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Michael Spieker, Christian Hofmann (Hrsg.): Integration

Rezensiert von ao. Univ.Prof. Dr. i.R. Gerhard Jost, 30.08.2022

Cover Michael Spieker, Christian Hofmann (Hrsg.): Integration ISBN 978-3-8487-7680-1

Michael Spieker, Christian Hofmann (Hrsg.): Integration. Teilhabe und Zusammenleben in der Migrationsgesellschaft. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2020. 268 Seiten. ISBN 978-3-8487-7680-1. 56,00 EUR.
Reihe: Tutzinger Studien zur Politik - Band 17.

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Thema

Die Klassiker sozialwissenschaftlichen Denkens haben sich mit der Frage beschäftigt, wie sich sozialer Zusammenhalt einer Gesellschaft herausbildet. Durkheim prägt den Begriff der (organischen und mechanischen) Solidarität – Tönnies differenziert Gemeinschaft von Gesellschaft – Simmel geht von Prozessen zunehmender Differenzierung und „Individualität“ aus etc. Sozialtheoretiker diskutieren dabei, wie sich der Modus der Integration mit dem Wandel von Gesellschaftsstrukturen verändert. In diesem Band wird dagegen spezieller diskutiert, wie Integration im Kontext von Migration zu verstehen ist und wie Integrationskonzepte beschaffen sein sollen, die Teilhabe gewährleisten.

In der Einführung des Buches durch die Herausgeber wird zunächst darauf hingewiesen, dass der Integrationsbegriff den Anspruch erhebt, den Prozess des Werdens von Vielfalt zu Einheiten zu fassen. Auf Gesellschaft bezogen stellt sich damit die Frage, wie homogen bzw. heterogen eine Gesellschaft sein soll bzw. kann. Ausgegangen wird unter anderem von Überlegungen Charles Taylors zur Bedeutung von Gemeinschaft für die Demokratie. Eine bedeutende Funktion der Gemeinschaft ist, dass ein integrierender Einheitssinn vorliegt, der als „Identifikationspool“ fungiert. Spieker und Hofmann verweisen danach auf eine differente Vorstellung dazu: Luhmann vertritt, dass in einer funktional differenzierten Gesellschaft kein solcher Einheitssinn notwendig sei. Die Person wird vielmehr in ausdifferenzierte Funktionssysteme aufgrund einer (Kommunikations-)Adresse inkludiert. Deutlich wird durch die in dieser Einführung aufgeworfenen Positionen bereits, was in den folgenden Beiträgen folgt: Das Konzept der Integration weist, trotz eines gemeinsamen Blickpunkts auf die Gesamtgesellschaft, eine Diversität auf, bei der es sich lohnt, auf die Schattierungen in den Vorstellungen sowie auf den Anwendungsbereich der Zuwanderung – wie in diesem Band vorgenommen aus vielen Disziplinen aufbauend – genauer einzugehen.

Herausgeber

Das Buch wird von Michael Spieker, Professor für Politikwissenschaft an der Katholischen Stiftungshochschule München und Gastdozent an der Akademie für Politische Bildung, und Christian Hofmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Tutzinger Diskurs an der Akademie für Politische Bildung und wissenschaftlicher Online-Betreuer für Praktische Philosophie an der FernUniversität in Hagen, herausgegeben. Ausgangspunkt für die Entwicklung des Bandes war der „Tutzinger Diskurs: Wege der Integration“, der 2017 und 2018 stattfand.

Beiträge

Zunächst nimmt sich Micha Brumlik der Begriffsdefinition von Integration an. Er unterscheidet grundlegend zwischen einem „dünnen“ und „dichten“ Begriff von Integration (S. 27). Unter der Prämisse, dass man Nation mit Rechtsgemeinschaft gleichsetzt, kann unter dem Begriff einer „dünnen“ Integration die rechtliche, sprachliche und die soziale Seite gefasst werden. Der „dichte“ Begriff bezieht sich noch auf zwei weitere Faktoren: gemeinsame Geschichte und gemeinsame Wertvorstellungen. Brumlik führt dann aus, dass der „dichte“ Begriff von Integration nicht der Realität in der Gesellschaft entspricht. Vielfach wird der Begriff der Leitkultur in die Diskussion gebracht, wobei dahinter meist Vorstellungen einer „Tugendgemeinschaft“ stehen. Der Autor verweist darauf, dass ein Verständnis von „Nation als homogener Tugendgemeinschaft“ (S. 29) den Prinzipien eines liberalen Rechtsstaates entgegensteht und vertritt einen „dünnen“ Begriff der Integration, der die Möglichkeit eröffnet, Freiheit und Gleichheit für alle zu erreichen und Verschiedenheit zuzulassen.

Im nächsten Beitrag werden von Julian Nida-Rümelin „Ethische Postulate für die Migrationspolitik“ erörtert. Er diskutiert, dass Entscheidungen in der Zuwanderungspolitik nicht nur mit Blick auf nationale, sondern im Besonderen globale Entwicklungen gerechtfertigt werden sollten. Bei Arbeitsmigration wäre an die sozio-ökonomischen Kosten der Auswanderungsländer zu denken: Auswanderung von hochqualifizierten Personen wirkt sich auf Bildungs- und Qualifizierungserfolge solcher Länder ungünstig aus. Einen positiven Effekt haben sie hingegen auf Wirtschaftsunternehmen (durch niedrigere Lohnkosten) und in der demographischen Entwicklung der Zuwanderungsländer. Einer Politik der „offenen Grenzen“ sieht er daher skeptisch gegenüber, vielmehr entwickelt er ethische Postulate für eine Migrationspolitik, die soziale Gerechtigkeit in einer humanen Weltgesellschaft ermöglicht und führt darin auch seine Vorstellungen bezüglich Integration näher aus.

Aladin El-Mafaalani diskutiert in seinem Beitrag Problemfelder der Migration bzw. Integration. Erstens behandelt er die Thematik der Flucht- bzw. Migrationsursachen und die beschränkten Möglichkeiten der (nationalen) Politik, sie zu beeinflussen. Dabei geht er auf statistische Entwicklungen und Zusammenhänge der internationalen Migrationsbewegungen, wie auch auf Push- und Pullfaktoren ein. Zweitens konstatiert er – in einem Abschnitt über Konflikte – dass sich die Lebensverhältnisse von Migrant:innen und ihrer Nachfahren in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten wesentlich verbessert haben. Das würde jedoch das Konfliktpotenzial nicht vermindern. Vielmehr würden Interessen und Ansprüche nach Teilhabe damit besser artikulierbar, sodass es mit gelungener Integration zu einer Neuaushandlung der sozialen Positionierung kommt. Drittens reflektiert er die politischen Herausforderungen von Migration, verweist darauf, dass Infrastruktur und Arbeitsmarktchancen genauso wie die kommunalen Rahmenbedingungen und Expertise für die Integration in ländlichen Regionen schlechter seien. Zu verweisen sei aber auch darauf, so der Abschluss seines Beitrages, dass die wichtigen Entscheidungen auf der Ebene des Bundes und Landes getroffen werden, die Kompetenz der Kommunen beschränkt sich auf die Umsetzung.

Der Beitrag von Sonja Haag und Simon Schmidbauer beschäftigt sich mit der Frage, wie Integration durch Gemeinden gesteuert und der Integrationsgrad gemessen werden kann. Zentral wird zunächst der Begriff des kommunalen Integrationsmanagements vorgestellt, der die Planung, Umsetzung und Kontrolle von Maßnahmen zur Integration umfasst. Leitbilder und Integrationskonzepte sind z.B. in ca. 87 % der deutschen Großstädte mit mehr als 100.000 Einwohner:innen entwickelt, in allerdings nur geringem Ausmaß in mittelgroßen Städten. Zielsetzung der Integration ist die gleichberechtigte Teilhabe; häufigste Themenfelder sind Bildung, Arbeit und Sprache. Ausmaß und Entwicklung der Integration wird – wie im Artikel eingehender beschrieben – anhand von Kenngrößen sichtbar gemacht und zur Grundlage politischer Entscheidungen. Abschließend wird noch auf Diversität als Bestandteil von politischen Konzepten verwiesen. Diese rückt die Vielfalt der Bevölkerung als Potenzial und Ausgangspunkt für Entwicklungen ins Zentrum, löst sich von „klassischen“ Integrationskonzepten ab.

Im nächsten Beitrag wird – von Dietrich Thränhardt – die Institutionalisierung der Integration in Deutschland betrachtet und die Entwicklung der permanenten Debatte dazu. Er verweist auf einen breiten politischen Konsens zur Integration seit der zweiten „Großen Koalition“ (2005), nach einer langen Zeit der „Negativkampagnen“ zwischen 1982–1999, in der Migration immer mit Angst und Ausgrenzung besetzt wurde. Integration ist heute „Staatsprogramm“ und „aktivierende Sozialpolitik“, wird in Debatten und Medien überwiegend positiv bewertet und mit einem „Selbstverständnis Deutschlands als offene Gesellschaft verknüpft“ (S. 86). Während die Politik einen positiven Konsens zu seiner Rolle als Einwanderungsland gefunden hat, werden auf der anderen Seite – wie der Autor mit zahlreichen Verweisen ausführt – europaweit die „früheren Zeiten“ und die bedrohlichen Folgen der Zuwanderung beschworen. Trotzdem sich also Integration als Konzept politisch durchgesetzt hat, tauchen immer wieder negative Zuschreibungen, Bilder vom „Anders-Sein“ und Vorbehalte gegen bestimmte Zuwanderungsgruppen, insbesondere mit islamischem Bekenntnis, auf. Am Beispiel von Sprachkursen macht der Autor dann deutlich, dass aber die Integrationspolitik sehr kontinuierlich verläuft. Abschließend setzt sich der Autor mit dem Begriff des Nationalstaates auseinander, verweist auf das implizit damit aufgerufene Zusammengehörigkeitsgefühl, aber auch auf Prozesse in den USA, wo ausgegrenzte Gruppen nach Jahrzehnten von Diskriminierung nun zum Kern der Gesellschaft zählen.

Der Beitrag von Krassimir Stojanov behandelt die Frage, inwieweit der Integrationsbegriff den Postulaten einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft entspricht. Integration habe – so der Autor – einen „demütigenden“ Paternalismus (S. 104), der die individualistische Pluralität als Prinzip nicht umsetzt. Das gängige Verständnis von Integration wäre mit einer „defizitär-nivellierenden Betrachtungs- und Behandlungsweise von Menschen mit Migrationshintergrund“ (S. 106) verbunden und würde dazu führen, sich einer konstruierten „Leitkultur der Wir-Gruppe“ anpassen zu müssen (S. 108). Eine Alternative zum Integrationsbegriff stellt nun der Inklusionsbegriff dar, wobei hier an die Bedeutung der UN-Behindertenkonvention angeknüpft wird. Er soll nicht auf Anpassung an kulturelle Normen, sondern vielmehr auf Veränderung dieser ausgerichtet sein. Der Autor möchte damit einen „Meta-Standard“ in einer „sich durch Diversität auszeichnenden Migrationsgesellschaft“ erreichen.

Die Autor:innen des nächsten Artikels, Elif Alp-Marent, Manuel Dietrich und Boris Niewand, nehmen die polarisierten Haltungen zur Zuwanderung zum Ausgangspunkt, um festzustellen, dass die Beurteilung dieser Bewegungen davon abhängen, wie gut die Integrationsaussichten der Zuwander:innen beurteilt werden. Damit zeigt sich erstens, dass die Legitimität des Mitgliedschaftsstaus mit dem Integrationsstatus immer wieder in Frage gestellt werden kann; zweitens wird deutlich, dass der Integrationsstatus zentral für die moralische Bewertung von Zuwanderung wird. Die Autor:innen wenden sich in der Folge diesem Aspekt der moralischen Bewertung auf der Basis soziologischer Ansätze zu (Honneth; Fassin/​Ticktin). Sie beziehen sich auf Vorstellungen des Integrationismus und Humanitarismus, die sich zur Aufgabe machen, prekäre und in Not geratene Personen zu inkludieren. Im Weiteren wird nun argumentiert, dass Integration zum „moralischen Metagut“ bzw. zur argumentativen Ressource wird, um Urteile über Personen, Gruppen und Institutionen vorzunehmen. Im Artikel wird das nun anhand von Rechtfertigungsordnungen aus Fallstudien verdeutlicht. Die Moralisierung der Migrationsfrage führt zu einer Art Vertragslogik, Integration zu honorieren, bedingt aber auch, dass sie in sehr polarisierten Wahrnehmungs- und Deutungsmuster eingelagert ist.

Daran schließt der Artikel von Bernhard Uhde an, der danach fragt, welche zentralen Werte in der Gesellschaft (für die Integration) bedeutend sind und inwieweit sie ein Hindernis oder eine Chance für Integration darstellen. Freiheit und Würde werden dann in der Argumentation als die höchsten Werte in der Gesellschaft positioniert und ein Verständnis von Integration abseits von Assimilation entwickelt: Gesellschaftlichen Strukturen wird nach dieser Vorstellung etwas hinzugefügt, in dem Sinne, dass Pluralität in einer Gesellschaft weitere Pluralität erfährt. Aus seiner Sicht ist es – wobei Gemeinschaft durchaus bedeutend ist – wichtig zu sehen, dass jeder Mensch über sich verfügen und ein Individuum mit seinen Eigenheiten sein kann.

Gertrude Lübke-Wolff befasst sich mit der Frage, welche Bedeutung die Verfassung für die Integration hat und was eine Gesellschaft zusammenhält. Sie verweist zunächst auf die Homogenitätstheorien, um sie aber in Frage zu stellen und auf die Vielfalt von Gründen zu verweisen, wie Gemeinschaften trotz Inhomogenität stabil sind. In der Folge bringt sie die Funktion der Verfassung in die Argumentationslinie, welche Ausdruck gemeinsamer Werte und eines gemeinsamen Bewusstseins ist: Das demokratische Prinzip, die Verfassungsgerichtsbarkeit und Demokratievertrauen haben wesentliche integrative Funktionen.

Andreas Funke beschäftigt sich unter dem Titel „Kultur und Gemeinschaft“ mit einem Problem der Integrationsgesetzgebung: Es müsste präzisiert werden, was die Ziele der Integration sind und wie kollektive Identität, an der man sich zu orientieren hat, zu fassen ist. Nach Beschreibungen von Gesetzen, die eine rechtliche Basis der Migrationspolitik darstellen, nimmt er Bezug auf Tönnies, um den Referenzpunkt der Gemeinschaft für die Gesetzgebung klarer auszumachen. Er verweist dann auf die gemeinsame Sprache als zentrales Element der Aufnahmegesellschaft und auch darauf, dass Spracherwerb als grundsätzliches Erfordernis der Integration eingestuft wird. Im weiteren Artikel wird diskutiert, ob es legitim ist, „über die Sprache hinaus kulturbezogene Anforderungen aufzustellen“ (S. 184). Die Rechtsform erscheint dafür allerdings – so der Autor – nicht geeignet.

Christian Hofmann zieht die Werke von Kant und Hegel heran, um Begriffe wie Freiheit, Menschenwürde und Anerkennung als Fundament der Integration deutlich(er) zu machen. Demokratie und die Gesetzgebung müssen sich danach beurteilen lassen, inwieweit sie den Prinzipien der Freiheit und Menschenwürde entsprechen. Bereits zu Beginn wird darauf hingewiesen, dass Integration a) ein wechselseitiger Prozess und b) mit der „chancengerechten Teilhabe aller Menschen“ (S. 196) verbunden sein soll. Bei der Verwirklichung von Teilhabe in der (sogenannten „postmigrantischen“) Gesellschaft wird auf Vorstellungen von Sittlichkeit (Hegel) verwiesen, die in Institutionen unterschiedlich realisiert wird. Anerkennung lässt sich auch nicht rechtlich regeln, bedarf einer Herstellung im Alltag des Zusammenlebens. Die Ausführungen dazu greifen Überlegungen von Axel Honneth und Charles Taylor auf, aus denen der Autor ableitet, dass kommunale Begegnungs- und Handlungsräume geschaffen werden sollten, in denen wechselseitige Anerkennung in den Handlungspraxis alltäglich sein kann.

Christian Schwaabe diskutiert in seinem Beitrag, inwieweit nationale Identität möglich, wünschenswert oder überhaupt nötig ist. Ausgehend vom Diskurs über die vorgestellte Gemeinschaft „Nation“, wird danach gefragt, welche Formen von Identität, Integration und Inklusion unter Prämissen einer funktionalen Differenzierung naheliegen. Daran wird eine Diskussion über den Verfassungspatriotismus entwickelt, ein in der Politikwissenschaft häufig gebrauchtes Konzept. Aufgegriffen wird dann noch der nationale Patriotismus, der sich in emotionalen Bezügen des Heimatbegriffs und dem Bedürfnis nach Vertrautem bzw. Partikularen widerspiegelt. Wichtig wäre, so die Schlussfolgerungen des Autors, wenn man in der Herstellung der Identität auf ein Narrativ aufbauen könnte, welches vor allem aus Geschichten des Miteinander mit der zugewanderten Bevölkerung besteht, doch in der Migrationsfrage scheint – so der Autor – ein Kampf um die Deutungsmacht ausgebrochen zu sein.

Wolfgang Kaschuba verfolgt in seinem Beitrag „Welches Wir?“ die These, dass „Integration stets und vor allem als ein gesamtgesellschaftliches Konzept zu verstehen ist“ (S. 233). Der Gedanke der Integration sollte alle Handlungsfelder, nicht nur jenes der Migration, durchziehen. Diese Integration muss nun vor dem Hintergrund einer modernen Gesellschaft stattfinden, deren Lebenswelten vermehrt durch soziale Öffnung (anstatt Schließung) versehen sind. Im Zeitalter der Vormoderne war das Ziel eher die soziale Integration nach innen und die soziale Schließung und Sicherung von lokalen Ressourcen nach außen. Mit der Moderne wird Fremdheit, Vielfalt und Mobilität zum Wesenszug, wandelt sich die Gesellschaft durch eine Zunahme an transnationalen Identitäten. Teile der Bevölkerung reagieren darauf mit wenig Verständnis oder dem Wunsch nach Rückkehr zu einem nationalen „Wir“. Die Teilung der Gesellschaft in Befürworter und Gegner von (weitergehender) Zuwanderung lässt sich nun unter dem Begriff der „sozialen Spaltung“ oder gesellschaftlichen Polarisierung sehen, die zur abschließenden Frage des Artikels führt, wie Wissenschaft in dieser Situation handeln kann.

Im letzten Beitrag „Integration – ein Projekt für alle“ wird von Annette Treibel zunächst der Gedanke aufgegriffen, dass Integration als Teilhabe und Zusammenhalt von allen herzustellen ist. Die Autorin verweist dann auf den doppelten Bedeutungshorizont von Integration, nämlich der sozialen Integration der Personen (im Sinne von Teilhabe) und des Zustands (im Sinne von Zusammenhalt) der Gesellschaft. Sozialintegration hängt nun nicht prinzipiell davon ab, ob man in die Gesellschaft zugewandert ist. Sie lässt sich aus subjektiver Sicht selbstreflexiv bewerten, kann aber auch anhand von Indikatoren evaluiert werden. Jedenfalls entwickeln sich in einem Einwanderungsland Deutschland, mit einem hohen Anteil von Personen mit Migrationshintergrund, multiple Zugehörigkeiten und das Zusammenleben ist nicht nur durch Kooperationen, sondern auch von Konflikten gekennzeichnet, die aber in einem prozessualen Integrationsprojekt in einem gewissen Rahmen durchaus ein Zueinanderfinden zur Folge haben. Jedenfalls muss Integration vor dem Hintergrund der neuen Realität aktiv gestaltet werden und ist als Projekt für alle zu verstehen: Was das konkreter für Handlungspraktiken bedeutet bzw. bedeuten kann, das führt die Autorin noch in fünf Punkten aus.

Diskussion

Das Buch ist sehr umfassend konzipiert und besteht aus vielfältigen Wissensbeständen über Integration, die aus soziologischer, philosophischer, politikwissenschaftlicher, theologischer bzw. erziehungs- und rechtswissenschaftlicher Forschungskontexten stammen, teils auch empirisch durch (Migrations-)Forschung generiert wurden. Die Ausführungen beziehen sich dabei meist auf Fragen des Verständnisses und der Analyse bzw. der Förderung von Integration. Aufgrund differenter Ausgangspunkte ergeben sich vielfältige Gesichtspunkte, die sich dann insgesamt zu einem interessanten Diskurs über Vorstellungen von Integration fügen. Gleichzeitig wird auch deutlich, wie sich das Konzept der Integration von jenem der Diversität unterscheidet. An dieser Stelle konnten die Beiträge nur unvollständig und stichwortartig behandelt werden – ein Leser wird aufgrund der Themen und differenzierten Argumentation noch weitere Erkenntnisse gewinnen können.

Fazit

Da das Buch Vorstellungen von Integration sehr grundsätzlich behandelt, wäre es auch als Reader in Lehrveranstaltungen – besonders im Bereich der Grundlagen der Integrationsforschung – sehr gut verwendbar.

Rezension von
ao. Univ.Prof. Dr. i.R. Gerhard Jost
Mitarbeiter am Institut für Soziologie und empirische Sozialforschung, WU, Wirtschaftsuniversität Wien, Department für Sozioökonomie.
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Es gibt 23 Rezensionen von Gerhard Jost.

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ISSN 2190-9245