Ulrich Stangier, Schahryar Kananian et al.: Kulturell adaptierte Verhaltenstherapie
Rezensiert von Elisabeth Vanderheiden, 21.04.2021

Ulrich Stangier, Schahryar Kananian, Marwan Yehya, Devon E. Hinton: Kulturell adaptierte Verhaltenstherapie für Menschen mit Fluchterfahrung. Manual zur Stärkung von Resilienz und innerer Ausgeglichenheit.
Beltz Verlag
(Weinheim, Basel) 2020.
222 Seiten.
ISBN 978-3-621-28797-5.
44,95 EUR.
Mit Arbeitsmaterial.
Thema
Die Publikation stellt ein kulturell adaptiertes Training für Menschen mit Fluchthintergrund vor, das sprachliche Barrieren, kulturell geprägte Vorstellungen, psychische Probleme als Tabu und die Konzentration auf somatische Beschwerden als potentiell behindernde Faktoren für die Nutzung psychotherapeutischer Hilfsangebote in den Blick nimmt. Es werden ein niedrigschwelliges Behandlungsprogramm, verschiedene Elemente der Psychoedukation und der Ressourcenorientierung vorgestellt, in deren Mittelpunkt die Stärkung der Widerstandkraft und der inneren Ausgeglichenheit angesichts der vielfältigen Anforderungen und Belastungen stehen, mit denen sich Geflüchtete konfrontiert sehen.
Autor*innen
Prof. Dr. Ulrich Stangier ist Lehrstuhlinhaber für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der J. W. Goethe-Universität, Frankfurt am Main.
Schahryar Kananian, M.Sc. Psychologie ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Klinische Psychologie und Psychotherapie an der J. W. Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Marwan Yehya, B.Sc. Psychologie, ist Projektmitarbeiter der Psychosozialen Beratungsstelle für Flüchtlinge an der J. W. Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Devon E. Hinton ist Associate Professor of Psychiatry and Department of Global Health und Social Medicine Affiliate an der Harvard Medical School
Aufbau
Die Publikation setzt zwei inhaltliche Schwerpunkte:
- Psychische Belastungen von Menschen mit Fluchterfahrung
- Therapieprogramm.
Ein umfangreicher Anhang rundet die inhaltlichen Ausführungen ab.
Inhalt
Im ersten Teil des Buches fokussieren die Autor*innen auf drei inhaltliche Akzente:
- Einleitung
- Kulturelle Besonderheiten
- Belastungen und psychische Störungen bei Menschen mit Fluchterfahrung.
Im Einleitungsteil bieten die Autor*innen eine kurze Einführung in den Themenkomplex Krieg, Flucht, Asyl ein. Sie thematisieren kulturelle Besonderheiten und gehen dabei insbesondere auf verschiedene Kulturmodelle ein, die Rolle der Religionen, Vorstellungen von Familie und Sexualität sowie Wertevorstellungen von geflüchteten Menschen. Im Abschnitt Belastungen und psychische Störungen bei Menschen mit Fluchterfahrung werden vor allem kriegsbedingte Traumata, Posttraumatische Belastungsstörungen und Depressionen und andere psychische Störungen beschrieben, ebenso fluchtbedingte Traumata, Postmigrationsstressoren wie Angst vor Abschiebung. Auch thematisieren die Autor*innen die besondere Vulnerabilität bestimmter Gruppen, wie Kinder, Jugendliche und Frauen.
Im Kapitel Erklärungsansätze führen die Autor*innen ein prozessbasiertes Modell zur Erläuterung komplexer Traumatisierungsprozesse ein. Sie gehen dann auf Resilienz, vor allem in Hinblick auf Menschen mit Fluchthintergrund, ein. Im Anschluss stellen sie kulturelle Faktoren von Stress, psychischer Gesundheit und psychischer Störungen dar. Hier ist besonders interessant, dass sie auf einige sogenannte Idioms of Distress eingehen und Begriffe und Redewendungen in Farsi und Arabisch vorstellen, die psychische Leiden beschreiben. Abschließend wird der Fokus auf Besonderheiten hinsichtlich der psychotherapeutischen Versorgung von Menschen mit Fluchterfahrung beleuchtet.
Im dritten Kapitel erläutern die Autor*innen Details im Hinblick auf die Diagnostik, indem sie zunächst die Kooperation mit Dolmetscher*innen diskutieren. Sie verweisen darauf, dass durch diese die therapeutische Beziehung um eine dritte Person erweitert wird, die in der Praxis häufig nicht neutral ist, zudem entsteht oft eine intensive Beziehung zwischen Patient*innen und den Dolmetschenden. Daraus ergeben sich Chancen und Risiken, die es zu erkennen und zu steuern gilt. Es werden im weiteren Verlauf die Spezifika von Erstgespräch, Diagnosestellung und diagnostischen Verfahren erläutert.
Kapitel 4 konzentriert sich auf die Einführung in die Konzeption des kulturell adaptierten Training für Geflüchtete mit dem Fokus auf Förderung von Resilienz und Ressourcen.
Kapitel 5 stellt in Erweiterung und Konkretisierung dessen zahlreiche Ansätze und Methoden für das einzeltherapeutische Setting vor, z.B. zur Stärkung der Resilienz, zur Emotionsregulation, zum Erlernen von mehr Gelassenheit oder dem Umgang mit Wut. Dabei wird jeweils auf die Ziele der Intervention eingegangen, auf entsprechende Ressourcen im Sinne von Arbeitsblättern hingewiesen, das spezifische Vorgehen beschrieben und am Ende die wichtigste Erkenntnis noch einmal zusammengefasst in Form von sogenannten Schlüsselsätzen.
Kapitel 6 richtet den Blick auf gruppentherapeutische Kontexte. Neben einer entsprechenden Einführung werden zwölf Sitzungen vorgestellt. Diese folgen weitgehend dem Aufbau, der im fünften Kapitel bereits eingeführt wurde. Für die Sitzungen sind folgende Schwerpunkte vorgesehen:
- Resilienz verbessern
- Sich von schlechten Erinnerungen befreien
- Lebensenergie gewinnen
- Umgang mit Trauer
- Flexibler Körper, flexibler Geist
- Kulturelle Barrieren überwinden
- Gelassenheit erlernen
- Innere Ruhe durch Atmung
- Gesunder Schlaf
- Mit Ungewissheit umgehen können
- Stark sein ohne Wut
- Neue Wege
Das siebte Kapitel widmet sich störungsspezifischen Einzeltherapien, die sie kultursensitive Psychotherapie ergänzen können, z.B. insbesondere im Hinblick auf posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) und Depressionen. Dann würde der Fokus um die Kombination mit anderen Therapieansätzen erweitert, z.B. psychosoziale Beratung und Pharmakotherapie. Zum Abschluss des Kapitels werden Besonderheiten der Therapie von Jugendlichen erörtert. Die ist besonders bedeutsam, da etwa ein Drittel der Geflüchteten minderjährig ist, sodass hier nicht nur ein erhöhter Versorgungsbedarf besteht, sondern zudem auch besondere Herausforderungen zu bewältigen sind.
Kapitel acht stellt einige Studien und Metaanalysen vor, die sich der Erforschung der Kulturell adaptierten kognitiven Verhaltenstherapie gewidmet haben.
Das Buch schließt mit einer Sammlung von 27 Arbeitsblättern, sieben Handouts mit Körperübungen und dem Hinweis auf 14 Audiodateien (Deutsch, Farsi und Arabisch) ab, die auf der Verlagsseite abrufbar sind.
Diskussion
Die vorliegende Publikation bietet enorm hilfreiche Hintergrundinformationen und praktische Anregungen für die therapeutische und Beratungsarbeit mit Menschen mit Fluchthintergrund. Vor allem überzeugt die konsequente ressourcenorientierte Haltung. Berater*innen werden dieses Buch jedoch sicherlich nicht nur wegen der zahlreichen wertvollen Impulse schätzen, sondern besonders auch die Arbeitsblätter und Sounddateien in Deutsch, Farsi und Arabisch. So kann die Beratungs- und therapeutische Arbeit eine ganz besondere kultursensible Qualität erreichen und für Menschen mit Fluchthintergrund zu einer nachhaltigen Unterstützung und Hilfe werden. Positiv hervorzuheben ist ebenfalls, dass mit dem Erwerb des Printexemplares des Buches auch der kostenfreie Download des E-Books möglich ist.
Fazit
Die Autor*innen stellen einen kultursensible und ressourcenorientierte Therapieansatz vor, der theoretisch erörtert und mit Fallbeispielen ergänzt wird. Es werden Details für einzel- und gruppentherapeutische Settings bereitgestellt, die sich gut in die eigene therapeutische und Beratungspraxis integrieren lassen.
Rezension von
Elisabeth Vanderheiden
Pädagogin, Germanistin, Mediatorin; Geschäftsführerin der Katholischen Erwachsenenbildung Rheinland-Pfalz, Leitung zahlreicher Projekte im Kontext von beruflicher Qualifizierung, allgemeiner und politischer Bildung; Herausgeberin zahlreicher Publikationen zu Gender-Fragen und Qualifizierung pädagogischen Personals, Medienpädagogik und aktuellen Themen der allgemeinen berufliche und politischen Bildung
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