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Katja Krolzik-Matthei, Torsten Linke et al. (Hrsg.): Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Traumatisierung

Rezensiert von Prof. Dr. Sara Blumenthal, 02.02.2021

Cover Katja Krolzik-Matthei, Torsten Linke et al. (Hrsg.): Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Traumatisierung ISBN 978-3-8379-3005-4

Katja Krolzik-Matthei, Torsten Linke, Maria Urban, Ulrike Busch, Harald Stumpe et al. (Hrsg.): Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Traumatisierung. Herausforderungen für die soziale Arbeit. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG (Gießen) 2020. 196 Seiten. ISBN 978-3-8379-3005-4. D: 24,90 EUR, A: 25,60 EUR.
Voß, Heinz-Jürgen (Herausgeber) Weller, Konrad (Herausgeber) Reihe: Angewandte Sexualwissenschaft - Band 27.

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Thema

Mit dem Sammelband „Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Traumatisierung. Herausforderungen für die Soziale Arbeit“ wird ein ethisch drängendes Thema behandelt, welches forscherisch bisher eher randständig war. Wissenschaftsgeschichtlich ist das Vorkommen und die Prävention sexueller Gewalt ein sehr junges Forschungsgebiet, denn die Bearbeitung sexueller Gewalt wurde erst durch die Arbeiten feministischer Wissenschaftlerinnen* in den 1980er initiiert (vgl. Baader 2019). Die mit dem Sammelband vorgelegte Forschung beleuchtet das Vorkommen von und den Umgang mit sexueller Gewalt auf unterschiedlichen Ebenen der Praxis der Sozialen Arbeit. Unter anderem wird auf sexuelle Gewalt bezogene Forschung zum Feld der ambulanten Hilfe zur Erziehung, zum professionellen Handeln sozialpädagogischer Fachkräfte sowie hinsichtlich sexueller Bildung für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen eingegangen.

Herausgebende

Die Hochschule Merseburg leistet seit den 1990er Jahren einen zentralen Beitrag zur Sexualwissenschaft und -pädagogik in Deutschland. Die Herausgeber*innen des Bandes Katja Krolzik-Matthei, Torsten Linke und Maria Urban sowie auch einige der Autor*innen der Beiträge sind mit dem Institut für Angewandte Sexualwissenschaft der Hochschule Merseburg assoziiert.

Entstehungshintergrund

Ein Ergebnis des „Runden Tischs Sexueller Kindesmissbrauch“ der deutschen Bundesregierung ist die Einrichtung der Förderlinie „Forschung zu sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in pädagogischen Kontexten“. Ein Ziel dieser forschungspolitischen Maßnahme liegt im Aufbau einer Wissenschaftslandschaft zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt (vgl. BMBF 2019). Der vorliegende Sammelband vereint nun Ergebnisse aus Forschungsprojekten, die im Rahmen dieser Förderlinie zwischen 2014 und 2020, unter anderem an der Hochschule Merseburg, durchgeführt wurden.

Aufbau

Nach einer Einleitung zum Entstehungshintergrund des Bandes werden 15 Beiträge präsentiert. Das Gros des Bandes machen „Inhaltliche Beiträge: Forschungsergebnisse“ aus. Gerahmt werden die Forschungsergebnisse von den Themenfeldern „Forschung zu sexualisierter Gewalt“ und „Transfer in Wissenschaft und Praxis“ sowie einem Ausblick.

Inhalt

Mit ihrem zweiteiligen Forschungsprojekt „Herausforderungen durch Sexualität und sexualisierte Gewalt in den ambulanten Hilfen zur Erziehung“, in welchem besonders Fachkräfte im Bereich der ambulanten Hilfe zur Erziehung (HzE) befragt wurden, wenden sich Katja Krolzik-Matthei und Torsten Linke einer Forschungslücke zu. Die Studie beruht auf qualitativen Leitfadeninterviews mit 19 Fachkräften sowie sechs Jugendlichen, die über Erfahrungen mit der HzE verfügen. Sie nähern sich ihrem Forschungsthema aus einer, wie sie schreiben, für die Arbeit der Fachhochschule Merseburg charakteristischen Art und Weise, die den Wert von „sexueller Aufklärung“, Sexualpädagogik und sexueller Bildung zur Prävention sexueller Gewalt impliziert. Ethische Aspekte der Interviewführung zu sexueller Gewalt werden anhand der Forderungen der Bonner Ethikerklärung zur Forschung zu sexueller Gewalt in pädagogischen Kontexten entwickelt. Konkret wurden Interviewende traumapädagogisch geschult und im Forschungsprozess durch Supervisionen begleitet. In den Interviewleitfäden wurden Nachfragen nach eigenen Grenz- und Verletzungserfahrungen nicht vorgesehen und ein niederschwelliger Zugang zu Beratungsstellen wurde für die Interviewpartner*innen vorbereitet.

Die umfassenden Studienergebnisse verdeutlichen u.a., dass in den Studiengängen der befragten Fachkräfte Sexualität und sexuelle Gewalt nicht oder nur sehr vereinzelt thematisiert wurde. Wahrgenommene Weiterbildungen wurden als wenig hilfreich eingeschätzt, da sie nicht auf das Handlungsfeld der HzE zugeschnitten waren. Die Studienergebnisse zeigen Themen auf, die Kinder, Jugendliche und Eltern an die Fachkräfte herantragen. Es wird deutlich, dass Fachkräfte in ihrer Arbeit mit Mädchen* andere sexualitätsbezogene Themen nennen als in ihrer Arbeit mit Jungen* – während Verhütung bei Mädchen* von Fachkräften als relevantes Thema gesehen wird, assoziieren die Fachkräfte das Thema der Zeugungsverhütung nicht mit ihrer Arbeit mit Jungen*.

Die Autor*innen resümieren, dass Helfer*innen Sexualität stark auf die Themen Gesundheit beziehen und bspw. häufig auf die Einnahme hormoneller Verhütungsmittel hinwirken. Im Themenfeld „Konfrontation mit sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im Rahmen von SPH“ werden „der Umgang mit (nicht zu klärenden) Verdachtsfällen“ und „die Rückkehr oder das Verbleiben der übergriffigen Person in der Familie oder im familiennahen Umfeld“ von Fachkräften als die größte Herausforderung in der Arbeit mit Familien empfunden. Krolzik-Matthei und Linke heben hervor, dass gefühlte Dilemmata ein konstitutiver Teil Sozialer Arbeit sind und verdeutlichen, dass das Kindeswohl „im Fall sexualisierter Gewalt eindeutig gefährdet“ ist und durch Fachkräfte geschützt werden muss (S. 68).

Die vielschichtigen Forschungsergebnisse geben einen Einblick in die Aufgaben, vor denen Fachkräfte der HzE im Umgang mit sexueller Gewalt stehen. Die Autor*innen plädieren abschließend u.a. dafür, die Angebote der Aus-, Fort- und Weiterbildungslandschaft entsprechend der beschriebenen Herausforderungen weiterzuentwickeln.

Im Beitrag „Intersektionale Reflektionen zu Grenzverletzungen und sexualisierter Gewalt“ wird anhand von qualitativen Interviews mit Fachkräften aus unterschiedlichen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit die Bedeutung von Mehrfachzugehörigkeiten im Kontext von Unterstützungs- und Bildungsangeboten mit Bezug auf sexuelle Gewalt bearbeitet. Der Autor* Heinz-Jürgen Voß nutzt die Interviews aus dem Teilprojekt „Intersektionalität für sexualwissenschaftliche Fragestellungen“ des Forschungsprojekts „Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Traumatisierung“ zur Arbeit an den Begriffen „Grenzverletzungen“ und „sexuelle Gewalt“. Voß arbeitet heraus, dass der Zugang zu den Angeboten mit dem Aufenthaltsstatus von Menschen verwobene Einschränkungen aufweist. Auch hebt er hervor, dass die Angebote sexueller Bildung an sich Mehrfachzugehörigkeiten nicht ausreichend berücksichtigen. Die Interviewergebnisse verweisen darauf, dass die angebotenen Materialen sexueller Bildung teils rassistische Stereotype transportieren. Der Beitrag weist auf die Notwendigkeit von intersektional angelegter Forschung zu sexueller Bildung auch entsprechend aufgebauter Praxismaterialien hin.

Diskussion

Wissenschaftliche Reflexionen und empirische Forschungen zu sexueller Gewalt sind für die Soziale Arbeit von großer Bedeutung, da Sexualität insgesamt in sich wandelnden Formen ein Thema für Menschen in allen Lebensphasen ist – und die Zielgruppen Sozialer Arbeit, durch benachteiligende Lebensbedingungen in sozialen, gesundheitlichen wie ökonomischen Belangen, besonders vulnerable bezüglich sexueller Gewalt sind. Die vorliegenden Forschungsergebnisse tragen qualitativ hochwertige Projekte und neue Erkenntnisse zur dringend notwendigen sexualwissenschaftlichen Forschung in der Sozialen Arbeit bei.

Fazit

In den Beiträgen des Bandes „Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Traumatisierung. Herausforderungen für die Soziale Arbeit“ wird der, aus der Unfallheilkunde stammende, biologisch und psychologisch geprägte Traumabegriff innerhalb von sozialen Kontexten und auch von Machtaspekten der Genese sexueller Gewalt verortet. Ergebnisse aus Forschungsprojekten, die im Rahmen der Förderlinie „Forschung zu sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in pädagogischen Kontexten“ durchgeführt wurden, werden dargestellt. Mit dem Band werden umsichtig und kenntnisreich wichtige Impulse zur dringend ausstehenden Modernisierung des Schutzes von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt in den Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit gegeben. Auch auf Grund seiner thematischen Breite, sexuelle Bildung von Menschen mit Lernschwierigkeiten wird bspw. ebenfalls aufgegriffen, ist der Band empfehlenswert.

Literatur

Baader, M. S. (2017). Zwischen Enttabuisierung und Entgrenzung. Der Diskurs um Pädosexualität und die Erziehungs-, Sexual- und Sozialwissenschaften der 1970er bis 1990er Jahre. Opladen, Berlin, Toronto: Budrich.

Bundesministerium für Bildung und Forschung (2019). Forschung zu sexualisierter Gewalt. Abgerufen am 18.01.2021 von https://www.empirische-bildungsforschung-bmbf.de/de/2185.php.

Krolzik-Matthei, K., Linke, T., Urban, M. (2020). Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Traumatisierung: Herausforderungen für die soziale Arbeit. Angewandte Sexualwissenschaft: Band 27. Gießen: Psychosozial-Verlag.

Rezension von
Prof. Dr. Sara Blumenthal
Universität Klagenfurt
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Es gibt 1 Rezension von Sara Blumenthal.

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Zitiervorschlag
Sara Blumenthal. Rezension vom 02.02.2021 zu: Katja Krolzik-Matthei, Torsten Linke, Maria Urban, Ulrike Busch, Harald Stumpe et al. (Hrsg.): Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Traumatisierung. Herausforderungen für die soziale Arbeit. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG (Gießen) 2020. ISBN 978-3-8379-3005-4. Voß, Heinz-Jürgen (Herausgeber) Weller, Konrad (Herausgeber) Reihe: Angewandte Sexualwissenschaft - Band 27. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/27942.php, Datum des Zugriffs 15.01.2025.


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