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Anne Kaplan, Stefanie Roos et al. (Hrsg.): Delinquenz bei jungen Menschen

Rezensiert von Prof. Dr. Helmut Kury, 05.08.2021

Cover Anne Kaplan, Stefanie Roos et al. (Hrsg.): Delinquenz bei jungen Menschen ISBN 978-3-658-31600-6

Anne Kaplan, Stefanie Roos, Philipp (Gefeierter) Walkenhorst (Hrsg.): Delinquenz bei jungen Menschen. Ein interdisziplinäres Handbuch ; Festschrift zur Emeritierung von Prof. Dr. Philipp Walkenhorst. Springer VS (Wiesbaden) 2021. 491 Seiten. ISBN 978-3-658-31600-6. D: 64,99 EUR, A: 66,81 EUR, CH: 72,00 sFr.
Reihe: Research.

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Thematische Einführung

Das Thema Delinquenz bzw. sozial auffälliges Verhalten bei jungen Menschen ist so alt wie die Menschheitsgeschichte. Die Zitate über eine „Verwahrlosung“ der Jugend, etwa seitens der Philosophie oder der Gesellschaftspolitik sind endlos. So beklagte etwa bereits Sokrates (470-399 v.Chr.) vor nahezu 2.500 Jahren: „Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten soll. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer“. Auch heute dürfte ein Großteil der Bevölkerung diesen Ausführungen zustimmen.

Junge Menschen sind beim Hineinwachsen in die Gesellschaft zahlreichen Herausforderungen hinsichtlich ihres Verhaltens ausgesetzt, diese dürften in den letzten Jahrzehnten noch zugenommen haben. Von ihnen wird die Akzeptanz und Übernahme von Verhaltensregeln erwartet, deren Übernahme vor allem bei jungen Männern und insbesondere wenn diese selbst in konfliktreichen familiären Verhältnissen aufgewachsen sind, zu Problemen führen kann. International zeigen in diesem Kontext junge Menschen, vor allem männliche Jugendliche, in der Regel die höchsten Kriminalitätsbelastungszahlen, die mit zunehmendem Alter dann kontinuierlich abnehmen.

Der von Kaplan und Roos als Festschrift zu Ehren von Philipp Walkenhorst herausgegebene Sammelband bringt 28 Beiträge von Autoren unterschiedlicher Provenienz und Fachrichtungen zu Aspekten von „Delinquenz bei jungen Menschen“ zusammen. Wie Ulrike Petermann (S. V) in ihrem Vorwort betont befasst sich die Festschrift „mit dem Thema Jugenddelinquenz im Kontext sonderpädagogischer Möglichkeiten zur Förderung der emotionalen und sozialen Entwicklung straffällig gewordener Menschen. Es war und ist das ‚Leib- und Magenthema‘ von Prof. Dr. Philipp Walkenhorst, dessen Engagement für delinquente Jugendliche während seiner gesamten aktiven Berufstätigkeit an den Universitäten Dortmund und Köln gewürdigt werden soll“. Walkenhorst zählt zu den bekanntesten deutschen Experten in dem Bereich. Die Entstehung von Kriminalität ist in Zusammenhang mit emotionaler und sozialer Entwicklung bei Kindern und Jugendlichen zu sehen, was bei der Diskussion um Straffälligkeit oft zu wenig gesehen wird. Walkenhorst widmete sich der Thematik und Präventionsmöglichkeiten in Theorie und Praxis bereits in den 1980er Jahren, etwa in seiner Dissertation über „Soziale Trainingskurse für straffällig gewordene Jugendliche“ bzw. in seiner aktiven jahrzehntelangen Zusammenarbeit mit Strafvollzugsanstalten. Er setzte sich immer wieder für eine Verbesserung des Jugendstrafvollzugs ein, hin zu mehr Bemühungen um eine Wiedereingliederung der Inhaftierten in die Gesellschaft.

Der Band von Kaplan und Roos gibt einen guten und breiten Überblick über wesentliche Aspekte von Jugenddelinquenz, damit auch den Beschäftigungsfeldern von Philipp Walkenhorst. Die beiden Herausgeberinnen verfolgen, wie sie in ihrem Vorwort betonen, im Wesentlichen drei Ziele: Es sollen die Arbeit von Philipp Walkenhorst, seine Verdienste um die Jugendstrafrechtspflege gewürdigt werden, zweitens sollen seine Weggefährt/innen aus unterschiedlichen Disziplinen zu Wort kommen und drittens „möchten wir diese geballte Expertise und Interdisziplinarität nutzen, um die sehr komplexe Thematik der Jugenddelinquenz und die herausfordernde Aufgabe der pädagogischen Förderung junger straffällig gewordener Menschen erstmalig in einem interdisziplinären Handbuch aus einer sonderpädagogischen – der Sonderpädagogik Emotionaler und Sozialer Entwicklung – Perspektive aufzuarbeiten“ (S. VIIf.).

Inhalt

Die 28 inhaltlichen Beiträge sind von den Herausgeberinnen neben einer „Einführung“ in 6 übergeordnete Kapitel eingeteilt. In der „Einführung“ (S. 3–25) diskutieren Kaplan und Roos eine interdisziplinäre Perspektive der Jugenddelinquenz in der Sonderpädagogik. Die Autorinnen führen aus, dass Jugenddelinquenz in verschiedenen Disziplinen diskutiert wird, wie etwa der Kriminologie oder Psychologie, bisher allerdings wenig in der Sonderpädagogik Emotionaler und Sozialer Entwicklung. Philipp Walkenhorst könne hier als Vorreiter gesehen werden, der die Diskussion deutlich vorangebracht habe und bis heute zu einer konstruktiven Weiterentwicklung hinsichtlich einer Betrachtung der Jugenddelinquenz aus interdisziplinärer Perspektive beitrage.

Mit dem Begriff der „Jugenddelinquenz“ wollen die Herausgeberinnen des Bandes „den jugendtypischen Charakter straffälligen Verhaltens junger Menschen unterstreichen und das Phänomen abgrenzen von den Straftaten Erwachsener“ (S. 5). Jugenddelinquenz unterliege einem gesellschaftlichen Wandel, sei normal, ubiquitär und episodenhaft, gehöre in „leichterer Form zum Aufwachsen dazu“ (S. 6). In den letzten Jahren sei die Jugenddelinquenz deutlich zurückgegangen, was in der breiten Öffentlichkeit aufgrund verzerrter Medienberichterstattung vielfach nicht wahrgenommen werde. Unterschiedliche Begründungen für ein pädagogisches Handeln bei Jugenddelinquenz werden kritisch diskutiert. Das Handeln bei Auffälligkeiten solle am Erziehungsgedanken ausgerichtet werden, es gehe, wie auch der Jubilar immer wieder betont habe, um Erziehung und Förderung der Persönlichkeit hinsichtlich einer konstruktiven Teilhabe an der Gesellschaft.

In den Vordergrund einer Bearbeitung von Jugenddelinquenz müssten vor allem deren Ursachen rücken, etwa die soziale Ungleichheit und Ausgrenzung einzelner Gruppen in der Gesellschaft. Die Sonderpädagogik weise auch „Versäumnisse und ‚blinde Flecken‘ im Bereich von delinquentem Verhalten sowie der Förderung junger, straffällig gewordener Menschen auf“ (S. 10). Sonderpädagogische Lehrkräfte würden etwa in vollzugsinternen Schulen deutschlandweit eine absolute Minderheit darstellen, obwohl bei jungen Inhaftierten ein Bedarf an Förderung gegeben sei. Wichtig sei eine angemessene Ausbildung des Personals im Arrest- und Jugendvollzug, worauf etwa der Jubilar immer wieder hingewiesen habe. Vorrangiger Zweck des Bandes sei „die Verbindung unterschiedlicher Expertisen und verschiedener Disziplinen, um der seit jeher interdisziplinär diskutierten Thematik der Jugenddelinquenz und der daraus erwachsenden komplexen Aufgabenstellung der Förderung junger Menschen gerecht werden zu können“ (S. 13).

Das zweite Kapitel beschäftigt sich in vier Beiträgen mit „interdisziplinären Perspektiven auf Erziehung und Delinquenz bei jungen Menschen“ (S. 27–87). Zunächst diskutieren Stein und Müller einen „Erziehungsbegriff der Sonderpädagogik emotionaler und sozialer Entwicklung“ (S. 29–44). Die Autoren arbeiten wesentliche Aspekte von Erziehung heraus, die als „Kernaufgabe pädagogischer Handlungsfelder“ in der Sonderpädagogik „erstaunlich wenig grundgelegt, diskutiert und problematisiert“ werden (S. 29). Es wird versucht, ein pädagogisches Verständnis von Erziehung zu zeichnen. Stets habe es verschiedene Auffassungen von Erziehung gegeben. Erziehung erfülle eine wesentliche gesellschaftliche Funktion. Erziehung werde „immer wieder mit dem Zielanspruch versehen, dass sich Menschen verantwortungsvoll sich und anderen gegenüber verhalten und moralisch handeln“ (S. 38). Gerade im Jugendstrafvollzug sei und bleibe Erziehung eine schwierige Aufgabe, drohe zu einem Nebenaspekt zu werden in einem System, das vor allem auf die Vermeidung weiterer Straftaten ausgerichtet ist.

Cornel geht in seinem Beitrag (S. 45–63) stichwortartig auf die Entwicklung von Zielen und Aufgaben der Erziehung ein. Soziale Arbeit dürfe nie einer Straflogik folgen, müsse entsprechend der eigenen Disziplin handeln, den eigenen Methoden, müsse sich somit eine „sozialpädagogische Haltung bewahren und darf niemals zur Sanktionsverschärfung beitragen“ (S. 58). Wichtig seien vor allem Transparenz und eine deutlich erkennbare Absicht, die Betroffenen in erster Linie fördern zu wollen.

Ostendorf diskutiert kurz „Erziehung im Jugendstrafrecht“ (S. 65–73). Der Erziehungsgedanke stehe seit Beginn eines eigenständigen Jugendstrafrechts im Mittelpunkt der Auseinandersetzung, inzwischen sei die Literatur zu der Thematik unüberschaubar. Das Jugendstrafrecht werde als Erziehungsstrafrecht gesehen. Bereits das erste Jugendgerichtsgesetz von 1923 habe in § 6 betont: „Hält das Gericht Erziehungsmaßregeln für ausreichend, so ist von Strafe abzusehen“ (S. 65). Das Jugendstrafrecht habe auch Reformen im Erwachsenenstrafrecht angeregt. Inzwischen würde sich das Jugendstrafrecht allerdings im „Mainstream einer Strafverschärfungspolitik als Nachahmer des Erwachsenenstrafrechts“ entwickeln (S. 66). Der Inhalt des Erziehungsgedankens im Jugendstrafrecht sei ausgesprochen umstritten. Zurecht betont der Autor: „Eine (Re-)Sozialisierung des Täters ohne eine (Re-)Sozialisierung seines Umfeldes kann nur einen begrenzten Erfolg haben“ (S. 68). Die eingeschränkte Wirkung von repressiven Sanktionen zeige sich in den Rückfallquoten. Freiheitsstrafen etwa hätten immer auch eine entsozialisierende Wirkung [1]. Wesentliche Aspekte einer Sanktionierung seien deren Notwendigkeit, Geeignetheit und Angemessenheit in den betroffenen Fällen. Urteilsanalysen würden zeigen, dass der Erziehungsgedanke auch zur Begründung von höheren Jugendstrafen herangezogen werde. „Ob wir mit strafrechtlichen Maßnahmen junge Menschen befähigen können, mag man bezweifeln, mehr als Grenzen setzen und Anstöße zu Einstellungs- und Verhaltensänderungen geben, ist in der Regel nicht leistbar. Wir können und dürfen nicht mit jugendstrafjustiziellen Sanktionen einen ‚guten’ Menschen erziehen“ (S. 72).

Krause und Wittrock prüfen in ihrem Beitrag den Zusammenhang zwischen Bildungsbenachteiligung und Jugenddelinquenz (S. 75–87). Zwar würden relativ viele Beiträge zu der Thematik vorliegen, allerdings habe der spezifische Zusammenhang zwischen Delinquenz und Bildung bisher zu wenig Beachtung gefunden. Bildung habe grundsätzlich einen vorbeugenden Charakter hinsichtlich der Entwicklung sozial abweichenden Verhaltens. Die Autoren diskutieren die Begriffe Benachteiligung und Bildung und gehen besonders auf die Schule als wesentliche Sozialisationsinstanz ein. Eine besondere Bedeutung für die Herausbildung von straffälligem Verhalten spiele die Subkultur. Krause und Wittrock gehen auch stichwortartig auf Bildungsangebote im Strafvollzug ein, ein vielfach vernachlässigter Bereich in Zusammenhang mit der Resozialisierung der Inhaftierten.

Im dritten Kapitel des Bandes geht es in sechs Beiträgen um „Jugenddelinquenz und institutionelle Kontexte“ (S. 89–197). Im ersten Beitrag gehen Hillenbrand und Vierbuchen (S. 91- 107) der Frage der Bedeutung der Jugenddelinquenz in Schule und Erziehungshilfe nach. Insbesondere die Berichterstattung über Jugenddelinquenz in den Medien errege öffentliche Aufmerksamkeit. Dabei nehme die statistisch erfasste Häufigkeit von Jugenddelinquenz seit Jahren deutlich ab. Der Forschungsstand wird dargestellt und Interventionsmaßnahmen werden kurz erörtert. Hoops diskutiert kritisch die „Geschlossene Unterbringung“ in Heimen der Kinder- und Jugendhilfe als Reaktion auf Delinquenz“ (S. 109–127). Im Bedarfsfall sollten intensiv-pädagogische Maßnahmen kurzfristig zur Verfügung stehen. Auch eine Freiheitsentziehende Unterbringung in der Kinder- und Jugendhilfe könne in „begründeten Einzelfällen erforderlich und angemessen sein“ (S. 123).

Ernst und Höynck (S. 129–145) diskutieren rechtliche Grundlagen zum Jugendarrest nach einer Verletzung der Schulpflicht und stellen Ergebnisse einer eigenen Aktenuntersuchung in einer Jugendarresteinrichtung dar. Die Vollstreckung eines Arrests wegen Verletzung der Schulpflicht sei relativ selten. Kritisch wird die Frage diskutiert, ob die Schulen genügend tun, um einen regelmäßigen Schulbesuch herzustellen. „Die Verbüßung von Jugendarrest statt des Schulbesuchs aus Anlass früheren Fernbleibens vom Unterricht … erscheint durch keinen noch so gut gestalteten Jugendarrest ernsthaft zu rechtfertigen zu sein“ (S. 143). Arloth und Witzigmann (S. 147–163) erörtern die Bedeutung des Erziehungsauftrags im Jugendstrafvollzug. Die Freiheitsstrafe müsse nach gesetzlicher Vorgabe vorrangig das Ziel der Integration in die Gesellschaft haben. Der Erziehungsgedanke im Jugendstrafvollzug werde vielfach auch kritisch gesehen. Die Autoren unternehmen den Versuch, „Ausgangspunkt, Ziele, Inhalte und Grenzen der Erziehung im Kontext des Jugendstrafvollzugs unter Berücksichtigung anerkannter Auslegungsmethoden zu konkretisieren“ (S. 161).

Neubacher (S. 165–177) geht der Frage nach, wieweit eine Erziehung in Unfreiheit im Jugendstrafvollzug, in dem es selbst Gewaltprobleme gebe, überhaupt zur Gewaltlosigkeit erziehen könne. Der Autor diskutiert „Leitsätze zur Gewaltprävention“ (S. 173). Es gebe Gewalt und Subkultur auch im deutschen Jugendstrafvollzug, „dieser bleibt trotz aller Bemühungen hinter den selbst gesteckten Zielen und dem gesetzlichen Auftrag zurück“ (S. 175). Erforderlich sei die Entwicklung spezieller Anti-Gewalt-Konzepte, eingefahrene Denk- und Handlungsmuster müssten überwunden werden. Stossun und Flihs (S. 179–197) stellen eine „integrierende Betrachtung von Intensivpädagogischen Jugendhilfemaßnahmen, Jugendstrafvollzug und Kinder- und Jugendpsychiatrie“ an. Dargestellt werden insbesondere auch Probleme im Übergang aus hochstrukturierten Hilfen in ein selbstbestimmtes Leben. „Im Hinblick auf systemübergreifende ‚Hilfekarrieren‘ wird umso mehr die Notwendigkeit deutlich, sowohl strukturell als auch inhaltlich eher zusammen als nebeneinander zu arbeiten“ (S. 192).

Mit Pädagogischem Handeln bei Jugenddelinquenz, Konzepten und Praxisbeispielen, beschäftigt sich in fünf einzelnen Beiträgen der vierte Abschnitt des Bandes (S. 199–270). Mentz diskutiert kritisch die Frage, wieweit das Jugendgefängnis überhaupt eine „Lebensschule“ sein könne. Wie schon Goethe[2] betont habe sei es wichtig, die Menschen nicht so zu behandeln, wie sie sind, sondern wie sie sein könnten. Der Autor berichtet von seinen Erfahrungen als Leiter der Jugendstrafanstalt Rockenberg und seinen Bemühungen diese möglichst „als Ort des Lernens auszugestalten“ (S. 201). Erziehung als Förderung der Entwicklung erfolge neben schulischen und beruflichen Maßnahmen in verschiedenen Bereichen, wie „zukunftsorientierte Auseinandersetzung mit den eigenen Straftaten und ihren Folgen sowie die soziale Rehabilitation im Sinne von Menschenrecht bezogener, wertorientierter Sozial- und Gemeinschaftserziehung“ (S. 203). Viele der jungen Inhaftierten hätten in ihren Familien keine dauerhaften und tragfähigen sozialen Beziehungen erleben können. Eine besondere Bedeutung komme dabei den Mitarbeitenden einer Anstalt und deren Menschenbild zu.

Schneider (S. 217 ff.) stellt „Überlegungen zu einer Kritischen politischen Bildung im Kontext des Jugend- und Jugendarrestvollzugs“ an. Politische Bildung habe in Deutschland vor dem Hintergrund der Vergangenheit eine besondere Bedeutung. Für politische Bildungsmaßnahmen bei Inhaftierten würden neben rechtlichen Vorgaben vor allem auch das Jugendalter und die randständige Lebenssituation Jugendlicher in Haft sprechen. Fraglich bleibe allerdings, wieweit eine politische Bildung im Jugendstrafvollzug trotz ihrer Bedeutung wirksam umgesetzt werden könne. Fehrmann (S. 231 ff.) betont die Bedeutung der architektonischen Gestaltung von Vollzugsanstalten hinsichtlich einer Erreichung des Resozialisierungsziels für die Inhaftierten. Der Jugendstrafvollzug finde vielfach in veralteten Gebäuden statt, scheine „nicht als Institutionen wahrgenommen zu werden, in der Lernen stattfindet und in der die Räumlichkeiten entsprechend angepasst werden müssten“ (S. 233). Strafvollzugsarchitektur werde in der deutschen einschlägigen Diskussion auch deutlich vernachlässigt, es müssten in Zukunft auf multidisziplinärer Ebene im Rahmen einer pädagogischen Architektur Richtlinien für den Bau von Anstalten zum Vollzug der Jugendstrafe entwickelt werden.

Schneider und Zimmermann (S. 241 ff.) beschreiben ihre Mitarbeit bei der Gründung des gemeinnützigen Vereins EXIT- EnterLife e.V. in Köln, der sich in der Jugendhilfe engagiert und ursprünglich aus einer studentischen Initiative entstanden ist und vor allem auch Bildungsangebote für jugendliche Inhaftierte mache. Der Jubilar habe diese Initiative tatkräftig unterstützt, die auf breiten Anklang gestoßen sei. In der Strafvollzugspraxis seien die MitarbeiterInnen dann allerdings oftmals auch zurückgewiesen und gebremst worden, das habe die Betroffenen erschöpft und müde gemacht. „Das waren die Momente, in denen uns schmerzlich bewusst wurde, dass Gefängnisse nicht der geeignete Ort für junge Menschen sind, die sich noch in der Entwicklung befinden“ (S. 254). Über die Möglichkeiten einer Kooperation zwischen Jugendvollzug und Universität berichtet Schweer (S. 259 ff.). Es geht um einen Austausch zwischen „drinnen und draußen“, den Aufbau von Kontakten von interessierten Menschen mit Inhaftierten. Der Jubilar habe sich für Exkursionen von Studierenden in den Strafvollzug eingesetzt, ein Projekt, das bei Bediensteten der JVA teilweise auch auf Skepsis und Ablehnung gestoßen sei, während die jungen Inhaftierten die Kontakte in aller Regel gemocht und begrüßt hätten.

Der fünfte Teil des Bandes präsentiert in fünf Einzelbeiträgen „Aktuelle Diskurse“ der Thematik Jugenddelinquenz (S. 271–368). Zunächst berichten Herz und Hoyer (S. 273 ff.) über „Teilhabechancen und -barrieren von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Beeinträchtigungen in der Kinder- und Jugendhilfe“. In Deutschland sei „eine deutliche Zunahme an Kindern und Jugendlichen mit spezifischen Beeinträchtigungen in der emotionalen und sozialen Entwicklung zu verzeichnen, die zukünftig auch weiterhin ansteigen wird“ (S. 273). Die Zahl der Schüler und Schülerinnen die hinsichtlich ihrer psychischen Entwicklung einen besonderen Bedarf aufweisen würden, habe sich von 1999 bis 2015 mehr als verdreifacht. Nur ein kleiner Teil davon erhalte jedoch bisher die erforderliche Hilfe und Unterstützung. Risikofaktoren für die Kinder seien insbesondere der niedrige sozioökonomische Status der Erziehungspersonen, dort vorherrschende psychische Probleme und ein niedriger Bildungsabschluss. Inzwischen wachse jedes fünfte Kind unter Armutsbedingungen auf. Es werden konkrete Vorschläge zu einer Verbesserung der Bildungs- und Teilhabechancen von Kindern und Jugendlichen mit Verhaltensstörungen erörtert.

Esser (S. 289 ff.) diskutiert einen „Paradigmenwechsel in der stationären Kinder- und Jugendhilfe und seine Bedeutung für die Jugenddelinquenz“. Herausgearbeitet wird der „Paradigmenwechsel von der Defizitorientierung zur Ressourcenorientierung in der Kinder- und Jugendhilfe“ (S. 304). Ein sich entwickelndes ressourcenorientiertes Vorgehen trage deutlich zur Prävention von Jugenddelinquenz bei. Knab (S. 307 ff.) stellt die wesentlichen Ergebnisse einer Pilotstudie zur Ressourcenorientierung im Bereich der Heimerziehung vor. In den letzten Jahrzehnten sei die konkrete Förderung von Ressourcen mehr und mehr zu einem wesentlichen Aspekt in der Kinder- und Jugendhilfe geworden. Der Autor konzentriert sich auf die Bereiche Bewegung, Musik und Kunst und zeigt in seiner Studie, wieweit diese bereits Eingang in die Praxis gefunden haben. Die Ergebnisse zeigen die „hohe Bedeutung, die die Ressourcenorientierung in der Kinder- und Jugendhilfe erlangt hat. Die Methodentrias Bewegungsförderung, Kunstpädagogik und Musikalische Förderung ist in den Einrichtungen vielfältig vorhanden“ (S. 323).

In Deutschland besteht eine Schulpflicht, die ab dem 5. bis spätestens 7. Lebensjahr beginnt. Für Kinder und Jugendliche mit besonderem Förderbedarf bestehen auch differenzierte gesonderte Angebote. Markowetz (S. 327 ff.) geht in seinem Beitrag in dem Zusammenhang auf die Problematik Jugenddelinquenz und Möglichkeiten der Inklusion ein. Der Autor betont, „dass neben anderen Mikrosystemen wie Familie und Kindergarten es vor allen Dingen unsere Schulen sind, die über nahezu zwölf Jahre hinweg in einer sehr entscheidenden Lebensphase mit der Entstehung, Aufrechterhaltung und dem Um- und Aufbau delinquenten Verhaltens zu tun“ haben (S. 331). Die Möglichkeiten einer Prävention von Delinquenz und der Vermeidung von Stigmatisierung werden differenziert erörtert, Schwierigkeiten werden im Kontext einer differenzierten Literaturanalyse zu der Thematik benannt.

Holthusen (S. 355 ff.) geht auf Kriminalprävention hinsichtlich Kinder- und Jugenddelinquenz ein. Nach schweren Straftaten werde von Seite der Öffentlichkeit vor allem eine Strafverschärfung gefordert, in den letzten Jahren sei auch eine Absenkung des Strafmündigkeitsalters diskutiert worden, ferner erfolge der Ruf nach mehr Prävention. Prävention sei „ein schillernder Begriff in vielfältigen Kontexten“, ein „verlockendes Konzept“, das in den letzten Jahrzehnten „in sehr vielen Bereichen eine bemerkenswerte Konjunktur erfahren hat“ (S. 356 f.). Vor allem die Auseinandersetzung um eine Prävention von Gewalttaten habe seit Jahrzehnten eine enorme Intensität erfahren. So seien etwa mehr und mehr kriminalpräventive Räte auf kommunaler als auch Landesebene gegründet worden, die vor allem auch Unsicherheitsgefühlen der Bevölkerung entgegenwirken sollen. Kritisch geht der Autor auch auf die Wirksamkeit präventiver Maßnahmen ein, auf die Bedeutung einer konsequenten und methodisch gut durchgeführten Evaluation. Der Einsatz präventiver Maßnahmen setze eine kritische und sorgfältige Entscheidung von Praxis und Wissenschaft unter Berücksichtigung der betroffenen Bezugspersonen voraus. 

„Internationale und menschenrechtliche Perspektiven“ werden im sechsten Abschnitt dargestellt (S. 369–416). Goerdeler (S. 371 ff.) geht im ersten Beitrag auf Aspekte von Grund- und Menschenrechten im Jugendstrafvollzugsrecht ein und diskutiert Möglichkeiten einer Weiterentwicklung des Jugendstrafvollzugs. Hierbei bezieht der Autor sich vor allem auch auf die umfangreichen Arbeiten und Initiativen des Jubilars zu der Thematik. Grundrechte würden auch im Strafvollzug gelten, wie das Bundesverfassungsgericht bereits in einer Grundsatzentscheidung von 1972 festgestellt habe. Strafgefangene hätten ein „Grundrecht auf Förderung der sozialen Wiedereingliederung [3]. Für das deutsche Jugendstrafrecht ist zugleich der Erziehungsgedanke konstitutiv“ (S. 377). Auch die Eltern hätten nach wie vor eine große Bedeutung hinsichtlich einer Mitwirkung bei der Erziehung der Jugendlichen, allerdings sei deren Beteiligung bisher bestenfalls ansatzweise geregelt bzw. angedeutet. Besonders betont Goerdeler zurecht auch die Bedeutung einer Kommunikation der Inhaftierten mit der Außenwelt, die in ihrer Ausgestaltung nach wie vor vielfach defizitär sei. Bei allen immer noch vorhandenen Problemen könne für die Situation in Deutschland festgestellt werden, der Jugendstrafvollzug habe sich in den letzten Jahrzehnten insgesamt „rechtlich und tatsächlich erheblich weiterentwickelt, überwiegend in eine positive Richtung“ (S. 389).

Emmerich (S. 393 ff.) geht in einem kurzen Beitrag auf „Internationale Perspektiven Sozialer Arbeit“ ein. Aufgabe der Sozialen Arbeit sei es, mittels sozialer Dienstleistungen Menschen in Not zu helfen und gesellschaftlich zu integrieren. Gerade auch Soziale Arbeit sei zunehmend international vernetzt, was deutlich mit zu einer weiteren Professionalisierung beigetragen habe. In der Ausbildung für Soziale Arbeit sei die Vernetzung allerdings noch wenig ausgebildet, hier könnten etwa auch Studienfahrten weiterhelfen, was vor allem auch vom Jubilar stets unterstützt und betont worden sei.

Im letzten Beitrag des Abschnitts berichten Oliveira Käppler und Carvalho e Silva (S. 401 ff.) über die „Situation junger Menschen im Justizvollzug Brasiliens“, dem größten und auch bevölkerungsreichsten Land Lateinamerikas. Der Vergleich mit Deutschland macht die erheblich schlechteren Haftbedingungen in Brasilien, etwa infolge einer Überbelegung und mangelnden Infrastruktur, deutlich. In den letzten Jahren werde der Strafvollzug in Brasilien zunehmend privatisiert, was auch einen stärkeren Einfluss von kriminellen Organisationen, etwa Drogenkartellen, zur Folge habe. Seit Jahren seien vermehrt Bemühungen zum Schutz der Rechte von Kindern und Jugendlichen entstanden. Gesetzesübertretungen junger Menschen in dem südamerikanischen Land würden sich zu 52 % auf Raub und zu 22 % auf Drogen beziehen. Menschen mit körperlichen Behinderungen seien zu 85 % in nicht behindertengerechten Anstalten untergebracht. Hinsichtlich der Menschenrechtssituation junger Gefangener weise Brasilien einen teilweise „besorgniserregenden Nachholbedarf auf. Dieser sollte auch von der Zivilgesellschaft aber auch Vertretern von Wissenschaft und Forschung verstärkt thematisiert werden.

Der letzte Abschnitt des Bandes geht auf „Zukünftige Entwicklungen“ ein (S. 417–487). Im ersten von vier Beiträgen des Kapitels geht Dünkel (S. 419 ff.) auf die deutsche Gesetzgebung zum Jugendstrafvollzug ein. Berichtet wird vor allem über die gemeinsame Arbeit mit dem Jubilar in einer Arbeitsgruppe des Bundesjustizministeriums Anfang der 2000er Jahre zur Schaffung einer gesetzlichen Regelung des Jugendstrafvollzugs in Deutschland. Die weitere Entwicklung der Gesetzgebung zum Jugendstrafvollzug, vor allem auch Regelungen zur Verlegung in den offenen Vollzug und zu Vollzugslockerungen in den einzelnen Bundesländern werden kritisch dargestellt. Die gesetzliche Entwicklung zum Strafvollzug in Deutschland habe in einzelnen Fällen „zu dem merkwürdigen Ergebnis geführt, dass die der rechtlichen Regelung des Jugendstrafvollzugs nachfolgenden Gesetze zum Erwachsenenvollzug teilweise innovativer gestaltet sind als die Jugendstrafvollzugsgesetze“ (S. 437).

Wirth (S. 443 ff.) betont in seinem Beitrag, dass im Jugendstrafvollzug auch ein erheblicher Anteil von Heranwachsenden, also Personen im Alter von 18 bis unter 21 Jahren, inhaftiert seien, in Nordrhein-Westfalen sei das über die Jahre seit 1978 deutlich die Mehrheit. 2019 etwa waren lediglich 14,1 % der im Jugendstrafvollzug Inhaftierten Jugendliche, d.h. im Alter von 14 bis unter 18 Jahren. Die Verhältnisse im Jugendstrafvollzug seien ausgesprochen unterschiedlich, vor allem auch hinsichtlich der personellen Ausstattung als auch in Bezug auf Behandlungsangebote, wobei der Autor insbesondere Daten aus Nordrhein-Westfalen mitteilt. Hinsichtlich einer Wiedereingliederung in die Gesellschaft sei insbesondere eine intensive Zusammenarbeit mit der Straffälligenhilfe, Schulen und Arbeitsagenturen sowie der Jugendhilfe erforderlich.

Auch Maelicke (S. 459 ff.) wendet sich dem Thema Resozialisierung zu, in einer Zeit, in der „weltweit die Staaten und die Menschen von tiefgreifenden Krisen und Systemschwächen immer mehr herausgefordert“ würden (S. 459). Der zunehmende Klimawandel und die Globalisierung, damit grundlegende Veränderungen in der Gesellschaft, würden zu einer wachsenden Verunsicherung und Bedrohungsgefühlen in der Öffentlichkeit führen. Positive Entwicklungen in Schleswig-Holstein werden vom Autor dargestellt und diskutiert. Was eine länderübergreifende „Große Transformation“ betreffe, fehle es an „entsprechenden Initiativen und an Unterstützung aller Bundesländer und insbesondere des Bundesministeriums der Justiz“ (S. 463).

Bredlow (S. 467 ff.) stellt im abschließenden Beitrag die grundlegende Frage, wieweit der Jugendvollzug ein „zukunftsträchtiges Instrument bei Jugenddelinquenz“ sei. Wie der Autor ausführt scheint es in der Geschichte des Jugendstrafvollzugs „nur wenige Phasen zu geben, in denen er nicht unter Rechtsfertigungsdruck steht“ (S. 471). Aus entwicklungsgeschichtlich „alten Schichten unserer Persönlichkeit“ stamme das „Verlangen nach Sühne und Schuldvergeltung nicht nur bei Jugendlichen, sondern generell“ bei Straftätern (S. 472). Der Autor gibt eine kurze geschichtliche Entwicklung der Diskussion um die Jugendstrafe in den letzten 70 Jahren, auch unter Berücksichtigung von kirchlichen Stellungnahmen zur Rechtfertigung von Strafen. Eine Liste der Autoren und Autorinnen (S. 489 ff.) schließt den Band ab.

Zielgruppen

Das interdisziplinäre Handbuch über „Delinquenz bei jungen Menschen“, eine Festschrift für Philipp Walkenhorst, der sich während seiner aktiven Berufstätigkeit und auch danach immer wieder intensiv für delinquente Jugendliche und deren gesellschaftliche Integration bemüht hat, spricht in 28 Beiträgen zentrale Aspekte der Thematik aus unterschiedlicher wissenschaftlicher und praxisorientierter Perspektive an. Wesentliche Aspekte zu den Hintergründen jugendlicher Straffälligkeit, rechtlichen Sichtweisen und deren Veränderungen über die Zeit hinweg, dem Jugendstrafvollzug und seiner Wirkung hinsichtlich einer Resozialisierung der Betroffenen und zukünftige Perspektiven werden dargestellt und diskutiert.

Die Arbeit des Jubilars und sein bewundernswertes Engagement werden zurecht immer wieder hervorgehoben. Gerade auch über Jugendkriminalität wird in der Öffentlichkeit, oft vor dem Hintergrund entsprechender Medienberichte, vielfach kritisch und wenig differenziert diskutiert. Die Öffentlichkeit ist über die Thematik weitgehend nicht bzw. nur einseitig informiert. Ziel des Strafvollzugs, gerade auch des Jugendvollzugs, ist die Wiedereingliederung der Inhaftierten nach einer Haftentlassung. Diese kann nur gelingen, wenn die Öffentlichkeit valide informiert ist und mitwirkt. Je mehr die Öffentlichkeit informiert wird und die Hintergründe von (jugendlicher) Straffälligkeit versteht, umso mehr ist sie auch bereit, den Resozialisierungsgedanken zu unterstützen, wie auch internationale Ergebnisse zeigen [4]. Gerade auch vor diesem Hintergrund kommt dem Band mit seinen Beiträgen zu verschiedenen Aspekten der Thematik eine besondere Bedeutung zu. Die Ursachen von (Jugend-)Kriminalität können nicht den einzelnen Tätern zugeschrieben werden, sondern haben einen „gesellschaftlichen Hintergrund“, Kriminalität ist nicht angeboren, sondern entwickelt sich im Kontext der Sozialisationsbedingungen, damit kommt der Gesellschaft auch eine besondere Verantwortung hinsichtlich des Umgangs mit den Tätern zu. Wie die internationale Forschung auch zeigt, „rentieren“ sich Investitionen in Behandlungsprogramme auch finanziell.

Diskussion

Der Band mit seinen breit gefächerten Beiträgen zu einzelnen wesentlichen Aspekten von „Delinquenz bei jungen Menschen“ stellt eine Bereicherung der Diskussion um ein wichtiges kriminologisches aber auch gesellschaftliches Problem dar. Gerade über (schwere) Straftaten Jugendlicher wird vielfach in den Medien berichtet, in der Regel nur über die Taten selbst, den verursachten Schaden und die Sanktionen, meist wenig darüber, wie es zu dem abweichenden Verhalten gekommen ist, welche Lebensbedingungen der Täter zu ihrem Verhalten beigetragen haben. Gerade nach schweren Taten werden in der Regel von Seite der Öffentlichkeit vor allem härtere Sanktionen gefordert in der Annahme, dass damit weitere potentielle Täter abgeschreckt werden können. Die kriminologische Forschung konnte überzeugend belegen, dass diese Annahme nicht bzw. nur teilweise zutrifft.

Ein harter Strafvollzug trägt kaum zu einer wirksamen Kriminalprävention bei, vielmehr kommt es auf eine Behandlung und Unterstützung der Täter, vor allem auch auf eine gute Entlassungsvorbereitung und Nachbetreuung an. Hier bestehen auch im deutschen Strafvollzugswesen noch erhebliche Defizite, wie auch der Jubilar immer wieder hervorgehoben hat. Die Freiheitsstrafe ist die teuerste Sanktion, resozialisierende Maßnahmen und Hilfen nach einer Entlassung helfen letztlich auch, Geld zu sparen. Freiheitsstrafen haben einen erheblichen negativen Nebeneffekt, etwa auf die Familien der Betroffenen, ein Aspekt, der bisher nur ansatzweise diskutiert wird [5].

Der Band ist sehr gut gegliedert, wesentliche Aspekte der komplexen und breiten Thematik werden angesprochen. Er kann deutlich zu einer qualifizierten Aufklärung und einem rationaleren Umgang mit Jugendlicher Kriminalität beitragen. Die einzelnen Beiträge unterscheiden sich teilweise deutlich in der Breite der Ausführungen. Teilweise Fehler im Literaturverzeichnis bzw. im Text können den Wert des Bandes nicht wesentlich beeinflussen.

Fazit

Die differenzierte Diskussion der komplexen und vielschichtigen Thematik der Delinquenz Jugendlicher in den einzelnen Beiträgen des Sammelbandes tragen wesentlich zu einem besseren Verständnis von Jugendkriminalität bei. Gerade darum ging es dem Jubilar auch stets in seinen eigenen Bemühungen. Kriminalität gehört zu jeder Gesellschaft, deren unterschiedliche Ausprägung macht jedoch deutlich, dass die Lebensbedingungen erheblich zu deren Ausmaß in den Gemeinschaften beitragen. Die Beiträge des Bandes zu Ehren von Philipp Walkenhorst liefern eine Fülle von Informationen zum Verständnis von Jugendkriminalität und konstruktiven Maßnahmen zu deren Reduzierung.

Das Gesamturteil ist vor diesem Hintergrund: Sehr empfehlenswert.


[1] Vgl. Kury, H., Obergfell-Fuchs, J. (2011). Punitivenesss – Impacts and Measurement. In: Kury, H., Shea, E. (Eds.), Punitivity. International Developments. Vol. 2: Insecurity and Punitiveness. Bochum: Universitätsverlag Dr. Brockmeyer, 165–209.

[2] Goethe, J. W. von (1795). Wilhelm Meisters Lehrjahre. 8. Buch, 4. Kapitel.

[3] BVerfG 116, 69 85 f.; BVerfGE 35, 235, 236.

[4] Vgl. Kury, H., Obergfell-Fuchs, J., Smartt, U. (2002). The evolution of public attitudes to punishment in Western and Eastern Europe. In: Roberts, J.V., Hough, M. (Eds.), Changing attitudes to punishment: public opinion, crime and justice. Cullompton/UK: Willan, 93–114; Sato, M. (2014). The Death Penalty in Japan. Will the Public Tolerate Abolition? Wiesbaden: Springer.

[5] Zu negativen Nebeneffekten von Freiheitsstrafen auf die Betroffenen und deren Familien siehe: Kury, H., Kuhlmann, A. (2020). Zu den Auswirkungen der Inhaftierung Straffälliger auf Familienangehörige. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 103, 285–299; Kury, H. (2020). The effects of prison sentences on the family members and the community. European and Asian Law Review 3, 115–123; Kury, H.

(2021). Effects of incarceration of offenders on their families – a German view. Urban Crime. An international Journal 2, 53–72.

Rezension von
Prof. Dr. Helmut Kury
Universität Freiburg, Max Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht (pens.)
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Es gibt 17 Rezensionen von Helmut Kury.

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Zitiervorschlag
Helmut Kury. Rezension vom 05.08.2021 zu: Anne Kaplan, Stefanie Roos, Philipp (Gefeierter) Walkenhorst (Hrsg.): Delinquenz bei jungen Menschen. Ein interdisziplinäres Handbuch ; Festschrift zur Emeritierung von Prof. Dr. Philipp Walkenhorst. Springer VS (Wiesbaden) 2021. ISBN 978-3-658-31600-6. Reihe: Research. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/27834.php, Datum des Zugriffs 19.01.2025.


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