Ellen Hertz, Yvan Schulz: Unternehmen und Menschenrechte
Rezensiert von Prof. Dr. rer. pol. Gülcan Akkaya, 26.04.2022
Ellen Hertz, Yvan Schulz: Unternehmen und Menschenrechte. Die Grenzen des guten Willens. Seismo-Verlag Sozialwissenschaften und Gesellschaftsfragen (Zürich) 2020. 110 Seiten. ISBN 978-3-03777-241-6. D: 17,00 EUR, A: 17,50 EUR, CH: 19,00 sFr.
Thema
In der Schweiz wurde im November 2020 über die Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt», kurz: «Konzernverantwortungsinitiative», abgestimmt. Vor diesen Hintergrund beleuchtet das Buch «Unternehmen und Menschenrechte» die «Grenzen des guten Willens» von Organisationen. Die Professorin für Ethnologie Ellen Hertz und Co-Autor Yvan Schulz analysieren aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive die institutionellen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, denen multinationale Konzerne unterworfen sind. Die Frage der Konzernverantwortung wird in den Kontext internationaler Überlegungen zu einem passenden Governance-Modell für multinationale Konzerne gestellt.
Autor:innen
Ellen Hertz ist Professorin für Ethnologie an der Universität Neuenburg. Sie hat Forschungen zur Konzernverantwortung in China und Sambia durchgeführt. Yvan Schulz arbeitet als Postdoktorand an der Universität Oxford und ist Dozent an der Universität Freiburg. Unter Mitwirkung von Wiebke Wiesigel, Assistentin am ethnologischen Institut der Universität Neuenburg.
Entstehungshintergrund
Das Buch soll einen Beitrag zur öffentlichen Debatte rund um die «Konzernverantwortungsinitiative» leisten. Die theoretische Analyse wird ergänzt um Feldforschung, die Ellen Hertz in den Industriesektoren Elektronik und Bergbau in Sambia und China durchgeführt hat.
Aufbau und Inhalt
Die Autor*innen diskutieren aus mehreren Perspektiven das System der freiwilligen privaten Governance als gesellschaftliche Verantwortung (Corporate Social Responsibility) der Unternehmen. Die These: Trotz jahrzehntelanger Bemühungen sei es den Unternehmen nicht gelungen, schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden zu verhindern. Gegliedert ist das Werk in die Kapitel:
- Intermezzo: eine historische Perspektive
- Die Entstehung des Corporate Social Responsibility-Paradigmas
- Die Corporate Social Responsibility-Mechanismen
- Wenn multinationale Unternehmen nicht mitspielen
- Die rechtliche und politische Situation in der Schweiz
Nachdem einleitend die eidgenössische Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt» vorgestellt wurde, benennen Hertz und Schulz ihre Zielsetzung: Sie wollten auf Grundlage empirischer sozialwissenschaftlicher Forschungen drei Beiträge zur öffentlichen Debatte zur Konzernverantwortungsinitiative leisten: Erstens erörtern sie die Entstehung der Debatte in ihrem sozio-historischen Kontext. Zweitens setzen sie die theoretischen und ethischen Argumente, die die «Konzernverantwortungsinitiative» prägen, mit Feldforschungsdaten wie Beobachtungen vor Ort und Interviews in Bezug. Ausgewählte Fallstudien sollen nicht nur die Motivationen und Handlungsmodalitäten der multinationalen Unternehmen aufdecken, sondern auch die Auswirkungen deren Aktivitäten auf die Standorte. Die Autor*innen wenden drittens die Grundprämisse der verstehenden Soziologie an: Demnach sei wichtig, die Komplexität von Kontexten aufzuzeigen und die Widersprüche, die sich aus den unterschiedlichen Rollen der sozialen Akteur*innen ergeben, zu verstehen.
Das erste Kapitel ist dem historischen und sozialen Kontext gewidmet, aus dem die «Konzernverantwortungsinitiative» entstanden ist. Hier werden die wichtigsten wirtschaftlichen, politischen und rechtlichen Veränderungen beschrieben, die gegen Ende des 20. Jahrhunderts einsetzten und in eine maßgebliche Umstrukturierung der globalen Industrieproduktion mündeten. Es stelle sich die Frage, warum die Forderungen der Zivilgesellschaft nach einem besseren Schutz der Menschenrechte und der Umwelt erst seit Kurzem auf der politischen Tagesordnung stehen. Wie gestaltete sich die Sozial- und Umweltpolitik der Unternehmen früher? Sind sie heute verantwortungsbewusster oder hat sich die Situation im Gegenteil sogar verschlechtert? Aufgrund der Vielfalt der Gegebenheiten kann zwar kein einheitliches Bild skizziert werden, doch anhand der eigenen Forschung in der Region des sambischen Kupfergürtels (Copperbelt) werfen die Autor*innen immerhin ein Schlaglicht auf die Situation. So erhält die Leserschaft einen Eindruck vom Ausmaß der Umwälzungen, die viele Länder in globalen Süden erlebt haben. An dieser Stelle ist auch der multinationale Schweizer Konzern Glencore tangiert – ein emblematisches Ziel der «Konzernverantwortungsinitiative».
Im Kapitel zur Entstehung des Corporate Social Responsibility-Paradigmas beschreiben die Autor*innen die Debatte über Governance-Systeme anhand empirischer Daten und analysieren die Voraussetzungen, Werkzeuge und Funktionsweisen von Corporate Social Responsibility. Die Analyse, so der Anspruch, ermögliche es, die Grenzen der Effizienz von Corporate Social Responsibility-Programmen zu erkunden. Das Urteil: Zwar gebe es erhebliche zeitliche, finanzielle und kreative Investitionen und einiges an gutem Willen einiger multinationaler Unternehmen. Doch sei bislang nicht zu verhindern gewesen, dass transnationale Produktionsketten, die von multinationalen Konzernen kontrolliert werden, Schauplatz von Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden seien.
Die Corporate Social Responsibility-Mechanismen und -Instrumente werden zunächst erklärt, um dann anhand von Beispielen aufzuzeigen, weshalb sie für die Selbstregulierung multinationaler Unternehmen keineswegs so funktionieren, wie sie sollten. Strategien von multinationalen Konzernen, die sich ihrer Verantwortung entziehen wollen, führen dieses Thema weiter.
Im Kapitel zur rechtlichen und politischen Situation in der Schweiz schließlich erfolgt eine Bestandsaufnahme des aktuellen schweizerischen Rechtsrahmen bezüglich der Regulierung multinationaler Konzerne. Es werden Überlegungen dazu angestellt, wie die «Konzernverantwortungsinitiative» diesen Rahmen verändern könnte. Die offizielle Corporate Social Responsibility-Politik der Schweiz ist ebenso Thema wie die Debatten, die im Umfeld der Initiative auf institutioneller Ebene ausgelöst wurden. Die Autor*innen schlussfolgern, dass Corporate Social Responsibility durch gesetzliche Normen verstärkt werden müsse und eine starke Zivilgesellschaft ihren Beitrag leisten könne.
Diskussion
«Unternehmen und Menschenrechte – Die Grenzen des guten Willens» gibt einen guten Überblick über die Mechanismen der Corporate Social Responsibility und die vielfältigen Diskurse, die mit der unternehmerischen Verantwortung einhergehen. Die eigene empirische Forschungsarbeit und weitere Fallstudien ergänzen die Debatten über Governance-Systeme, sodass das Buch nicht nur im Theoretischen verbleibt. Die Publikation fokussiert nicht nur Schweizer multinationale Unternehmen und Entwicklungen in der Schweiz, sondern skizziert auch internationale Regulierungen und globale wirtschaftliche Verflechtungen.
Fazit
Die Governance von multinationalen Unternehmen ist und bleibt mit zahlreichen Herausforderungen verbunden. Internationale Organisationen, multinationale Unternehmen, Regierungen und NGOs versuchen seit über 30 Jahren Governance-Defizite durch freiwillige Corporate Social Responsibility-Programme auszugleichen. Die Publikation kommt zum Schluss, dass dies ohne gesetzliche Normen und eine entsprechend aktive, starke, kontrollierende Zivilgesellschaft nicht gelingen kann.
Rezension von
Prof. Dr. rer. pol. Gülcan Akkaya
M.A. Social Work and Human Rights, Diplom-Sozialarbeiterin, Dozentin & Projektleiterin an der Hochschule Luzern-Soziale Arbeit
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Zitiervorschlag
Gülcan Akkaya. Rezension vom 26.04.2022 zu:
Ellen Hertz, Yvan Schulz: Unternehmen und Menschenrechte. Die Grenzen des guten Willens. Seismo-Verlag Sozialwissenschaften und Gesellschaftsfragen
(Zürich) 2020.
ISBN 978-3-03777-241-6.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/27969.php, Datum des Zugriffs 10.09.2024.
Urheberrecht
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