Martin Goldfriedrich, Klaus Hurrelmann: Gesundheitsdidaktik
Rezensiert von Prof. Dr. Gudrun Faller, 26.08.2021
Martin Goldfriedrich, Klaus Hurrelmann: Gesundheitsdidaktik. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2021. 550 Seiten. ISBN 978-3-7799-6371-4. D: 39,95 EUR, A: 41,10 EUR.
Thema
Das von Goldfriedrich und Hurrelmann herausgegebene Sammelwerk verfolgt das Ziel, den aus Sicht der Herausgeber längst überfälligen Schritt der Etablierung eines Schulfachs Gesundheit einzuleiten und eine theoriegeleitete Konzeption zur Gesundheitsdidaktik evidenzbasiert zu untermauern. Über alle Bildungsinstitutionen und Lebensphasen hinweg thematisiert der Band methodisch-didaktische Ansätze der Gesundheitserziehung und Gesundheitsbildung. Die Herausgeber wollen mit dem Werk eine interdisziplinäre Grundlage schaffen, die die Kommunikation in den Bereichen Gesundheits- und Bildungspolitik wie auch in der Bildungspraxis befördert und die Akteure der Gesundheitsdidaktik in Wissenschaft und Praxis zusammenführt.
Herausgeber
Dr. phil. Martin Goldfriedrich ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Inklusive Unterrichtsforschung im Fachgebiet Sonder- und Sozialpädagogik an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt. Ferner verfügt er über einschlägige praktische Erfahrungen als Lehrer in den Bereichen Grundschule sowie einer Fachschule für Wirtschaft und Soziales.
Dr. sc. pol. Klaus Hurrelmann ist Senior Professor of Public Health and Education an der Hertie School of Governance in Berlin. Bis 2009 war er an der Universität Bielefeld zunächst Professor für Sozialisation an der Fakultät für Pädagogik, später Professor für Prävention und Gesundheitsförderung an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften.
Aufbau
Das 506 Inhaltsseiten umfassende Sammelwerk enthält insgesamt 25 Einzelkapitel, die – mit Ausnahme des einführenden Grundlagenartikels der Herausgeber – in fünf Themenkomplexen zusammengefasst sind. Zu diesen zählen die Schwerpunkte ‚Erziehungswissenschaftliche Grundlagen der Gesundheitsdidaktik‘ (vier Beiträge), ‚Gesundheitswissenschaftliche Grundlagen der Gesundheitsdidaktik‘ (fünf Beiträge) ‚Gesundheitserziehung und -bildung im Vorschulbereich‘ (zwei Beiträge), ‚Gesundheitsunterricht im Schul- und Hochschulbereich‘ (zehn Beiträge) sowie ‚Gesundheitsbildung im außerschulischen Bereich‘ (drei Beiträge).
Inhalt
Mit ihrem Einleitungskapitel verfolgen die beiden Herausgeber die Intention, eine Grundlegung der wissenschaftlichen Diskussion zur Gesundheitsdidaktik vorzunehmen. In den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellen sie dabei die Frage, „wie sich die Gesundheitspädagogik entwickeln und konstituieren muss, wenn sie sich als Wegbereiter einer Gesundheitsdidaktik verstehen will“ (S. 12). Damit wollen die Herausgeber eine Diskussion rund um die Frage anstoßen, wie die Schule sich zukünftig mit einer regelmäßig stattfindenden, effektiven Gesundheitsförderung ausgestalten kann. Eine Antwort sehen sie in der Etablierung einer Gesundheitsdidaktik, die in ein Schulfach Gesundheit mündet. Hierzu skizzieren sie jeweils den aktuellen Entwicklungsstand der Gesundheitspädagogik sowie der Gesundheitsdidaktik und entwickeln auf dieser Basis die Konzeption eines Gesundheitsunterrichts und dessen Didaktik. Der dabei geschlagene Bogen umfasst die historische Entwicklung gesundheitspädagogischer Konzepte, Theorien und Begriffe von Gesundheit, von Bildung und Erziehung, den Stand der Empirie zur Wirkung gesundheitspädagogischer Konzepte ebenso wie die Charakterisierung wissenschaftstheoretischen und bildungspolitischen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen. Um eine auf diesen Prämissen basierende Konzeption des Gesundheitsunterrichts und dessen Didaktik zu skizzieren, definieren die Autoren die Kern-Werten eines Gesundheitsunterrichts und geben einen Überblick über einschlägige internationale Ansätze.
Der erziehungswissenschaftliche Schwerpunkt im Band umfasst u.a. Beiträge zu den Grundlagen der Gesundheitspädagogik und -didaktik, zur Curriculumsentwicklung für angehende Grundschullehrer*innen, zu inklusionspädagogischen Grundlagen zur Gesundheitsdidaktik sowie einen Aufsatz zum Verhältnis von Gesundheit, Schule und Sozialer Arbeit.
Der gesundheitswissenschaftliche Grundlagenteil wird eingeleitet mit einem Beitrag von Hoffmann, Tallarek und Spallek, die das Thema Gesundheitsunterricht in den Kontext des Problems der sozialen Ungleichheit stellen. Weitere Themen dieses Schwerpunktteils tangieren die Themen Gesundheitskompetenz, körperliches Wohlbefinden, Soziales Wohlbefinden und psychische Gesundheit – sowohl als Voraussetzungen wie auch als Ziele und Inhalte schulischer Bildung.
Die folgenden drei Buchteile beschäftigten sich differenziert mit spezifischen Fragen der Gesundheitsdidaktik und -pädagogik in verschiedenen Settings. Beginnend mit dem Vorschulbereich über verschiedene schulische, ausbildungsbezogene und hochschulische Settings bis hin zu Institutionen der Gesundheitsversorgung und dem betrieblichen Kontext orientieren sich Konzept und Reihenfolge dieser Beiträge an der Lebenslaufperspektive. Inhaltlich schlagen sie den Bogen von der Darstellung konkreter Unterrichtsgegenstände über deren Vermittlung bis hin zu den gegebenen institutionell-strukturellen Verwirklichungschancen inklusive der Diskussion von Ambivalenzen und Optimierungsbedarfen. Bereichernd ist in diesem Zusammenhang auch der Blick über die Grenzen Deutschlands (Österreich, Polen) und Europas (China) ebenso wie die Auseinandersetzung mit aus diesen Darstellungen resultierenden Fragen, Impulsen und kritischen Aspekte.
Diskussion
Wie auch die Herausgeber in ihrer Einleitung betonen, wird mit dem Thema Gesundheitsdidaktik wissenschaftliches Neuland betreten, sodass sich der hier vorgestellte Band als ein Basiswerk zu einem noch wenig diskutierten Feld innerhalb der Gesundheitswissenschaften verstehen darf.
Hervorzuheben ist nicht nur die Breite und Vielfalt der enthaltenen Themen, sondern auch die Tatsache, dass neben der Darstellung gesicherten Wissens und methodischer Standards gleichermaßen auch Ambivalenzen und kritische Punkte angesprochen werden.
So stellt z.B. der Beitrag von Georg Hörmann Konzepte der Gesundheitspädagogik und -didaktik in den Kontext gesellschaftlicher Verhältnisse und fordert dazu auf, die gesellschaftliche Funktion des Gesundheitsmotivs samt der beteiligten Interessensgruppen kritisch zu reflektieren, um zu vermeiden, dass Gesundheitsförderung in pädagogischen Settings als quasi-normative Propaganda missverstanden wird (S. 56f).
Auch Stephanie Hoffmann, Marie Tallarek und Jacob Spallek heben in ihrem bereits erwähnten Beitrag darauf ab, dass es in Bildungseinrichtungen gemäß internationaler Empfehlungen darum gehen muss, neben der Vermittlung von Gesundheitswissen und Gesundheitskompetenz einen Beitrag zur Sensibilisierung für Diversität und soziale Determinanten zu leisten und zu einem kritischen Empowerment beizutragen, das die Kontrolle [benachteiligter] Menschen über ihre Gesundheit stärkt.
Fazit
Der Herausgeberband von Goldfriedrich und Hurrelmann beschäftigt sich mit dem bislang noch kaum erschlossenen Thema der Gesundheitsdidaktik. Ziel des Werks ist es, eine konzeptionelle Grundlage an der Schnittstelle der Themen Gesundheitspädagogik, Gesundheitsdidaktik und Gesundheitsunterricht zu schaffen, die als Grundlage für die interdisziplinäre Kommunikation und Weiterentwicklung des Themas dient. Neben Beiträgen zu den erziehungswissenschaftlichen und gesundheitswissenschaftlichen Grundlagen werden gesundheitsdidaktische und -pädagogische Fragestellungen entlang der Lernbiografie von Menschen aufbereitet und anhand eines breiten Spektrums damit verbundener Fragestellungen erörtert.
Rezension von
Prof. Dr. Gudrun Faller
MPH, Professorin für Kommunikation und Intervention im Kontext Gesundheit und Arbeit an der Hochschule für Gesundheit in Bochum
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Zitiervorschlag
Gudrun Faller. Rezension vom 26.08.2021 zu:
Martin Goldfriedrich, Klaus Hurrelmann: Gesundheitsdidaktik. Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2021.
ISBN 978-3-7799-6371-4.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/27885.php, Datum des Zugriffs 09.11.2024.
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