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Wolfram Kulig, Sabine Selbig: Theorie und Praxis der Heilerziehungs­pflege

Rezensiert von Sebastian Schiwy, 07.03.2022

Cover Wolfram Kulig, Sabine Selbig: Theorie und Praxis der Heilerziehungs­pflege ISBN 978-3-7841-3283-9

Wolfram Kulig, Sabine Selbig: Theorie und Praxis der Heilerziehungspflege. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2022. 400 Seiten. ISBN 978-3-7841-3283-9.

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Thema

Der Begriff Heilerziehungspflege als Berufsbezeichnung hat seit mittlerweile über 60 Jahren Bestand (vgl. S. 15). „Heilerziehungspflegerinnen verstehen sich als Fachkräfte in der Behindertenhilfe mit pädagogischen und pflegerischen Tätigkeitsschwerpunkten“ (S. 17). „Sie assistieren [Menschen mit Behinderung] dabei, sich selbst in sozialer Teilhabe zu verwirklichen, eigene Wünsche und Interessen umzusetzen und eigene Potenziale zu entdecken und auszuschöpfen“ (S. 18). Dem Titel entsprechend befasst sich das vorliegende Buch mit der Theorie und Praxis der Heilerziehungspflege. Hierbei versteht es sich als Lehrbuch mit dem Ziel, „das für die Praxis der Heilerziehungspflege fundamentale Wissen in kompakter Form darzustellen“ (S. 12).

Autor*innen

Sabine Selbig, Heilerziehungspflegerin, Dipl.-Medizinpädagogin, Stv. Schulleiterin der Ev. Fachschule für Sozialwesen der Stiftung Diakoniewerk Oberlausitz (Fachrichtung HEP), Dozentin für Didaktik und Gestaltung der Lebenswelt von Menschen mit Behinderungen und für die Begleitung der fachpraktischen Ausbildung der HEP, Dozentin an der VHS Zittau (Bildung für Menschen mit Behinderungen).

Wolfram Kulig, Dr. phil. Dipl.-Pädagoge, wiss. Mitarbeiter an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Auffälliges Verhalten bei Menschen mit geistiger Behinderung, Wohnformen, Schnittfeldfragen zwischen Behindertenarbeit und Sozialpolitik, didaktische Fragen in Schule und Unterricht bei Schülerinnen und Schülern mit geistiger Behinderung.“ (Buchrücken)

Entstehungshintergrund

Bei dem vorliegenden Buch, welches die Autor*innen selbst als „Ergebnis einer Zusammenarbeit von Ausbildungspraxis und Wissenschaft“ (S. 11) bezeichnen, handelt es sich um eine Fortführung des Titels „Didaktik und Praxis der Heilerziehungspflege“ von Peter Bentele und Thomas Metzger. Dieser wurde für die aktuelle Veröffentlichung grundlegend überarbeitet, um den aktuellen Entwicklungen des Arbeitsfeldes gerecht zu werden (vgl. ebd.).

Aufbau und Inhalt

Das Buch beginnt mit einer Auseinandersetzung mit der Heilerziehungspflege als Beruf. In dieser setzen sich die Autor*innen unter anderem mit der Entstehung des Berufs sowie dem oftmals kritischen Diskurs rund um die Berufsbezeichnung (Heilen, erziehen, pflegen?) auseinander und stellen darüber hinaus Tätigkeitsfelder und Aufgaben vor.

Die folgenden 34 Kapitel des Buches umfassen fünf verschiedene Themenfelder:

  • Heilpädagogische Grundlagen
  • Entwicklungspsychologische Grundlagen
  • Behinderung in der Lebenslaufperspektive
  • Heilerziehungspflegerisches Handeln – allgemeine Aspekte
  • Heilerziehungspflegerisches Handeln – konkrete Arbeitsfelder

Der erste Teil Heilpädagogische Grundlagen führt zunächst in den Behinderungsbegriff ein, wobei dem Verständnis von Behinderung im Sinne des biopsychosozialen Modells der ICF besondere Bedeutung zukommt. Nach dem anschließenden allgemeinen Überblick über einige Formen von Behinderung folgt ein Überblick über pädagogische Leitideen, wobei drei Leitbilder exemplarisch vorgestellt werden. Bei diesen handelt es sich um die Normalisierung, welche insbesondere auf die Lebensumstände von Menschen mit Behinderung abzielt, während beim Konzept des Empowerments der Fokus deutlicher auf dem Individuum liegt. Als drittes Leitbild stellen die Autor*innen den Begriff der Teilhabe vor und spannen so auch den Bogen zu den sozialrechtlichen Grundlagen heilerziehungspflegerischen Handelns, welche die „volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft“ (§ 1 SGB IX) als Zielsetzung definieren. Abschließend setzen sich die Autor*innen mit der zwischenmenschlichen Komponente pädagogischen Handelns auseinander, wobei unter anderem ausgewählte Kommunikationsmodelle sowie Problematiken wie Macht und Abhängigkeit im Rahmen zwischenmenschlicher Verhältnisse behandelt werden.

Im zweiten Teil Entwicklungspsychologische Grundlagen befassen sich die Autor*innen zunächst mit der Entwicklung des Gehirns sowie der Entwicklung der Wahrnehmung. Die Entwicklung der Kommunikation wird zunächst anhand eines Stufenmodells dargestellt, bevor unter anderem Ausführungen zu verschiedenen Erschwernissen, die im Zusammenhang mit verschiedenen Behinderungsformen stehen, sowie deren Auswirkungen auf die Entwicklung der menschlichen Kommunikation folgen. Für die Auseinandersetzung mit der Entwicklung des Denkens bedienen sich die Autor*innen der bekannten Theorie von Jean Piaget, die zunächst vorgestellt wird, bevor auch hier auf mögliche Besonderheiten oder Abweichungen im Zusammenhang mit verschiedenen Formen von Behinderung eingegangen und zudem ein kurzer Einblick in die aktuelle Diskussion im Zusammenhang mit dem Modell Piagets gegeben wird. Darüber hinaus finden sich in diesem Teil des Buches Ausführungen zur Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit sowie der Emotionen.

Der folgende dritte Teil des Buches behandelt Behinderung in der Lebenslaufperspektive. Hier widmen sich die Autor*innen einer an den verschiedenen Stationen des Lebenslaufs orientierten Betrachtung der Lebenswelt von Menschen mit Behinderung. Hierbei verfolgen sie das Ziel, „die für die jeweiligen biographischen Stationen […] typischen Lebensweltbereiche zu beschreiben und die mit ihnen verbundenen heilpädagogischen Fragestellungen zu untersuchen“ (S. 96). Zu diesem Zweck erfolgt zunächst eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der Lebenswelt, die, neben einer Begriffsklärung im pädagogischen Kontext bedeutsame Dimensionen der Lebenswelt sowie Grenzen des Lebensweltkonzepts beinhaltet. Als Stationen der Kindheit und Jugend befassen sich die Autor*innen im Folgenden mit dem Aufwachsen in der Familie, der Frühförderung sowie der Schule. Das Erwachsenenleben wird durch die Betrachtung von beruflicher Bildung und Arbeitsleben, dem Wohnen im Sozialraum, Sexualität sowie der Gestaltung der Freizeit abgedeckt, bevor der Teil des Buches mit Ausführungen zur Begleitung älterer Menschen mit Behinderung endet.

Teil vier des Buches gibt dann einen Überblick über allgemeine Aspekte heilerziehungspflegerischen Handelns. Der Teil beginnt mit Ausführungen zum Beobachten sowie zum Erschließen von Bedürfnissen und Ressourcen der Klient*innen, bevor die Autor*innen sich mit der Bedarfsermittlung als sozialrechtlicher Grundlage der Bewilligung von Unterstützungsleistungen auseinandersetzen. Nach einem Kapitel zum Bereich der Dokumentation folgt mit „Bildungsangebote planen – didaktisch handeln“ (S. 201 ff.) das umfangreichste Kapitel dieses Teils des Buches. Dieses behandelt neben Didaktik und didaktischen Prinzipien im Allgemeinen auch die konkrete Planung und Umsetzung von Bildungsangeboten, wobei unter anderem auf Ziele, Methoden oder den Einsatz von Medien eingegangen wird. Es folgen Kapitel zu Beziehungsgestaltung, Organisieren, Kooperation und Zusammenarbeit mit anderen Personen, Akteuren und Institutionen im beruflichen Kontext sowie zu Beratung und Gesprächsführung. Der Teil des Buches endet mit dem Kapitel „Die Arbeit reflektieren und Qualität sichern“ (S. 247 ff.).

Der fünfte und letzte Teil des Buches befasst sich mit konkreten Arbeitsfeldern heilerziehungspflegerischen Handelns. Zu Beginn erfolgen Ausführungen zur heilpädagogischen Pflege, in denen neben Pflege im Allgemeinen auch auf mögliche Besonderheiten in der Pflege von Menschen mit Behinderung, teilhabeorientierte Pflege sowie Pflegeprozessplanung eingegangen wird. Es folgen Kapitel zu basalem Arbeiten sowie zur Förderung von Wahrnehmung und Orientierung. Das Kapitel „Anregung und Unterstützung kommunikativer Prozesse“ (S. 313 ff.) enthält unter anderem umfangreiche Ausführungen zu verschiedenen Formen unterstützter Kommunikation sowie zu Möglichkeiten zur Unterstützung kommunikativer Prozesse von Menschen mit Behinderung untereinander. Nach Kapiteln zu Verhaltensauffälligkeiten, kreativ-musischem Arbeiten sowie zur Aktivierung und Förderung der Bewegung endet das Buch mit dem Kapitel „Zusammenfassung: Heilerziehungspflegerisches Handeln in der komplexen Gestaltung einer Alltagssituation“ (S. 375 ff.). In diesem wollen die Autor*innen „eine solche Alltagssituation als komplexe Handlungssituation darstellen und die verschiedenen darin enthaltenen heilerziehungspflegerisch bedeutsamen Aspekte aufzeigen“ (S. 375). Zu diesem Zweck wird anhand einer gemeinsamen Mahlzeit als Beispiel für alltägliche Situationen die Komplexität einer solchen Situation aus heilerziehungspflegerischer Sicht verdeutlicht und zudem ein Überblick über die Vielzahl an Handlungsmöglichkeiten gegeben, die sich aus dieser Situation ergeben.

Diskussion

Zur Diskussion lohnt sich ein erneuter Blick auf das eingangs bereits dargestellte Ziel des vorliegenden Buches, als Lehrbuch „das für die Praxis der Heilerziehungspflege fundamentale Wissen in kompakter Form darzustellen“ (S. 12). Dieses Ziel kann nach Durchsicht des Buches als erreicht betrachtet werden.

Der Aufbau des Buches, der sich von theoretischen Grundlagen über die Betrachtung der Lebenswelt von Menschen mit Behinderung bis hin zu konkreten Aspekten heilerziehungspflegerischen Handelns in der Berufspraxis entwickelt, erscheint nachvollziehbar und sinnvoll. Die Inhalte werden durch die Autor*innen durchgehend verständlich vermittelt, was jedoch nicht auf Kosten der Komplexität in der Darstellung theoretischer Zusammenhänge geschieht.

Den Lehrbuchcharakter erhält das vorliegende Buch insbesondere durch regelmäßige Reflexionsfragen und Übungen (die sich jedoch auf die ersten beiden Teile des Buches beschränken) sowie durch konsequente Bezugnahme auf die Bedeutung der jeweiligen Themen im Hinblick auf heilerziehungspflegerisches Handeln. Durch diese Verdeutlichung der den Themen immanenten Bedeutung für die Berufspraxis gelingt es den Autor*innen durchgehend, ein hohes Maß an Praxisbezug herzustellen und den Transfer der theoretischen Inhalte in die Berufspraxis zu erleichtern.

Ausdrücklich nicht Ziel des vorliegenden Buches ist es, Fachbücher für die in den einzelnen Kapiteln behandelten Themen zu ersetzen. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, verweisen die Autor*innen jedoch immer wieder auf einschlägige Fachpublikationen, die Leser*innen eine Vertiefung und eingehendere Auseinandersetzung mit den verschiedenen Themen ermöglichen.

Fazit

Die vorliegende Veröffentlichung kann zusammenfassend als gelungenes Ergebnis der von den Autor*innen beschriebenen „Zusammenarbeit von Ausbildungspraxis und Wissenschaft“ (S. 11) bezeichnet werden, das sein selbst gesetztes Ziel erreicht und Leser*innen einen umfangreichen Überblick über die Theorie und Praxis der Heilerziehungspflege bietet. Somit kann es in der Ausbildung befindlichen sowie bereits in der Praxis tätigen Heilerziehungspfleger*innen, darüber hinaus jedoch auch anderen Auszubildenden, Studierenden sowie professionell Tätigen aus dem Bereich der Behindertenhilfe empfohlen werden.

Rezension von
Sebastian Schiwy
Heilerziehungspfleger, Sozialarbeiter/-pädagoge
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Es gibt 4 Rezensionen von Sebastian Schiwy.

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ISSN 2190-9245