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David Klemperer: Sozialmedizin - Public Health - Gesundheits­wissenschaften

Rezensiert von Prof. Dr. med. Hanns Rüdiger Röttgers, 01.04.2021

Cover David Klemperer: Sozialmedizin - Public Health - Gesundheits­wissenschaften ISBN 978-3-456-86016-9

David Klemperer: Sozialmedizin - Public Health - Gesundheitswissenschaften. Lehrbuch für Gesundheits- und Sozialberufe. Hogrefe AGHogrefe AG (Bern) 2020. 4., überarbeitete und erweiterte Auflage. 352 Seiten. ISBN 978-3-456-86016-9. D: 34,95 EUR, A: 36,00 EUR, CH: 45,50 sFr.

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Thema

Die Rückseite gibt als Ziel des Buches an „Gesundheit, Krankheit und das Gesundheitssystem verstehen, eine evidenzbasierte berufliche Praxis fördern!“ und richtet sich mit den Themen „Sozialmedizin, Public Health und Gesundheitswissenschaften“ vorwiegend an Fachpersonal im Gesundheits- und Sozialwesen sowie Personen in Ausbildung und Studium, adressiert aber auch eine weitere Leserschaft „…alle an grundlegenden Fragen der Gesundheit…Interessierten“.

Autor

Der Autor ist u.a. Internist und Facharzt für Öffentliches Gesundheitswesen und war bis 2019 als Professor für Sozialmedizin, Public Health und Gesundheitswissenschaften an der TH Regensburg tätig. Er hat/hatte diverse Funktionen in Verbänden und Institutionen inne, die sich der Förderung der Prävention und der Evidenzbasierung im Gesundheitssektor verschrieben haben.

Aufbau und Inhalt

Dem Buch sind Geleitworte von Michael Marmot, einem maßgeblichen Public-Health-Experten aus Großbritannien, dem Gesundheitssoziologen Rolf Rosenbrock und dem Medizinkabarettisten Eckart von Hirschhausen vorangestellt. Die Vorworte von Marmot und Rosenbrock würdigen in angemessener Form die Bedeutung des Themas und die Verdienste des Buchs. Das Geleitwort von Eckart von Hirschhausen fällt bedauerlicherweise ab und trägt vor allem Selbstmarketing-Charakter.

Das Buch befasst sich dann in insgesamt 7 Großkapiteln mit den zentralen Themen der eng miteinander verwandten titelgebenden Disziplinen.

Kapitel 1, „Public Health“, liefert zudem eine wertvolle historische Perspektive, in Kapitel 2 „Gesundheit und Krankheit“ werden Definitionen, Theorien und Modelle zunächst wissenschaftstheoretisch eingeordnet und dann anhand des aktuellen Diskussionsstands im Detail dargestellt. Hier kennzeichnet Klemperer verbreitete Begriffe wie „Ganzheitlichkeit“ zutreffend als wissenschaftlich nicht tragfähig und ordnet z.B. die Homöopathie in großer Gelassenheit als „eine von mehreren Formen von Placebo“, keinesfalls aber als ein ernstzunehmendes gesundheitliches Theoriesystem, ein. Hieran knüpft das Kapitel 3: „Evidenzbasierte berufliche Praxis“ an. Klemperer arbeitet überzeugend heraus, warum Evidenzbasierung eine unverzichtbare Basis jeglichen zweckgerichteten Handelns ist. Das Kapitel stellt in Klarheit und Differenziertheit ein positives Alleinstellungsmerkmal unter vergleichbaren Lehrbüchern im deutschen Sprachraum dar.

Kapitel 4 und 5 befassen sich mit der zentralen Disziplin der Epidemiologie sowie den Arbeitsfeldern der Prävention und Gesundheitsförderung. Besonders gelungen sind die Ausführungen zu statistischen und epidemiologischen Methoden; hier trägt der Autor vorbildlich zur „health literacy“ der Fachkräfte bei. Kapitel 6 greift das sozialmedizinisch und -politisch zentrale Thema der gesundheitlichen Ungleichheit auf und schildert nach der theoretischen Einführung konkrete Programme und Strategien aus Deutschland und Großbritannien.

Kapitel 7 schließt das Buch mit einer Darstellung verbreiteter Gesundheitssysteme ab. Hier wäre die Klarstellung wünschenswert gewesen, dass der Betrachtungsrahmen lediglich entwickelte westliche Demokratien umfasst – damit blendet der Autor die Lebenswirklichkeit von mehr als 80 % der Weltbevölkerung aus. Dass immerhin das Gesundheitssystem der DDR kurz angesprochen wird, ist positiv hervorzuheben- in diesem Abschnitt allerdings verlässt den Autor sein ansonsten kritischer Blick. Das Gesundheitssystem der DDR als „Produkt der Forderungen der Arbeiterbewegung der Weimarer Republik“ zu idealisieren, ist vielleicht noch zu akzeptieren, obwohl zu bezweifeln ist, dass der zitierte Alfred Grotjahn die Praxis „egalitäre Mangelversorgung für die Bevölkerung, teure Hochleistungsmedizin für die kommunistischen Kader“ gebilligt hätte. Was aber in jedem Falle fehlt, ist der Hinweis darauf, dass die Lebenserwartung in der DDR etwa fünf Jahre unter der Westdeutschlands lag und sich nach der Wiedervereinigung mittlerweile angeglichen hat – ein wesentlicher Teil dieses Fortschritts für die gesamte Bevölkerung ist dem deutlich leistungsfähigeren „westlichen“ Gesundheitssystem und einem effektiven gesundheitlichen Arbeitsschutz im demokratischen Sozialstaat Bundesrepublik zuzuschreiben.

Diskussion

Das Buch erhebt den Anspruch, „umfassendes und komplexes Grundlagenwissen, kompakt, kritisch und auf den Punkt gebracht“ zu bieten.

Dieser Anspruch wird weitestgehend erfüllt. Wie schon die Vorauflagen zeichnet sich der „Klemperer“ in der 4. Auflage durch eine solide und stets aktuelle Faktenbasis aus. Die deskriptiven Kapitel zu Krankheitsmodellen, Epidemiologie, Prävention und Gesundheitsförderung sind auf dem neuesten Stand; der Autor trennt vorbildlich Beschreibung von Bewertung. Auch gesellschaftlich brisante Themen wie soziale Ungleichheiten von Gesundheit, Versorgung und Gesundheitsverhalten werden zunächst materialreich eingeführt; nur auf der Basis von Fakten sind Diskussionen ja weiterführend. Dabei verbirgt der Autor mit seinen Bewertungen etwa zur Privaten Krankenversicherung nicht seine eigene weltanschauliche Position, trennt die nachgestellte „kritische Würdigung“ aber von der jeweiligen Sachdarstellung.

Das sprachliche Niveau findet eine gelungene Balance zwischen notwendig anspruchsvoller Terminologie einer- und ausreichender Verständlichkeit für ein Publikum, das sich teils noch in Ausbildung oder Studium befindet, andererseits.

Die übersichtliche graphische Aufbereitung und die reichhaltige Ausstattung mit Abbildungen fördern den Rezeptionsprozess, zentrale Begriffe werden in farbig unterlegten Kästen erläutert.

Positiv ist weiterhin das umfangreiche Literaturverzeichnis, das neben „Klassikern“ auch aktuellste Publikationen umfasst, sodass auch das Interesse an einer Vertiefung einzelner Aspekte sehr gut unterstützt wird.

Einziger Wunsch an den Verlag wäre, nachdem Layout und optische Gestaltung die Lektüre zum Vergnügen machen, der kommenden Auflage eine noch konsequentere Endredaktion zu gönnen.

Rechtschreibung und Interpunktion sind zwar überwiegend fehlerfrei. Einige Flüchtigkeitsfehler („US-Bundesstatten“ statt „US-Bundesstaaten“, S. 210) und ein willkürlicher Umgang mit dem Thema „Gendern“ sind allerdings störend. Gerade in einem Werk, das gesundheitliche Sachverhalte schildert, die je nach biologischen Geschlecht stark variieren können, ist es ärgerlich, wenn „Sternchengendern“ („Alterskamerad*innen“) sowie generische Pluralformen aller grammatischen Genera (Personen, Opfer, Arbeitnehmer) ohne erkennbare Systematik nebeneinander eingesetzt werden. Im Einzelfall bleibt dem Leser (generisch !) dann nur, aus dem Kontext zu erschließen, ob eine Pluralform generisch, also alle biologischen Geschlechter einschließend, oder doch ein biologisches Geschlecht markierend gemeint ist. Sprachwissenschaftlich sind im Deutschen grammatisches Genus und biologischer Sexus voneinander unabhängig (die Koryphäe, der Ladendieb); wenn das Verlagslektorat das aus möglicherweise lobenswerten, aber eben nicht-linguistischen Motiven dennoch unterstellt, sollte das nicht zur inhaltlichen Verwirrung über das jeweils Gemeinte in einem wissenschaftlichen Fachbuch führen.

Fazit

Das Buch trägt den Charakter eines Lehrbuchs mit systematischer Darstellung zentraler Definitionen und des aktuellen Wissensstands zu einem Thema, ergänzt ggfs. um historische Herleitungen und/oder Fokussierungen auf die Situation in Deutschland. Konsenspunkte und Kontroversen werden umfassend und kompetent dargestellt.

Inhaltliche Tiefe und fachliches Niveau des „Klemperer“ markieren insgesamt die Spitze der deutschsprachigen Kurzlehrbücher zu Sozialmedizin, Public Health und Gesundheitswissenschaften.

Der „Klemperer“ kann sowohl für akademische wie nichtakademische Gesundheits- und Sozialberufe, aber beispielsweise auch für Medizinjournalisten und andere Medienberufe, die sich mit Gesundheitsthemen befassen, uneingeschränkt empfohlen werden; dem Buch sind noch viele weitere Auflage zu wünschen.


Rezension von
Prof. Dr. med. Hanns Rüdiger Röttgers
Politikwissenschaftler (M.A.) und Mediziner (Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Öffentliches Gesundheitswesen, Umweltmedizin), Lehrgebiet Gesundheitswissenschaft und Sozialmedizin, Leiter des Masterstudiengangs Therapie, Förderung, Betreuung (Clinical Casework) – Psychosoziale Hilfen für gesundheitlich gefährdete, erkrankte und behinderte Menschen, Fachbereich Sozialwesen, Fachhochschule Münster.
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Es gibt 10 Rezensionen von Hanns Rüdiger Röttgers.

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Zitiervorschlag
Hanns Rüdiger Röttgers. Rezension vom 01.04.2021 zu: David Klemperer: Sozialmedizin - Public Health - Gesundheitswissenschaften. Lehrbuch für Gesundheits- und Sozialberufe. Hogrefe AGHogrefe AG (Bern) 2020. 4., überarbeitete und erweiterte Auflage. ISBN 978-3-456-86016-9. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/27849.php, Datum des Zugriffs 24.09.2023.


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