Ingo Bode: Die Dynamik organisierter Beschäftigungsförderung
Rezensiert von Prof. Dr. Thomas Münch, 08.11.2005
Ingo Bode: Die Dynamik organisierter Beschäftigungsförderung. Eine qualitative Evaluation. VS Verlag für Sozialwissenschaften (Wiesbaden) 2005. 129 Seiten. ISBN 978-3-531-14498-6. 19,90 EUR.
Thema
Im Herbst 2005 wird es offensichtlich: Die Arbeitsmarktreform der Rot-Grünen Bundesregierung - bekannt unter dem Namen Hartz - hat ihre selbst gesetzten Ziele nicht erreicht. Weder wird es ihr gelingen, bis zum Jahresende die Zahl der gemeldeten Arbeitslosen in Deutschland auf 2 Millionen zu senken, noch führen die "Neuen Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" zu erheblichen Kostensenkungen bei den "Agenturen für Arbeit". Vom Mantra des "Fördern und Fordern" bleibt nur das "Fordern": Die Leistungen des neuen Arbeitslosengeld II (ALG II) ermöglichen den Betroffenen keine Teilhabe an der bundesdeutschen Gesellschaft; massenhafte Exklusion ist die Folge.
Es bleiben allein neue Begrifflichkeiten: "Agentur für Arbeit" statt Arbeitsamt, Arbeitslosengeld II statt Sozialhilfe, Eingliederungsvertrag statt Rechtsanspruch - der "Newspeak" des "Managerialismus" hat seinen Einzug in den Sozialstaat vollzogen.
Erstaunlich sind diese Ergebnisse, dieses Scheitern der Hartz-Reform nicht. Von Anfang an warnten die Fachleute der Arbeitsmarktpolitik vor diesem scheinbaren "großen Wurf"; doch Politik und die ihr angeschlossenen Kommissionen, Gremien und Arbeitskreise nahmen diese kritischen Expertisen nicht zu Kenntnis. Empirie wurde durch Vermutungen und Annahmen ersetzt, Evaluation von Maßnahmen musste fragwürdigen und mechanistischen Kosten-Nutzen Rechnung Platz machen und das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes fand keinen Niederschlag im Kontext von "Arbeit, Arbeit, Arbeit".
Historischer Überblick und Evaluationsmodell der Beschäftigungsförderung
Ingo Bode hat mit der nunmehr vorgelegten Studie "Die Dynamik organisierter Beschäftigungsförderung - Eine qualitative Evaluation" einen zweifachen Kommentar zu diesen Entwicklungen vorgelegt.
Zum einen beschreibt er präzise und kritisch die Entwicklung, die die bundesdeutsche Beschäftigungsförderung in den vergangenen 20 Jahren genommen hat. Grundannahmen, Organisationsmodelle, Fördertöpfe, Ziele und politische Rahmensetzungen werden in ihrer Entwicklung und damit in ihrer Veränderung sichtbar. Für den Rezensenten - ein Akteur in eben dieser Entwicklung - war es eine Zeitreise in seine eigene professionelle Entwicklung, die er hier mit Bodes Studie unternehmen konnte. Das Entscheidende an dieser analytischen Historiografie ist dabei ihr paradigmatischer Charakter: Die Analyse der Beschäftigungsförderung lässt die Entwicklungsdynamiken und Problemstrukturen der gesamten bundesdeutschen Produktion von Wohlfahrt zwischen Postkorporatismus und "Managerialismus" (hier verstanden als mechanistische Übernahme betriebswirtschaftlicher Modelle durch die Soziale Arbeit) in voller Klarheit erkennen. Und es ist dieser Bestandteil der Studie, der sie so lesenswert für all diejenigen macht, die sich professionell mit den möglichen Entwicklungspfaden der bundesdeutschen Wohlfahrt beschäftigen.
Zum zweiten wird für die Akteure und Experten der Arbeitsmarktpolitik und Beschäftigungsförderung der Nutzen der Empirie in einer Art und Weise sichtbar gemacht, die die Abstinenz und Abneigung der Politik gegen eben jene Empirie vollkommen demaskiert. Denn mit seiner Skizzierung einer qualitativen Evaluation entwirft er ein neues Evaluationsmodell für die Beschäftigungsförderung, die sich zu Recht "realistische Evaluation" nennen kann: Die Beschreibung der Leistungspotentiale einer Organisation in der "integrativen Beschäftigungsförderung" ist weitaus mehr, als die einschlägigen Vermittlungsquoten aussagen: Rahmenbedingungen, organisationales Selbstverständnis, Prozessqualität und zivilgesellschaftlich-sozialpolitische Praxis in ihrer Entwicklung zu analysieren, sind die Grundlagen dieser neuen, "realistischen Evaluation". Diese neue Qualität bleibt dabei nicht in der methodischen und methodologischen Fundierung stehen. Vielmehr können wir sie - wenn auch nur in einer Art "Probelauf" - in Aktion betrachten. Exemplarisch werden die verschiedenen organisationalen Logiken sichtbar gemacht und historisch und politisch-praktisch einer entsprechenden Analyse unterzogen. Und bereits in diesem Probelauf wird der heuristische Wert der "realistischen Evaluation" sichtbar: Bei gleichen Rahmenbedingungen sind unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten für die einzelnen Organisationen erkennbar. Quasi im Sinne der Mikropolitik wird sichtbar, dass unterschiedliche Vernetzungen, Finanzierungsstrategien und Zielformulierungen bei gleichen - schlechten - äußeren Bedingungen und Rahmensetzungen zu unterschiedlichen "Verwirklichungschancen" führen können und auch führen. Und so gewinnt auch dieser Bestandteil der Studie - auf den ersten Blick nur für Experten der Beschäftigungsförderung interessant - für den weiten Kreis der Akteure in der Produktion von Wohlfahrt an Bedeutung. Denn ist es von entscheidender und übertragbarer Bedeutung in eben dieser Produktion von Wohlfahrt, Handlungsmöglichkeiten zu erkennen und zu fundieren.
Aufbau und Ausblick
Der evaluatorische Ertrag dieses "Probelaufs" einer "realistischen Evaluation" ist also wirkmächtiger, als auf den ersten Blick erkennbar ist. Wir können gespannt sein auf die Ergebnisse, die diese qualitative Evaluation in der weiteren Anwendung aufzeigen wird.
Ingo Bodes Studie ist klug, präzise und folgerichtig aufgebaut und formuliert: Nach der historiografischen Skizze des Feldes im Anfangskapitel folgen wir dem Autor durch die Fragestellungen zu Wirkungen der Beschäftigungsförderung, bevor er uns nach der Grundlegung des Evaluationskonzeptes mitnimmt in die Praxis eben dieses Konzeptes. Hier in der Praxis überzeugt das Evaluationskonzept, indem die wirklichen Leistungspotentiale der Organisationen und der evaluatorische Ertrag sichtbar gemacht werden. Im Schlusskapitel liefert uns dann der Autor eine Zusammenfassung und ein Fazit, welches die Grenzen, aber auch die Möglichkeiten dieses Evaluationskonzeptes und der organisierten Beschäftigungsförderung präzise skizziert.
Fazit
Durch die Einschränkung des Titels sollten sich keine Leserin und kein Leser beeindrucken lassen. Bodes Studie ist nicht nur für Akteure der Beschäftigungsförderung, sondern vielmehr für alle Akteure in der Produktion von Wohlfahrt eine Lektüre mit Gewinn. Sie liefert Argumente für eine Evaluation der Sozialen Arbeit, die jenseits von betriebswirtschaftlicher Mimikry die Frage der Effizienz und der Effektivität empirisch und damit realistisch beantwortet. Und da sich die Politik diesen Fragen nicht stellt, müssen es Wissenschaft und Praxis der Sozialen Arbeit umso mehr. Ingo Bode hat mit seiner neuen Studie einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet - wir sollten ihn lesen.
Rezension von
Prof. Dr. Thomas Münch
Hochschule Düsseldorf, Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften
Fach Verwaltung und Organisation
Es gibt 15 Rezensionen von Thomas Münch.
Zitiervorschlag
Thomas Münch. Rezension vom 08.11.2005 zu:
Ingo Bode: Die Dynamik organisierter Beschäftigungsförderung. Eine qualitative Evaluation. VS Verlag für Sozialwissenschaften
(Wiesbaden) 2005.
ISBN 978-3-531-14498-6.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/2802.php, Datum des Zugriffs 08.12.2024.
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