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Axel Schildt, Gabriele Kandzora et al. (Hrsg.): Medien-Intellektuelle in der Bundesrepublik

Rezensiert von Peter Flick, 05.02.2021

Cover Axel Schildt, Gabriele Kandzora et al. (Hrsg.): Medien-Intellektuelle in der Bundesrepublik ISBN 978-3-8353-3774-9

Axel Schildt, Gabriele Kandzora, Detlef Siegfried (Hrsg.): Medien-Intellektuelle in der Bundesrepublik. Wallstein Verlag (Göttingen) 2020. 896 Seiten. ISBN 978-3-8353-3774-9. D: 46,00 EUR, A: 47,30 EUR.

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Thema

„Medien-Intellektuelle“ sind eine ganz besondere Spezies. Schildt beschreibt sie mit den Worten Bourdieus als „bi-dimensionale Wesen“. Sie bewegen sich nicht nur im „autonomen Feld“ von Wissenschaft und Kunst, sondern nutzen die dort gewonnene Autorität, um zu relevanten politischen Themen öffentlich Stellung zu nehmen. Neben dieser Gruppe der „Intellektuellen im Nebenerwerb“ (Habermas) interessiert sich Schildt aber vor allem für die Mehrheit der Publizisten, die hauptberuflich in privaten und öffentlich-rechtlichen Medien das Zeitgeschehen kommentieren. Sie können es sich in der Regel nicht aussuchen, in welcher Zeitung oder in welchem Sender sie publizieren wollen.

In seinem Buch analysiert Axel Schildt die strategischen Positionskämpfe der „Medien-Intellektuellen“ zwischen 1945 und den siebziger Jahren. Die personelle Kontinuität der sich 1945 neu formierenden intellektuellen Netzwerke reicht weit in die Zeit der Weimarer Republik und des Dritten Reichs zurück, um sich dann Anfang der 1960er Jahre auf folgenreiche Weise neu zu gruppieren.

Ein anderer Strang der Darstellung bildet die Darstellung der Medialisierung der Gesellschaft. Die Entstehung eines neuen, vielfältigen „Ensembles von Printmedien, Radio und dem Fernsehen“, samt ihren wirtschaftlichen und politischen „Hintermännern“.

Autor und Entstehungshintergrund

Axel Schildt, geboren 1951 in Hamburg, war Professor für Neuere Geschichte am Historischen Seminar der Universität Hamburg und Direktor der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, außerdem Mitglied im Vorstand der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung.

Er ist durch mehre Bücher über die Rolle der geistigen Eliten in der Weimarer Republik bekannt geworden. Für das vorliegende Buch zur Geschichte der „Medien-Intellektuellen“ hat Schildt jahrelang in Archiven und Nachlässen von Schriftstellern und Journalisten aus den Gründerjahren der Bundesrepublik geforscht, um sein „Opus magnum“ zur Intellektuellengeschichte der Bundesrepublik Deutschland vorzubereiten. Der Historiker starb 2019 vor der Fertigstellung seines Manuskripts, das in der ursprünglichen Planung weitere Kapitel zu den 1970er und 80er Jahren und zu den „Intellektuellen auf dem Weg in die Berliner Republik“ enthalten sollte.

Aufbau und Inhalt

Die Einleitung und die ersten drei Kapitel des Buchs, die Schildt noch vollenden konnte, liegen jetzt in der von Gabriele Kandzora und Detlef Siegfried herausgegebenen Buchform vor (versehen mit einem instruktiven Quellenverzeichnis und einem Nachwort zur persönlichen und wissenschaftlichen Biographie des Autors).

Einleitung (S. 9 ff.): Der Begriff des „Medien – Intellektuellen“

In der Einleitung legt Schildt seinen methodischen Ansatz einer „Intellectual History“ dar. Eine moderne Intellektuellengeschichte könne sich heute nicht mehr als konventionelle Ideengeschichte präsentieren, meint der Autor. Mit dem nüchternen soziologischem Blick auf die Netzwerke gelte es das Beziehungsgeflecht von Autorengruppen und vor dem Hintergrund der medialen Produktions- und Rezeptionsbedingungen die „kollektive Ideenproduktion“ sichtbar zu machen. Wie Bourdieu versteht Schildt intellektuelle Debatten als „symbolische Kämpfe um die Deutungshoheit“, die in einem relativ autonomen sozialen Raum stattfinden. Sie verlangen nach einer „dichten Beschreibung“ (Clifford Geertz). Schildts besondere Aufmerksamkeit gilt dabei den performativen Strategien der Akteure.

Im Anschluss an Bourdieus Konstruktion eines medienintellektuellen Feldes verweist er auf die Metaphorik des „Theaters“ und das „Bild der Bühne“ (S. 32). Er erklärt, dass Schauspieler und Medien – Intellektuelle auf vergleichbare Weise äußeren Zwängen, Produktionsbedingungen und Vorgaben staatlicher Instanzen sowie Anweisungen von der Intendanten und Regisseuren unterliegen, denen sie sich nicht entziehen könnten. Aber um ihre „Rolle individuell auszufüllen“ (S. 32) müsse der Schauspieler genauso wie der Intellektuelle besondere performative Fähigkeiten entwickeln, die „den Anschein von Selbstbestimmtheit vermitteln“ und „Originalität zumindest suggerieren“ (S. 32). Der Analytiker intellektueller Strategien müsse „das Bühnengeschehen selbst“, die darstellerische Gabe der Akteure genauso wie das „Binnenleben des Theaters“ erfassen (vgl. dazu S. 32).

Frauen kommen in Schildts Intellektuellengeschichte der 50er und 60er Jahre nur am Rande vor, weil die „Empirie“ in dem von ihm untersuchten Zeitraum eine „deutliche Sprache“ (S. 45) spreche. Es fänden sich weder „in den Rundfunkredaktionen, noch an den Schaltstellen der Printmedien (.) – mit Ausnahme von Marion Gräfin Dönhoff “ (S. 45) weiblichen Intellektuelle in nennenswerter Zahl.

Die Einleitung endet mit einem Blick in die digitale Zukunft („Anschlussmöglichkeiten und offene Fragen“, S. 55 ff.). Das medial beschleunigte Diskurstempo forderte von Intellektuelle schon immer ein „mediengerechtes Agieren“ (S. 40). Aber nichts deutet in der Sicht des Autors darauf hin, dass der durch die digitale Kommunikation hervorgerufene jüngste „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ Intellektuelle überflüssig mache. Im Gegenteil: die Pluralisierung und Individualisierung des Medienkonsums wird in seinen Augen eher das Orientierungsbedürfnis vergrößern, sodass dem „Universal – Intellektuellen“ nicht die Arbeit ausgehen wird. Auch wenn sich die Bedingungen in einer fragmentierten Netzwerk – Öffentlichkeit verändert haben, die weder zu Heilserwartungen noch zu kulturpessimistischer Untergangsfantasien Anlass geben (vgl. S. 57).

I. Die Neuordnung des intellektuellen Medienensembles in der Nachkriegszeit (S. 59 ff.)

Kapitel I beschreibt die ersten vier Nachkriegsjahre und die in diesem Zeitraum stattfindende Neuordnung des Medienensembles in den Westzonen.

Sich-Wiederfinden – die Rückkehr intellektueller Akteure(S. 59 ff.)

Das Kapitel „Sich – Wiederfinden“ schildert zunächst das Zusammentreffen der Remigranten mit den vielen Journalist*innen, die als Publizisten z.T. exponierte Stellungen im Nationalsozialismus einnahmen und denen es nach 1945 in den von den Alliierten etablierten Mediensystem recht mühelos gelingen sollte, ihre erfolgreichen journalistischen Netzwerke wiederaufzubauen. Seine sachlich gehaltene Darstellung publizistischer Karrieren in der unmittelbaren Nachkriegszeit mündet in seine Feststellung, „dass die Mitarbeit an Goebbels' Reich (eine Wochenzeitung in der NS-Zeit mit intellektuellem Anspruch, d. Verf.) nicht nur keine Nachteile mit sich brachte, sondern für die Nachkriegskarriere mitunter von erheblichem Nutzen war.“ (S. 65).

Die beiden größten „nur schwer auseinanderzuhalten sind“ Gruppen seien Journalisten, die zum einen im NS – Mediensystem „hochrangige Positionen“ bekleideten bzw. „sich mit antisemitischen Texten profiliert hatten, und jenen, die unspektakulär in den Feuilletons der NS – Presse oder kulturellen Nischen des Regimes gearbeitet hatten, ohne sich vollständig anzupassen.“ (S. 79).

Was nun das Verhältnis der Remigranten zur westdeutschen Gesellschaft angeht, unterscheidet Schildt eine Gruppe, die eine Rückkehr in die Bundesrepublik ablehnten (Thomas Mann, Hannah Arendt u.a.) oder nach einem kurzen Aufenthalt ins Ausland zurückkehrten (Alfred Döblin) und Emigranten, wie T. W. Adorno, Max Horkheimer und Günther Anders oder Kurt Hiller, die erst nach langem Zögern und nicht ohne Vorbehalte in die Bundesrepublik zurückkehrten. Aber nur in den privaten, nicht in öffentlichen Texten kommen das Unbehagen und das Gefühl bleibender Fremdheit gegenüber Deutschland und den Deutschen zum Ausdruck.

Auch wenn er später in einem Exkurs (Intellektuelle in der DDR, S. 224 ff.) die Entwicklung in der DDR thematisiert, stellt Schildt fest, dass die DDR durch ein autoritäres System der Zensur und Überwachung die Entwicklung eines vielfältigen medien – intellektuellen Feldes unmöglich machte. Das lässt in seinen Augen eine vergleichende Untersuchung wenig sinnvoll erscheinen. So spielen in dem Buch auch nur die prominenten „Dissidenten“ der DDR eine Rolle, die in Westdeutschland publizierten und dort die Diskussion beeinflussten bzw. später in die Bundesrepublik übersiedelten, wie Ernst Kantorowicz, Ernst Bloch, Hans Mayer, Niekisch u.a.

Westwärts – der Abstieg Berlins und die Neuordnung medien – intellektueller Zentren (S. 90 ff.)

Die Eigentümerverhältnisse sprich die „Claims im Rundfunk, im Verlagswesen und im Buchhandel, bei Tages- und Wochenzeitungen sowie politisch – kulturellen Zeitschriften für Intellektuelle“ (S. 53) wurden in den Gründerjahren des Bundesrepublik neu abgesteckt. Die Neuordnung wird vom Autor rückblickend als schrittweiser Bedeutungsverlust Berlins als dem vormals unumstrittenen kulturellen Zentrum Deutschlands beschrieben. Neue regionaler Zentren des intellektuellen Lebens bildeten sich heraus: Frankfurt, Hamburg, München und mit einigem Abstand auch Köln und Stuttgart, wo sich die Sitze von zentralen Verlagen und Print – Medien, nicht zuletzt auch wichtige Sendeanstalten von Radio- und Fernsehanstalten befanden.

Kommandohöhen – Intellektuelle im Radio (S. 107 ff.).

Das Radio wurde in der frühen Phase der Bundesrepublik zum Leitmedium des intellektuellen Gesprächs. In den Rundfunkanstalten gewannen Intellektuelle auch Einfluss in den „Kommandohöhen“ oder Schlüsselstellungen des Radiobetriebs, sie wurden Leiter der Kulturabteilungen oder sogar Intendanten. Alfred Andersch etwa (neben Walter Dirks der wohl einflussreichste Intellektuelle im Rundfunk), der als Redakteur für den Hessischen Rundfunk und für den Süddeutschen Rundfunk tätig war, wurde so eine zentrale Figur des kulturellen Lebens, der namhafte Schriftsteller für sein Programm gewinnen konnte.

Schreiborte für Intellektuelle (S. 131 ff.)

In diesem Kapitel geht es zum einen um die Neu- und Umgründungen in der Verlagsbranche, in der Tages- und Wochenpresse sowie die Konkurrenzsituation auf dem dem kleinen Markt der Kulturzeitschriften, der in der frühen Bundesrepublik entstanden war (S. 131 ff.). Sowohl die großen Tageszeitungen, „Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ)“, die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) und die von Axel Springer herausgegebene „Die Welt“, aber v.a. auch die Wochenzeitungen bzw. -zeitschriften „Der Spiegel“,„Die Zeit“ und die konfessionell geprägten Blättern „Christ und Welt“ und das „Sonntagsblatt“ wurden Orte vehement geführter Debatten, die in den Feuilletons von einer elitär zugeschnittenen Kulturkritik geprägt waren.

II. Einübung des Gesprächs – Intellektuelle in den Medien der frühen Bundesrepublik (S. 215 ff. )

Kapitel II des Buchs umfasst „die 1950er Jahre, in denen sich die intellektuellen Netzwerke in den Medien endgültig fanden und etablierten.“ (S. 53).

Eine diskutierende Gesellschaft – Entfaltung und Begrenzung (S. 218 ff.)

Eine dem Zeitgeist gemäße neuen Dialogphilosophie erhob die „Würde des Gespräch“ zu einem neuen „gesellschaftlichen Prinzip“ (S. 219). Damit sollten die unrühmlichen Weltanschauungskämpfe der Weimarer Republik endgültig der Vergangenheit angehören. Allerdings stieß der Anspruch auf „Offenheit“ schnell an seine Grenzen, wie Schildt anmerkt. Zum einen gab es den anti-totalitären Konsens. Offen geäußerte völkisch-nationalsozialistische oder kommunistische Positionen waren nicht diskutabel. Angesichts einer „vielfältig differenzierte Ideologie des Antikommunismus“ (S. 219) beschränkte sich aber die Abgrenzung nach links nicht nur auf den Sowjet-Marxismus, sondern auch auf unabhängige linksintellektuelle Positionen, die dem „real existierenden Sozialismus“ und der Ideologie des Marxismus – Leninismus ablehnend gegenüberstanden.

Eine andere Grenze des „offenen Gesprächs“ stellten die elitären „Orte des Gesprächs“ dar (S. 241 ff.). Hier macht Schildt deutlich, dass mit dem Dialog zunächst einmal das exklusive „Gespräch unter Gleichgesinnten“ gemeint war. Öffentliche Diskussionen zwischen politischen Lagern, die intellektuelle Positionen der „anderen Seite“ als Argumente anzuerkennen und Kontroversen auszuhalten, war dabei nicht vorgesehen. In der der Gründerzeit der Bundesrepublik bevorzugte man eher die exklusive Atmosphäre der Bühler Höhe, wo im großbürgerlichen Ambiente des Baden – Badener Kurhotels in einer „Zauberberg – Atmosphäre“ die bürgerliche Tradition „der Begegnung von Geld und Geist“ (S. 242) erneuert und fortgeführt wurde (hier hatte dann auch Martin Heidegger seine Auftritte).

Dunkle Zeiten: Kulturkritik als Suchbewegung (S. 256 ff.)

Schildt geht in dem Kapitel auf die Krisendiagnosen ein, die bis Mitte der 50er Jahre von einem christlich gefärbten Kulturkonservatismus bestimmt waren. Auffällig ist für den Autor die „Ausdrucksanalogie“ (S. 280), die die Krisenwahrnehmungen „der Jahre um 1950 so nahe an die Zeit um 1930 heranrücken ließen.“ (S. 280). Neben der katholischen Leitfigur Romano Guardini bildete die Kulturkreis-Theorie des britischen Historikers A.Toynbee, der von Ernst Robert Curtius 1950 „als moderne Fortsetzung von Spengler“ (S. 281) gefeiert wurde, einen zweiten zentralen Bezugspunkt für kulturkritische Debatten.

Schildt wirft auch einen Blick auf Theodor W. Adornos Versuche in diesem kulturkonservativen Diskussionsspektrum die Positionen der „Kritischen Theorie“ zur Geltung zu bringen, die sich nicht gegen die Moderne als zweckrationale Organisation per se richtete, sondern an der Tendenz zur Rationalisierung den „objektiven Mangel an Vernunft und Durchsichtigkeit“ (Adorno, vgl. S. 304) kritisierte. Dass Adorno in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre zu einer der zentralen Figuren der zeitgenössischen Kulturkritik wurde, erklärt er mit dessen Fähigkeit die ästhetisch – politische Dimension der „Kritischen Theorie“ in komprimierter Form darzulegen.

Braune Schatten: Die Intellektuellen und der Nationalsozialismus (S. 360 ff.)

Nach einem kurzen Rückblick auf die von Karl Jaspers angestoßene Schulddebatte der unmittelbaren Nachkriegsjahre untersucht das Kapitel den für die erste Hälfte der 50er Jahre charakteristischen Stil der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Schildt spricht dabei von der „dunkelsten Phase“ des öffentlichen Diskurses über die braune Vergangenheit von Intellektuellen und ihre Anteile an den Verbrechen des Nationalsozialismus. Dieser Diskurs sei mit den Kategorien „Verdrängung“ oder „kommunikatives Beschweigen“ nur unzureichend beschrieben (S. 360). Auffällig war für den genannten Zeitraum vielmehr die „exzessive Thematisierung des Nationalsozialismus in der zeitgenössischen Publizistik“ (S. 360), die allerdings nicht als Zeichen der Aufklärung interpretiert werden könne. Sie wird vom Autors vielmehr als bewusste „Verdunkelung“ historischer Verantwortung „im Modus ausschweifender Reden“ analysiert.

In drei Fallstudien aus dieser Zeit analysiert Schildt drei Intellektuelle, in deren Texte die „braunen Schatten“der Vergangenheit besonders gut erkennbar waren: den Erfolgsroman „Der Fragebogen“ (1951) von Ernst von Salomon (S. 364 ff.), Ernst Jünger und dessen publizistisches Umfeld „Ernst Jünger und seiner Entourage“ (S. 377 ff.) und das Enthüllungsbuch einer heute vergessenen Publizisten und ehemaligen NS – Literaten mit dem Namen Kurt Ziesel.

Aufhellungen: liberaler, moderner, kritischer“ (S. 453 ff.).

Waren die Diskurse der 50er Jahre zunächst noch stark durch den konservativen Antimodernismus und einen latenten Antisemitismus dominiert, in dem auch die „konservativ – katholische Abendland-Fraktion“ (Schildt, S. 241) und der nationalkonservativen Kultur – Protestantismus eine wichtige Rolle spielten, so „hellt“ sich gegen Ende des Jahrzehnts das Feld der intellektueller Debatte in liberaler Hinsicht auf. Dennoch widerspricht Schildt der These, dass sich schon in den 50er Jahren die diskursive Vorherrschaft konservativer Positionen in den Feuilletons der maßgeblichen Zeitungen und bei den Machern der politisch – kulturellen Zeitschriften aufgelöst habe. Symptomatisch dafür ist für Schildt die Polemik Dolf Sternbergers und anderer Publizisten gegenüber Intellektuellen, die sich als sog. „Nonkonformisten“ gerierten. Der angeblicher Ekel der „Nonkonformisten“, der dem biedermeierlich – restaurativen Klima der Adenauer – Ära galt, wiederhole in Wahrheit die verhängnisvolle linksintellektuelle Verachtung der realen Demokratie, mit der schon die Weimarer Linke der Republik geschadet habe.

Die im Anschluss folgende Darstellung behandelt den Aufstieg der Gruppe 47. Es geht dabei nicht um eine ästhetische Bewertung der literarischen Produktion, sondern um die medial erfolgreiche „Konstruktion der Gruppe als Instanz oppositioneller Sinndeutung in der Wiederaufbaugesellschaft“ (S. 537). Wie problematisch dabei der pathetisch Anspruch der Gruppe 47 auf einen Neuanfang war, zeigte sich in Form einer Abgrenzung zur Exilliteratur (die Kritik am „Emigrantendeutsch“ des Schriftstellers Albert Vigoleis Thelen, vgl. S. 540) und die indirekte Verwendung antisemitischer Kategorien der Literaturkritik im Falle Paul Celans (S. 540).

III. Die Intellektuellen in der Transformation der „langen 60er Jahre“

Schildt benutzt den gängigen Begriff der Zeitgeschichtsschreibung von den „langen sechziger Jahren“ um die tiefgreifende Transformation der westdeutschen Intellektuellengeschichte in diesem Zeitraum zu beschreiben. Für die neue Dekade gilt, dass zwar das außen- und innenpolitische Klima weiterhin aufgeladen war, aber der Schrecken des Kalten Krieg begann im Zeichen einer vorsichtigen Entspannungspolitik zu verblassen und damit auch die innenpolitische Feindbilder. Schon Ende den 50er Jahre hatte sich in der Bundesrepublik eine Protestkultur gegen das atomare Wettrüsten und die nationale Hybris in West und Ost herausgebildet, und die „Spiegel-Affäre“ sollte die Politisierung der Intellektuellen weiter beschleunigen. Erst in dieser Phase konnte nach Schildt die kulturelle Hegemonie der Konservativen durchbrochen werden und damit auch die bisher geltenden engen Grenzen des „Sagbaren“.

Die Intellektuellen und die Fernsehgesellschaft (S. 611 ff.)

Bevor er auf die intellektuellen Medien – Debatten eingeht, beschreibt Schildt die Entwicklung von der „Radio- zur Fernsehgesellschaft“, die nicht nur die familiäre und private Zeitstruktur veränderte, sondern auch eine Zäsur in der Geschichte der Intellektuellen darstellte. Zum ersten Mal in der neueren Geschichte entkoppele sich, so Schildt, die mediale und „allgemeine Modernisierung von der intellektuellen Produktion“ (S. 612). Am „Ende seien den >radio days< (Woody Allen)“ keine „television days“ gefolgt, „mit denen sich der Kreis des Publikums qualitativ erweitert hätte.“ (S. 619). Da das Primat des Bildes vor dem Wort intellektuellen Reflexionen enge Grenzen setze, könne sogar wieder von einer stärkeren Hinwendung „zum gedruckten Wort, zum klassischen Ausgangspunkt intellektuellen Engagements“ (S. 619) gesprochen werden. Daran änderten auch die neuen intellektuellen TV – Sendeformate zu Themen der Kultur und Politik nichts.

Reformklima: Die Intellektuellen auf der Suche nach dem Fortschritt (S. 623 ff.)

Anhand des gewandelten Heimatbegriffs demonstriert Schildt zunächst die Haltung „ostentativer Nüchternheit und Sachlichkeit“, die „vorerst und eher in den gebildeten Schichten“ eine „irrationalistische Gefühligkeit“ (S. 623) ablöst. Schildt analysiert den neuen Fortschrittsdiskurs weiter anhand der sog. „Bilanzliteratur“, einer Reihe von Publikationen, die eine Art Bestandsaufnahmen des Erreichten vorlegen wollten. Den Auftakt bildete ein Buch mit dem programmatischen Titel „Bundesrepublik Deutschland“ des Schmitt- Schülers Ernst Forsthoff, der 1960 im „Merkur“ erschien. Der Kern seiner lakonischen Analyse lautete: die Zeit politischer Kämpfe sei vorbei, wenn sich „die Staatsbürger weitgehend politisch abstinent und lethargisch verhielten“ (S. 624). Sie hätten ihre Rolle in der modernen Wirklichkeit der „industriellen Gesellschaft“ richtig verstanden und interpretiert. Noch Mitte der 60er Jahre versuchten Publizisten, die ebenfalls zum Kreis um Carl Schmitt gehörten, Johannes Gross und Rüdiger Altmann, als Berater Ludwig Erhards dem Leitbild einer „formierten Gesellschaft“ Gehör zu verschaffen. Doch der Hauptstrom des politischen Diskurses folgte nicht ihrer Version eines modernisierten Konservativismus, sondern ging eher in Richtung neuer Ansätzen einer partizipatorischen Demokratie. 

Linkswende: Intellektuelle Opposition gegen die Bonner Republik (S. 649 ff.)

Die Krise der Zeitschrift „Merkur“ erklärt Schildt mit einem grundsätzlichen Verlust der „seismographischen Funktion“ konservativer Zeitdiagnostik (vgl. 641 ff.) und macht deutlich, wie diese Funktion in den frühen 1960er Jahren eher auf der Seite einer „Neuen Linke“ (ein Begriff der erstmals 1960 in der westlichen Welt als Abgrenzung zum Sowjet-Marxismus aufkam) zu finden war. Es waren jetzt Themen der Neuen Linken, die „von maßgeblichen Verlagen für ein gutes Jahrzehnt nach vorn gestellt werden.“ (S. 648). Schildt beschreibt, wie neben dem Suhrkamp – Verlag auch die Verlagshäuser Rowohlt und Luchterhand ambitionierte Literatur – und Theoriereihen auflegten, die die Politisierung eines Teils der Schriftsteller und Publizisten bei ihrer Hinwendung zu linkssozialistischen Ideen unterstützend begleiteten. In dieser Phase erfolgt auch der Aufschwung linker Medien, wie etwa der Zeitschrift „Konkret“, sowie ein deutlicher Positionswechsel der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ und des „Spiegel“ hin zu linksliberalen Einstellungen. Parallel dazu erfolgte die Gründung in ihrem Segment erfolgreicher neuer Zeitschriften wie „Kursbuch“ und „Argument“, die sich gezielt an ein linksintellektuelles Publikum richteten.

Haltelinien: Konservative Beharrung und Erneuerungsversuche (S. 720 ff.)

Arnold Gehlen („Die Seele im technischen Zeitalter“, 1957) und Helmut Schelsky hatten schon in den 50er Jahren mit prägnanten soziologischen und kulturtheoretischen Diagnosen der Industriegesellschaft einem konservativen Reformbegriff vorgearbeitet (zusammen mit den einflussreichen Netzwerken des Münsteraner Philosophen Joachim Ritters und seiner Schule und dem Carl Schmitts, die sich in bestimmten Fällen auch personell überschnitten). In den sechziger Jahren versuchten sie einen konservativen Fortschrittsbegriff stark zu machen, der sich polemisch gegen das linke „Entfremdungsgewinsel“ der Kapitalismuskritiker (Gehlens Wort war auf Jürgen Habermas gemünzt) und gegen einen selbstzufrieden – traditionalistischen Konservativismus abgrenzt. Ein zeitgemäßer Konservatismus (das richtet sich gegen die Biedermeier- Fraktion der Konservativen) sollte sich mit der modernen Wirklichkeit einer kapitalistischen Wirtschaftsform und eines zweckrationalen Staates versöhnen.

Schildt diagnostiziert, dass Konservative immer dann, wenn sie in die Defensive geraten, eine gesteigerte politische Aktivität an den Tag legen (S. 610). Dabei macht er in den 60er Jahren zwei unterschiedliche publizistische Initiativen des Konservativismus aus, die konservative „Haltepunkte“ gegenüber einem überbordenden liberalen Veränderungswillen markieren sollten: Zum einen das von Armin Mohler und einer Anzahl Rechtsintellektueller vertretene Konzept eines „radikalen Konservatismus“, zeitweise verbunden mit einem nationalistischen Variante eines „deutschen Gaullismus“.

Fetisch Revolution: 1968 als Intellektuellengeschichte (S. 760 ff.)

Der Protest von 1968 werde heute immer noch von medialen Narrativen und von Bildern des Straßenkampfs dominiert. Zu oft erscheint in diesen populären Darstellungen der Protest von 1968, so Schildt, als ein „jugendlicher Rausch“ oder als utopische „Verirrung“ einer ganzen Generation.

Was über dem medialen Spektakel, den ein politischen Aktionismus entfachte, gern übersehen wird, sei die die „große Lesebewegung“, die im letzten Drittel der 1960er Jahre nicht nur unter der Avantgarde des akademischen Nachwuchses einsetzte und sich dem Theoriespektrum des westlichen Marxismus in seiner ganzen Bandbreite zuwandte (S. 765).

Die Kehrseite dieses gesellschaftstheoretischen Elans verdeutlicht Schildt am Beispiel der Haltung des Schriftstellers F.C. Delius. Das starke diskursive Element, der Wunsch nach Verständigung über gelesene Texte förderte nach Delius auch eine Tendenz, es sich „im Abstrakt – Allgemeinen bequem zu machen.“ (S. 769). Sein Bekenntnis auch in der „heißen Phase“ der Revolte mehr Fontane als Marx und andere theoretische Grundlagentexte gelesen zu haben, gelte nicht nur für ihn, meint Schildt. Es seien keineswegs konservativ Gesinnte gewesen, sondern „junge literarische Intellektuelle“, die sich bei aller Solidarität mit der Revolte vom „robusten und lauten Sprechen“ der politischen Aktivisten intellektuell abgestoßen fühlten.

Diese distanzierte, „abständige Position zur Praxis, die neben Delius auch andere zur Neuen Linken zählenden Schriftsteller teilten“ (S. 769), verkörperte in den Augen Schildts gewiss nicht die Haltung des Mainstreams. Das zeigt Schildt am Ende des Kapitels, wo er sich sich mit einem „Kultbuch“ der 68er – Generation kritisch auseinandersetzt: Johannes Agnoli/​Peter Brückner und ihr Buch „Die Transformation der Demokratie“ (1967). Ohne auf Einzelheiten seiner Kritik an dem Buch eingehen zu können, kritisiert er Brückners fragwürdige historische Analogien zur faschistischen Idee der Volksgemeinschaft und die von ihm geforderte Identifikation mit den Außenseitern und Minoritäten. Agnoli hingegen, kritisiert Schildt, gefalle sichin der Haltung des kühlen Dekonstruktivisten, der die Idee der parlamentarischen Demokratie als pure Fiktion ansieht und das gewählte Parlament als „Transmissionsriemen der Entscheidungen politischer Oligarchien“ (Agnoli). Dieser theoretische Radikalismus repräsentiere „jenen analytischen >Kältestrom<, der von vielen Intellektuellen bald nicht mehr goutiert werden sollte.“ (S. 783)

Diskussion

  • Randfiguren: Weibliche Intellektuelle. Wie in der inhaltlichen Zusammenfassung deutlich wird, nehmen Frauen in Schildts Studie nur eine periphere Stellung ein. Nicht weil er das für eine irrelevante Forschungsperspektive hält, sondern weil er von einer historisch – empirischen Gewichtung der Geschlechteranteile im medialen Bereich ausgeht. Erweitert man allerdings den Blick vom publizistischen Feld auf die Gesamtzahl weiblicher Intellektueller im Bereich der Kultur (etwa den Anteil der Schriftstellerinnen im PEN), dann ist dieses Argument nicht mehr so überzeugend. Zudem: Warum sollten nicht die Analyse der im Feuilleton nur peripher vertretenen weiblichen Intellektueller, wie etwa einer Margret Boveri oder Margarete Mitscherlich oder der von Schildt erwähnten „Frauen im Hintergrund“ (Monika Plessner u.a.) nicht zu exemplarischen Einsichten in das Funktionieren der „männerbündischen“ intellektuellen Netzwerke führen? Allerdings kämen dabei, wie schon Schildt in seinerKritik an Alice Schwarzers Dönhoff – Biographie vermutet, nicht unbedingt weibliche Heldenbiographien heraus.
  • Die Intellektuellen in der DDR. Schildts Zentrierung auf die intellektuelle Szene der „alten“ Bundesrepublik leuchtet nur bedingt ein.Wenn man die gesamtdeutsche Geschichte der Intellektuellen im Blick hat, die nach 1990 auf folgenreich Weise sich wieder neu miteinander vermischten und dem tot geglaubten Denken eines konservativ – revolutionären Nationalismus neues Leben einhauchten, wäre es auch interessant, mehr über die kulturellen „Nischen“ der DDR zu erfahren. Wie haben sich dort unter dem Deckmantel des parteioffiziellen Antifaschismus der DDR intellektuelle Haltungen eines völkischen und konservativen Nationalismus konserviert? Und könnte in diesem Zusammenhang nicht auch ein Vergleich der nonkonformistischen Intellektuellenmilieus in beiden Gesellschaften Sinn machen?

Fazit

Schildt ist in seinem letzten Werk nicht nur ein bedeutender wissenschaftlicher Beitrag zur Medien – und Intellektuellengeschichte der frühen Bundesrepublik gelungen. Er hat auch ein amüsantes, unterhaltsames Buch geschrieben, weil er sich seinen mild – ironischen Blick auf die Eitelkeit und das narzisstische Kalkül der intellektuellen Akteure bewahrt hat. Allerdings ruft es auch schmerzhaft in Erinnerung, an was es heute vielleicht fehlt: an der Leidenschaft für das politische Räsonnement und das unabhängige Denken selbstbewusster Bürger*innen.

Rezension von
Peter Flick
Lehrer, unterrichtet die Fächer Sozialwissenschaften, Praktische Philosophie und Deutsch
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Es gibt 32 Rezensionen von Peter Flick.

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Zitiervorschlag
Peter Flick. Rezension vom 05.02.2021 zu: Axel Schildt, Gabriele Kandzora, Detlef Siegfried (Hrsg.): Medien-Intellektuelle in der Bundesrepublik. Wallstein Verlag (Göttingen) 2020. ISBN 978-3-8353-3774-9. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/27825.php, Datum des Zugriffs 06.10.2024.


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