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Ulrich Binder, Johannes Drerup (Hrsg.): Der Preis der Bildung

Rezensiert von HS-Prof. Dr. Doris Lindner, 30.04.2021

Cover Ulrich Binder, Johannes Drerup (Hrsg.): Der Preis der Bildung ISBN 978-3-8376-5570-4

Ulrich Binder, Johannes Drerup (Hrsg.): Der Preis der Bildung. Dimensionen der Wertbestimmung schulischen Wissens. transcript (Bielefeld) 2020. 222 Seiten. ISBN 978-3-8376-5570-4. D: 35,00 EUR, A: 35,00 EUR, CH: 42,70 sFr.
Reihe: Pädagogik.

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Thema und Entstehungshintergrund

Die Publikation umfasst Beiträge, die sich der grundlegenden und komplexen Fragestellung nach den Möglichkeiten, Formen und Dimensionen der Wert- und Preisbestimmung schulischem Bildungswissen aus unterschiedlichen theoretischen Zugängen (Bildungstheorie und -philosophie, historische und empirische Bildungsforschung, Bildungsökonomie und -finanzierung, Bildungsrecht, Bildungsplanung und Gesellschaftstheorie) widmet. Dabei wird allein schon die Einordnung der Kategorien ‚Bildung‘ und ‚Wissen‘ unter ökonomischen und konsequentialistischen Gesichtspunkten äußerst kontrovers diskutiert und in einem Spannungsverhältnis zu normativen Legitimierungsversuchen und intrinsischen Motivationsaspekten beleuchtet, die Wissen als einen Wert an sich bestimmen. Ist es möglich, schulisches Bildungswissen als ‚realen‘ Preis und Wert zu bemessen, ohne es auf den Marktwert zu reduzieren, als eine Form kultureller Ausprägung einer kapitalistisch organisierten Ökonomie? Andererseits wissen wir nicht erst seit Bourdieu (1987) und seiner Analyse unterschiedlicher Kapitalsorten, dass Bildung auch eine ökonomische Größe aufweist. Es spricht vieles dafür, dass Wissen und Bildung im schulischen Kontext nicht nur nichtmonetären Interessen und Werten folgen, sondern als wertgebundene Praktiken auch eine ökonomische Dimension aufweisen. Schulischer Wissenserwerb ist eine Investition, die sich im Bildungsverlauf, hinsichtlich der Integrationsleistung und mit Blick auf die Wertsteigerung wirtschaftlicher Prosperität ‚bezahlt‘ macht. Umgekehrt wirkt sich mangelnde Bildung auf die Gesellschaft, das Humankapital und das Individuum aus. Diese zwei Seiten von ‚Bildung‘ und ‚Wissen‘, dem innewohnenden Wert und dem zugeschriebenen Preis, werden klärende Fragen grundgelegt und in den einzelnen Kapiteln diskutiert: Wo und wie kann schulisches Bildungswissen als unsichtbares, öffentliches Gut dingfest gemacht werden, als Produkt, Ressource, Leistung? Als Ertrag, als Set von Kompetenzen? Oder im Vergleich von Volkswirtschaften? Wo und durch wen entstehen Wert- und Preisdefinitionen? Welche Inklusions- und Exklusionsprozesse gehen damit einher und mit Rekurs auf welche Kriterien werden sie legitimiert und durchgesetzt?

Autoren

Ulrich Binder ist Professor für Allgemeine Pädagogik an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Johannes Drerup ist Professor für Allgemeine Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Bildungstheorie an der TU Dortmund und Gastprofessor an der Freien Universität Amsterdam.

Aufbau und Inhalt

Die Publikation ist unterteilt in zehn Kapitel und beginnt mit einer kurzen Hinführung der beiden Herausgeber zum Gegenstand sowie dem einleitenden Beitrag von Heiner Barz, der überblicksartig die grundlegenden Positionen und die Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Pädagogik und ihre Interdependenzen anhand neuerer Befunde, Konzepte und Kontroversen zu systematisieren versucht. Unter Rückgriff auf Bourdieus (1987) Konzept des kulturellen Kapitals werden neben dem Nachweis des Fehlens bildungshistorischer Rekonstruktionen zu Finanzierungsaspekten zu diesem wenig ausdifferenzierten Forschungsstand Basisdaten aus dem Bildungsfinanzbericht des Statistischem Bundesamtes vorgestellt und abschließend anhand des Beispiels Schulautonomie mit dem Teilaspekt Finanzautonomie resümiert. Wichtig dabei scheint der Gedanke zu sein, dass in der Bildungsforschung bis heute viele Aspekte des Ökonomischen ausgeblendet bzw. geringeschätzt werden, was der Autor auf die historische Entwicklung zurückführt, wonach das aufstrebende Bürgertum des beginnenden 19. Jahrhunderts das Faktum politischer Machtlosigkeit durch eine Überhöhung des Bildungsgedankens kompensiert (S. 12).

Im Beitrag von Anne Rohstock werden Wert und Preis der Bildung in der Spätmoderne aus einer bildungshistorischen Perspektive beleuchtet. Sie skizziert die Problematik der Wertaufladung von Bildung und ihre selbstverständliche und kaum hinterfragte Dogmatik, Bildung sei gleichsam der ‚natürliche‘ Weg zur Lösung aller (individueller und gesellschaftlicher) Probleme und weniger ein soziales Produkt, das hergestellt wird. Sie fragt in ihrem Beitrag, wie sich dieses Denken historisch entwickeln und etablieren konnte bzw. Teil unserer Gegenwartsgesellschaft geblieben ist. So stellt sie resümierend fest: „Unter den Auspizien der Humankapitaltheorie wurde Bildung […] mit einem Preissignal ausgestattet, das bildungsspezifische Konkurrenz und Wettbewerb zwischen Staaten noch einmal erheblich verstärkte“ (S. 59).

Danach setzt sich Heinz-Elmar Tenorth mit Wert und Preis des Schulwissens aus einer bildungstheoretischen Perspektive auseinander. Beginnend mit der Klärung der Unterscheidung zwischen Bildung und Wissen und was das ‚bildungstheoretische‘ daran ist (z.B. im Unterschied zur Bildungsphilosophie) werden Wert und Preis des Schulwissens, respektive Einstellungen und Haltungen, Kompetenzen und Fähigkeiten, Normen und Werte diskutiert, die im Umgang mit Schule jenen Habitus formen, der Individuen durch Allgemeinbildung zu handelnden Akteuren macht. Entlang seiner Ausführungen stellt der Autor fest, dass beide, Preis und Wert, bildungstheoretisch nur individualisiert beziffert werden können. Allein schon deshalb, da das „Ergebnis des Umgangs mit schulischen Wissen jenseits der kompetenten Handhabung der Kulturtechniken weder antizipierbar noch steuerbar ist“ (S. 81).

Krassimir Stojanov befasst sich in seinem Beitrag mit den intrinsischen und extrinsischen Werten schulischer Bildung und nimmt dabei eine bildungsphilosophische Stellung ein. Zwei Fragen sind leitend, „Was ist (uns) Schulbildung wert?“ und „Was sind die Werte von Schulbildung?“. Auf der einen Seite geht es demnach um den Preis schulischer Bildung, auf der anderen Seite um die Zielsetzungen in Bezug auf Vermittlung von Wissensinhalten und der Ermöglichung von Erfahrungen und Entwicklungen von Schüler*innen. Dabei steht außer Frage, dass Bildung Gutes bewirken und der Preis der Bildung wesentlich von der Bestimmung dieses Guten abhängt. Der Artikel formiert sich anhand des fundamentalen Werts ‚human flourishing‘ als Voraussetzung, an dem sich Bestimmung und Verteilung von Bildungsgütern orientieren soll. Welche Mittel und Ressourcen für die Verwirklichung von dem Wert von human flourishing in Schulen vonnöten sind, wird abschließend resümiert.

Im Beitrag von Rolf Strietholt wird alsdann die Frage gestellt, welches Wissen die empirische Bildungsforschung bewertet bzw. welchen Wert die (empirische)Bildungsforschung welchem schulischen Wissen beimisst. Im Fokus steht die Bedeutung internationaler Schulleistungsstudien (z.B. PISA, TIMMS) für die empirische Bildungsforschung. Der Autor analysiert anhand der in den vergangenen 25 Jahren durchgeführten, weltweiten Studien auf der Primar- und Sekundarstufe, welche Wissensbereiche in welchem Ausmaß einer Untersuchung unterzogen wurden und inwiefern die unterschiedlichen Bereiche empirisch abgrenzbar sind. Diskutiert wird abschließend, warum sich bestimmte Wissensbereiche durchsetzen konnten, während andere hingegen eine untergeordnete Rolle einnehmen.

Aus einer bildungsplanerischen Perspektive erörtert Dieter Timmermann in seinem Beitrag Wert und Preis des schulischen Lernens und Lehrens. Eine Verbindung zwischen pädagogischen Handlungen (wie jene des Lehrens und Lernens) und den durch Preise und Werte ausgedrückten ökonomischen Betrachtungen dieser sowie jener Handlungen, die prospektiv Bildungsplanung gestalten, wird hergestellt und diskutiert. Lehr- und Lernprozesse werden dabei in Hinblick auf ihre Bildungsproduktionsfunktion dargestellt und geprüft, ob und wie sich Preise und Werte in unterschiedlichen Wirkungskontexten bildungsplanerischen Ansprüchen öffnen oder verschließen.

Ähnlich wie zuvor befasst sich die Abhandlung von Dieter Dohmen um den Wert und Preis des schulischen Lernens und Lehrens, wobei hier die Perspektive der Bildungsfinanzierung in den Blick genommen wird. Aufbauend auf den theoretischen Erörterungen des vorherigen Beitrags werden diese in eine kostenorientierte Betrachtung überführt. Nach der Darlegung des Ist-Standes der Bildungsfinanzierung zielt die Analyse auf die Frage, ob und wo es eine preisorientierte Bildungsfinanzierung in Deutschland gibt und wie eine bzw. wertorientierte aussehen könnte. Die Folgerungen werden abschließend aus einer praxisorientierten Perspektive erläutert.

Thomas Höhne erörtert danach aus einer gesellschaftstheoretischen Sichtweise den Wert von Bildung auf Grundlage werttheoretischer bzw. wertkritischer Überlegungen. Neben der Skizzierung historischer Fluchtlinien der Auseinandersetzung um den gesellschaftlichen Wert von Bildung, in denen u.a. auch individualistisch-meritokratische Wertzuschreibungen wie Leistung abgehandelt werden, folgen werttheoretische Reflexionen und Ausführungen zu „Abstrakte Bildung, Daten und symbolischer Mark“ (S. 185).

Danach liefert Wolfram Cremer rechtswissenschaftliche Impulse zu einer fundierten Auseinandersetzung mit dem Wert und Preis schulischer Bildung. In seiner Analyse geht er der Frage nach, ob das geltende Recht (in Deutschland) eine Wertschätzung der schulischen Bildung gewährleistet. Dabei wird u.a. untersucht, ob eine Rechtspflicht besteht, die derzeit gültige Kostenlosigkeit schulischer Bildung an allgemeinbildenden staatlichen Schulen zu erhalten und ob eine staatliche Pflicht existiert, ein (öffentliches) Schulsystem zur Verfügung zu stellen. Ebenfalls analysiert wird das im Grundgesetz verankerte Sonderungsverbot für private Ersatzschulen und Ersatzschulen in freier Trägerschaft.

Schließlich thematisiert Volker Bank aus einer bildungsökonomischen Sichtweise, was Schule, Wissen und Bildung ökonomisch wertvoll macht. Er fragt einleitend in „Ökonomie der Schule“ (S. 212) danach, wie es dazu kommen konnte, dass Schulen und Schulorganisation zum Thema der OECD werden konnten, und wirft sodann die These der Anerkennung des sozialen Systems Erziehung als Subsystem des sozialen Systems Wirtschaft in den Raum. Ausführungen zum Wissen als Produktionsfaktor, zu „Erziehung, Wissen, Bildung als seltsame Güter“, zum Nutzenwachstum und zur „Deskription, Präskription und Didaktik als bessere Ökonomik des Lehrens und Lernens“ komplettieren den Beitrag.

Diskussion

Die kontroverse Auseinandersetzung mit Fragen rund um den Preis und den Wert schulischen Wissens ist fraglos eine Thematik von hoher Relevanz für den Bildungskontext. Der Anspruch, verschiedene Aspekte und Nuancierungen der diversen Zugänge herauszuarbeiten, aufzuzeigen und zur Diskussion zu stellen, wurde durchaus eingelöst. Der Band liefert fundierte Einblicke in gegenwärtige Erkenntnisse und schafft angesichts der Vielschichtigkeit und Komplexität der Thematik eine fundierte Argumentation auf wissenschaftlich hohem Niveau, der man über weite Strecken folgen kann. Die Erkenntnisse nehmen nicht nur für die Bildung(sforschung) einen hohen Stellenwert ein, sondern sind darüber hinaus anschlussfähig an andere Disziplinen und für eine breite Leserschaft von Interesse. Die Thematik wird künftig wohl nicht an Brisanz verlieren, weil die Frage nach Preis und Wert von schulischen Bildungswissen als öffentliches Gut Klärungsbedarf aufweist, hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen beiden Komponenten, zwischen Bildungs- und ökonomischem System, mit Blick auf die Folgeprobleme, die sich aus entstehenden Definitionen, aus Legitimationsansprüchen, aus Prozessen der Inklusion und Exklusion u.a. ergeben. Die Antworten auf diese intendierten Fragen werden in diesem Band zweifelsohne eingelöst; mitunter wird sich auch die zuletzt etwas eingeschlafene Debatte um Wert und Preis von Bildungswissen wieder intensivieren.

Fazit

Eine empfehlenswerte Lektüre, die einen umfassenden Einblick in den Gegenstand und interessante Anschlussmöglichkeiten für vielfältige Diskussionen offeriert.

Rezension von
HS-Prof. Dr. Doris Lindner
Institut Qualitätsmanagement und Hochschulentwicklung
Private Kirchliche Pädagogische Hochschule Wien/Krems
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Es gibt 34 Rezensionen von Doris Lindner.

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Zitiervorschlag
Doris Lindner. Rezension vom 30.04.2021 zu: Ulrich Binder, Johannes Drerup (Hrsg.): Der Preis der Bildung. Dimensionen der Wertbestimmung schulischen Wissens. transcript (Bielefeld) 2020. ISBN 978-3-8376-5570-4. Reihe: Pädagogik. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28058.php, Datum des Zugriffs 03.10.2024.


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