 15 sog. Schlüsselkonzepte insbesondere für eine Aufarbeitung für die kommunikationswissenschaftlichen Aspekte nötig gewesen wären. Hierzu wäre es nach Auffassung des Rezensenten sinnvoll gewesen, die Bezüge zu Georg Lukács und zur Kulturindustrie-Kritik von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno auszubauen, die recht knapp angerissen werden, aber immerhin bei Fuchs gut wegkommen im Gegensatz etwa zu Jean Baudrillard, dem wie Marshall McLuhan das Etikett bescheinigt wird: „bürgerliche Denker, die Marx‘ Arbeiten nicht genau gelesen haben“ (S. 147).

Fazit

Zu einer differenzierteren Darstellung ist wohl das Format „Baukasten“, das streckenweise wie ein FH-Skript wirkt, nicht geeignet oder der Autor nicht willens. Marx Satz „Tout ce que je sais, c'est que je ne suis pas Marxiste“ scheint für den Autor, der sich recht großzügig selbst das Etikett einer „kritischen Theorie“ vergibt, fremd zu sein. Seine stellenweise plakativen, verkürzenden Aussagen dürften dem Anliegen, die Marx’sche Analyse für den heutigen Kapitalismus und die modernen Kommunikationstechnologien fruchtbar zu machen, eher abträglich sein.

Rezension von
Prof. Dr. Thomas Elkeles
bis 2018 Hochschule Neubrandenburg, FB Gesundheit, Pflege, Management

Es gibt 28 Rezensionen von Thomas Elkeles.

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Zitiervorschlag
Thomas Elkeles. Rezension vom 04.02.2021 zu: Christian Fuchs: Marx heute. Eine Einführung in die kritische Theorie der Kommunikation, Kultur, digitalen Medien und des Internets. UTB (Stuttgart) 2020. ISBN 978-3-8252-5517-6. Reihe: UTB - UTB-Band Nr. 5517. Kommunikationswissenschaften, Kulturwissenschaften. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/27818.php, Datum des Zugriffs 06.10.2024.


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