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Kai Marquardsen: Armutsforschung

Rezensiert von Prof. Dr. Isolde Heintze, 27.06.2023

Cover Kai Marquardsen: Armutsforschung ISBN 978-3-8487-5853-1

Kai Marquardsen: Armutsforschung. Handbuch für Wissenschaft und Praxis. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2021. 607 Seiten. ISBN 978-3-8487-5853-1. 58,00 EUR.

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Thema

Das vorliegende Handbuch zielt darauf ab, das andauernde soziale Problem der Armut und der sozialen Ausgrenzung zu thematisieren und auf die neuen und alten gesellschaftlichen Herausforderungen im Zusammenhang mit Armut einzugehen. Es soll eine kritische Bewertung und Auslegung aktueller Entwicklungen und Erscheinungsformen von Armut, welche in der empirischen Armutsforschung generiert werden, bieten. Außerdem hat es zum Ziel, Perspektiven für die sozialpolitische Auseinandersetzung mit Armut zu präsentieren. Darüber hinaus wird betont, dass das vorliegende Buch als ein Handbuch für Wissenschaft und Praxis konzipiert ist. Es formuliert ausdrücklich den Anspruch, die Wechselbeziehung zwischen Wissenschaft und Praxis zu problematisieren, in dem verdeutlicht wird, dass die Erzeugung und Verbreitung von Wissen nicht als einseitiger Prozess zu verstehen ist, der von der Wissenschaft in die Praxis fließt. Stattdessen ermöglichen das Wissen und die Erfahrungen aus der Praxis das Entstehen neuer Themen und Fragestellungen für die Armutsforschung. Das Buch möchte einen Raum für kontroverse Diskussionen schaffen, da nur durch solche Auseinandersetzungen die Armutsforschung als Disziplin, die Erkenntnisse über Armut und die Strategien zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung weiterentwickelt werden können.

Herausgeber

Kai Marquardsen ist seit 2018 Professor für Armut und soziale Ungleichheit im Kontext der Sozialen Arbeit an der Fachhochschule Kiel. Neben seinen Arbeitsschwerpunkten zur Armut und sozialer Ungleichheit beschäftigt er sich im Rahmen der Lehre und der Forschung u.a. mit Themen zur Arbeitslosigkeit, Aktivierenden Sozialpolitik, zur Arbeitsmarktpolitik und sozialer Grundsicherung, Sozialer Teilhabe, Prekarität, zum Thema Arbeit und Geschlecht, Arbeit im Wandel, Folgen von Digitalisierung für Arbeit und Qualifikation.

Aufbau

Das Buch beinhaltet insgesamt acht umfangreiche Abschnitte mit insgesamt 40 Beiträgen verschiedener Autor*innen. Das Buch beginnt mit einer Einleitung, welche Kai Marquardsen verfasst hat. In ihr werden zum einen die Beweggründe beschrieben, die zum Entstehen der vorliegenden Publikation geführt haben, zum anderen werden sowohl der Aufbau des Buches als auch die Inhalte der Beiträge ausführlich dargestellt. Die Einleitung schließt mit der Angabe von Hinweisen zum Lesen des Buches. Die vorliegende Publikation verfügt außerdem über ein abschließendes Fazit, welches ebenfalls der Herausgeber erstellt hat. In ihm werden zusammenfassend die wesentlichen Erkenntnisse der in den Beiträgen diskutierten Fragestellungen geschildert und diskursiv in den Gesamtkontext des Handbuches als eine Veröffentlichung für Wissenschaft und Praxis gebracht. Darüber hinaus wird verdeutlicht, dass offene Fragen bestehen bleiben und das kontroverse Ringen um Antworten weiterhin Zielstellung der Armutsforschung bleiben soll. Einleitung, Fazit und jeder Beitrag schließen mit einem eigenen Literaturverzeichnis. Jeder Beitrag ist mit einem Abstract versehen, dies trägt wesentlich zur Übersichtlichkeit bei der Fülle der Informationen und Erkenntnisse des Buches bei.

Inhalte

In der Einleitung des Handbuches werden drei erkenntnisleitende Fragen für die Armutsforschung aufgeworfen: Was ist das Problem? Warum gibt es das Problem? Was ist vor dem Hintergrund dieses Problemverständnisses zu tun? Diesen drei erkenntnisleitenden Fragestellungen wird in den acht Abschnitten anhand der einzelnen Beiträge aus unterschiedlichen Blickwinkeln, Perspektiven und theoretischen Zugängen überblicksartig nachgegangen.

Im ersten Abschnitt des Handbuches wird danach gefragt, was Armutsforschung ist und wozu sie gebraucht wird. Vor diesem Hintergrund widmet sich der erste Beitrag der Geschichte der Armutsforschung und deren Betrachtung aus nationalstaatlicher, europäischer und globaler Perspektive. Der zweite Beitrag behandelt das Zusammenspiel zwischen Armutsforschung, dem Ziel der Veränderung und Bewältigung von Armut sowie der Professionsentwicklung in der Sozialen Arbeit. Der erste Abschnitt des Buches endet mit einem Beitrag zur kritischen Darstellung von diversen Armutskonzepten, die im Rahmen der Armutsforschung eingesetzt werden.

Der zweite Abschnitt der vorliegenden Publikation stellt sich die Fragen, wer arm ist und warum das so ist. Dabei wird in den sechs dazugehörigen Beiträgen mit Hilfe unterschiedlicher theoretischer Zugänge das Phänomen der Armut in den Blick genommen.

Die sieben Beiträge im dritten Abschnitt betrachten aus vielfältigen Perspektiven die Entstehung von Armut und die Schwierigkeiten hinsichtlich ihrer Bekämpfung. Derartige Perspektiven lassen sich u.a. in der Betrachtung der intergenerationalen Transmission von Armutsrisiken, in dem Blick auf den Sozialraum, im Rahmen der Diskussion von ungleichen Bildungschancen in Kita und Schule sowie in der Behandlung von sozial unsicheren Lebenslagen in Folge prekärer Teilhabe am Erwerbsleben ausmachen.

Im Abschnitt vier richtet sich in fünf Beiträgen der Fokus auf die Forschung zu einzelnen Erscheinungsformen von Armut. Neben der Auseinandersetzung mit dem Thema der Armut von Familien und deren Kinder, bearbeiten weitere Beiträge die zunehmende Brisanz der Altersarmut, das Zustandekommen von Armut bei geflüchteten Menschen als auch den Zusammenhang von Armut und Wohnungslosigkeit.

Im fünften Abschnitt des Buches wird der Frage nachgegangen, wie heute der gesellschaftliche Umgang mit Armut aussieht und wie die Gesellschaft auf die andauernde Existenz von Armut reagiert. Die fünf beinhalteten Beiträge thematisieren sowohl Armutsbilder, die in den Medien gezeichnet und transportiert werden, als auch das Verständnis und die Entwicklung der Armutspolitik. Dabei wird immer wieder deutlich, dass die Medien in einem hohen Maß das Bild von sozial benachteiligten Personengruppen beeinflussen und die Gestaltung der Armuts- und Sozialpolitik einen wesentlichen Beitrag zur Reproduktion und Aufrechterhaltung von Armut leistet.

Die vier Beiträge des sechsten Abschnittes widmen sich detailliert der Frage, wie eine Gesellschaft charakterisiert werden kann, in der Armut zur (neuen) Normalität wird. In diesem Rahmen wird Armut vor dem Hintergrund neoliberaler Entwürfe des Sozialen betrachtet, der Begriff des Wohltätigkeitssyndroms als Phänomen der Verantwortungsübertragung sozialstaatlicher Sicherungen an zivilgesellschaftliche und privatwirtschaftliche Akteure diskutiert, Armut als Nährboden für die Wahl der AfD problematisiert und Fragen nach den Bedingungen für Solidarität gestellt.

Der siebte Abschnitt enthält vier Beiträge, die sich dem Problem der Armut und der sozialen Ausgrenzung aus globaler Perspektive stellen und der Blick „über den Tellerrand hinaus“ in den Mittelpunkt rückt, bevor im achten und letzten Abschnitt des Buches sechs weitere Beiträge Antworten auf die Fragen, was ist zu tun und was (davon) wird bereits getan, gegeben werden.

Diskussion

Hervorzuheben ist, dass das Ziel des vorliegenden Handbuches, das andauernde soziale Problem der Armut detailliert und vielfältig mit Hilfe der Armutsforschung zu analysieren und zu diskutieren, umfassend und facettenreich erfüllt wird. Dies gelingt durch die kontinuierliche Verknüpfung von theoretischen Überlegungen, empirischen Befunden sowie der Problematisierung von Handlungsempfehlungen für die Sozialpolitik. Der Anspruch, den wechselseitigen Prozess zwischen Wissenschaft und Praxis in der Auseinandersetzung mit Armut und sozialer Ausgrenzung deutlich zu machen, zieht sich wie ein roter Faden durch alle Beiträge der vorliegenden Publikation. Als Mehrwert des Handbuches stellt sich heraus, dass sich der Fokus immer wieder auf die Soziale Arbeit als Profession und ihrer Verantwortung als ernstzunehmende Kritikerin der bestehenden sozialen Missstände und nachhaltige Gestalterin der Armuts- und Sozialpolitik richtet. Schließlich wird in jedem Beitrag offensichtlich, dass nicht nur die Forschung über soziale Ungleichheiten dazu beiträgt, Armut und Notlagen sichtbar zu machen, sondern auch die Betrachtung der Deutungsmuster von Armut, die soziale Konstruktion derselben sowie der Einbezug der Wahrnehmung der Situation der Betroffenen wesentliche Bestandteile der Armutsforschung sind und für den Diskurs zur Armut und sozialen Ausgrenzung ausbaufähig sind.

Fazit

Insgesamt bietet das Buch einen umfangreichen Einblick in die Armutsforschung und deren Notwendigkeit. Es eignet es sich für Lehrende, Studierende in jeder Phase des Studiums, die sich mit Armut und sozialer Ausgrenzung beschäftigen sowie für Praktiker*innen, vor allem in der Sozialen Arbeit. Die Beiträge stellen jeweils problem- und praxisbezogen einen Überblick und eine Ergänzung und Unterstützung für die Darstellung und die Auseinandersetzung mit dem Themenfeld der Armutsforschung dar. Die Beiträge des Buches beinhalten zahlreiche Impulse und Anregungen für die Initiierung und Umsetzung weiterer relevanter Fragen in Lehre, Forschung und Praxis.

Rezension von
Prof. Dr. Isolde Heintze
Professur für Sozialpolitik und Soziale Arbeit an der Hochschule Mittweida, Fakultät Soziale Arbeit
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Es gibt 9 Rezensionen von Isolde Heintze.

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ISSN 2190-9245