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Ursula Kremer-Preiß, Thorsten Mehnert: Quartiers-Monitoring

Rezensiert von Prof. Dr. Martin Becker, 06.08.2021

Cover Ursula Kremer-Preiß, Thorsten Mehnert: Quartiers-Monitoring ISBN 978-3-86216-496-7

Ursula Kremer-Preiß, Thorsten Mehnert: Quartiers-Monitoring. Evaluation zur Umsetzung von Quartiersprojekten des Förderbausteins 3.1.1 "Projekte mit Ansatz zur Quartiersentwicklung" des Deutschen Hilfswerks. medhochzwei Verlag GmbH (Heidelberg) 2019. 111 Seiten. ISBN 978-3-86216-496-7. D: 34,99 EUR, A: 36,00 EUR.
Reihe: ProAlter PraxisWissen.

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Thema

Bei der Publikation handelt es sich um den Abschlussbericht einer Langzeitstudie zur Evaluation der Umsetzung von Quartierprojekten des Deutschen Hilfswerks der Deutschen Fernsehlotterie der Jahre 2012 bis 2017.

AutorInnen

Ursula Kremer-Preiß ist Sozialwissenschaftlerin und als Mitarbeiterin im Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) zuständig für die Bereiche Wohnen und kommunale Altenhilfeplanung. Sie leitet Forschungsprojekte und berät Wohnungsunternehmen, Träger sozialer Einrichtungen und Behörden.

Thorsten Mehnert ist Geograph und arbeitet ebenfalls im Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) als Referent im Fachbereich Wohnen und Quartiersgestaltung. Seine Tätigkeitschwerpunkte liegen auf Wohn- und Versorgungskonzepten und kommunaler Altenhilfeplanung.

Entstehungshintergrund

Die publizierte Studie entstand aus der Evaluation zur Umsetzung von Quartiersprojekten des Förderbausteins 3.1.1 „Projekte mit Ansatz zur Quartiersentwicklung“ des Deutschen Hilfswerks (DHW), der Deutschen Fernsehlotterie, die durch das Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) als Projektförderungen implementiert und begleitet wurden.

Aufbau und Inhalt

Die etwa 100 Textseiten sind in 6 Kapitel aufgeteilt und zusätzlich noch in 171 nummerierte Abschnitte untergliedert. Davon nehmen die Kapitel 4 „Umsetzungserfahrungen“ und 5 „Wirkungserfahrungen“ den deutlich größten Seitenumfang ein, während die Kapitel 1, 2 und 6 mit 4–6 Seiten vergleichsweise kurz ausfallen.

In Kapitel 1 werden auf knapp fünf Seiten die Ziele der Untersuchung, das Projekt „Quartiers-Monitoring“ sowie die vom KDA entwickelten Strukturprinzipien für eine altersgerechte Quartiersentwicklung vorgestellt. Das deklarierte „allgemeine Ziel“ der Untersuchung ist die unterstützende Begleitung der Implementierung des DHW-Förderbausteines „3.1.1 Projekte mit Ansatz zur Quartiersentwicklung“. Dieser Förderbaustein wiederum hat zum Ziel, die Lebensumstände der Quartierbevölkerung zu verbessern.

Gegenstand von Kapitel 2 ist die „Methodische Vorgehensweise“, wobei auf knapp vier Seiten, entlang der Arbeitsschritte des einschlägigen DHW-Förderbausteins 3.1.1, die Arbeitsformen, Erhebungsinstrumente, Dokumentationsarten und das Sampling, also die Auswahl der Projektstandorte aufgeführt werden. Unter der Kapitelüberschrift „Struktur der Quartiersprojekte“ verbirgt sich in Kapitel 3 die Beschreibung der einzelnen Projektstandorte, mit Angaben zu deren Größe, Bevölkerungszusammensetzung, Themen und Besonderheiten sowie zur Personalsituation und den einzelnen Maßnahmen. Hierzu werden auf vierzehn Seiten zahlreiche statistische Daten in Tabellen und Grafiken aufbereitet und kommentiert.

Das mit 45 Seiten umfangreichste Kapitel 4 vereinigt unter der Überschrift „Umsetzungserfahrungen“ die in der Studie erhobenen Erfahrungen mit der Umsetzung der Maßnahmen. Diese Erfahrungen werden unterteilt nach den Projektphasen (Planung/​Durchführung/​Verstetigung) und ergänzt um inhaltliche, „fördertechnische“ oder „organisationsspezifische“ und „besondere“ Herausforderungen sowie Unterstützungsbedarfe. Eine Besonderheit und Schwerpunktsetzung enthält Kapitel 4 in Form einer Thematisierung und Auflistung von Differenzen zwischen der Quartierentwicklung in städtischen und ländlichen Räumen.

Die mit „Wirkungserfahrungen“ überschriebenen Ergebnisdarstellungen werden in Kapitel 5 auf 28 Seiten beschrieben. Dabei werden die Ergebnisqualitäten zunächst unterschieden nach Wirkungsdauer (5.1.1), Wirkungsebenen (5.1.2) und Wirkungsinhalten (5.1.3). Methodische Aspekte der Wirkungsmessung werden in Abschnitt 5.2 reflektiert und eingeordnet, „erste Wirkungseffekte der Quartierprojekte“ (5.3) auf der Output-, bzw. Outcome-Ebene (Projekt-/​Akteure) aufgezeigt und dargelegt. Das Abschlusskapitel 6 stellt eine kompakte Zusammenfassung der Studienergebnisse dar, verbunden mit Empfehlungen für Projektträger und ProgrammmacherInnen.

Diskussion

Der Titel der Publikation „Quartiers-Monitoring“ könnte zunächst fälschlicherweise Erwartungen nach einem Handlungsleitfaden für die fachliche Gestaltung eines Monitorings zu Quartiersentwicklungsprozessen wecken. Dank der Formulierung „Abschlussbericht …“ im Untertitel wird der o.g. Verwechslung bzw. Fehlerwartung vorgebeugt. Aus Titel und Untertitel ist nicht ersichtlich, dass es sich bei dieser Publikation um eine Evaluationsstudie einer ganz spezifischen Förderlinie des Deutschen Hilfswerks/​Deutsche Fernsehlotterie (DHW) handelt, die vom Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) umgesetzt und begleitet wird. Eine weitere Eingrenzung des Wirkungsbereiches betrifft Projekte der Altershilfe, die sich vorwiegend mit Prozessen gelingenden Alterns beschäftigen und dabei jedoch weniger stationäre Einrichtungen in den Blick nehmen, sondern das sozial- und räumlich konstruierte Lebensumfeld. Daher wurden in die Untersuchung gezielt „Projekte mit Ansatz zur Quartiersentwicklung“ einbezogen. Leider wird dazu weder der Begriff Quartier noch der Begriff Sozialraum mit Bezug auf die umfangreiche einschlägige Fachliteratur (vgl. Becker 2020) hergeleitet und/oder definiert. Diese begriffliche Unschärfe gilt auch für die Abgrenzung der in Kap. 1 (Abschnitt 13) verwendeten Begriffe wie Dorf, Gemeinde, Stadtteil, Quartier.

Der Verweis auf die Orientierung des Quartiers-Monitoring an den vom KDA weiterentwickelten „Strukturprinzipien sozialraumorientierter Ansätze für eine altersgerechte Quartierentwicklung“ vermag als fachwissenschaftlich-konzeptionelle Basis des Studienkonzeptes nicht auszureichen, denn für eine solch umfangreiche Studie wären ein paar mehr Seiten zur Herleitung der Hintergründe der Strukturprinzipien der KDA als fachliche Grundlagen durchaus lohnend gewesen. So wird zu den Strukturprinzipien (Abschnitte 12–17) auch weder Bezug auf die von Oelschlägel (2013) formulierten „Arbeitsprinzipien der Gemeinwesenarbeit“ noch auf die „Prinzipien der Sozialraumorientierung“ von Hinte/​Trees (2007) genommen. Sozialraumorientierung wird auch nicht als Handlungskonzept Sozialer Arbeit (Becker 2020), sondern als eigener Ansatz altersbezogener Arbeit dargestellt. Die „Fokussierung auf ältere Menschen…“ erfolge „…lediglich aus arbeitstechnischen Gründen, um die UmsetzerInnen nicht zu überfordern“ (Abschnitt 15). Möglicherweise ungewollt, wird der Begriff Quartierentwicklung vereinnahmend für Anliegen der „Altenarbeit“ instrumentalisiert, ohne Bezug auf die generelle Bedeutung von Quartierentwicklung als Adressaten und Themen übergreifende gesellschaftliche Aufgabe auf kommunaler Ebene zu diskutieren. Unklar bleibt bei der Lektüre, ob die Bezeichnung der QuartierentwicklerInnen als „Kümmerer“ (Abschnitt 30) auf Vorgaben der Projektförderung beruht oder eine Wortschöpfung der AutorInnen der Studie ist. Glücklich scheint dieser Begriff für Fachkräfte nicht gewählt, die mit komplexen und schwierigen Aufgaben der Koordination und Management von Quartierentwicklungsprozessen betraut sind, und ist angesichts von Wortassoziationen, wie „Kummer“, „kümmerlich“ oder „verkümmert“ auch kaum wertschätzend zu verstehen.

Ein gestalterisches Manko der Publikation sind einige „handwerkliche“ Fehler in den abgebildeten Grafiken und Tabellen. So gelten dreidimensionale Tortendiagramme zur Darstellung zweier Dimensionen streng genommen als optische Täuschungen, weil die Flächen der vorderen Kreissegmente größer scheinen als es ihnen quantitativ gebührt (z.B. Abb. 4, S. 17). Balkendiagramme mit %-Skala sind nicht immer voll bis 100 % abgebildet, sodass die Unterschiede zwischen den Balken größer scheinen als sie defacto sind (z.B. Abb. 6, S. 19). Die Quellenangaben zu den meisten Darstellungen sind lediglich mit „Eigene Darstellung“ bezeichnet, ohne Hinweis auf die genaue Datengrundlage, bzw. die Studiendaten. Bei der Herleitung und Beschreibung des methodischen Vorgehens, also der Fundierung des Forschungs-/​Studiendesigns vermisst die an empirischer Sozialforschung interessierte LeserIn eine genauere wissenschaftliche Grundlegung der angewandten Forschungsmethoden und Erhebungsinstrumente mit entsprechenden Quellenangaben und Hinweisen auf bislang erprobte und vergleichbare Studiendesigns. Desweiteren besteht die Erwartung an Veröffentlichungen von Studienergebnissen, dass sowohl die Erhebungsinstrumente als auch die vollständigen Tabellen zu den im Text integrierten grafischen Darstellungen im Anhang der Publikation auffindbar sind, was in dieser Publikation leider nicht der Fall ist. Der o.g. Aufbau der Kapitel 3 bis 5 folgt den aus der Qualitätsentwicklung bekannten Qualitätsdimensionen „Strukturqualität“, „Prozessqualität“ und „Ergebnisqualität“ nach Donnabedian (1966), ohne deren Herkunft und konzeptionellen Inhalt näher zu erläutern sowie ohne Bezug auf deren Quellen. Wie in der Studie gezeigt wurde, scheinen die Qualitätsdimensionen für die Gestaltung eines Monitorings von Quartiersentwicklungsprojekten durchaus geeignet, weil sich damit die Komplexität von Wirkungsanalysen reduzieren und die Bewertung der Ergebnisse systematischer und übersichtlicher darstellen lässt. Die Studie gibt einen aufschlussreichen Einblick in die Beschaffenheit (Strukturqualität) der untersuchten Projekte. Noch interessanter dürften jedoch die umfangreichen Aufstellungen zu den Umsetzungserfahrungen der Projekte (Prozessqualität) sein, denn diese ermöglichen Einrichtungen und Diensten der Sozialen Arbeit wertvolle, weil sehr differenzierte, Hinweise zur Gestaltung von Quartierentwicklungsprojekten nach den Projektphasen der Planung, Durchführung und Verstetigung. Ähnliches gilt für die detaillierten Darstellungen der Wirkungserfahrungen, die zwar weitgehend auf subjektiven Einschätzungen der Bevölkerung und lokaler Akteure beruhen aber insofern auch als recht valide für Wirkungen sozialer Prozesse angesehen werden können.

Letztlich bietet das Heft auch eine Fundgrube an Erfahrungen und Anregungen für Initiatoren, Geldgeber und Projektträger bezüglich der Gestaltung von Förderleitlinien zur Quartierentwicklung.

Fazit

Die hier rezensierte Publikation enthält detaillierte Daten und Fakten der Evaluation von Quartierentwicklungsprozessen, die für Akteure der Stadt- und Quartierentwicklung als Auftraggeber, Projektträger und/oder Finanziers tätig sind, durchaus interessant sein können. Es werden sehr praxisbezogene Erfahrungen aufbereitet und zusammenfassend dargestellt, die den Fokus vorwiegend auf den Bereich der Dienste für ältere Menschen in ihren sozialräumlichen Kontexten legen. Gleichwohl lassen sich die Erfahrungen auch generell für Projekte der Quartierentwicklung in ländlichen und städtischen Siedlungen verwenden, die eher adressaten- und themenübergreifend gestaltet werden sollen und müssen. Obwohl die Gestaltung der theoretischen und methodischen Fundierung der Studie den Anforderungen an Komplexität und Ausführlichkeit empirischer Studien nicht ganz gerecht wird, eignet sie sich doch als Fundgrube und Orientierung zur Weiterentwicklung der Wirkungsforschung von Quartierentwicklungsprozessen.

Literatur

Becker, Martin (2020): Handbuch Sozialraumorientierung. Stuttgart: Kohlhammer.

Donabedian, Avedis (1966): Evaluating the quality of medical care. In: Millbank Memorial Fund Quarterly Nr. 2.

Hinte, Wolfgang/Treeß, Helga (2007): Sozialraumorientierung in der Jugendhilfe. Theoretische Grundlagen, Handlungsprinzipien und Praxisbeispiele einer kooperativ-integrativen Pädagogik. Weinheim und München: Juventa.

Oelschlägel, Dieter (2013): Geschichte der Gemeinwesenarbeit in Deutschland. In: Stövesand u.a. (Hrsg.): Handbuch Gemeinwesenarbeit. Traditionen und Positionen, Konzepte und Methoden, Opladen, Berlin, Toronto: Barbara Budrich; Seite 181 -202.

Rezension von
Prof. Dr. Martin Becker
Professor für Handlungskonzepte und Methoden Sozialer Arbeit mit Schwerpunkt auf Stadt- und Quartierentwicklung sowie empirische Sozialforschung an der Katholischen Hochschule Freiburg; Berater und Gutachter für Kommunal- und Organisationsentwicklung, Supervision und Coaching
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Es gibt 4 Rezensionen von Martin Becker.

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Zitiervorschlag
Martin Becker. Rezension vom 06.08.2021 zu: Ursula Kremer-Preiß, Thorsten Mehnert: Quartiers-Monitoring. Evaluation zur Umsetzung von Quartiersprojekten des Förderbausteins 3.1.1 "Projekte mit Ansatz zur Quartiersentwicklung" des Deutschen Hilfswerks. medhochzwei Verlag GmbH (Heidelberg) 2019. ISBN 978-3-86216-496-7. Reihe: ProAlter PraxisWissen. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28062.php, Datum des Zugriffs 23.01.2025.


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