Christian Grube, Thomas Flint (Hrsg.): SGB XII - Sozialhilfe mit Eingliederungshilfe
Rezensiert von Hans-Joachim Dörbandt, 02.03.2022
Christian Grube, Thomas Flint (Hrsg.): SGB XII - Sozialhilfe mit Eingliederungshilfe (SGB IX Teil 2) und Asylbewerberleistungsgesetz. Kommentar. Verlag C.H. Beck (München) 2020. 7. Auflage. 1610 Seiten. ISBN 978-3-406-75267-4. 109,00 EUR.
Thema
Aufgrund grundlegender gesetzlicher und auch organisatorischer Veränderungen bedurfte es der 7. Auflage dieses Kommentars zum SGB XII. Die beiden bisherigen Herausgeber – Christian Grube und Volker Wahrendorf –, die diesen Kommentar aus der Taufe gehoben und über sechs Auflagen geprägt haben, sind als Herausgeber und auch als Autoren bei dieser Neuauflage nicht mehr mit dabei. Darauf wird im Vorwort des Herausgebers hingewiesen. Dafür sind eine Reihe neuer Autorinnen und Autoren hinzugekommen, die erstmals zu dieser Auflage beigetragen haben.
Eine wesentliche rechtliche Veränderung ergab sich dadurch, dass die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, die bis zum 31.12.2019 ein Bestandteil des SGB XII von hoher rechtstatsächlicher Relevanz war, seit dem 01.01.2020 als Eingliederungshilferecht Gegenstand des SGB IX geworden ist. Dennoch ist die Eingliederungshilfe dem vorliegenden Kommentar nicht verloren gegangen. Auch der neue Grube/​Wahrendorf/​Flint will für alle, die in Angelegenheiten der Sozialhilfe nach dem SGB XII einschließlich der Angelegenheiten des Eingliederungshilferechts nach Teil 2 des SGB IX und des AsylbLG tätig sind, in einem Band ein verlässlicher Ratgeber sein. Die Gesetzgebung ist mit Stand 30.04.2020 den Kommentierungen zugrunde gelegt, Rechtsprechung und Literatur sind bis 31.01.2020 und teils noch darüber hinaus berücksichtigt.
Ganz allgemein vorgestellt regelt das SGB XII das Sozialhilferecht in Deutschland und zugleich die Regelungen über die Grundsicherung im Alter. Sozialhilferechtlichen Bestimmungen des SGB II werden integriert und in der Kommentierung des SGB XII erläutert, soweit das SGB XII entsprechende Vorschriften enthält. Insbesondere wegen der sachlichen Nähe wird auch das AsylbLG hier kommentiert. In den Erläuterungen der Vorschriften wurde besonderer Wert darauf gelegt, die dogmatischen und systematischen Zusammenhänge zu verdeutlichen. Dabei ist auf eine klare und verständliche Sprache geachtet worden, die auch der juristische Laie gut verstehen kann. Bei rechtlichen Streitfragen soll die Kommentierung präzise Antworten geben und sich dazu vornehmlich an der Rechtsprechung des BSG und der Obergerichte orientieren.
Ob Sozialhilferecht nur das ist, was im SGB XII – Sozialhilfe – geregelt ist, darüber lässt sich streiten. Nicht streiten lässt sich darüber, dass nach § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit entscheiden über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Sozialhilfe „einschließlich der Angelegenheiten nach Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch“ und des AsylbLG. Diese Rechtswegzuweisung fasst das SGB XII, das Eingliederungshilferecht des Teils 2 des SGB IX und das AsylbLG thematisch zusammen. Diese Zusammenfassung findet sich noch in weiteren Vorschriften des SGG. Sie ist unter nüchtern-positivistischer Perspektive eine Antwort auf die Frage danach, was Sozialhilferecht ist, die diesen Kommentar leitet: Auch nach der Aufnahme des Eingliederungshilferechts in das SGB IX ist dieses Recht nach wie vor Teil des Sozialhilferechts ebenso wie das Asylbewerberleistungsrecht nach dem AsylbLG. Die engen tradierten Verbindungslinien zwischen den Teilen, die das Wort Sozialhilferecht nur auf einen Begriff bringt, bestehen fort: der gemeinsame verfassungsrechtliche Kern des Rechts der Existenzsicherung als gesetzgeberische Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, die Individualisierung der Rechte auf soziale Hilfen als Reaktionen auf kritische Lebenslagen, die kommunale Umsetzungsverantwortung, die Abgrenzung zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II. Das so verstandene Sozialhilferecht ist das, was nachfolgend den Gegenstand der Kommentierungen bildet und in das hier eingeführt werden soll.
Herausgeber und Mitautoren
Der Herausgeber, Prof. Dr. Thomas Flint, ist Richter am Bundessozialgericht. Die Mitautoren sind Richterinnen und Richter aus diversen Instanzen. Sie sind zum Teil aus den bisherigen sechs Auflagen bekannt:
- Dr. Karin Bieback, Richterin am Landessozialgericht Hamburg,
- Dr. Jörg Deckers, Richter am Landessozialgericht Essen,
- Prof. Dr. Thomas Flint, Richter am Bundessozialgericht,
- Dr. Kathrin Giere, Richterin am Landessozialgericht Hamburg,
- Dr. Silke Hamdorf, Richterin am Sozialgericht Kiel,
- Dr. Anders Leopold, Richter am Landessozialgericht Hamburg,
- Dr. Tobias Richter, Richter am Sozialgericht Münster,
- Klaus Streichsbier, Präsident des Verwaltungsgerichts Oldenburg a.D.
- und Dr. Antje Wrackmeyer-Schoene, Richterin am Sozialgericht Dessau-Roßlau.
Aufbau und Inhalt
Ein Vorwort zur 7. Auflage, ein Bearbeiterverzeichnis, ein Verzeichnis der ausgeschiedenen Bearbeiter, ein Inhaltsverzeichnis, ein Abkürzungsverzeichnis, eine Zitierung der Landessozialgerichte und ein Literaturverzeichnis sind dem Buch vorangestellt.
Auch die siebente Auflage ist wie ein klassischer juristischer Kommentar aufgebaut. Die Gesetzestexte von SGB XII, SGB IX-Teil 2 und des Asylbewerberleistungsgesetzes sind den Kommentierungen jeweils vorangestellt. Das ist als sehr zweckmäßig zu bewerten, denn so hat der suchende Leser jederzeit die Möglichkeit darauf zurückzugreifen, wenn er das beim Studium des Kommentars benötigt. Im Folgenden ist jeder einzelne Paragraf zunächst in fetter Schrift zwecks Abhebung vom restlichen Text abgesetzt worden. Jeder einzelnen Vorschrift folgt ein kurzes Übersichtsverzeichnis mit vorangegangener Schrifttumsangabe und Angabe der Randnummern, um sodann im Anschluss daran die Kommentierung des jeweiligen Paragrafen folgen zu lassen.
Das SGB XII im Teil A der Kommentierung gliedert sich in insgesamt achtzehn Kapitel mit insgesamt 145 Paragrafen (die Paragrafen 142 bis 145 sind allerdings zwischenzeitlich aufgehoben worden), die in den folgenden Kapiteln mit den jeweiligen Abschnitten sehr ausführlich kommentiert werden:
- Kapitel – Allgemeine Vorschriften
- Kapitel – Leistungen der Sozialhilfe
- Kapitel – Hilfe zum Lebensunterhalt
- Kapitel – Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
- Kapitel – Hilfen zur Gesundheit
- Kapitel – (weggefallen)
- Kapitel – Hilfe zur Pflege
- Kapitel – Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten
- Kapitel – Hilfe in anderen Lebenslagen
- Kapitel – Vertragsrecht
- Kapitel – Einsatz des Einkommens und des Vermögens
- Kapitel – Zuständigkeit der Träger der Sozialhilfe
- Kapitel – Kosten
- Kapitel – Verfahrensbestimmungen
- Kapitel – Statistik
- Kapitel – Übergangs- und Schlussbestimmungen
- Kapitel – aufgehoben
- Kapitel – aufgehoben
Das SGB IX (Teil 2) im Teil B des Kommentars besteht aus elf Kapiteln mit insgesamt 150 Paragrafen:
- Kapitel – Allgemeine Vorschriften
- Kapitel – Grundsätze der Leistungen
- Kapitel – Medizinische Rehabilitation
- Kapitel – Teilhabe am Arbeitsleben
- Kapitel – Teilhabe an Bildung
- Kapitel – Soziale Teilhabe
- Kapitel – Gesamtplanung
- Kapitel – Vertragsrecht
- Kapitel – Einkommen und Vermögen
- Kapitel – Statistik
- Kapitel – Übergangs- und Schlussbestimmungen
Das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) im Teil C des Kommentars besteht aus 15 Paragrafen ohne eine kapitelmäßige Unterteilung.
Den Schluss des Gesamtkommentars bildet ein ausführliches Sachverzeichnis.
Diskussion
Der vorliegende Kommentar orientiert sich sachgerecht an dem Aufbau der zuvor erläuterten Gesetze, sodass sich der suchende Leser direkt den ihn interessierenden Ausführungen oder Vorschriften zuwenden kann. Die Aktivitäten des Gesetzgebers haben die Autoren wie schon in den Vorauflagen des Kommentars dazu bewegt, einen an den Bedürfnissen der Praxis ausgerichteten Kommentar zum SGB XII, dem SGB IX-Teil 2 und dem AsylbLG zu verfassen. Dem Ratsuchenden bzw. dem Rechtsanwender soll mit damit ein Werkzeug für die Praxis an die Hand gegeben werden. Die Rechtsprechung steht deshalb im Vordergrund. Allerdings werden dadurch bestimmte Auffassungen der Autoren und ihre eigene Meinung nicht ausgeschlossen. Durch weiterführende Literaturhinweise ist es dem Benutzer möglich, sich bei besonders schwierigen Rechtsproblemen vertiefend einarbeiten zu können. Muster und Beispiele tragen dazu bei, dem Anwender die Schwierigkeiten und „Rechts-Tücken“ des formellen Rechts aufzuzeigen und transparent zu machen. Diese sehr praxisorientierte Neuauflage des Kommentars beantwortet sicher und zuverlässig alle wesentlichen Fragen. Die Strukturierung der Vorschriften und ihre Erörterungen sind ausgezeichnet gelungen.
Der Kommentar kommt in einem handlichen Format der „Gelben Erläuterungsbücher“ des C. H. Beck Verlages. Trotz der hohen Seitenzahl von mehr als 1.600 Seiten ist er damit gut mobil zu nutzen. Er kann aber auch als stationäres Nachschlagewerk dienen. Ohne jede Abstriche kann er gleichwohl wie bisher den Anspruch eines „Großkommentars“ erheben. Alles in allem ist es dem Herausgeber und seinen Mitautoren gelungen, ein umfassendes, aktuelles und letztlich auch preiswertes Handwerkszeug zur Verfügung zu stellen, das, wie die sechs Vorauflagen, ohne Wenn und Aber als Standardwerk zu bezeichnen ist.
Der Kommentar ist ohne Zweifel insgesamt betrachtet sehr zu empfehlen. Er erläutert das Recht verständlich, praxisnah und auf einem hohen fachlichen Niveau. Der Band wendet sich an Richter und Rechtsanwälte. Auch für Beschäftigte von Agenturen für Arbeit und anderen Behörden, wie bei den Sozialversicherungsträgern Beschäftigten, oder für Rechtsanwälte und auch Sozialgerichte ist er ein unverzichtbares Arbeitsmittel. Er ist daher jedem mit dem jeweiligen Recht befassten Praktiker zur Anschaffung zu empfehlen.
Fazit
Als Fazit kann abschließend Folgendes festgehalten werden: In der heutigen, einem schnellen Wandel unterlegenen Zeit einen einbändigen Kommentar zu Sozialrechtsgebieten herauszubringen, mag sicher ein Wagnis darstellen. Dennoch kann das mehr als geglückt bezeichnet werden. Die Kommentierungen bewegen sich durchweg auf einem sehr hohen Niveau, ohne in eine unverständliche Mengenerweiterung der komplexen Materie abzugleiten. Im Gegenteil: Die komplexgerechte Darstellung begegnet, gepaart mit einer schlüssigen und nachvollziehbaren Sprache sowie mit einer versierten und prononcierten eigenen Meinung der Autoren, den Anforderungen der fachlich orientierten Leserschaft. Der o. g. Zielgruppe des Werkes ist dringend anzuraten, diesen sachverständigen, meinungsstarken und trotz seines Umfanges immer noch handlichen Kommentar anzuschaffen.
Rezension von
Hans-Joachim Dörbandt
Fachautor in den Bereichen Pflege, gesetzliche Pflegeversicherung, gesetzliche Krankenversicherung
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Zitiervorschlag
Hans-Joachim Dörbandt. Rezension vom 02.03.2022 zu:
Christian Grube, Thomas Flint (Hrsg.): SGB XII - Sozialhilfe mit Eingliederungshilfe (SGB IX Teil 2) und Asylbewerberleistungsgesetz. Kommentar. Verlag C.H. Beck
(München) 2020. 7. Auflage.
ISBN 978-3-406-75267-4.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/27870.php, Datum des Zugriffs 11.09.2024.
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