Tobias Esch, Sonja Maren Esch: Stressbewältigung
Rezensiert von Gertrude Henn, 04.08.2021

Tobias Esch, Sonja Maren Esch: Stressbewältigung. Mind-Body-Medizin, Resilienz, Selbstfürsorge. MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft (Berlin) 2021. 3. Auflage. 184 Seiten. ISBN 978-3-95466-575-4. D: 29,95 EUR, A: 30,85 EUR, CH: 36,00 sFr.
Thema
Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um ein Manual zur Stressbewältigung und ganzheitlichen Gesundheitsförderung. In acht Modulen will es Menschen, die Hilfe im Umgang mit ihrem Stresserleben suchen ein vollständiges Basiscurriculum bieten. Gleichzeitig soll es BeraterInnen und TherapeutInnen als Anleitung dienen.
Autorin und Autor
Prof. Dr. med. Tobias Esch ist Leiter der Universitätsambulanz für Integrative Gesundheitsversorgung und Naturheilkunde an der Universität Witten/​Herdecke. Er gilt als ein Wegbereiter der Mind-Body-Medizin (MBM) in Europa.
Dr. med. Maren Esch ist ärztliche Therapeutin mit Schwerpunkt Tiefenpsychologische Psychotherapie und Achtsamkeitstherapie mit langjähriger Erfahrung in Prävention und integrativer Gesundheitsförderung. Sie ist Gründerin des MBM-Instituts (Institut für Mind-Body-Medizin).
Entstehungshintergrund
Durch das MBM Institut wurde ein achtteiliges Programm zur Stressbewältigung entwickelt, dessen Ansatz wissenschaftlich untersucht und in seiner Wirksamkeit nachgewiesen ist. Als Vorbild dient das wissenschaftlich evaluierte Programm zur Mind-Body-Medizin der Harvard Medical School von Prof. Dr. H. Benson. Ergänzt wurde es um Elemente der MBSR [1] nach Prof. Dr. J. Kabat Zinn.
Das Stressmanagement Programm wird bereits seit ca. 20 Jahren in Form des Präventionskurses „Gesund im Stress“ vermittelt. Er ist im Auftrag der gesetzlichen Krankenversicherung durch die Zentrale Prüfstelle Prävention zertifiziert. Als Manual soll es einem breiteren Leserkreis zugänglich werden und durch seinen modularen und klar strukturierten Aufbau auch das Selbststudium – unabhängig von einer Kursteilnahme – ermöglichen.
Aufbau
Neben einem Vorwort zur 3. Auflage 2021, zur 1. Auflage 2013 und einer ausführlichen Einleitung umfasst das Buch acht Kapitel entsprechend den acht Modulen des Kursprogramms. Jedes Modul enthält zu den thematischen Inhalten passende Übungen. Den Abschluss bildet ein umfangreicher Anhang mit Meditationsanleitungen, einfachen und bebilderten Yogaübungen sowie Adressen, Links und eine kleine Auswahl an vertiefender Literatur. Der Inhalt findet auf insgesamt 172 Seiten Platz.
Die Kapitel werden hier aufgezählt und im Abschnitt Inhalt näher ausgeführt.
- Modul 1: Stress und Einführung in die Stressbewältigung
- Modul 2: Entspannung
- Modul 3: Zeit-/​Selbstmanagement und Bewegung
- Modul 4: Achtsamkeit und Ernährung
- Modul 5: Soziales Netz: Freude, Stressabbau und Unterstützung durch das Umfeld
- Modul 6: Sprache und Ausdruck
- Modul 7: Selbsthilfe und Selbstheilung
- Modul 8: Rückfallprävention
Inhalt
Tobias und Sonja Maren Esch blicken auf die Schieflage zwischen Errungenschaften der modernen Welt und der Zunahme von modernen Stressoren. Sie beklagen ein Zuviel an Anspannung und Reizen und ein zu wenig an Ruhe, Muße und Bewegung. Stressmanagement wird verstanden als bewusster und aktiver Umgang mit den modernen Lebensbedingungen. Sie ermutigen mit der Botschaft zahlreicher Wege zu einer wirksamen Stressbewältigung.
Erläutert werden das Grundverständnis von Mind-Body-Medizin, Integrativer Medizin und Integrativer Gesundheitsförderung.
Mind-Body-Medizin versteht Körper und Geist als primäre therapeutische Instrumente. Sie können von jedem eingesetzt werden um auf die eigene Gesundheit Einfluss zu nehmen. Hierzu gibt es effektive Möglichkeiten zur Interaktion zwischen Gehirn, Geist, Körper und Verhalten. Sie verstehen die Mind-Body-Medizin als gleichberechtigte und ergänzende Säule zu medikamentösen Ansätzen und medizinischen Verfahren.
Integrative Medizin wird verstanden als Herangehensweise an Gesundheit und Heilung, die PatientInnen mit Wissen, Fähigkeiten und Unterstützung ausstattet und unterschiedliche Ansätze und Methoden kombiniert.
Integrative Gesundheitsförderung letztlich adressiert im Rahmen der Primärprävention Gesunde, deren gesunde Anteile und Potenziale gefördert werden sollen, damit eine Erkrankung erst gar nicht entsteht.
Zusammengefasst wird übergreifend von ganzheitlicher Medizin gesprochen.
Vorgestellt werden die vier Säulen des sogenannten BERN-Konzepts als Grundlage für eine gesundheitsgerechte Lebensweise:
- B – ehaviour: gesundes und stressreduzierendes Verhalten
- E – xercise: regelmäßige und ausreichende Bewegung
- R – elaxation: regelmäßige „innere Einkehr“ und Entspannung
- N – utrition: achtsamer Genuss und gesunde Ernährung
Die Autoren geben mit der Einleitung eine Bedienungsanleitung. Sie betonen die Praxis – also das Ausprobieren und Anwenden – um aus dem Manual einen Nutzen zu ziehen.
Modul 1: Stress und Einführung in die Stressbewältigung
Die freiwillige Selbstverpflichtung wird hervorgehoben. Sie erfordert die Bereitschaft, einmal wöchentlich einen „Manualtermin“ (60-90 Minuten) zu absolvieren und tägliche Praxis (20-30 Minuten).
Es wird der Frage „Was ist Stress?“ nachgegangen. Die Unterschiedlichkeit von Stressoren und die Sinnhaftigkeit der Stressreaktion werden erklärt. Die Bedeutung eines bewussten körperlichen Abbaus der angestauten Energie und regelmäßiger Entspannungsphasen wird vorgestellt. Die Autoren weisen in diesem ersten Kapitel – wie auch bereits im Vorwort – darauf hin, dass innere Haltung und Einstellung für das eigene Stresserleben mitentscheidend sind. Im Anschluss wird über Stresswarnsignale informiert. Das Modul schließt mit einem Übungsteil unter der Überschrift „Mit Stress leben lernen“.
Modul 2: Entspannung
Im zweiten Modul wird in das Thema Entspannung eingeführt. Man erfährt, wie Entspannung aktiv herbeigeführt werden kann und warum erst der Wechsel von Anspannung und Entspannung ein Gleichgewicht ermöglicht. Als einfache und wirksame Kurzentspannungsübung wird die Zwerchfellatmung angeleitet. Wie sich die Entspannungsantwort physiologisch und mental auswirkt wird etwas ausführlicher beschrieben. Es wird geschildert, welche wissenschaftlich nachgewiesenen Entspannungsverfahren wirksam sind und was allen Verfahren gemeinsam ist. Der theoretische Teil schließt mit Informationen zum Erlernen und Durchführen von Entspannungstechniken.
Im Praxisteil findet sich eine Meditationsanleitung, eine Reflexion der eigenen Entspannungspraxis sowie vertiefende Übungen. Die Übung „Neues und Gutes“, die alle folgenden Wochen begleitet, wird eingeführt. Sie soll die Aufmerksamkeit in der Wochenrückschau bewusst auf positive Aspekte lenken.
Modul 3: Zeit-/​Selbstmanagement und Bewegung
Modul 3 widmet sich zwei unterschiedlichen Themen. Zur Bedeutung von Rhythmen, Ritualen und einem guten Zeitmanagement wird in Kürze informiert. Als Technik wird das Eisenhower-Prinzip erläutert. Umfangreicher ist der Abschnitt zur Bewegung. Deren positive Auswirkungen werden dargestellt und Empfehlungen zu einer gesundheitsgerechten Bewegung gegeben. Als Hintergrundwissen werden verschiedene Formeln (Herzfrequenz, Kalorienverbrauch) und Übersichten beschrieben.
Im Übungsteil wird u.a. aufgefordert mehr Bewegung in den eigenen Alltag zu integrieren.
Modul 4: Achtsamkeit und Ernährung
Das Achtsamkeitsprinzip wird eingeführt als „bewusste und nicht-wertende Wahrnehmung der Gegenwart“ (S. 53). Achtsamkeit wird dabei als wichtiges Prinzip der Stressbewältigung verstanden und in seiner Wirkung auf Haltung und Erleben beleuchtet. Beispiele für formelle und informelle Praxis werden gegeben.
Das Prinzip der Achtsamkeit ist verbunden mit vielfältigen Erfahrungen über die Sinne. Genuss und Esskultur docken hier thematisch an. Der Zusammenhang zwischen Stress, Gesundheit und Ernährung wird unter die Lupe genommen und eine ausgewogene Ernährung als wichtige Stellschraube zur Stärkung der eigenen Gesundheit vorgestellt. Es folgen konkrete Vorschläge zu einer gesunden Ernährungsweise.
Im Praxisteil schließen sich verschiedene Achtsamkeitsübungen und Aufgaben mit Fokus auf Ernährung, Achtsamkeit und Entspannung an.
Modul 5: Soziales Netz: Freude, Stressabbau und Unterstützung durch das Umfeld
Tobias und Sonja Maren Esch beschreiben die stressreduzierende Wirkung eines sozialen Netzes und eines verlässlichen sozialen Umfelds. Ergänzend werden Resilienz und Kohärenz als wichtige menschliche Fähigkeiten zur Stressbewältigung inhaltlich vertieft. Hierzu gehört auch die Verwandtschaft von Resilienz mit der Fähigkeit zur Selbstregulation als grundlegendem Prinzip lebendiger Organismen.
Die LeserInnen erfahren eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Erhöhung der Resilienz bei Stressbelastungen und sollen damit eine „Imprägnierung gegen Stress“ erhalten. Im Übungsteil setzen sie sich u.a. mit dem eigenen sozialen Netz auseinander.
Modul 6: Sprache und Ausdruck
Der Zusammenhang von Sprache und Stress wird den LeserInnen verdeutlicht. Sie lernen, wie Denk- und Sprachverhalten durch Muster geprägt sind und welche Einstellungen und Glaubenssätze daraus resultieren können. Beispielhaft werden stressverstärkende Gedankenmuster beschrieben. Daraus ableitend wird erläutert, wie mit Hilfe der Kognitiven Umstrukturierung mehr geistige Flexibilität erlangt werden kann. Letztere führt zu einer angemesseneren Selbstverbalisation. Den LeserInnen werden sokratische Fragen angeboten um die eigenen Gedanken zu hinterfragen. Das ABCD-Modell nach Albert Ellis, dem Begründer der Rational-Emotiven Verhaltenstherapie, wird eingeführt und als Übung vorgeschlagen. Ergänzt werden weitere Coping-Strategien.
Modul 7: Selbsthilfe und Selbstheilung
Wie lassen sich die natürlichen Fähigkeiten zur Selbstheilung und Selbsthilfe, die in jedem liegen aktivieren? Wie lässt sich das Wissen um die eigene Gesundheit stärken bzw. wie kann das Wissen wieder entdeckt werden? Diesen Fragen gehen die Autoren in Modul 7 nach. Sie beleuchten dabei die eigenen Überzeugungen im Sinne einer Selbstwirksamkeitserwartung, welche die Selbstheilungskräfte positiv beeinflusst und die positive Kraft entsprechender Einstellungen und Gedanken. Abgerundet wird das Modul durch die Vermittlung naturheilkundlicher Selbsthilfestrategien. Dem Schlaf ist ein eigener Abschnitt gewidmet. Mitgefühl und Selbstmitgefühl und ein Anerkennen der eigenen Natur bilden den Abschluss.
Modul 8: Rückfallprävention
Im letzten Modul nehmen die Autoren noch einmal auf eine Reise durch das Manual mit. Sie fordern die LeserInnen mit einer Übung auf, ihren „Fallschirm als Rückfallschutz“ zu erarbeiten und sich ihre Schutzquellen bewusst zu machen. Ebenso sollen sie sich mit möglichen Stolpersteinen und Gegenmaßnahmen auseinandersetzen. Nach einer Erinnerungsliste mit den wesentlichen Dingen zur Stärkung von Widerstandskraft und Stressresistenz lenkt die letzte Übung des Manuals den Blick in die Zukunft mit der Übung „Was ich mir wünsche“.
Diskussion
Das Buch enthält eine Fülle von Informationen und Anregungen, wie Stressbewältigung im Alltag gelingen kann. Die einzelnen Module bauen aufeinander auf und sollen so als Selbstlernkurs absolviert werden. Die Autoren kommen mit wenig schwerlastiger Theorie aus. Die theoretischen Informationen sind pragmatisch und verständlich. Bilder und Beispiele sind gut gewählt und ermöglichen einen Zugang jenseits von Sprache. Die Querverbindungen der einzelnen Komponenten zur Stressbewältigung werden immer wieder hergestellt. Dabei wird nicht moralisiert oder verurteilt, wenn der eigene Weg ein anderer ist – sondern zu Verständnis und Geduld für sich selbst und einer Akzeptanz des eigenen Wegs geworben.
Als Selbstlernkurs setzt das Manual allerdings sehr viel Selbstdisziplin voraus. Ob dies wirklich gelingen kann sehe ich kritisch. Darüber hinaus sind gemeinsamer Austausch und Erfahrungslernen im Gruppensetting wichtige Eckpfeiler erfolgreicher Stressbewältigung.
Vermisst habe ich mehr und vertiefende Informationen über die Mechanismen der Stressreaktion und zur Stressphysiologie. Kortisol – als problematisches Stresshormon findet keine Erwähnung – auch die Langzeitauswirkungen von chronischem Stress beispielsweise auf das Gehirn kommen zu kurz. Ebenso fehlt mir persönlich eine gründlichere Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Stressoren in Alltag und Beruf. Dies mag der pragmatischen Herangehensweise an die theoretischen Inhalte geschuldet sein. Für Kursleitungen ist das Buch daher tatsächlich „nur“ Basiscurriculum und Anregungsquelle und kann eine fundierte Ausbildung nicht ersetzen. Da es als Selbstlernkurs angelegt ist, werden auch keine methodisch-didaktischen Hinweise gegeben.
Um noch besser genutzt werden zu können wäre ein Stichwortverzeichnis hilfreich. Dieses fehlt leider.
Fazit
Das vorliegende Buch liefert grundlegende Informationen und Anregungen für alle, die sich für das Thema Stress interessieren und Hilfestellungen suchen. Als Selbstlernkurs unterstützt es Menschen, die in der Lage sind, sich selbstständig ein Thema zu erarbeiten. Für Fachleute hält es grundlegende Informationen und Anregungen bereit, die zu vertiefen sind.
[1] Mindfulness Based Stress Reduction
Rezension von
Gertrude Henn
Diplom-Sozialpädagogin, Entspannungs- & Stressmanagement-Trainerin
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