Sina Weinhuber: Wirksamkeit interkultureller Trainings bei Lehrkräften
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 17.08.2021
Sina Weinhuber: Wirksamkeit interkultureller Trainings bei Lehrkräften. Ein Review über den aktuellen Forschungsstand.
Verlag Dr. Kovač GmbH
(Hamburg) 2021.
128 Seiten.
ISBN 978-3-339-11828-8.
D: 76,80 EUR,
A: 79,00 EUR.
Schriftenreihe Studien zur Erwachsenenbildung - Band 50.
Interkulturalität: Grundlage des Menschseins in der EINEN WELT
Der Tatsache, dass ein humanes Dasein der Menschheit nur auf der Basis eines gemeinsamen, anthropologischen und ethischen Bewusstseins der Individuen möglich ist, wird spätestens seit der globalen, erdbewussten Entwicklung auf der Erde sichtbar: „Die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte bildet die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt“. Diese globale Ethik der Menschenrechtsdeklaration von 1948 muss Bestandteil des menschlichen Miteinanders sein. Im pädagogischen, curricularen, didaktischen und methodischen Diskurs der Vermittlung von Bildung und Erziehung hat Interkulturelles Lernen und Lehren eine besondere Bedeutung. Es sind die philosophischen, anthropologischen und erziehungswissenschaftlichen Prolegomena, die auf die besonderen Herausforderungen für ein gutes Leben für alle Menschen verweisen (Jos Schnurer, 19.10.20, www.sozial.de/globale-ethik-in-der-einen-welt.html).
Entstehungshintergrund und Autorin
Im didaktischen, professionellen institutionalisierten Diskurs zum Lernen und Lehren als humane Aufgaben der Conditio Humana werden Lehrkräfte als Agenten, Vermittler und Aufklärer verstanden. Dabei tut sich eine Kontroverse auf: Sind Lehrerinnen und Lehrer (nur) formale Wissensvermittler, oder (auch) ErzieherInnen? (Margret Dörr, Hrsg., Nähe und Distanz. Ein Spannungsfeld pädagogischer Professionalität, 2019, www.socialnet.de/rezensionen/​26070.php). Relevant wird dies besonders in der traditionellen Auffassung, dass schulisches Lehren und Lernen auf den Grundlagen des Fachspezifischen beruhen solle und fächerübergreifendes, umfassendes, ganzheitliches Lernen eher Nebenbedeutung im Bildungsprozess habe. Es sind die inter- und transdisziplinären Phänomene, die dabei an Bedeutung verlieren (Hans Lenk/Gregor Paul, Transkulturelle Logik. Universalität in der Vielfalt, 2014, www.socialnet.de/rezensionen/​22702.php). Der Widerspruch zu der pädagogischen, curricularen Praxis, dass Lehrmaterialien und -bücher entstehen, die immer wieder von solchen abgeschrieben werden, zeigt sich darin, dass allgemeinverbindliche Bildung sich darauf fokussieren solle, Lebenskompetenzen zu vermitteln (Alois Moosmüller, Interkulturelle Kompetenz. Kritische Perspektiven, 2020, www.socialnet.de/rezensionen/​27414.php).
Die Bildungswissenschaftlerin Sina Weinhuber von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), legt eine Analyse vor, wie sich die Bedeutung des Interkulturellen Lernens und der Globalen Bildung in der Praxis der Schule und Erwachsenenbildung entwickelt hat. Sie richtet dabei den Blick zum einen auf die universitäre Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern, zum anderen auf die bedeutsamen, lebenslangen Fort- und Weiterbildungsbereiche. Sie schaut auf die Innovations- und Forschungsbereiche, die „interkulturelle Trainings“ entwickeln, erproben und praktizieren – und stellt fest: „Besonders bei speziell für Lehrkräfte und Studierende des Lehramts entworfenen interkulturellen Trainings fällt der aktuelle Forschungsstand bezüglich der Wirksamkeit sehr dürftig aus und ein tatsächlicher Nachweis für die Wirksamkeit wird nur selten erbracht“.
Aufbau und Inhalt
Die Autorin gliedert die Analyse in sieben Kapitel. Neben dem ersten, einleitenden Teil, formuliert sie die theoretischen Grundlagen. Dabei verweist sie auf die unterschiedlichen Begriffsverwendungen, zählt die wesentlichen Modelle auf und betrachtet die verschiedenen Bestandteile und Dimensionen zur interkulturellen Kompetenz. Sie betrachtet die Situationen, denen Lehrkräfte im schulischen, pädagogischen Alltag ausgesetzt sind und diskutiert ausgewählte Annahmen, Evaluationsmodelle und -methoden zur Vermittlung von interkultureller Kompetenz, hier etwa das Evaluationsmodell von Donald L. Kirkpatrick (1998): Reaciton – Learning – Behavior – Results. Bei der Frage, wie die Theorien und Modelle in der Praxis ankommen, tritt eine Ernüchterung ein: Die Autorin findet nur wenige Beispiele einer Evaluation, die sie in aufschlussreichen und aussagekräftigen Skizzen, Tabellen und Schaubildern präsentiert.
Diskussion
Die notwendige, unverzichtbare Lehrer*innen-Fortbildung als institutionalisierte Angebote hat im Zeichen der staatlichen Einsparungspolitik an Bedeutung verloren. Die unangemessene Delegation der Aufgaben, nicht nur für eine professionelle Ausbildung der Bildungsagent*innen zu sorgen, sondern auch die Fortbildung als integrativen Bestandteil der Bildungspolitik zu verstehen, hat dazu geführt, dass schulische Bildung mehr und mehr zur Faktenvermittlung verkommt, und die notwendige, unverzichtbare Kompetenz zur lebenslangen globalen Bildung vernachlässigt wird. Die Verweise auf die differenzierte Entwicklung, wie sie sich vom „Ethnozentrismus“, also ausgehend von den eigenen kulturellen Erfahrungen, hin zum „Ethnorelativismus“, der Tatsache nämlich, dass die eigenen kulturellen Erfahrungen nur eine Alternative zu zahlreichen anderen Identitäten sind, öffnet dem Blick und fordert den Perspektivenwechsel, wie ihn bereits 1995 die Weltkommission „Kultur und Entwicklung“ formuliert hat: „Die Menschheit steht vor der Herausforderung umzudenken, sich umzuorientieren und gesellschaftlich umzuorganisieren, kurz: neue Lebensformen zu finden“.
Fazit
Die Bestandsaufnahme der theoretischen und praktischen Entwicklung bei der schulischen Vermittlung von interkulturellen Kompetenzen fällt nicht allzu positiv und optimistisch aus. Die Defizite bei der Forschung, wie auch in der Praxis, erfordern Anstöße, „Lehrkräfte möglichst effektiv auf die interkulturellen Herausforderungen im Schulalltag vorbereiten zu können“. Für die Aus- und Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern sind die zahlreichen Fundstellen und Analysen hilfreich.
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 17.08.2021 zu:
Sina Weinhuber: Wirksamkeit interkultureller Trainings bei Lehrkräften. Ein Review über den aktuellen Forschungsstand. Verlag Dr. Kovač GmbH
(Hamburg) 2021.
ISBN 978-3-339-11828-8.
Schriftenreihe Studien zur Erwachsenenbildung - Band 50.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/28067.php, Datum des Zugriffs 05.10.2024.
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