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Anton Sterbling: Bürgerliche Gesellschaft, ihre Leistungen und ihre Feinde

Rezensiert von Joschka Sichelschmidt, 29.06.2021

Cover Anton Sterbling: Bürgerliche Gesellschaft, ihre Leistungen und ihre Feinde ISBN 978-3-8382-1463-4

Anton Sterbling: Bürgerliche Gesellschaft, ihre Leistungen und ihre Feinde. ibidem-Verlag (Hannover) 2020. 214 Seiten. ISBN 978-3-8382-1463-4. D: 29,90 EUR, A: 30,70 EUR, CH: 35,10 sFr.

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Thema

Die Monographie „Bürgerliche Gesellschaft, ihre Leistungen und ihre Feinde“ von Anton Sterbling hat als thematischen Schwerpunkt die Entstehung und die Grundordnung der bürgerlichen Gesellschaft im Sinne Max Webers als 'aufstrebendes freies gewerbliches Bürgertum' (S. 9) zu beschreiben. Herausgestellt für die kulturelle Stadtentwicklung wird die Wertidee der Freiheit als kulturelles Gut und seiner Entfaltungsdynamiken in den gesellschaftlichen Systemen.

Neben historisch gewachsenen positiven Wirkfaktoren für das Entstehen bürgerlicher Gesellschaft mit der Wertidee Freiheit, werden Krisen- und Desintegrationserscheinungsformen moderner Gesellschaftsordnungen aufgezeigt. 

Aufbau

Die Monographie „Bürgerliche Gesellschaft, ihre Leistungen und ihre Feinde“ ist in zwei eigenständige Hauptkapitel mit jeweiligen Unterkapiteln gegliedert.

Hauptkapitel eins fokussiert sich thematisch auf den Schwerpunkt, eine Definition der bürgerlichen Gesellschaft, der Wertgrundlagen dieser und deren Selbstverständnisse zu geben. In den Unterkapiteln werden dann relevante Themenbereiche (Wissenschaft und Irrtum, Stadtkultur und Kunst, Freiheit und Zeiten der Unfreiheit und Wertewandel und Wandel der innerbetrieblichen Autoritätsbeziehungen), ausgehend von einer historischen Position bis hin zur Neuzeit beleuchtet.

Der thematische Schwerpunkt des zweiten Hauptkapitels liegt auf den gegenwärtigen Herausforderungen der bürgerlichen Gesellschaft und den Desintegrations- und Krisenerscheinungen, welche langfristiges sozialpolitisches Umdenken erfordern sollten. In Unterkapiteln werden für diese Argumentation relevante Themenbereiche (Ordnungen und Krisenursachen des modernen Sozial- und Wohlfahrtsstaates, Gefahren von ideologische Bevormundung, Dilemmata der Migrations- und Flüchtlingspolitik und Desintegrationstendenzen der Europäischen Union) genutzt und miteinander in Beziehung gesetzt.

Inhalt

Kapitel I – Bürgerliche Gesellschaft, ihre Wertgrundlagen und Selbstverständnisse

Ausgehend von der Annahme, dass die Stadt als „jahrtausendealte universalhistorische Erscheinung und zugleich der wichtigste Entfaltungskreis menschlicher Kreativität“ (35) definiert werden muss, schlägt Anton Sterbling den Bogen von der mittelalterlichen abendländischen Stadtkultur hin zur Kulturbedeutung der Stadt in der Moderne und setzt der breiten „Entfaltung künstlerischer Kreativität“ (51) die „Erzeugung und Bestärkung individueller und kollektiver Illusionen“ (51) als Begleiterscheinungen der modernen Lebensführung gegenüber.

Grundwert in der heutigen bürgerlichen Gesellschaft ist die Wertidee der Freiheit (60). Das Individuum steht in der modernen multioptionalen Gesellschaftsordnung im Spannungsverhältnis zwischen den eigenen Bedürfnissen und den gesellschaftlichen Anforderungen. Freiheit wird als paradoxes Gut (81) definiert, welches keinen sicheren „Kompass“ (79) besitzt. Somit stehen Menschen „in freien Gesellschaften immer wieder vor der grundsätzlichen Frage: Wollen sie frei und mündig sein und alle Verantwortung selbst übernehmen oder wollen sie lieber Bevormundung, Betreuung und Fremdbestimmung akzeptieren“ (80).

Neben Kunst und Freiheit wird von Anton Sterbling der soziale Wertewandel als immanentes Merkmal moderner bürgerlicher Gesellschaften beschrieben. Hervorgehoben wird, dass durch den Grundwert Freiheit in modernen bürgerlichen Gesellschaften immer komplexeres und pluralisiertes „Zusammenspiel unterschiedlicher sozialer Anerkennungs- und Autoritätsbedürfnisse“ (99) entsteht. Diese differenten Bedürfnisse stehen teilweise miteinander in Verbindung, widersprechen sich in vielen Positionen aber auch.

Kapitel II – Gegenwärtige Herausforderungen und Feinde der bürgerlichen Gesellschaft

In demokratischen Sozial- und Wohlfahrtsstaaten profitieren ca. 60 % der Bevölkerung von den „expansiven Umverteilungsprozessen“ (120) und es zeigen sich in diesen gesellschaftlichen Strukturen zwei strukturelle Leitideen: Einmal die Idee von Bedarfsgerechtigkeit, welche gleichsam mit Umverteilungserwartungen gesellschaftlicher Güter einhergeht und damit die zweite Leitidee moderner Gesellschaften, die Leistungsgerechtigkeit abschwächt, da durch erstere die „Anreizstrukturen, Motivationen, Grundhaltungen und Einsatzbereitschaften der leistungstragenden Bevölkerungsgruppen und Akteure“ (121) langfristig entscheidend verändert werden.

Neben dieser innenpolitischen Aufgabe, auf der einen Seite eine gewisse Art von Bedarfsgerechtigkeit zu schärfen und v.a. den vulnerableren Gruppen der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen, damit eine gewisse Form der Teilhabe am Gesellschaftprozess möglich wird und auf der anderen Seite eine Leistungsgerechtigkeit zu definieren und zu schärfen, die gerecht ist in dem Sinn, dass sie Leistung unabhängig von Herkunft würdigt, definiert Anton Sterbling Gleichheit und Freiheit als Grundwerte unserer Gesellschaft und als Grundlage der Mündigkeit der Bürger (138). Sprache wird in diesem Kontext als Mittel der Erkenntnis und Werkzeug der Beschreibung der Wirklichkeit (139) beschrieben.

Neben „inneren Herausforderungen“ durch Verwässerung der zwei Leitideen der Gerechtigkeit und der Gefahr von Ideologiebildung durch Sprache, sieht Anton Sterbling auch die ca. 2015 begonnenen globalen Migrations- und Flüchtlingsphänomene und die Desintegrationstendenzen der Europäischen Union, v.a. in den ostmittel- und südöstlichen Mitgliedsstaaten als größte Herausforderungen und Konfliktfelder für bürgerliche Gesellschaften, welche es in naher Zukunft proaktiv anzugehen und zu lösen gilt.

Diskussion

Anton Sterbling gibt auf 214 Seiten inklusive Literaturverzeichnis einen grundlegenden Abriss über Wertgrundlagen und Selbstverständnissen bürgerlicher Gesellschaften. Auch inhärente Charaktermerkmale dieser modernen Gesellschaften und den Herausforderungen moderner bürgerlicher Gesellschaften in Globalisierungsprozessen werden grundlegend beschrieben und wie gesellschaftliche Ordnungen und wandelnde Wertebeziehungen möglichst reibungsarm in die Ordnungslogik moderner Gesellschaften integriert werden können.

Was kann von diesem Buch erwartet werden und was muss zur Erarbeitung geleistet werden?

Auf jeden Fall muss Bereitschaft bestehen, sich in die komplexe Materie einzulesen. Anton Sterbling wählt klare Formulierungen, artikuliert aber für fortgeschrittenes sozialwissenschaftliches Fachpublikum. Ein generelles Vorwissen über verschiedenste historistische und moderne theoretische Annahmen der Sozialwissenschaften ist beim Erschließen der Monographie hilfreich. Generell kann der Monographie ein hohes qualitatives Niveau attestiert werden. Es werden verschiedene Denkansätze in ein logisches Gesamtkonstrukt geführt, aber gerade für Neuinteressenten an der generellen Thematik, kann die Komplexität aufgrund ihrer Kürze „erschlagend“ wirkend.

Fazit

Die Monographie von Anton Sterbling ist für Fachpublikum mit breitem Vorwissen geeignet, einen kurzen und informativen, relevante Themen anschneidenden Überblick zur Thematik der bürgerlichen Gesellschaft, ihrer Leistungen und auch ihrer Herausforderungen zu bekommen.

Rezension von
Joschka Sichelschmidt
M.A. Erziehungswissenschaften, M.A. Klinische Sozialarbeit, B.A. Sozialpädagogik/Psychologie, klinisch arbeitender Pädagoge in einem intensivpädagogischen Setting
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Es gibt 8 Rezensionen von Joschka Sichelschmidt.

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Zitiervorschlag
Joschka Sichelschmidt. Rezension vom 29.06.2021 zu: Anton Sterbling: Bürgerliche Gesellschaft, ihre Leistungen und ihre Feinde. ibidem-Verlag (Hannover) 2020. ISBN 978-3-8382-1463-4. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/27965.php, Datum des Zugriffs 23.01.2025.


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