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Alexander Loh: Unterricht als Form der Kommunikation

Rezensiert von Dr. Florian Schrumpf, 27.05.2022

Cover Alexander Loh: Unterricht als Form der Kommunikation ISBN 978-3-7815-2422-4

Alexander Loh: Unterricht als Form der Kommunikation. Systemtheoretische Analysen der empirischen Operationalisierung unterrichtlicher Strukturdifferenzen. Julius Klinkhardt Verlagsbuchhandlung (Bad Heilbrunn) 2020. 229 Seiten. ISBN 978-3-7815-2422-4. D: 39,90 EUR, A: 41,10 EUR.

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Thema

Die vorliegende Studie von Alexander Loh ist ein Beitrag zur empirischen Unterrichtsforschung. Es wird die Frage aufgeworfen, durch welche spezifischen Eigenschaften sich unterrichtliche Kommunikation in der Schule von anderen alltäglichen Kommunikationskontexten und Lehr-Lernkontexten an Volkshochschulen und Universitäten anzutreffen sind. Dazu wählt der Autor einen kommunikationstheoretischen Zugang.

Aufbau

Der Autor stellt in Teil A seiner Schrift systemtheoretische Grundlagen ins Zentrum seiner Betrachtungen und definiert den Kommunikationstypus der Pädagogischen Kommunikation.

Teil B fokussiert ein qualitatives Forschungsvorhaben. Transkribierte Unterrichtssequenzen werden auf ihre Operationalisierungen unterrichtlicher Strukturdifferenzen durch die beteiligten Akteure hin untersucht.

In Teil C finden sich zentrale Schlussfolgerungen sowie einige methodologische und erkenntnistheoretische Reflexionen.

Inhalt

Die vorliegende Dissertation besteht aus acht Kapiteln, welche den Teilen A-C zugeordnet sind.

  • Teil A – als „Präliminarien“ bezeichnet – beinhaltet die (erkenntnis-)theoretische Verortung der Arbeit.
  • Ihm schließt sich Teil B an, welcher die gewonnenen Ansätze für eine systemtheoretisch geprägte Theorie von Unterricht empirisch ausschärft.
  • In Teil C werden theoretische und empirische Erkenntnisse zusammengedacht und kritisch diskutiert.

Den drei Teilen vorgeschaltet ist eine Einleitung, in welcher Alexander Loh feststellt, dass in verschiedenen Publikationen immer wieder auf die Spezifika der Kommunikationsform Unterricht hingewiesen und sich ihr empirisch genähert wird. Gleichzeitig weist er auf die Partikularität vorliegender Befunde hin, die zentrale Phänomene pädagogischer Kommunikation im Unterricht nicht in ihren Zusammenhängen wahrnehmen.

Damit ist die Ausgangslage geschaffen, mit der Alexander Loh in die theoretische Auseinandersetzung in Teil A geht. Bevor der Autor genauer auf systemtheoretische Grundlagen eingeht, widmet er sich der eigenen Verortung der Arbeit. Die erkenntnistheoretischen Ausführungen im ersten Kapitel beziehen sich auf die Unterscheidung zwischen selbst- und fremdbeschreibenden Theorien auf Unterricht. Selbstbeschreibende Theorien nehmen hierbei einen reflexiven Standpunkt ein, der vor allem der Weiterentwicklung von Pädagogik und Didaktik dient. Theorie und Praxis werden so miteinander eng verzahnt. Alexander Loh gibt einen Einblick in empirische und nicht-empirische selbstbeschreibende Theorien. Fremdbeschreibende Theorien fokussieren das Unterrichtsgeschehen von einem distanzierten Standpunkt heraus und sind nach Alexander Loh vor allem in der Soziologie zu verorten.

Kapitel drei führt in systemtheoretisch relevante Analyseinstrumente und Begriffe ein. Hierbei widmet er sich schwerpunktmäßig der Frage, wie sich Kommunikation zwischen den am Unterricht beteiligten Systemen beschreiben lässt. Er nimmt damit vor allem einen mikrosoziologischen Blick ein, indem er die Kommunikation der Organisation voranstellt. Institutionelle Aspekte rahmen nach Alexander Loh zwar Kommunikation im Unterricht, der Sinn wird jedoch vom dem an ihm beteiligten Individuen ausgehandelt, sodass Kommunikationsereignisse sich zu einem kohärenten Ganzen entwickeln. Dabei ist für Alexander Loh der Begriff der Re-Entry zentral, mit dem die kommunikative Bearbeitung von Strukturdifferenzen als unterrichtliche Bezugsprobleme bezeichnet wird. Mit diesem Begriff ist die Unterscheidung eines Innen- und Außenbereichs unterrichtlicher Kommunikation angesprochen. Was der Autor damit meint, schlüsselt er im Nachfolgenden detailliert auf. Er ordnet der Sach,– Sozial- und Zeitdimension verschiedene Bezugsprobleme zu. Kommunikative Aushandlungen in der Sachdimension betreffen nach Loh die Bekanntheit, die sachliche Bedeutsamkeit sowie die Prüfungsrelevanz. Zentrale zu bewältigende Strukturdifferenzen werden jeweils durch ein Begriffspaar verdeutlicht. So geht es bei der Bekanntheit zentral um die Frage, ob ein zu vermittelnder Inhalt bekannt bzw. nicht bekannt sei. Die sachliche Bedeutsamkeit fasst die Frage danach, ob etwas wesentlich oder nicht wesentlich sei, die Prüfungsrelevanz schlussendlich, ob etwas relevant oder nicht relevant sei. Analog dazu wird auch mit der Sozial- und Zeitdimension verfahren, in welcher vier bzw. drei Strukturdifferenzen identifiziert werden. Dabei werden diese theoretisch hergeleitet. Das theoretische Kontinuum umfasst vor allem dabei Publikationen und Autor*innen, die in Kapitel zwei umrissen wurden. Das Kapitel endet mit der Vorstellung der Konversationsanalyse, mit der empirisch erhobenes Material ausgewertet werden soll.

Kapitel vier und fünf steigen noch einmal etwas tiefer in die methodologische Diskussion ein und schlagen damit eine Brücke zum empirischen Teil B. Kapitel vier hebt Eigenheiten der Kommunikationsform „Unterricht“ aus systemtheoretischer Sicht hervor, in welcher festgestellt wird, dass nur bestimmte Formen (in diesem Sinne praktisch-operative Operationalisierungen) die Form Unterricht ausmachen. Mit der Unterscheidung zwischen Form und Formen (letztere schließen auch kommunikative Handlungen von Schüler*innen ein) kann demnach nicht mehr die Lehrperson als alleinige*r Initiator*in von Unterricht angesehen werden.

An das recht kurze Kapitel schließt sich Kapitel fünf ein, dass abschließend den Kommunikationstypus der „Pädagogischen Kommunikation“ diskutiert. Dieser wird als Kategorie bestimmter Formen eingeordnet und umfasst drei Komponenten: Die Veränderungsintention, die Operationen (Vermitteln, Aneignen, Überprüfen) und das „Wissen“ als Inhalt. Innerhalb dieser Kategorien geschieht dem Autor nach die Bearbeitung der in Kapitel drei hergeleiteten Strukturdifferenzen. Die kommunikative Aneignung von Inhalten erscheint hierbei doppelt codiert. Sie orientiert sich an pädagogisch/​didaktischen Zwecken und/oder ist an Interessen von Politik von Wirtschaft orientiert. Dadurch konstituiert sich eine Hauptkommunikation im Unterricht, deren Sinnzuschreibungen sich durch kommunikative Interventionen anderer am Unterrichtsgeschehen beteiligten Akteure partiell verschieben.

In Teil B steht dann die angekündigte empirische Annährung an eine Theorie des Unterrichts im Zentrum. Jeder der 10 Strukturdifferenzen ist ein eigenes Unterkapitel gewidmet. Es werden Ausschnitte aus (zumeist frontalen) Unterrichtsszenen in geglätteter Transkription dargestellt. Im Fokus steht dabei die Frage, wie Strukturdifferenzen genutzt werden für die pädagogische Kommunikation oder wie sie diese auch möglicherweise behindern. Anhand der Strukturdifferenz Bekanntheit [bekannt/​nicht bekannt] arbeitet der Autor beispielsweise heraus, dass der Wechsel von der positiven zur negativen Seite und die Referentialität eben jener Strukturdifferenz Unterricht maßgeblich konstituiert. In seinen konversationsanalytischen Ausführungen beschreibt Alexander Loh, wie die Bearbeitung von Strukturdifferenzen selbst Unterricht überhaupt erst ermöglicht.

Es wird analysiert, wie eine Re-Entry entweder in die Strukturkategorie selbst oder in ihre selbstreferentielle Seite hinein Unterrichtliche Kommunikation herstellt, und diese hinsichtlich der Formen pädagogischer Kommunikation vorantreibt. Der Autor zeigt, wie Öffnungs- und Schließungsdynamiken die Kontingenz erhöhen oder manchmal auch verringern. Für jede Strukturkategorie wird abschließend anhand ausgewählter Unterrichtssequenzen gezeigt, wie die Normhorizonte Konformitäts- und Kooperationserwartungen Einzug in die Kommunikation im Unterricht halten.

Im abschließenden Teil C werden die in Teil A dargelegten systemtheoretischen Grundlagen durch die empirischen Ausarbeitungen konkretisiert. Die empirische Datenlage offenbart, dass Unterricht stets eine fortwährende Bearbeitung von Bezugsproblemen darstelle, deren fremdreferentielle Aspekte zentrale Bestandteile unterrichtlicher Kommunikation sind. Der Autor richtet sich gegen verkürzte Sichtweisen auf Unterricht, wonach dieser nur das Ziel habe, die positive Seite von Differenzstrukturen in der Kommunikation zu etablieren. Selbst- und Fremdreferenzen sind vielmehr als interdependent zu betrachten und erst die kommunikative Einführung der fremdreferentiellen Seite von Strukturdifferenzen ermöglicht die Ausgestaltung und Etablierung der Selbstreferenz. Allgegenwärtig erscheint dem Autor hierbei der Aspekt der doppelten Codierung. Die Arbeit schließt mit einem Ausblick, der auf (Un-)vereinbarkeiten zwischen Fremd- und selbstbeschreibenden Analysen des Erziehungssystems und auf sprachliche, disziplinpolitische und theorieimmanente Kritik an der systemtheoretischen Perspektive eingeht.

Diskussion

Mit der vorliegenden Schrift gelingt Alexander Loh eine systemtheoretische Betrachtung von Unterricht, die die Strategien der kommunikativen Bewältigung unterschiedlichster schulischer Anforderungen durch die beteiligten Akteure in den Blick zu nehmen vermag. Sie hebt sich damit deutlich von anderen systemtheoretischen Analysen des Bildungssystems ab, in welchen die mikrosoziologische Dimension des Unterrichtsgeschehens bisher eine eher randständige Position einnahm.Die große Chance einer systemtheoretischen perspektive ist, dass diese die kommunikative Bearbeitung von Unterricht in einer Art und Weise fokussiert, bei der beispielsweise praxeologische Theorien an ihren Grenzen kommen. Drei kleinere Fragen bleiben aus Sicht des Rezensenten nach Lektüre der Publikation jedoch noch klärungsbedürftig. Die Darstellung und Begründung der unterrichtlichen Strukturdifferenzen erfolgt mittels Literatur aus einem Diskursfeld, welches der Autor zuvor als defizitär beschrieben hat. Diese Feststellung mag durch das Nebeneinander an verschiedenen selbst- und fremdbeschreibenden Theorien des Unterrichts auch zutreffend sein. Es stellen sich jedoch dann Fragen nach der Legitimität dieser Strukturdifferenzen, die Alexander Loh aus genau diesem Theoriefeld herleitet. Hier werden Grenzen der eigenen erkenntnistheoretischen Reflexion sichtbar. Zweitens wären einige tiefergehende methodische und methodologische Ausführungen beispielsweise zur Konversationsanalyse als Auswertungsinstrument sowie zur Erhebung und Auswahl der Unterrichtstranskripte wünschenswert gewesen. Dieser letzte Aspekt leitet über zur dritten Frage, die aus Sicht des Rezensenten offenbleibt. Im Empirischen Teil finden sich vor allem Frontalunterrichtssequenzen versammelt. Darauf scheint der Autor das Hauptaugenmerk gelegt zu haben, gleichzeitig bleibt offen, ob dies eine bewusste Entscheidung war. Aus forschungspragmatischen Gründen wäre dies durchaus nachvollziehbar. Jedoch finden sich auch hier keine weiteren Erläuterungen. Zudem bleiben damit freiere Unterrichtssettings gänzlich unbearbeitet, was schade ist, da gerade mit Blick auf Fragen der Inklusion und Exklusion kommunikativer (Sub-)systeme in den letzten Jahren einige spannende systemtheoretische orientierte Publikationen erschienen sind.

Fazit

Die vorliegende Studie von Alexander Loh wirft eine neue Forschungsperspektive auf unterrichtliche Kommunikation. Es deutet sich an, dass eine fremdbeschreibende systemtheoretische Analyse unterrichtlicher Kommunikation insbesondere hinsichtlich der Frage, durch welche kommunikative Strategien die Kommunikationsform Unterricht eigentlich ‚am Leben erhalten wird‘ auch in Zukunft spannende neue Erkenntnisse verspricht. Theoretische Diskussion und empirische Analyse der Studie bewegen sich auf einem herausfordernden Fundament, für unvertraute Leser*innen möglicherweise manchmal etwas zu herausfordernd. Die drei herausgearbeiteten Leerstellen der Diskussion sollen dabei zum Weiterdenken anregen, gleichzeitig jedoch nicht das innovative Potenzial der Arbeit von Alexander Loh verdecken.

Rezension von
Dr. Florian Schrumpf
Juniorprofessur an der Universität Osnabrück
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Es gibt 2 Rezensionen von Florian Schrumpf.

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ISSN 2190-9245