Bernhard Stahl: Internationale Politik verstehen
Rezensiert von Dr. rer. pol. Hansjörg Bucher, 03.08.2021
Bernhard Stahl: Internationale Politik verstehen. Eine Einführung. UTB (Stuttgart) 2020. 3. aktual. Auflage. 389 Seiten. ISBN 978-3-8252-8768-9. D: 27,00 EUR, A: 27,80 EUR, CH: 34,70 sFr.
Thema
Globalisierung ist einer der Megatrends unserer Zeit. Viele Entwicklungen wie der Klimawandel oder die aktuelle Pandemie betreffen die ganze Welt, machen nicht an Ländergrenzen halt. Globale Politik ist gefragt. In Ermangelung einer Weltregierung geschieht diese – mehr oder weniger erfolgreich – durch abgestimmtes Verhalten nationaler Administrationen und durch supranationale Institutionen, die internationale Beziehungen zu regeln versuchen und ihnen eine allgemeine Verbindlichkeit verleihen.
Autor
Bernhard Stahl ist seit 2010 Professor für Internationale Politik in Passau. Seine Forschungsinteressen liegen im Bereich vergleichende Außenpolitikforschung mit Schwerpunkt auf deutscher und französischer Außenpolitik, EU-Außenpolitik. Ein Gewinn für dieses Lehrbuch ist, dass er auch über eine ökonomische Ausbildung verfügt.
Entstehungshintergrund
Das Buch erschien erstmals im Jahr 2010. Die vorliegende dritte Auflage des Jahres 2014 enthält einige inhaltliche Ergänzungen (Syrienkrieg, Brexit) wie auch Aktualisierungen des Literaturverzeichnisses.
Das Lehrbuch gibt eine problemorientierte Einführung in die internationale Politik. Es spricht indes nicht nur die Studierenden der Politikwissenschaften an, denn es werden ‚ewige Fragen‘ gestellt, die jeden neugierigen Zeitgenossen beschäftigen. Dabei wird an beobachtbaren Ereignissen und Problemen angesetzt und werden Aufgabenstellungen für ausgewählte Politikfelder und Zeitabschnitte vorgestellt. Der Autor konzentriert sich auf Themen, die (1) Deutschland und Europa primär ansprechen oder (2) eine große Relevanz besitzen, weil sie weltweit viele Menschen betreffen. Die Themenauswahl orientiert sich wiederum an drei ‚Sachbereichen‘ der internationalen Politik (Sicherheit, Herrschaft, Wohlfahrt). Aus didaktischen Gründen geht der Autor induktiv vor: Sachverhalte werden zunächst beschrieben, danach erklärt, schließlich prognostiziert und bewertet mit daraus resultierenden Handlungsempfehlungen.
Aufbau und Inhalt
Der Hauptteil umfasst sechs Kapitel, davon ein in die Grundlagen einführendes und ein abschließend resümierendes Kapitel. Die anderen vier ‚Haupt‘-Kapitel befassen sich mit globalen Fragen (zweimal) sowie mit Krieg und Frieden. Die in den einzelnen Kapiteln jeweils angesprochenen Inhalte sind in ihrer Bearbeitung standardisiert, was zu einer didaktischen Erleichterung des Erkenntnisgewinns führt. Die durchgängige Abfolge in der Bearbeitung sind ein (1) Einstieg in das Thema, die (2) Leitfrage zum Thema, eine (3) Beschreibung des Sachstands und dessen (4) Analyse, eine (5) Erklärung und eine (6) Prognose bzw. die Erwartung des künftigen Geschehens, dessen (7) Bewertung sowie schließlich (8) Handlungsempfehlungen zur Beeinflussung dieses Geschehens und damit zu einer politisch gewollten Gestaltung der Zukunft.
Das Grundlagenkapitel (1.) besteht aus fünf Teilen mit einer Einführung (1.1), zwei Studien zur Theoriekritik (1.2; 1.5), die Bedeutung der Diplomatie für globales Regieren (1.3) sowie die Frage der Sicherheit samt Strategien zu deren Erlangung (1.4). Die Einführung ist methodisch orientiert. Sie liefert Definitionen zentraler Fachbegriffe, gliedert die Politikwissenschaft in Teilbereiche, benennt Querverbindungen zu und Überschneidungen mit Nachbardisziplinen.
Mit globalen Fragen befassen sich zwei Hauptkapitel (2.; 5.) mit insgesamt zehn Unterkapiteln. Am häufigsten wird dabei der Sachbereich der globalen Wohlfahrt diskutiert mit insgesamt vier Schwerpunktthemen: Welthandelsordnung (2.2), Finanzkrise (2.3), Klimapolitik (2.4, nach der Regenkatastrophe im Juli 2021 besonders ernüchternd für jeden Leser) sowie Entwicklungszusammenarbeit (5.4). Hinzu kommen das Regieren auf globaler Ebene durch internationale Institutionen (2.1) und deren Verfolgung universeller Normen (5.1) wie auch das Regieren auf nationaler Ebene, hier: die deutsche Außenpolitik (5.2). Weitere Unterkapitel bestehen aus Studien zu transnationalen Akteuren (in der Umweltpolitik, 2.5), zur Beurteilung von Politik (Deutschlands Flüchtlingskrise 2015, 5.3), zu Handlungsempfehlungen (die atomare Aufrüstung Irans, 5.5).
Der ‚Sachbereich Sicherheit‘ wird vornehmlich in den beiden Kapiteln ‚Krieg‘ (3.) und ,Frieden‘ (4.) abgehandelt. Die Sicherheit wird in Zusammenhang gesetzt mit der kollektiven Identität (3.1) und mit der Herrschaftsform Demokratie (4.1). Störungen und Bedrohungen der Sicherheit werden besprochen anhand von militärischen Interventionen (3.2), funktionalem Staatszerfall (3.4), Konflikteskalation (3.5) und Russlands außenpolitischem Wandel (3.6). Die Sicherung des Friedens durch regionales Regieren befasst sich mit zwei ‚Zonen des Friedens‘, und zwar der EU (4.2, 4.3) und der ASEAN in Südostasien (4.4). Schließlich enthalten diese beiden Kapitel noch drei Studien, eine methodische zur Verknüpfung von Theorien und Methoden (4.5), eine normative zur Beurteilung von Politik (5.3) und eine beratungsorientierte zur Verknüpfung von Politiktheorie und Handlungsempfehlungen (5.5).
Das Buch behandelt eine Vielzahl von politischen Theorien, nähert sich ihnen über geschichtliche Ereignisse und deren politische Bewältigung. Beispielhaft seien hier genannt destruktive Ereignisse wie Kriege, Konflikte und Krisen, als da sind der Kalte Krieg 1947 bis 1989, die Jugoslawien-Kriege 1991 bis 1999, der Irak-Krieg ab 2002, der Nahostkonflikt seit 1916, die Flüchtlingskrise ab 2015. Aber auch konstruktive Aktivitäten wie die schrittweise Errichtung einer Welthandelsordnung oder die Organisation einer Entwicklungszusammenarbeit werden in den Fokus genommen. Dabei gilt immer: Die Vorstellung von Theorien ist nicht das primäre Ziel des Lehrbuchs, vielmehr dienen Theorien als Werkzeug zum Verständnis beobachteter Phänomene, sie sollen sich der Problemorientierung unterordnen.
Diskussion
Der Band besitzt gute Eigenschaften eines Lehrbuchs. Dazu gehören neben der klaren Gliederung auch die Belegpraxis der verwendeten Literatur, ein Sachwörterverzeichnis und Kontrollfragen am Ende jedes Kapitels. Selbst der Blick von Außen wird angeregt durch diverse Filmtipps. Und auch die fünf Illustrationen von Beate Engelbrecht vor den ersten fünf Hauptkapiteln bewirken beim Betrachter einen Denkanstoß. Die Formulierung des Textes wurde nicht nur vom Autor vorgenommen, sondern auch von Studenten, Hilfswissenschaftlern, Tutoren, Lehrstuhlmitarbeitern und Doktoranden. Sie sind umfänglich in einem Mitarbeiterverzeichnis aufgeführt – sehr wohltuend für den Leser, denn das hat man auch schon anders erlebt.
Die Vielzahl der Mitarbeiter hat indes auch einen Einfluss auf die Lesbarkeit des Buches. Es entstand eine gewisse Heterogenität in der Ausdruckskraft und auch in der Klarheit der Texte für Außenstehende – also für Nicht-Politologen und interessierte Laien. Zwei Eigenschaften des Buches mildern glücklicherweise diese Schwächen ab. Das erste ist die durchgängige Gliederung in jeweils acht Unterpunkte bei der Bearbeitung der Teilkapitel. Das zweite ist die Fülle von Materialien, sind insbesondere die graphischen Darstellungen. Sie verschaffen dem Leser vielfach einen Erkenntnisgewinn, der sich durch die Wortkargheit einiger Beiträge etwas schwieriger gestaltet hätte.
Fazit
Bernhard Stahl, Professor für Internationale Politik legt in nunmehr dritter Auflage ein Lehrbuch vor, mit dem eine problemorientierte Einführung in die internationale Politik geleistet wird. Er konzentriert sich auf räumlich nahe liegende (europäische) Themen oder weltweit dringliche Probleme. Methodisch geht Stahl dabei induktiv vor: Sachverhalte werden zunächst beschrieben, danach erklärt, schließlich prognostiziert und bewertet mit daraus resultierenden Handlungsempfehlungen. Als drei Schwerpunkte für internationale Politik wählt Stahl die Bereiche Sicherheit, Herrschaft und Wohlfahrt.
Der Autor nennt in seinem Einstieg zur Konzeption des Buches
- ‚ewige Fragen‘ wie etwa, warum die Welt ungerecht ist und ob sie besser werden wird, warum wir hier in Frieden leben und nicht im Krieg;
- Aufgabenstellungen bestimmter Politikfelder, die uns helfen, Vergangenes zu verstehen und zu bewerten, Künftiges früh zu erkennen und womöglich zu beeinflussen.
Wer an solchen Fragen interessiert ist, diesen aber auch mit einem gewissen Theorieverständnis der Politischen Wissenschaften begegnen möchte, der findet in diesem Buch einen Gewinn.
Rezension von
Dr. rer. pol. Hansjörg Bucher
Jg. 1946, Diplom-Volkswirt (Universität Mannheim), Dr. rer. pol. (Westfälische Wilhelms-Universität Münster) war bis 2011 mehr als dreißig Jahre lang in der Politikberatung tätig als Mitarbeiter des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) bzw. dessen Vorgängerinstitutionen BfLR und BBR in Bonn-Bad Godesberg. Er war dort verantwortlich für den Aufbau des Prognosesystems ‚Raumordnungsprognose‘ zur Einschätzung von Eckwerten der künftigen räumlichen Entwicklung – als prospektiver Teil des räumlichen Beobachtungssystems ‚Laufende Raumbeobachtung‘. Seine inhaltlichen Schwerpunkte lagen im regionaldemographischen Bereich, betrafen aber auch die Wohnungsmärkte und die Arbeitsmärkte. Er war langjähriges Vorstandsmitglied in der Deutschen Gesellschaft für Demographie und auch deren Vorgängerin Deutsche Gesellschaft für Bevölkerungswissenschaft
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Es gibt 11 Rezensionen von Hansjörg Bucher.
Zitiervorschlag
Hansjörg Bucher. Rezension vom 03.08.2021 zu:
Bernhard Stahl: Internationale Politik verstehen. Eine Einführung. UTB
(Stuttgart) 2020. 3. aktual. Auflage.
ISBN 978-3-8252-8768-9.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/27900.php, Datum des Zugriffs 18.01.2025.
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