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Heribert Prantl: Kein schöner Land. Die Zerstörung der sozialen Gerechtigkeit

Rezensiert von Prof. Dr. Jost W. Kramer, 31.05.2005

Cover Heribert Prantl: Kein schöner Land. Die Zerstörung der sozialen Gerechtigkeit ISBN 978-3-426-27363-0

Heribert Prantl: Kein schöner Land. Die Zerstörung der sozialen Gerechtigkeit. Droemer Knaur (München) 2005. 207 Seiten. ISBN 978-3-426-27363-0. 12,90 EUR.

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Einführung in das Thema

Seit einiger Zeit wird seitens großer Unternehmen, der entsprechenden Verbände und nahestehender Politiker und Journalisten ein Abbau des Sozialstaats verlangt. Die Begründung geht tendenziell immer in dieselbe Richtung: Zu teuer, zu ineffizient, nicht mehr notwendig. Das ist, wenn man in der Geschichte zurückblickt, keineswegs ein neues Lied. Aber, wie Prantl betont, hat es die Wirtschaft noch nie so leicht gehabt wie heute, die Streichung des Sozialen zu fordern: "Die Gesellschaft wird zum Anhängsel des Marktes. Das Soziale zählt zu den Kosten, die zwar volkswirtschaftlich einiges, betriebswirtschaftlich aber nichts nutzen. Weil die Ratio des Neoliberalismus in der Verbetriebswirtschaftlichung des Gemeinwesens besteht, wird das Soziale getilgt." Und wird daran Kritik geübt, so rufen Journalisten wie Münchau (Financial Times Deutschland) im Namen der freien Marktwirtschaft zum Bürgerkrieg auf.

Auch Prantl hat sich geärgert, das merkt man ihm an. Aber anders als Lafontaine in seinem Buch "Politik für alle" oder Müntefering in seiner Kapitalismus-Kritik argumentiert Prantl fundiert. Er kritisiert die Standort-Debatte als einseitig und verurteilt die primitive Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Seine Ausgangsposition ist dabei diejenige eines überzeugten Anhängers der Sozialen Marktwirtschaft, wie sie jahrzehntelang die Bundesrepublik Deutschland geprägt hat. Vor diesem Hintergrund erläutert er zunächst den Sinn und die Notwendigkeit einer Sozialpolitik.

Aufbau und Inhalte des Buches

Das Buch ist untergliedert in sieben Kapitel.

  • Als erstes stellt Prantl den Sinn des Sozialstaates gegenüber jenen klar, die unter Verweis auf die Kosten immer wieder seinen Abbau fordern. Prantl hält ihnen entgegen: "Sozialstaat und Demokratie gehören zusammen, sie bilden eine Einheit. Wer den Sozialstaat beerdigen will, der muß ein Doppelgrab bestellen." (S. 32) Das Soziale in der sozialen Marktwirtschaft besteht darin, dass gerade die Armen und Schwachen trotz ihrer Armut und Schwäche keine Angst um ihre Existenz haben müssen. Zur Bewältigung der Herausforderungen, die die Zukunft bereithält, braucht man Mut und Kraft - beides ist leichter aufzubringen, wenn eine Absicherung für den Fall des Scheiterns besteht!
  • Auf diesem Grundbekenntnis aufbauend skizziert Prantl im zweiten Kapitel Wege, wie man den Sozialstaat bezahlen kann. Unter Verweis auf das Grundgesetzt - "Eigentum verpflichtet" - fordert er ein gerechteres Steuersystem, bei dem Vermögen im Allgemeinen und Bodenbesitz im Besonderen stärker besteuert wird. Auf diese Weise wird die Steuerlast zumindest teilweise von den Beschäftigten auf die Besitzenden verschoben.
  • Kapitel 3 geht auf die derzeitigen Tendenzen der Sozialpolitik ein und belegt, dass gerade jene Menschen besonders belastet werden, die solidarisch leben. Dazu zählt für Prantl an erster Stelle die Aufrechterhaltung des Generationenvertrages, bei dem "diejenigen, die mit Arbeit Geld verdienen, mit ihren Versicherungsbeiträgen die Alten ernähren und zugleich mit eigenem Nachwuchs dafür Sorge tragen, daß auch sie später im Alter von den nachfolgenden Generationen versorgt werden" (S. 69). Kinderlose brechen diesen Vertrag und profitieren im Alter trotzdem von ihm!
  • Gefördert werde, so Kapitel 4, unsolidarisches und unsoziales Verhalten darüber hinaus durch eine neue Scholastik in Wissenschaft und Medien. Neoliberales Gedankengut wird von nahezu allen vertreten, die an den entsprechenden Schaltstellen sitzen, während gegenläufige Meinungen als "Außenseiterpositionen" belächelt werden. Darunter leidet nicht nur der wissenschaftliche Diskurs, sondern auch die politische Diskussion verarmt und das Gebot der sozialen Gerechtigkeit (Kapitel 5) wird verdrängt.
  • Prantl hingegen sieht den Sozialstaat als einen Staat, der zumindest annähernd Chancengleichheit bietet, der Entwicklung - auch individuelle - ermöglicht. Dazu gehört insbesondere die Wieder-Einbeziehung all jener die in den letzten Jahren immer stärker ausgegrenzt wurden (Kapitel 6). Und so hält Prantl unter Verweis auf Demonstrationen in den letzten Jahren fest: "Die europaweiten Proteste fordern von ihren Regierungen, in einer globalisierten Welt für ein gewisses Maß an ökonomischem Anstand zu sorgen. ... In Westeuropa wächst der Reichtum und zugleich mit ihm die Armut. Das spricht nicht gegen, sondern für eine Reaktivierung des Sozialstaats." (S. 205).

Fazit und Anmerkungen

Prantls Buch führt die aktuellen Diskussionen, die zwischen Sozialneid-Vorwurf und fundamentaler Kapitalismus-Kritik hin und her wogen, auf eine sachliche Ebene zurück. Er vertritt seine Positionen mit Leidenschaft und Engagement, ohne dabei die Möglichkeiten und Instrumente zur Erreichung des von ihm Gewollten zu vernachlässigen. Sein Buch ist somit Streitschrift und Handlungsanleitung zugleich, wie nicht allein die Ausführungen zur Steuerpolitik belegen.

Eine große Verbreitung seines Buches ist wünschenswert, denn Prantl holt nicht nur den Sozialstaatsbegriff aus seiner Verbannung zurück, sondern macht bereits mit dem Zitat auf der Vorderseite des Buches die Problematik in ihrer ganzen Brisanz deutlich: "Der Sozialstaat ist Heimat. Beschimpfen kann ihn nur der, der keine Heimat braucht. Und den Abriß wird nur der verlangen, der in seiner eigenen Villa wohnt. Ob er sich dort noch sehr lange wohl fühlen würde, ist aber fraglich."

Rezension von
Prof. Dr. Jost W. Kramer
Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre Hochschule Wismar, Forschungsgruppe für Kooperation, Netzwerke und Unternehmenstheorie Adjunct Professor für Sozialwirtschaft, insbesondere Genossenschaftswesen, Universität Kuopio (Finnland)

Es gibt 49 Rezensionen von Jost W. Kramer.

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ISSN 2190-9245